01.04.2021
Raus aus der Schmuddelecke und rein ins Lehrbuch: die Komplexität von Bakterien wird häufig unterschätzt
Mit dem neuen Schwerpunktprogramm „Emergente Funktionen der bakteriellen Multizellularität“ (SPP 2389) möchte Sprecher Thorsten Mascher, Professor für Mikrobiologie an der TU Dresden, die Bedeutung und Entwicklung der Vielzelligkeit und von ausdifferenzierten mikrobiellen Geweben bei Bakterien verstehen lernen und damit helfen, einen Paradigmenwechsel in der Mikrobiologie herbeizuführen: Bakterien sind bevorzugt vielzellig lebende Organismen. Das Projekt ist eines von insgesamt dreizehn Schwerpunktprogrammen, die vom Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in dieser Woche bewilligt worden. Die Förderung beträgt rund 6 Millionen Euro für die ersten drei Jahre bei einer Gesamtlaufzeit von sechs Jahren (2022-2028).
Seit Begründung der klassischen Bakteriologie Mitte des 19. Jahrhunderts durch Robert Koch und Louis Pasteur hat sich an der Wahrnehmung von Mikroben, den sogenannten Prokaryoten, bei denen kein Zellkern vorhanden ist, wenig geändert: Bakterien gelten bis heute als winzige, einzellige, wenig komplexe Organismen. Sie stehen damit den „höheren“ Organismen, den sogenannten Eukaryoten, die mit einem Zellkern ausgestattet sind, gegenüber. Eukaryoten zeichnen sich durch ein hohes Maß an Differenzierung ihrer komplexen und vielzelligen Spezies, allen voran natürlich die Tiere und Pflanzen, aus. Dabei ist die Vielzelligkeit in der Entwicklung des Lebens auf dieser Erde bakteriellen Ursprungs. Bisher scheiterte deren Untersuchung aber an den technologischen Möglichkeiten, da bakterielle Zellen weitaus kleiner sind, als die Zellen höherer Organismen. Hier setzt nun das SPP2389 an: Die biophysikalischen Eigenschaften, die physiologischen Funktionen, sowie der evolutionäre Ursprung der Vielzelligkeit bei Mikroorganismen sollen mittels modernster, hochauflösender optischer und chemischer Analyseverfahren und hochgradig interdisziplinärer Ansätze detailliert untersucht werden. Neben einem grundsätzlichen Verständnis zu den biologischen Prinzipien und molekularen Mechanismen der Selbstorganisation und Interaktion in mikrobiellen Geweben birgt der zu erwartende Erkenntnisgewinn auch Anwendungspotential in sich: zum Beispiel für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen in bakteriellen Gemeinschaften oder zur Entwicklung „produktiver Biofilme“ für die technische Biokatalyse.
„Wir wollen wissenschaftlich fundiert die von uns so sehr geschätzten Mikroben aus der „Schmuddelecke“ der langweiligen, weil winzigen und unscheinbaren Einzeller rausholen, die höchstens noch als Krankheitskeime Aufmerksamkeit erregen. Es geht bei diesem SPP um nichts weniger, als einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Mikroorganismen einzuleiten, der sich hoffentlich auch in zukünftigen Lehrbüchern niederschlagen wird: Bakterielles Leben ist präferentiell multizellulär und komplex ausdifferenziert“, erläutert Mikrobiologe und SPP-Sprecher Prof. Thorsten Mascher das Vorhaben.
Informationen für Journalisten:
Thorsten Mascher
Professor für Allgemeine Mikrobiologie