10.06.2020
Was kann die Schifffahrt von der Hirnforschung lernen?
Wissenschaftler-Team aus China und Deutschland beschreibt, wie sich die Organisation globaler Seeverkehrsnetze auf die Wirtschaft auswirkt und nutzt dabei Methoden der Brain-Network-Analyse
Dr. Carlo Vittorio Cannistraci vom Biotechnologischen Zentrum (BIOTEC) der TU Dresden erforscht am Labor für Biomedizinische Kybernetik die Prinzipien, nach denen sich Netzwerke in biologischen Systemen wie dem Gehirn organisieren. In einer interdisziplinären Studie ging er zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern aus China der Frage nach, ob die mathematischen Modelle, die das Zusammenspiel der Gehirnzellen erklären, auch die globalen Seeverkehrsnetze und bestimmte Einflüsse auf die Weltwirtschaft beschreiben können. Die Studie wurde nun im Wissenschaftsmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Rund 80 Prozent des Welthandels werden über den Seeweg abgewickelt. Daher ist das Netzwerk von Schifffahrtsverbindungen von grundlegender Bedeutung für die Weltwirtschaft und das Funktionieren der Gesellschaft. Um neue internationale Schifffahrtswege besser nutzen zu können, müssen die bestehenden Routen und Netzwerke analysiert werden: Nach welchen Prinzipien haben sich diese Netzwerke organisiert? Welche Mechanismen bestimmen das komplexe Zusammenspiel von Routen-Netz und internationalem Handel? Der Vergleich mit einem anderen komplexen System lohnt – dem Gehirn. Ähnlich dem Seeverkehrsnetz, ist auch hier die Befahrbarkeit der Netzwerkstruktur entscheidend, müssen effiziente Abläufe organisiert werden, damit das Gehirn leistungsfähig sein kann. Der Anstoß für diese vergleichende interdisziplinäre Forschung kam durch den Austausch während einer internationalen Konferenz der Netzwerkwissenschaftler. Es folgte eine dreijährige Bearbeitung des Themas in Dalian (China) und Dresden.
„Viele komplexe Systeme folgen den gleichen Regeln der Selbstorganisation und Wirtschaftlichkeit. Als ich mich auf der Konferenz mit der maritimen Netzwerkstruktur der chinesischen Kollegen auseinandersetzte, stellte ich die Hypothese auf, dass hier – wie bei den Netzwerken im Gehirn – ein Spannungsfeld zwischen hoher Transporteffizienz und niedrigen Integrationskosten existiert. Wir bündelten unser Wissen der Netzwerkwissenschaften, Schifffahrtskunde und Datenverarbeitung, was zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich der strukturellen Komplexität maritimer Netzwerke und ihrer Bedeutung für den internationalen Handel führte“, erklärt Dr. Cannistraci, Gruppenleiter für Biomedizinische Kybernetik am BIOTEC der TU Dresden. „Wichtiges Ergebnis unserer Studie ist die Entwicklung neuer computerbasierter Methoden, durch die die Organisationsstruktur und die Anschlussfähigkeit der einzelnen Module innerhalb komplexer Netzwerke analysiert werden können – hier angewendet im Bereich der Seeverkehrsnetze. In zukünftigen Projekten werde ich diese neu entwickelten Methoden für meine Forschung am BIOTEC einsetzen, wo ich mich auf computerbasierte Netzwerksysteme in der Biomedizin konzentriere. Die Methoden könnten nützlich sein, um die Organisation der Netzwerke im Gehirn zu analysieren und um Marker, die auf Erkrankungen des Gehirns wie Depression und Alzheimer hinweisen, zu entwickeln."
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Dr. Mengqiao Xu, M.S. Qian Pan und Dr. Haoxiang Xia von der Technischen Universität Dalian (China) und Dr. Alessandro Muscoloni vom Labor für Biomedizinische Kybernetik am BIOTEC der TU Dresden durchgeführt. Sie wurde durch ein Independent Group Leader Starting Grant für Carlo Vittorio Cannistraci des BIOTEC und durch das Tsinghua Laboratory of Brain and Intelligence, Tsinghua Universität, Peking (China) finanziert. Darüber hinaus wurde die Studie durch die Firma Alphaliner S.A.R.L. (Frankreich) unterstützt, die umfängliche Daten zur weltweiten Linienschifffahrt bereitstellte.
Veröffentlichung:
Nature Communications: “Modular gateway-ness connectivity and structural core organization in maritime network science”, Autoren: Mengqiao Xu, Qian Pan, Alessandro Muscoloni, Haoxiang Xia and Carlo Vittorio Cannistraci
Informationen für Journalisten:
Dr. Carlo Vittorio Cannistraci
Tel: +39 3475954094
Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in Dresden traditionell starken Ingenieurswissenschaften zu verbinden. Seit 2016 ist das BIOTEC eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden. Das BIOTEC nimmt eine zentrale Position in Forschung und Lehre im Forschungsschwerpunkt Molecular Bioengineering ein und verbindet zellbiologische, biophysikalische und bioinformatische Ansätze miteinander. Es trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering bei.
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