Liebe, Sex und Freundschaft – Fragen und Antworten der Philosophie
Sind Liebe und Freundschaft eigentlich identische Phänomene? Warum sind Religionen oftmals so lust-, leib- und frauenfeindlich? Sollte zwischen antiker Päderastie und aktueller Pädophilie unterschieden werden? Was unterscheidet wahre Liebe von Begehren? Ist Monogamie eine Illusion?
Fragen wie diesen und vielen weiteren geht Markus Tiedemann, Professor für die Didaktik der Philosophie und Ethik an der TU Dresden, gemeinsam mit der freien Redakteurin und MDR-Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski im Podcast "Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie" nach.
Inhaltsverzeichnis
- Folge 7: Evolutionsbiologie und empirische Sexual- und Paarforschung
- Folge 6: Liebe als Kunst und Liebe als Sinn – die Konzepte von Erich Fromm und Viktor Emil Frankl
- Folge 5: Pädophilie und Päderastie: wichtige Unterscheidungen und Anmerkungen
- Folge 4: Wahre Freundschaft nach Aristoteles. Oder: warum Räuber keine echten Freunde sein können
- Folge 3: Von Platonischer Liebe und dem Aufstieg des Logos
- Folge 2: Der lange Arm des Mythos – zur Bewertung von Lust, Leib und Weiblichkeit
- Folge 1: Die Philosophie und Liebe, Sex und Freundschaft
- Weitere Informationen
Folge 7: Evolutionsbiologie und empirische Sexual- und Paarforschung
Die Evolutionsbiologie und die empirische Sozialpsychologie haben spannende Ergebnisse erhoben. Diese betreffen auch unser Sexualleben und unseren Umgang mit Partnerschaften. Welche traditionellen Annahmen über Geschlechterrollen, über sexuelle Treue und langfristige Liebesbeziehungen wurden bestätigt? Welche dieser Annahmen müssen revidiert werden?
Katrin Tominski
Liebe. Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Kathrin Tyminski. Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft. Selbst Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert iert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden. Herzlich willkommen bei der nächsten Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Hallo Markus, schön, dass du wieder da bist.
Markus Tiedemann
Hallo Katrin.
Katrin Tominski
Wir sind ja in den letzten Folgen durch die vergangenen zwei oder auch drei Jahrtausende für philosophisch gelüst wandelt. Wir haben uns die Antike angeschaut. Wir sind eigentlich bis zur Gegenwart im 20. Jahrhundert gelandet und wir haben uns mit Mythos und Logos beschäftigt. Wir haben uns damit beschäftigt, wie sich Mythen und Logos sozusagen auswirken auf unsere Vorstellung von Liebe, Freundschaft und Sex. Wir haben uns mit Platons Ideal der wahren Liebe beschäftigt. Wir haben uns mit dem Freundschaftsbegriff von Aristoteles beschäftigt und wir haben uns auch mit Viktor Frankl und Erich Fromm beschäftigt. Und jetzt wollen wir etwas ganz anderes machen, sozusagen ein Stück in die Praxis gehen und fragen, wie sich sozusagen Philosophie und Empirie zueinander bewegen. Deswegen sage ich noch mal Herzlich Willkommen zu unserer Folge Evolutionstheorie und empirische Soziologie. Und da frage ich dich gleich, Markus, was kann denn die Philosophie der Empirie und die Empirie der Philosophie sagen?
Markus Tiedemann
Und das ist eine spannende Frage. Also zunächst einmal glaube ich, dass Sie sich wunderbar ergänzen können und zum Teil auch aufeinander angewiesen sind. Also eine Theorie kann die überhaupt gar keine Erdung hat, kann ja leer sein, also leere Behauptungen aufstellen, während eine Empirie, die nicht versucht, das Ganze systematisch zu deuten, wiederum blind sein kann. Also ich kann vielleicht ein Beispiel geben. Es gibt den berühmten Bonobos Test, also man nimmt Probanden und Probanden und zeigt ihnen erotische Abbildung und misst dabei die Durchfeuchtung und Ausdehnung ihrer Genitalien. Und man sieht, egal ob homosexuelle Darstellung, heterosexuelle Darstellungen bei Männern und Frauen hat es den gleichen Effekt. So, jetzt taucht ein Bild von zwei kopulierenden Bonobos auf und bei Männern ist im wahrsten Sinne des Wortes tote Hose. Bei Frauen jedoch sind durchaus Effekte messbar. So, und jetzt ist die Frage Was machen wir denn mit dem Ergebnis? Die Empirie gibt darauf keine Antwort. Und jetzt könnte man ja lächerlicherweise sagen okay, Frauen haben eine Neigung zur Sodomie. Das wäre ja absurd. Oder man kann sagen was finden wir denn für andere Erklärungen? Und da wäre es zum Beispiel, dass die reine Gegenwart von Geschlechtlichkeit evolutionär und da sind wir bei der Evolutionsbiologie große Vorteile, nämlich Verletzungsgefahr, Vermeidung hat. Wenn dann die Geschlechtsorgane der Frau aktiv werden.
Katrin Tominski
Okay, das ist ja spannend. Und diese Studie von wo entstammt die kennst du da vielleicht? Ja, das habe.
Markus Tiedemann
Ich jetzt gar nicht im Kopf. Ich glaube, sie stammt aus den Ende der 90er Jahre. Müsste ich aber noch mal nachschlagen. Welchen nehmen Sie nur deswegen als Beispiel, um zu sagen Selbst wenn wir empirische Daten erheben, haben wir dadurch ja noch keine Gewissheiten, sondern wir sind gar nicht. Wir kommen gar nicht drum herum, sie zu interpretieren. Und dann nehmen wir dann immer ein Paradigma, das wir aus der Theorien nehmen. Und in andere Richtung. Gilt das genauso? Also nur weil wir das Paradigma der Evolutionstheorie haben, müssen wir trotzdem aufpassen, dass sie a sauber bleibt, also nicht von anderen Dingen überlagert wird und b nicht jedes in empirische Daten Material sofort diesen schon vorgefertigten Kategorien genügen muss.
Katrin Tominski
Du hast es eben angesprochen, die Evolutionsbiologie und auch Theorie. Was sagt denn zum Beispiel Darwins Evolutionstheorie zur Sexualität?
Markus Tiedemann
Ganz viel und gar nichts. Also als erstes mal würde man sagen, wenn man unsere Sexualität wahrnimmt als so etwas, das einen Plan verfolgt oder einer Masterstruktur unterworfen ist, dann hat man die Evolutionstheorie bereits schon verlassen. Denn das, was uns auszeichnet als biologische Wesen, folgt keinem Masterplan. Wenn man Evolutionsbiologie ist, sondern ist das Ergebnis zufällig erfolgreicher Mutation. So erfolgreich sind.
Katrin Tominski
Wir sind also alle Produkte des Zufalls?
Markus Tiedemann
Ja, wenn man so will. Ja. Und jetzt unser Verhalten zu erklären, lässt sich dann durch den Erfolg erklären. Und dann sind wir relativ schnell bei, wie ich finde, sehr ergiebigen Erklärungsmustern. Also zweigeschlechtliche Sexualität ist ein Erfolgsmodell der Evolution. Warum ist es ein Erfolgsmodell? Weil es durch die Rückorganisation des Genoms große Vorteile für die nachkommende Generation mit sich bringt. Und die ist ja zum Beispiel, denken wir mal, immun. Status in einem ständigen Wettlauf mit Parasitenviren und Krankheiten. Und das ist ein Erfolgsmodell. Und deswegen hat jetzt die Evolution in diesem Spielraum zwei geschlechtliche Sexualität eine Riesenbandbreite geschaffen von rein quantitativen Strategien, also Korallen, die da zu Millionenfach ins ins Wasser laichen und dann einfach die Paarung der Meeresströmungen überlassen, bis zu ganz qualitativen Strategien, meinetwegen Nashorn hühner, die eine ganze Woche nebeneinander herlaufen, um dann in einem riesigen Kraftakt nur einmal zu kopulieren und dann auch nur ein einziges Junges zur Welt zu bringen. So, und in diesem Muster wird dann der Mensch eingeordnet. Ist er jetzt qualitativ? Ist er quantitativ?
Katrin Tominski
Und sind wir jetzt qualitativ oder quantitativ?
Markus Tiedemann
Ich glaube, hier fängt es schon an, dass wir. Schnell alten kulturhistorischen Mustern zum Opfer fallen und in ihm nicht sauber klar denken. Also die alte Interpretation der Evolutionstheorie läuft nach dem Muster Frauen haben eine qualitative Strategie. Warum? Weil sie während Schwangerschaft und Kinderaufzucht von der Selbstversorgung abgeschnitten sind. Und deswegen brauchen sie vor allen Dingen ein Versorger und schauen ihm dann zum Beispiel aufs Hinterteil, um zu sagen Ist das ein guter Jäger, ja oder nein?
Katrin Tominski
Ich unterbreche noch mal kurz. Also qualitative Strategie bei Frauen heißt Sie suchen lange und ganz genau und gucken auf die Qualität, damit sie sicher sein können, dass sie dann einen Versorger haben, wenn sie meinetwegen schwanger sind. Und die Kinder?
Markus Tiedemann
Genau. Also damit das genetische Projekt Fortpflanzung erfolgreich ist, daran hat das was zu tun. So. Und bei Männern wurde dann unterstellt, dass sie eine rein quantitative Strategie fahren, nämlich Samen Streuung Der Platzhirsch ist unterwegs. Und wenn man jetzt genauer diese Forschung anguckt, dann haut es in beide Richtungen nicht hin.
Katrin Tominski
Das heißt, bevor ich jetzt den genaueren Forschung komme, das sind sozusagen diese Platzhirsch Mentalität, also quantitativ, Mann, qualitativ Frau geht zurück auf welche Forschungen?
Markus Tiedemann
Also das geht erst mal auf das Muster der Evolutionstheorie zurück, das da sagt, es gibt qualitative und quantitative Strategien. Die Evolutionstheorie hat aber zumindest die klassische darwinistischen würde ich jetzt nicht sofort sagen. Deswegen gehört der Mann in die qualitative und die Frau in die quantitative. Dass wir sie so einordnen, hat unter anderem auch mit Bildern des Menschen, mit kulturell überkommenen Bildern zu tun, die gar nicht aus der Evolutionstheorie stammen. Die Evolutionstheorie wurde mit vielen, auch Erkenntnissen der neueren Forschung durchaus einhergehen. Würde sagen ja, das sind interessante Ergänzungen und so einfach kann man die beiden nicht zuordnen.
Katrin Tominski
Und wie sind jetzt diese interessanten Ergänzung? Was besagen die? Was sind das für Forschungen?
Markus Tiedemann
Na, sie laufen also ich kann gerne gleich ein paar Beispiele geben.
Katrin Tominski
Unbedingt.
Markus Tiedemann
Also vielleicht fangen wir mal mit einem Beispiel an, dass angeblich die Aufteilung in Braves Mädchen wilder Junge zu bestätigen schien, aber nicht auf den zweiten Blick. Also, das ist die berühmte Studie, die diese College das College Experiment von Russell Clark. Man nehme sehr attraktive Studentinnen und Studenten, und die sprechen auf dem Campus Kommilitonen an. Die erste Frage ist, Hättest du Lust, mit mir hier in Form eines Dates einen Kaffee zu trinken? Dann sagen 50 % der angesprochenen männlichen Studenten ja.
Katrin Tominski
Stimmt, das hattest du schon mal erwähnt in den ersten Folgen?
Markus Tiedemann
Ja, genau so und 56 der Studentinnen und innen sagen auch Ja So, dann kommt der nächste Schritt und dann würdest du mich auch in mein Apartment begleiten. Dann sagen von den Angesprochene die schon ja gesagt von den Männern über 70 % ja so von den Frauen geht es glaube ich gegen sechs, sieben, 9 % so in der nächsten. Würdest du auch spontan Sex mit mir haben? Dann ist die Antwort nein. Bei den Frauen 0 % und bei den Männern dann sehr sehr viele von denen, die auch so. Jetzt kann man natürlich sagen Braver Junge, Braves Mädchen, Braver Junge, wilder Junge. Stimmt, aber natürlich nicht. Denn das, was wir da messen, sagt über die das sexuelle Interesse der Frau gar nichts aus, sondern zeigt nur, dass sie in unserer Gesellschaft ein höheres Verletzungsrisiko hat, wenn sie mit jemanden in dessen Wohnung geht. Über ihre sexuelle Paarungsbereitschaft wissen wir durch dieses Experiment gar nichts. Und jetzt kommen andere Experiment. Will ich das noch einmal?
Katrin Tominski
Ja, unbedingt.
Markus Tiedemann
Also, es gibt dann von Sarah Whitley zum Beispiel das T Shirt Experiment. Da lasse ich Frauen schnüffeln an T Shirts, die Männer getragen haben.
Katrin Tominski
Ja, das wird jetzt spannend.
Markus Tiedemann
Ja, das ist schön. Und zwar, wenn jetzt die klassische Evolutionstheorie recht hätte, also auch die klassische Auslegung, dass Frauen rein qualitative Strategie fahren, dann müsste ja zum Beispiel so etwas sein. Der Versorger ist in der Regel dann athletisch. In diesem also müssten es T Shirt sein von athletischen Männern, die anziehend riechen. Das war nicht der Fall. Sondern Menschen finden den Geruch von anderen Menschen anregend, deren Immunsystem durch die Geruchsstoffe codiert sind. Das liegt bei uns gleich. Mit Segen heißt es. Da sind Geruchstoffe drauf und wir finden den Geruch von demjenigen gegenüber auch erotisch anziehend, der einen anderen Immunstatus hat. Das heißt, unser potenzieller Nachfahre würde von den beiden im Mund Dati der beiden Partner besonders profitieren, weil er ja sozusagen cherry picking von Mami und Papi machen kann. Und daraus folgt jetzt, dass man bei Frauen zumindest man könnte es süffisant so zusammenfassen Sie suchen sich einen verlässlichen Versorger und während der auf Jagd ist, paaren sie sich mit jedem, der gut riecht.
Katrin Tominski
Also Sie sehen so eine Doppelstrategie.
Markus Tiedemann
Sie fahren eine Doppelstrategie, genauso wie bei Männern das nicht so ist. Das Männer nie monogame Phasen hätten. Also das lässt sich ja in der empirischen Sozialforschung relativ leicht zeigen. Für beide Geschlechter gilt, dass die klassische Dauer eine Kurzzeitbeziehung in der westlichen Welt ist. 3 bis 6 Monate. Erich Fromm würde sagen Ja, dann kippt eben diese Phase des Verliebtseins in die Phase der Liebe, und da muss man Arbeit leisten. Und evolutionsbiologisch würde sagen Nee, nee, die nehmen im 3 bis 6 Fruchtbarkeitszyklen mit. Und das ist in biologisch. Die kopulieren sehr oft. Ist das sinnvoll. Und zwar deswegen, weil man die Fruchtbarkeit der Frau in unserer Gattung nicht erkennen kann von außen. Bei unseren näheren Verwandten schwillt das Hinterteil, und das heißt die Fruchtbarkeit ist von außen erkennbar.
Katrin Tominski
Bei uns heißt es also nur ausprobieren, ausprobieren.
Markus Tiedemann
Ja, wenn man, wenn du so willst. Aber sozusagen es hat ein Vorteil für die Fortbestehen der Art und die Fruchtbarkeit der Frauen von außen nicht zu erkennen ist. Wenn die Paare zumindest mehrere Zyklen zusammenbleiben.
Katrin Tominski
Aber das heißt ja letztlich, wenn ich dich jetzt so richtig verstehe, dass die Männer grundsätzlich eigentlich polygamen sind und manchmal monogame Phasen haben.
Markus Tiedemann
Ja, aber Ähnliches gilt für die Frau eigentlich auch. Also man können dann über die Länge der der monogamen Phasen streiten, ob die vielleicht bei Frauen länger sind. Mir steht da kein Urteil zu, aber beide scheinen mäßig polygamen zu sein. Also nicht vollständig polygamen, aber doch in ihrer Neigung stärker polygamen. Und das ist mir durch die empirische Sozialforschung bestätigt. Also wenn man heute große Studien und wir haben zum Beispiel die Studie, die ganze Generationen abgeglichen.
Katrin Tominski
Hat, da wollte ich auch gleich noch darauf zu sprechen zu kommen.
Markus Tiedemann
Ja, spannende Studie, aber wenn man da die Leute fragt, dann sagen Sie sagen 50 %. Sie waren mindestens einmal untreu und knappe 30 % sagt In meiner laufenden Beziehung bin ich untreu gewesen.
Katrin Tominski
Jetzt. Jetzt ist ja dieses Konzept der Polyamorie spielt ja jetzt gerade gerade unter den jungen Menschen eine ziemlich große Rolle. Also ist das eigentlich realer an den Menschen als die kleinbürgerliche Ehe? Vater, Mutter, Kind, wenn ich dich richtig verstehe.
Markus Tiedemann
Ja, das ist definitiv unserem rein biologischen Naturell deutlich näher. Ob es sozial kompatibel ist mit der Gesellschaftsform, die wir geschaffen haben, das ist wieder eine andere Frage. Also die Monogamie könnte sehr früh in der Gesellschaft Einzug gehalten haben, zumindest als Auflage für die Frauen, um sozialen Frieden in Horden aufrechtzuerhalten, um dort nicht sozusagen den Frieden innerhalb der eigenen Gruppe zu gefährden. Das heißt aber nicht, dass sie ein kulturell ein Naturprodukt ist, sondern sie ist ein Kulturprodukt.
Katrin Tominski
So habe ich das noch nie gesehen. Das ist spannend. Vielleicht noch mal zur Studie. Du hast es ja angedeutet Die Studie ist ja eine riesengroße Studie gewesen über drei Generationen, die im Jahr 2020 abgeschlossen worden ist. Was sind also die größten Ergebnisse aus dieser Studie?
Markus Tiedemann
Oh ja, das ist die größten. Da müssten man eigentlich die Macher der Studie noch mal fragen. Was mich besonders interessiert hat, kann ich sagen. Also erst mal ist sie relativ valide, weil hier jeweils drei unterschiedliche zehn Jahres Kohorten untersucht wurden, und zwar sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der Fremdwahrnehmung. Befragt werden nicht nur die Personen selbst, sondern auch ihre Partner und ihre Kinder und ihre Eltern. Also das heißt es, da hat man großen Durchschnitt, da hat man also erst mal hinsichtlich der Neigung und des Lebens klare Ergebnisse. Wir haben eben gerade das mit der Treue bzw Untreue genannt und auch Bindungsfaktoren werden gerade als Querschnittfaktor relativ deutlich. Was hält zum Beispiel eine Beziehung zusammen?
Katrin Tominski
Ja, was hält eine Beziehung zusammen?
Markus Tiedemann
Ja, das ist die erste Antwort. Ist es relativ unromantisch Eigentum zum Beispiel. Also die stärksten Bindungsfaktoren, die da sind, sind Eigentum, sind Kinder, religiöse Orientierung und Lokalität. Also suche ich einen Lebenspartner fürs Leben. Auf Dauer sollte ich einen ostdeutschen Katholiken nehmen, mit dem ich mir zusammen ein Haus kaufe und mindestens zwei Kinder habe. Das sind die größten Bindungsfaktoren, die ich abspielen kann. Es ist sehr unromantisch, aber das hält Paare offensichtlich auf Dauer zusammen.
Katrin Tominski
Ich würde sagen, schwer zu finden. Aber in Dresden sind die Chancen da relativ hoch.
Markus Tiedemann
Vielleicht ja genau.
Katrin Tominski
Ja, okay, Ostdeutschland bzw Ostdeutsches ist ja jetzt gerade erwähnst spielt es für eine Rolle ist es sind führen die Ostdeutschen längere Beziehungen als die Westdeutschen?
Markus Tiedemann
Statistisch war es so, es war eine Auffälligkeit, also dass sie statistisch längere Beziehungen haben. Aber wir sind ja in einer Phase der Angleichung. Also ich würde jetzt prognostizieren, ohne jegliche Expertise auf diesem Feld zu haben, dass das in zehn Jahren nahezu angeglichen ist.
Katrin Tominski
Du hast auch gesagt, dass für die Bindung von Menschen Realitätssinn eine Rolle spielt und die Fähigkeit zu vergeben.
Markus Tiedemann
Ja, das ist eine ganz, ganz spannende Sache. Dass es aus der empirischen Paarforschung, aber auch aus der therapeutischen Psychologie sind das Erkenntnisse, Was ist, sind eigentlich die Tugenden, die dauerhafte, nicht nur auf Dauer bestehende, sondern funktionierende Beziehung am Leben halten? So, und dann könnte man zum Beispiel so Indikatoren anführen wie gelungene Sexualität ist aber nicht so.
Katrin Tominski
Also ich mir immer suggeriert, dass viel Sex notwendig ist, damit Beziehungen gut funktionieren.
Markus Tiedemann
Also über die Wünsche von Männern und Frauen können wir gleich noch mal reden. Das auch ein ganz spannendes Feld. Aber zunächst einmal Gute Sexualität ist eine Frischzellenkur für jede Beziehung. Aber sie funktioniert auch in einer schlechten Beziehung. Also auch schlechte Beziehungen können guten Sex haben und mit gutem Sex kann man allein keine Beziehung am Leben halten. So was sind eigentlich die Faktoren, die Menschen auszeichnen, die über lange Phasen zusammen sind und sich dort als glücklich und zufrieden bezeichnen. Und da kommen solche Ergebnisse raus wie Realitätssinn, also eine realistische Einschätzung meiner Partnerin und meines Partners. Das beugt dem in vor, dass ich enttäuscht bin. Ich habe ja ein realistisches Bild, keine überschwängliche Erwartungshaltung.
Katrin Tominski
Das klingt so einfach, ist aber, glaube ich, ganz schön kompliziert.
Markus Tiedemann
Ja, und das zweite ist noch viel komplizierter. Das ist nämlich Vergiss es. Das ist also das kommt vor allen Dingen aus der englischsprachigen, therapeutischen, auch paartherapeutischen Psychologie. Und die Tugend des von Givens oder der Vergiften ist also des vergeben könnens ist deswegen so spannend, weil es eine individuelle Tugend ist. Das entsteht ja nicht in der Partnerschaft, sondern das ist eine Eigenschaft, die ich als Individuum mitbringe oder nicht mitbringe. Um mal bei Fromm anzudocken Bin ich eine reife Persönlichkeit oder bin ich es nicht? Überlasse ich mich zum Beispiel meiner meiner narzisstischen Kränkung oder tue ich es nicht? Und Personen, die das überwunden haben, scheinen mehr Potenzial zu haben, lang andauernde und glückliche Beziehung zu führen.
Katrin Tominski
Das klingt wunderschön. Der sollte eigentlich auch mein Schlusswort für diesen Podcast sein, aber wir sind jetzt vorher darauf gekommen zu diesem Bindungsfaktor. Deswegen danach. Du hattest es auch schon jetzt angedeutet, äh, wir wollen ja noch über Mann und Frau reden und die Erwartungen, auch die sexuellen Erwartungen. Ja, wie oft haben denn Menschen im Durchschnitt Sex?
Markus Tiedemann
Oh, also Menschen. Wir müssen erst mal die Gruppen klar machen. Also Singles zum Beispiel haben erschreckend wenig Sex. Das lässt sich natürlich über den Mangel an Gelegenheiten erklären und es bestimmt jetzt auch durch die ganzen Datingagenturen im Wandel. Ich bin mir nicht sicher, ob zum Beispiel Performen jetzt die neuesten Trends abbilden kann. Wenn Sie 22 20 zu Ende ist. Also vielleicht ist es da anders. So spannend ist es, zu beobachten, wie Paare Sex haben. Und nach den Ergebnissen, die wir haben, pendelt es sich immer das berühmte eine Mal in der Woche ein scheint sehr Durchschnittswert sehr gesättigt zu sein. Aber spannend ist die Häufigkeit der Sexualität ist nicht abhängig vom Alter der Partner, sondern vom Alter der Beziehung. Also ich bin eine 60-jährige frisch verliebte oder im ersten Jahr meiner Beziehung. Ich habe doppelt so viel Sex wie jemand, der 30 ist und zehn Jahre in einer Beziehung lebt.
Katrin Tominski
Das haben wir vielleicht alle schon mal erlebt.
Markus Tiedemann
Ja, ja, aber in unserer vielleicht vorurteilsdurchtränkten Wahrnehmung würden wir immer sagen bei älteren Menschen nimmt es ab. Aber das scheint eben nicht der Fall zu sein. Was übrigens auch zeigt, wie vielfältig die Sexualität ist. Also Sexualität evolutionsbiologisch nur auf Fortpflanzung zu reduzieren, ist ein Fehlschluss. Sie hat ja ganz viele Funktionen.
Katrin Tominski
Ja, ich muss jetzt gerade noch mal an die alten und die jungen Leute und Sexualität denken. Ähm, ja, vielleicht ist es vorteilsbehaftet, aber eigentlich vielleicht auch schon überholt. Ich glaube, viele wissen ja mittlerweile oder ich weiß sie über ihr Wissen sprechen kann. Aber es wurde ja viel thematisiert, dass auch alte Menschen Sexualität haben. Und was ist überhaupt alt? Natürlich würden sich 60-jährige niemals alt als als alt bezeichnen. Genau. Vielleicht doch zu einem anderen Thema. Pornos, Pornokonsum auch das ist ja immer wieder Thema. Und jetzt gerade sage ich mal mit dem Aufkommen von neuen Medien, von WhatsApp usw, mit der extrem neuen Verfügbarkeit von Porno ist nicht nur auf Videokassetten wie vor 20 30 Jahren, sondern auch im Internet gibt es ja immer wieder Sexualpädagogen, die davor warnen, das schon Minderjährige zu früh in zu Konsum von Pornos kommen. Gibt es dazu Untersuchungen? Was weißt du darüber?
Markus Tiedemann
Also noch mal ich habe da ja nicht die wirkliche Expertise, aber ich kann sagen, was ich spannend finde an anderer Theorien bzw Erhebungen die es gibt. Und da sind meines Erachtens zwei Dinge. Das erste ist der allgemeine Status von Sexualität als jener Ort, in dem Wollust ausgelebt wird. Wo der große Kick kommt, ist in weiten Teilen der Gesellschaft gesund, und zwar aufgrund ihrer doch sehr hohen Verfügbarkeit und aufgrund ihrer sehr hohen Akzeptanz. Es ist eben nicht mehr das verrucht, die große Sünde, der man sich da hingibt, sondern das hat irgendwie was, eher was so Wellness Charakter hat. Das bekommen. So, das gehört einfach dazu, da hat man gewissen Anspruch und genau so, das ist die eine Tendenz. Und die andere Tendenz hast du angesprochen. Da gibt es ja dieses berühmte Buch Generation Porno, das man vielleicht nicht in Gänze akzeptieren muss, das aber doch zumindest auf einige Dinge aufmerksam macht, und zwar das vorangegangene Generationen viel tastener und langsamer an Sexualität sich heranwagen mussten, weil sie eben auch nicht so zugänglich war. Und das jetzt für diese Generationen, die diesen Zugang haben. Die Gefahr der totalen Überforderung besteht und da gibt es ja erste Studien dazu und übrigens sehr parallel zum Bildungsgrad. Also Abiturientinnen und Abiturienten haben immer später Sex als ihre Eltern, während Kinder und man muss ja Kinder sagen, die noch nicht einmal den Hauptschulabschluss haben, in der Regel schon Sex haben, also immer früher und dann auch noch berichten, dass sie Pornografie nachstellen. Das heißt also, dass sie das mediale Bild, was ihnen vermittelt wurde, nach Exerzier und das ist natürlich eine so wuchtige Sexualität, die einem jungen Menschen, der sie da eigentlich erst ran tastet, offensichtlich nicht adäquat zu sein scheint. Und hier warnen die Sexualtherapeutin und sagen Das kann nicht gesund sein. Auf Dauer.
Katrin Tominski
Also gibt es eben vielleicht auch verschiedene Formen von Sexualität, die die ganz junge, tastende Sexualität und dann vielleicht die völlig, wie soll ich sagen, ich ausgefeilte Sexualität, die in Pornos dargestellt wird, obwohl es ja auch manchmal ja nicht unbedingt eine ausgefeilte Sexualität ist.
Markus Tiedemann
Also da steht mir jetzt kein Urteil zu. Ich würde zunächst einmal sagen, dass egal um welche Art von Sexualität es sich handelt, wir doch alle wahrscheinlich zustimmen würden, dass sie selbstbestimmt sein sollte. Und genau diese setzt sich ja genau. Und diese Selbstbestimmung ist natürlich dann sofort in Frage gestellt, wenn ein junger Mensch sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse noch gar nicht kennt, sondern eigentlich nur mit einem Pseudobild von Anforderung konfrontiert ist, das ihm die Illusion vermittelt, so sei Sexualität und so müsse er sie, er oder sie sie haben. Und das führt natürlich zu einer Diskrepanz von eigentlich ignorierten Bedürfnissen Und dann diesem Druck einer Scheinwelt standhalten zu müssen.
Katrin Tominski
Das scheint keine leichte Bürde. Ähm, ich will noch auf ein anderes Phänomen zurück, und zwar Es gibt lustigerweise die Entwicklung der Geburtenraten nach oben schnellen, nachdem bestimmte Dinge passiert sind, zum Beispiel nach neun, elf oder in New York. Nach dem Stromausfall 1965. Hat Sexualität auch was mit Extremsituationen zu tun?
Markus Tiedemann
Ja, definitiv. Also, um einmal bei der Mythologie anzufangen Es gibt Darstellungen von Eros und Thanatos und die Archäologen sind sich nicht sicher, wer jetzt gerade auf dieser Statue abgebildet ist. Zum Beispiel in den Museen des Vatikan usw. Da gibt es einen Streit um die Nähe zwischen Tod und Erotik. Scheint selbst im Mythos eine Rolle zu spielen. Ich weiß nicht, ob es eine Studie darüber gibt, aber es ist ja eine geflügelte Vorstellung, dass zum Beispiel nach Beerdigungen Menschen ganz, ganz viel Sex haben.
Katrin Tominski
Das habe ich noch nie gehört.
Markus Tiedemann
Okay, habe ich, wurde mir nicht so, Was mir aber alle zum Beispiel kennen, ist das in Extremsituationen, also zum Beispiel in Kriegen oft Menschen meinen, sich für alle Ewigkeiten verliebt zu haben. Warum ist das so? Weil wir einerseits eine Möglichkeiten in der Sexualität finden, unseren Stress abzubauen. Im positiven Sinne Beruhigung zu finden, Bestätigung zu finden, im negativen Sinne auch Grausamkeit auszuüben. Das muss an dieser Stelle leider auch gesagt werden. Massenvergewaltigungen gehören zu allen Kriegen der Menschheit. Das ist einfach unsere unsympathische Gattung.
Katrin Tominski
Leider ganz traurige.
Markus Tiedemann
Ganz traurig, aber eben Realität. Zeigt aber, dass Sexualität ganz viele Funktionen hat. Sie hat nicht nur die Funktion der Fortpflanzung, sie hat auch die Funktion der sozialen Bestätigung. Sie ist eine intensive leibliche Kommunikation und das ja nicht nur bei uns. Also unsere nächsten Verwandten, zum Beispiel Bonobos, Schimpansen. Da gibt es tolle Studien zu, die ja über die Geschlechtergrenzen hinweg sehr oft kopulieren. Und das ja nicht nur zur Fortpflanzung, sondern um soziale Bindungen zu schmieden. Da werden ganze Pakte zum Beispiel zum Austausch eines Anführers auf diese Weise geschmiedet und führen da also Funktionen ins Felde, die nicht mit Fortpflanzung zu tun haben.
Katrin Tominski
Ich könnte jetzt ein bisschen süffisant sagen vielleicht würde dieser Ansatz ja helfen, diese schlimmen Konflikte dieser Welt, die gerade aktuell sind, etwas beizulegen. Aber das ist wahrscheinlich zu utopisch.
Markus Tiedemann
Ja, das ist wieder so diese Hoffnung der Lysistrata, ne? Also dass man, wenn man entweder Sexualität verweigert, auf Forderungen aufstellen kann oder eben zumindest vielleicht beschwichtigend auf Leute einwirken kann. Das ist aber sozusagen eine Mischung gibt zwischen äußeren Impuls und Veranlagung. Das können wir auch. Empirische Sozialforschung, das ist das Brückenexperiment.
Katrin Tominski
Da wollte ich jetzt, da traut sich Fragen kommen Bitte erzähl uns, was hat es mit dem Brücke Experiment?
Markus Tiedemann
Das ist ja insofern spannend, als dass wir sagen können wie ist denn das jetzt? Sind wir eigentlich determiniert oder sind wir frei, in wen wir uns verlieben? Also wir hatten jetzt zum Beispiel Sex mit HC Jean, da könnte man sagen, das schmecke ich sogar schon beim Küssen. Und ist das jetzt so, wenn ich dann das schmecke bei der Partnerin, dass ich dann sozusagen hemmungslos und und reparabel und vor allen Dingen determiniert mich verlieben muss.
Katrin Tominski
Da muss ich mal kurz einhaken. Sind das. Steht das in Verbindung zu den sogenannten Pheromonen? Sozusagen Diese Geruchsstoffe, die eigentlich in diesem Geruch stoffen?
Markus Tiedemann
Scheint das auch codiert zu sein, dass man also will. Also bin ich sozusagen den den gewissen Reizen einer potenziellen Partnerin ein paar dann machtlos ausgeliefert, denn dem scheint nicht so zu sein. Das scheint eine Kombination zu sein aus Impulsen und Reizen, persönlicher Bereitschaft und Situation. Und jetzt kommen wir mal zur Situation. Also wir nehmen eine sehr attraktive kanadische Studentin in den 70er oder 80er Jahren und stellen sie jeweils auf zwei unterschiedliche Brücken und ihr Verhalten ist codiert und ihre Fragen sind codiert. Sie sprechen nämlich Männer auf der Brücke an und führten Interview. Und am Ende des Interviews gibt sie Ihnen ihre Telefonnummer, falls Sie noch Fragen hätten. Was sich aber massiv unterscheidet, ist die Brücke, auf dem das Ganze stattfindet. Das eine ist eine Hängebrücke über einen riesigen Abgrund und die schwankt und das andere ist eine feste Steinbrücke, relativ langweilig, lang, leicht zu passieren.
Katrin Tominski
Eine schöne sicherer Brücke ist.
Markus Tiedemann
Also was meinst du, welche Gruppe von Männern ruft an?
Katrin Tominski
Also ich muss ehrlich sagen, ich habe es ja gelesen. Ich kenne ja deine Antwort. Ich habe aber vermutet, dass eigentlich die Männer anrufen, die über die sichere Brücke gehen, weil sie sich sicher fühlen und deswegen Zeit haben und Muße und Ressourcen, die Frau anzurufen. Aber dem ist nicht.
Markus Tiedemann
So, dem ist nicht so mit natürlich Ausreißern. Also ich wäre eher der Typ Steinbrücke, denn ich habe Höhenangst. Die Frau kann so noch so attraktiv sein, ich würde es gar nicht bemerken. Ich hatte einfach nur Angst vor der Höhe. Aber der durchschnittliche Mann projiziert die Erregung, die er durch den Ort hat, auf das Gegenüber, weswegen folgende Leere eigentlich dabei rauskommt. Wenn ich mich verlieben will, sollte ich an spannende Orte gehen, weil dort, wo Spannung steht, projiziere ich einen Teil dieser Wahrnehmung auf das Gegenüber.
Katrin Tominski
Das klingt jetzt eigentlich ganz schön.
Markus Tiedemann
Ja, natürlich. Es ist ja auch nicht verboten, sich auf Hängen Brücken zu verlieben, sofern es wechselseitig ist.
Katrin Tominski
Okay, das war unsere Folge. Evolutionstheorie und empirische Soziologie des Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie. Markus Es hat wie immer viel Spaß gemacht. Schön, wenn man immer was dazulernt. Vielen Dank.
Markus Tiedemann
Ich danke dir.
Katrin Tominski
Wir hören uns bald wieder zur nächsten Folge des Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie.
Katrin Tominski
"Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germeroth. Technik: Birgit Nockenberg. Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Folge 6: Liebe als Kunst und Liebe als Sinn – die Konzepte von Erich Fromm und Viktor Emil Frankl
Nach Fromm und Frankl vermag reife Liebe dem Leben einen Sinn zu geben, der sogar über dieses hinausweist. Allerdings ist es erforderlich, eine reife Persönlichkeit zu entfalten und unreife Formen der Liebe zu überwinden. Was genau sind die Merkmale reifer Liebe und was können wir dafür tun, diese zu erreichen?
Katrin Tominski
Liebe. Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft. Selbst Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert iert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden. Herzlich willkommen bei der sechsten Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie. Ich begrüße wieder und darüber bin ich heute sehr glücklich. Markus Tiedemann Hier im Studio. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden. Und er wird heute einen riesigen Sprung von der Antike in die Neuzeit wagen. Unser Thema ist nämlich Sinn und reife Liebe. Die Konzepte von Viktor Emil Frankl und Erich Fromm. Hallo Markus!
Markus Tiedemann
Hallo Kathrin.
Katrin Tominski
Schön, dass du wieder da bist. Ihr erinnert euch. In den letzten Folgen ging es um Platons Ideal der Liebe. Um Aristoteles Freundschaft und auch wichtige Anmerkung zu der in der Antike üblichen Knabenliebe. Heute springen wir in das 20. Jahrhundert, also ganz, ganz weit in die Moderne. Und fragen, was der relativ unbekannte Viktor Emil Frankl zum Thema Liebe gesagt hat. Sowie auch Erich Fromm. Erich Fromm ist mit der Kunst des Liebens bekannt geworden. Während sich Frankl vor allem mit dem Sinn und Liebe auseinandersetzte. Hier möchte ich gleich mal ansetzen und nachfragen. Markus Viktor Emil Frankl ist relativ unbekannt. Um wen geht es hier eigentlich? Wer ist das? Über wen reden wir?
Markus Tiedemann
Oh, vielen Dank Für deine Frage ist es nämlich unheimlich schade, dass weniger weniger Menschen Viktor Frankl kennen, dessen unheimlich beeindruckende Persönlichkeit sowohl als Theoretiker als auch als Mensch vielleicht ganz kurz er Viktor Emil Frankl verdient, verdanken wir die. Je nachdem, wie man es sagen will. Dritte oder vierte Schule. Der Wiener Psychoanalytiker, also fast jede, jeder kennt die Theorie nach Freud dann noch die Minderwertigkeitskomplex noch Adler, dann kommen werden.
Katrin Tominski
Wir hier auch alles noch ausführlich besprechen.
Markus Tiedemann
Wir haben, wir versuchen es. CG Jung, Die Archetypen Lehre aber die Logotherapie von Frankl kennen nicht so viele. Obwohl sie meines Erachtens sehr überzeugend.
Katrin Tominski
Ist, habe ich noch nie gehört. Logotherapie?
Markus Tiedemann
Ja, da steckt natürlich auch wieder Logos, Sinn und Ratio noch mit drin. Aber vielleicht kurz zur Person, weil sie so beeindruckend ist, dass das hier nicht unerwähnt bleiben darf. Also Frankl hat als Psychoanalytiker zunächst in der Suizids Prevention gearbeitet in Wien, ist dann als jüdischer Mitbürger den Repressalien der Zeit zum Opfer gefallen. Er hat seine erste Frau, Zelik Rossa, 1941 geheiratet. Das wissen wir deswegen so genau, weil sie die letzten wie das letzte jüdische Ehepaar waren, denen die Nazis noch die standesamtliche Hochzeit erlaubt haben.
Katrin Tominski
Und er hat 41 noch geheiratet. Und er? Ist er nicht schon geflüchtet oder so?
Markus Tiedemann
Ja, ist unter anderem deswegen nicht geflüchtet, weil seine Eltern der Fürsorge bedurften und deswegen sind er und seine Frau in Wien geblieben.
Katrin Tominski
Er hat also moralisch gehandelt?
Markus Tiedemann
Ja, das müsste man im Einzelnen ausdiskutieren, welche Kriterien hierfür moralisch handeln. Zumindest hat er sehr liebevoll gedacht und fürsorglich gehandelt. Fakt ist Die Familie hat ab 42 einen furchtbaren Leidensweg erlebt. Sie sind zusammen nach Theresienstadt deportiert worden. Frankl hat dort seinen Vater sterben sehen, dann anschließend seine Mutter ist in Auschwitz ermordet worden. Seine Frau Tilly ist in Bergen Belsen ermordet worden, und er selbst ist nach Auschwitz gekommen und später in Dachau in einem Außenlager von Dachau befreit worden. Schwer an Flecken Fieber erkrankt.
Katrin Tominski
Okay.
Markus Tiedemann
Er hat sich die Erlebnisse dann von der Seele geschrieben. In einem Buch, das heißt, ein Psychologe erlebt Auschwitz ist nachher umbenannt worden.
Katrin Tominski
Das klingt ja schon fast ein bisschen Humor, wie er da den Titel gewählt hat?
Markus Tiedemann
Ja, also verfasst steht das. Man hat es dann nachher noch ein bisschen umbenannt in Der englische Titel lautet man Search for Mining. Okay, ist nach den Aussagen der Library of Congress eines der wichtigsten Bücher überhaupt des 20. Jahrhunderts gewesen, ist also auch im amerikanischen Bereich sehr, sehr bekannt geworden. Und vielleicht ein letztes zum Zuschauen, wie beeindruckend dieser Mann ist. Also zunächst einmal geht es darum, unter den grauenvoll sten Bedingungen gleichwohl Sinn und damit Hoffnung und Kraft zu generieren. Und weiterhin geht es darum, der Wahrheit verhaftet zu sein, weswegen er sich zum Beispiel leidenschaftlich gegen die Kollektivschuld these ausgesprochen hat und es gibt diese Anekdote.
Katrin Tominski
Das ist wiederum sehr Spannendes, wo der Historiker jetzt sehr.
Markus Tiedemann
Interessiert, ja nur diese eine externe Anekdote, wo er als massiver, als Opfer des Nationalsozialismus sich gegen die Kollektivschuld ausgesprochen hat. Und ein ehemaliger SS Offizier kommt zu ihm und sagt Wie können Sie das? Woher nehmen Sie diese moralische Kraft? Und er antwortet darauf Na ja, Sie können das ja auch nicht, Sie würden ja pro domo sprechen, aber ich bin der ehemalige Häftling 119104 und ich kann es. Und weil ich es kann, muss ich es. Das ist übrigens eine Kurzzusammenfassung der Kantischen Ethik. Also mit diesem Mann haben wir es zu tun und seiner Lehre, die da Logotherapie heißt.
Katrin Tominski
Das ist jetzt nicht das Thema, doch ich werde mir trotzdem noch mal eine Nachfrage Was ist an der Kollektivschuld ethisch so verwerflich? Es ist ja ziemlich hin und her diskutiert worden. Die Kollektivschuld war ja ein Phänomen, was eigentlich bis heute immer noch diskutiert wird. Was ist daran falsch? Beziehungsweise wo? Was? Wie ist die Argumentation von Frankl?
Markus Tiedemann
Also Frage zu Argumentation würde sagen das ist erst mal empirisch. Nicht überzeugend ist Wenn es eine Kollektivschuld wäre, dann wäre wirklich jeder Kollektiv schuldig und so eine These würde ja schon falsifiziert werden, wenn wir ein einziges Beispiel finden, das nicht schuldig ist.
Katrin Tominski
Okay, das war eindeutig.
Markus Tiedemann
Und das zweite ist, dass hier ein Etwas am Werk ist, was man mit Adorno Negative Dialektik nennen könnte, nämlich dass man den Fehler, die Grausamkeit, die man eigentlich zum Vorwurf macht, selbst durch die Hintertür wieder hereinholt. Denn wie sollte denn diese Kollektiv schuld aussehen? Sollte es ein deutsches Nazi gen geben, also dass man sozusagen als Deutscher schon als Nazi geboren wird? Das wäre Rassismus. Und genau diesen Rassismus findet man ja verwerflich und führt ihn jetzt durch die Hintertür wieder ein. Das würde Frankl sagen und deswegen lehnte das ab.
Katrin Tominski
Spannend, spannend. Ich gehe. Ich werde es jetzt nicht weiter vertiefen. Hier können Sie in Ihrem Ist ein bisschen um das lieben bei Frankl äh, ähm, du hast ja gesagt, er war trotz dieser schlimmen Erlebnisse noch imstande sind. Sie empfinden über Sinn nachzudenken. Sie sind auch in seine Konzepte aufzunehmen, magister Sie vielleicht mal skizzieren, weil ich. Welche Dimensionen unterscheidet er im Menschsein und wie gliedert sich der Sinn da ein?
Markus Tiedemann
Okay. Also Frankl als Psychoanalytiker sagt ihm Der Mensch ist sehr, sehr komplex. Will man aber holzschnittartig vorgehen, dann gibt es in ihm drei Dimensionen. Wir haben eine physische Dimension, ist unsere leibliche Dimension.
Katrin Tominski
Das kennen wir alle genau.
Markus Tiedemann
Dann haben wir eine psychische Dimension. Das ist sozusagen und unmittelbares soziales Erleben und Fühlen. Aber wir haben auch da etwas, was er nennt, eine nu ethische Dimension, also Nous Geist, Sinn. Und da steckt jetzt seine Grundthese drin Das Schlimmste aller Leiden, dass der Mensch leiden kann, ist Sinnlosigkeit. Was wir nicht ertragen können, ist die Vorstellung, dass unser Leben, Handeln und Wirken gänzlich sinnbefreit wäre. Das ist das Schlimmste aller Leiden, weswegen die Geburt der größte und stärkste aller Trost, Tröstmöglichkeiten zum Trost darin besteht, Sinn zu generieren. Wenn ich also zum Beispiel Opferungen erträglicher Ungerechtigkeit werde, wenn ich große körperliche Leiden ertragen muss, dann kann ich das nicht ändern. Aber ich kann die Art und Weise ändern, wie ich es ertrage und auf mich nehme. Und da kann ich zum Beispiel Vorbild sein und daraus Sinn generieren.
Katrin Tominski
Wie kommt er zu der Aussage, dass er sagt, andere würden ja was anderes sagen? Wie kommt er zu der Aussage, dass diese Sinnlosigkeit das Schlimmste ist?
Markus Tiedemann
Ja, ich würde eher so gehen, dass er genau fragt Was meint ihr denn? Zum Beispiel, wenn Aristoteles sagt Das Höchste ist das Glück? Dann würde er nicht widersprechen. Und wir sagen Theoretisch ist Glück das höchste Gut. Wenn wir vollkommen glücklich sind, sind wir mit allem zufrieden. Aber wie erreichen wir denn Glück? Man kann Glück, wie wir alle wissen, weder kaufen noch herstellen, noch tauschen, noch bestellen, noch Ähnliches.
Katrin Tominski
Alle wollen es und alle suchen nach Rezepten.
Markus Tiedemann
Genau. Und in unserer Gesellschaft übrigens in einem kapitalistischen zu blühen. Verblendungszusammenhang würde er sagen, in dem wir blind konsumieren. Wir versuchen nämlich Glück zu kaufen. Was der Mensch aber eigentlich will.
Katrin Tominski
Wir lassen uns einreden, dass wir Glück kaufen könnten.
Markus Tiedemann
Ja, guter Einwand. Was wir eigentlich wollen, ist ein Grund, um glücklich zu sein, also etwas zu finden. Er nennt dann den Begriff der Selbsttranszendenz das wichtiger ist als wir selbst. Das also wir wollen uns in den Dienst einer Sache oder einer Person stellen, die wir wichtiger finden als uns selbst. Und wenn uns das widerfährt, wenn wir uns also quasi selbst vergessen, werden wir glücklich. Das ist der entscheidende Effekt, und das ist die entscheidende Einsicht der Logotherapie. Darf ich ein Beispiel geben?
Katrin Tominski
Ja, ich muss es gerade nur noch mal genießen. Es hört sich so schön an.
Markus Tiedemann
Ich habe vor vielen Jahren mit Schülerinnen ein Theaterstück über Ehrenmorde gemacht, und am Vorabend der Aufführung sagte eine Schülerin zu mir. Sie sah dies so Die Füße vom Bühnenrand baumeln, sagte Wenn ich jetzt erfahren würde, dass sie nur noch 24 Stunden zu leben hätte, würde ich trotzdem morgen zur Aufführung kommen.
Katrin Tominski
Oh, das hätte.
Markus Tiedemann
Gesagt, Das hat sie gesagt. Hatte ich ja noch gar nicht berührt. Ich meine, junge Menschen sagen viel und mit einer Wucht und so, aber was hat mich unheimlich berührt. Weil genau das ist es. Sie fand das Projekt so wichtig, dass es sich in den Dienst dieses Projektes stellen wollte. Und es erfüllte sie, weil es über sie hinaus zeigte, also ihr selbst Transzendenz ermöglichte.
Katrin Tominski
Ich will noch mal kurz Selbst Transzendenz kann sie vielleicht noch mal sagen. Was bedeutet das genau?
Markus Tiedemann
Also alles dasjenige ist selbst transzendent, was über uns hinausweist, was also unabhängig von uns existiert und an dem wir partizipieren können, in dem wir als Dienstleistung, als Fürsorge, als verstärkenes Element tätig sind. Wunderbares Beispiel Wenn Menschen sterben in allen Kulturen dieser Erde, und man fragt sie Was bedauerst du am meisten? Dann sagen sie, ich hätte lieber mehr Zeit mit meinen Kindern verbracht, sagen fast alle. Kaum jemand sagt Oh, ich hätte mir so gern noch einen Mercedes Benz gekauft oder irgendwie so, weil das ist eben alles. Naja, das ist Rauch und Schal. Und das Erstaunliche ist auch wenn man Menschen fragt, dann was du glücklich in deinem Leben sagen alle. Als meine Kinder klein waren. Wenn man jetzt aber schaut, was ist das für eine Zeit? Es eine höchst anstrengende Zeit.
Katrin Tominski
Eine Zeit, sagen Meine Freundinnen sagen das gerade nicht.
Markus Tiedemann
Sie jammern vielleicht auch, weil es einfach dazugehört. In unserer Kultur übrigens auch ein Teil des kapitalistischen Verblendungszusammenhangs ist. Wenn jemand sagt Oh, ich bin so gern zu Hause, verbringen so gern Zeit mit meinen Kindern. Ich vermisse die Arbeit gar nicht. Dann rümpfen ist uns schon längst beigebracht worden, die Nase zu rümpfen. Seinen nimmst du ja gar nicht an Produktionsprozess teil. Also das ist ja im Endeffekt schon marktwirtschaftliche Kategorie, das ist schon kapitalistische Verblendung. Worauf ich hinauswill, ist in dieser Zeit, in der man wenig schläft, in dem man mehrheitlich für ein anderes Wesen da ist, scheinen wir selbst Transzendenz zu generieren. Und in der Erinnerung sagen wir hier Mensch, da war ich am glücklichsten.
Katrin Tominski
Spannend, toll. Okay, also Selbsttranszendenz ist sozusagen, ähm, ja etwas, das über uns hinausgeht. Ich möchte jetzt noch mal darauf kommen. Was hat das jetzt alles mit Liebe zu tun? Also kann glücklich werden, wenn es sich nur um um uns geht. Welche Rolle spielt die Liebe da ganz konkret?
Markus Tiedemann
Sie ist eine der drei Wege, um Sinn zu generieren. Sinn können wir generieren durch intensive Erfahrung. Alpenüberquerung klingt gut, denn Gott hat sie ja gerade gemacht. Oder durch intensive Arbeit. Arbeit kann auch intellektuell sein. Also ich bin überzeugter Anhänger einer politischen Bewegung und ich stelle mich in Dienst dieser Bewegung, weil ich glaube, wirklich etwas Gutes produzieren zu können. Das kann sehr viel Sinn für mich machen und deswegen mich glücklich machen. Aber ich kann mich auch in den liebenden Dienst einer Person stellen. Also Wohlwollen im aristotelischen Sinne. Ich möchte, dass das Gegenüber wächst, gedeiht, stark wird. Und das ist sogar wichtiger als mein eigenes Wohlergehen. Wenn das so weit geht, dann kann das Selbsttranszendenz bedeuten.
Katrin Tominski
Und das gilt dann nicht nur zu Liebe zu Kindern, sondern auch zu zur Liebe zwischen Partner.
Markus Tiedemann
Ja, wenn es zur gänzlichen Selbstaufgabe gehen würde, dann hätte es wieder was Negatives, würde Fromm sagen. Frankl wahrscheinlich auch.
Katrin Tominski
Haben wir auch gleich.
Markus Tiedemann
Dazu. Aber wenn es sozusagen das Eigene und die eigene, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse erst einmal zurückstellt, dann kann das der Weg zum Glück sein. Und genau das ist das Gegenteil von dem, was die kapitalistische Verblendungsindustrie uns einreden will.
Katrin Tominski
Ja, die sagt uns immer, wir sollen uns ganz vorne hinstellen.
Markus Tiedemann
Exakt.
Katrin Tominski
Ich will noch mal ganz, ganz lange den Bogen kriegen in unserer ersten Folge. Hast du gesagt, Es gibt drei große Definitionen der Liebe. Eine davon hängt mit Habsucht zusammen. Aber da würde jetzt ja der Frankl überhaupt nicht hinein passen, weil er sagt ja eigentlich das Gegenteil. Es ist überhaupt nichts mit Habsucht zu tun, sondern eher mit Zurücknahme, mit Selbsttranszendenz.
Markus Tiedemann
Ja, Frankl gehört in die Kategorie Wohlwollen. Wahre Liebe ist Wohlwollen. Ich will dem anderen Gutes und engagiere mich auch in dem Sinne, ja.
Katrin Tominski
Im Dienst an einer Sache oder in der Liebe erfüllt der Mensch sich selbst. Das sind die wunderschöne Worte, die der Philosoph Frankl einmal geschrieben hat. Ähm. Jetzt möchte ich damals Erich Fromm kommen, weil sehr gerne mehrmals angedeutet. Ähm, Erich Fromm ist ja, man könnte es salopp formuliert sagen, er gehört zu den Star der Liebesinterpreten, ist durch seine Kunst des Liebens sehr bekannt geworden und wird auch heute noch zahlreich zitiert und von vielen Autoren aufgegriffen.
Katrin Tominski
Markus Das Phänomen Erich Fromm Sag uns mal ganz kurz Wer ist Erich Fromm und warum spielt er so eine große Rolle?
Markus Tiedemann
Warum er eine so große Rolle spielt, ist schwierig zu beurteilen. In jedem Fall ist er ebenso wie Frankl auch eine faszinierende Persönlichkeit und ein sehr erfolgreicher Theoretiker. Ist auch Generationsgenosse von Frankl und jemand, der im Laufe seines Lebens mehrfach sich diszipliniert hat und die Perspektive gewechselt hat. Also Fromm wird in eine orthodoxe jüdische Familie, gutbürgerliche Familie geboren, überlegt lange Zeit, Rabbiner zu werden, nimmt auch Talmudunterricht. Dann heiratete er allerdings, und seine Frau, die Psychoanalytikerin ist Frieda Reichman, führt ihn auch in die Psychoanalyse ein. Sie beide hängen noch so ein bisschen auch dem praktizierten Judentum an, ein bisschen, sind im Zionismus auch aktiv, kritisieren das aber zunehmend und verwerfen es dann in Gänze zugunsten einer anderen Idee, nämlich des Marxismus, der sehr, sehr prägend auf fromm wirkt.
Katrin Tominski
Vom orthodoxen Judentum zum Marxismus. Das ist auch ein interessantes Ich.
Markus Tiedemann
Verstehen aber eben einer intensiven Diskussionen erarbeitete Schritt kombiniert mit der Psychoanalyse. Also seine Frau, die ihn doch so sehr geprägt, dass er sich dann bei Hans Sachs selbst ausbilden.
Katrin Tominski
Lässt und sich dann wirklich beeindruckt zu sehen.
Markus Tiedemann
Er war sehr beeindruckt, obwohl sie sich getrennt haben, Dann allerdings im Guten, in wechselseitiger Wertschätzung, haben sie sich getrennt und Fromm ist dann an die Frankfurter Schule gegangen, von Horkheimer Adorno gerufen, um dort die sozialpsychologische Abteilung zu leiten. Ein Glücksfall für ihn, denn Horkheimer hatte, wohl wissend, dass der Nationalsozialismus aufzog, die Emigration des Instituts ja erst in die Schweiz und dann in die USA vorbereitet. Und davon konnte Fromm profitieren.
Katrin Tominski
Das Mitgegangen sehr, sehr weit blickend.
Markus Tiedemann
Ja. Vor Ort hat es dann aber den nächsten Perspektivwechsel bei Fromm gegeben. Er war nicht zufrieden mit der, wie er es meinte, einseitigen, auch sehr stark von Adorno geprägten Ausrichtung des Instituts und hat sich dann getrennt, hat seine eigene akademische Karriere vorangetrieben, ist amerikanischer Staatsbürger geworden, aber kritischer amerikanischer Staatsbürger. War zum Beispiel in der Friedensbewegung nach dem Krieg aktiv und ist von der CIA überwacht worden.
Katrin Tominski
Das hört sich an wie ein wahnsinniger Film.
Markus Tiedemann
Ja, das ist auch ein spannender Film. Aber er hat dann unter anderen eben sehr, sehr erfolgreich publiziert. Die Kunst des Liebens haben und sein. Also viele Bücher, die auch die Zeitgenossen geprägt haben.
Katrin Tominski
Zentraler Begriff von Fromm ist der einer reifen Persönlichkeit oder eines reifen Charakters. Bzw die reife Liebe. Was meint von Fromm damit?
Markus Tiedemann
Oha, das sind Ergebnisse eines großen Konzeptes, das er hat. Vielleicht können wir anfangen mit dem Urschmerz. Ja, also der Urschmerz ist die Erfahrung, die Fromm vielleicht mit leichten Anlehnung an Adler, der ja auch von Minderwertigkeitskomplexen und ähnlichem spricht, konstruiert. Und der Urschmerz entsteht durch die Trennung aus dem Mutterleib. Wir kommen aus der Symbiose und sind plötzlich in unserer Individualität gefangen. Wir sind nur ich und können dieses Ich weder verlassen noch erweitern und sind konfrontiert mit einer immensen Welt und müssen leider feststellen, dass das Ich sehr klein, begrenzt und teilweise hilflos ist, während die Welt unbegrenzt gigantisch und ja auch bedrohlich sein kann. So, und daraus generiert jetzt Angst. Adler würde vielleicht sagen Minderwertigkeit oder das Gefühl der Minderwertigkeit. Und das kann jetzt auf zwei Arten kompensiert werden. Die eine ist negativ und die andere ist produktiv positiv. Die negative Art wäre Ich entwickle einen unreifen Charakter, ein Charakter, den Fromm den sadomasochistischen Charakter nennt.
Katrin Tominski
Ich will jetzt noch mal ganz kurz nicht unterbrechen, wenn wir können. Kann man das gleichsetzen? So ein bisschen, wenn man sich in die Perspektive eines Kindes oder uns als Kindes hineinversetzt und dann die große Welt sieht, von der wir noch gar nichts verstehen. Und wir müssen diese Brücke überwinden von dieser Kindheit in diese große Welt. Kann man das so sagen?
Markus Tiedemann
Das wäre ein gutes Beispiel. Oder Kinder auf einem Spielplatz, der Kinder, die sich behütet fühlen, entfernen fern sich immer weiter von den Eltern. Kindern, die sich nicht behütet fühlen, bleiben, klammern an ihnen, weil die Welt einfach zu groß und erschlagen ist. Es trifft aber uns alle. Wir erleben ja immer wieder, dass wir uns hilflos fühlen, dass wir die Welt nicht kontrollieren können, nach unseren Vorstellungen in Gänze gestalten, dass wir ihr teilweise hilflos ausgeliefert sind. So, und aus diesem geht das Gefühl Damit müssen wir eben umgehen. Das lässt sich ja nicht ändern, dieses Verhältnis von Ich und Welt. Ergo müssen wir entweder die Angst kompensieren, dann sind wir wieder bei den sadomasochistischen Charakter. Entweder wähle ich die masochistische Variante, mache mich noch kleiner als ich bin, um als Teil einer Bewegung des großen, der Volksgemeinschaft, der Religionsgemeinschaft oder oder oder so was wie Stärke und Größe zu spüren, mich sicher zu fühlen, oder Aber.
Katrin Tominski
Klingt ja sehr spannend.
Markus Tiedemann
Oder? Aber ich wähle den sadistischen Weg. Und wer zum Beispiel der Haustür an. Ich bin eigentlich ne ganz kleine Leuchte, aber zu Hause mache ich den Teil der Polar. Ich macht die Familie noch kleiner als sie eigentlich ist, damit ich mich endlich mal stark fühlen kann. Und das Traurige daran ist das sagt Fromm Die meisten von uns sind Sadomasochisten, das heißt typische Radfahrer nach oben buckeln und nach unten treten.
Katrin Tominski
Okay, ja, okay. Hier vielleicht eine.
Markus Tiedemann
Bilanz, aber es gibt die Möglichkeit, auch eine produktiv, ein produktives Verhältnis zur Welt aufzubauen. Ein positives Verhältnis, ein reifercharakter zu werden. Und dafür gibt es zwei Wege. Der eine Weg ist Arbeit, sowohl intellektuell als auch physisch.
Katrin Tominski
Also wie das auch Frankl sagt.
Markus Tiedemann
Ja, da haben Sie eine ganz starke Gemeinsamkeit, weswegen auch durchaus Frankl als als Bodenbereiter auch für fromm angesehen werden kann. Die Aussage wäre naja, also ich habe Angst vor dem wilden, grausamen Fluss, aber ich weiß, wie man eine Brücke baut. Schon ist nicht mehr intellektuelle Arbeit. Ich habe Angst vor der fremden Kultur. Na gut, aber ich kann eine Sprache lernen und wenn ich die Sprache lerne, ist es vielleicht eine liebenswerte Kultur und Liebe. Wenn ich das noch hinzufügen kann, ist der zweite Weg am leichtesten zu verstehen, wenn wir wieder das Bild des Kleinkindes nehmen. Die Welt ist groß und gefährlich, aber ein Teil der Welt.
Katrin Tominski
Ist ganz toll.
Markus Tiedemann
Mama und Papa, die lieben mich, die tragen mich sich die ganze Zeit mit mir herum. Die stecken mich nicht in irgendein Zimmer, damit ich die Nacht durch schreie. Das ist das Dümmste, was Menschen je eingeredet worden ist. Völlig falsch, das zu machen, sondern die sind liebevoll, fürsorglich, Auf die kann ich mich verlassen.
Katrin Tominski
Oder.
Markus Tiedemann
Sie geben mir Urvertrauen. Und deswegen fange ich an, einen Teil dieser Welt zu lieben, nämlich mal von Papa Liebig Ich will, dass diese Welt existiert und ich entwickle ein positives Verhältnis. Letzter Satz Der reife Charakter ist jemand, der sich keine Illusionen macht. Ich und Welt sind voneinander getrennt, aber ich kann in ein produktives, liebendes Verhältnis zur Welt treten.
Katrin Tominski
Das klingt toll.
Markus Tiedemann
Ist es auch.
Katrin Tominski
Du weißt aber, ich weiß nicht, ob das jetzt hier gesagt hast. In dem Buch heißt es auf alle Fälle geschrieben, das Fromm allerdings auch immer im Zusammenhang mit seiner Gesellschaftskritik zu sehen sein muss. Was ist denn deine Kritik an der Gesellschaft?
Markus Tiedemann
Das ist die klassisch marxistische Gesellschaftskritik, die wir eben auch bei Frankl in Teil schon hatten. Also zum Beispiel dieser Begriff der Arbeit, den ich ihm verwendet habe, wird im Kapitalismus natürlich ganz anders gewendet. Dort ist Arbeit. Erstens als einzige Möglichkeit wird sie dargestellt, Selbstachtung zu generieren. Wer nicht am Produktionsprozess teilnimmt, ist nichts wert. Das ist natürlich eine Lüge, aber eine gesellschaftlich extrem wirkungsmächtige Lüge. Und der Prozess selbst, das wird natürlich nicht kommuniziert, ist oft gänzlich sinnentleert, würde Frankl sagen. Und Fromm stimmt zu, nämlich In der Regel produzieren wir in sinnlosen Prozessen Güter, die keinen Wert haben, damit wir sie in Massen konsumieren, obwohl wir sie nicht brauchen. Und das ist sozusagen ein völlig sinnentleerter Prozess und völlig sinnentleerte Formen von Arbeit.
Katrin Tominski
Während fromm sein Traurig. Aber es ist so ja.
Markus Tiedemann
Positive Arbeit heißt, die Welt in einem produktiven Sinne zu gestalten. Medikamente gegen schlimme Krankheiten, Sprachenlernen, damit wir besser kommunizieren oder, oder oder.
Katrin Tominski
Ich glaube da könnte man noch mal eine extra Podcast Reihe machen zur Sinnhaftigkeit von Arbeit und welche Arbeit wie sinnhaft ist setzt. Es setzt sich ja fort diese Kritik an Massenproduktion sicherlich auch jetzt hier in unserer digitalen Gesellschaft. Aber das ist doch mal ein ganz anderes, riesiges Thema. Äh, ja, spannend. Aber er sagt ja auch nicht nur die Arbeit hat sich verändert durch dieses Paradigma, sondern auch die Liebe hat sich verändert.
Markus Tiedemann
In jedem Fall. Also die Liebe ist zur Selbstbespiegelung verkommen bzw ist selbst dem Mechanismus des Marktes unterworfen worden. Das beste Beispiel sind ja diese ganzen Dating Apps, wo man wo ein Marktwert steigt, weil man so und so viele Likes bekommt. Das heißt man ist nicht nur verführt, Waren zu konsumieren. Der Schritt ist noch einen Schritt weitergegangen.
Katrin Tominski
Als Ware zu generieren.
Markus Tiedemann
Exakt. Man generiert sich selbst, man reduziert sich zur Ware. Fromm würde sagen Das ist Gewalt am Selbst. Genau das ist Masochismus. Ich entwertet mich ja total, indem ich mich auf den Markt schmeiße. Nur ein Beispiel Früher war es ein Akt des Vertrauens, für den ich mich qualifizieren musste. Wenn ich von gewissen Personen zum Beispiel intimes Fotos sehen sollte, ja, da musste ich mich erst mal qualifizieren. Muss ja. Heute werden die in einem fanatischen Markt Rausch fremden Millionenangebot.
Katrin Tominski
Ich war auch geschockt, als ich das das erste Mal mitbekommen habe. Also nicht, dass ich solche Fotos bekommen hätte, aber ich habe zwei Brüder, die haben mir das erzählt.
Markus Tiedemann
Ja und ist bei Jugendlichen Riesenproblem.
Katrin Tominski
Ja, Wahnsinn. Wahnsinn. Da war, um zu Fromm zurückzukommen, welche? Welche? Auch er spricht ja von verschiedenen Arten. Von Liebe. Also die Liebe, das ist eine Gesellschaftskritik, verkommt zur Selbstbespiegelung. Ähm. Und er selber spricht von verschiedenen Arten von Liebe. Hangeln wir uns jetzt da noch mal lang, damit wir durchkommen, haben nicht mehr so viel Zeit? Ähm, genau. Welche Arten von Liebe?
Markus Tiedemann
Okay, es gibt auch da wieder wahnsinnig viele Arten und ich pick mir zwei raus, nämlich die Mutter und die Vaterliebe. Das deswegen so schön, weil wir sie auch noch bei Aristoteles schon hatten. Können wir noch vielleicht mal drauf rein gehen? Also Mutter und Vaterliebe unterscheiden sich durch einen definitorischen Satz. Die Mutterliebe ist charakterisiert durch die Aussage Ich liebe dich, weil du bist. Du musst nichts weiter tun, Du musst nur existieren, damit ich dich liebe. Die Vaterliebe ist charakterisiert durch die Aussage Ich liebe dich, sofern du dich so und so verhältst. Ist also an Bedingungen geknüpft.
Katrin Tominski
Das deckt sich ja so ein bisschen. Hatten wir ja vorhin schon. Äh, das deckt sich ja so ein bisschen, das hatten wir ja schon mal in einer Folge mit den Aussagen von Aristoteles Einmal die selbstlose Mutterliebe und dann sozusagen die Freundschaft.
Markus Tiedemann
Ja, da taucht es wieder auf. Also das zieht sich oft durch die Kulturgeschichte. Und Fromm macht das übrigens nicht nur an Mutter und Vater als Person deutlich, sondern auch an der Religionsgeschichte. Also in sehr elementaren Naturreligionen gibt es den großen Geist, die große Mutter, die liebt alles und jedes, weil es da ist. Dann kommen insbesondere die monotheistischen Religionen, die abrahamischen, da taucht plötzlich die Vaterliebe auf Ich liebe dich, sofern du dich an meine Gebote hält. Und wenn du das nicht tust, ertränke ich dich zum Beispiel in der Sintflut.
Katrin Tominski
Oh, das ist ja so!
Markus Tiedemann
Darf ich noch eine Anmerkung? Also ich würde mich als liebender Vater noch einmal massiv dafür aussprechen.
Katrin Tominski
Würde ich die mich gerade sehr gern. Ja, weil ich wollte gerade sagen, es geht bestimmt jetzt ganz viel auf die Barrikaden. Also ich selbst, muss ich sagen, habe erst zum Vatertag Väter interviewt, wie sie ihre Vaterschaft wahrnehmen müssen und sie haben über diese selbstlose Liebe gesprochen. Das haben mehrere Väter getan, das für sie das Besondere ist, sozusagen diese bedingungslose Liebe der Kinder zu erfahren bzw Liebe bedingungslos zu geben.
Katrin Tominski
Also würde ich hier ein bisschen reingrätschen, sagen das ist kann nicht.
Markus Tiedemann
Doch ich verteidige es. Es stimmt meines Erachtens sogar sehr, okay, aber man muss Fromm richtig verstehen. Er spricht hier, wenn er Vater und Mutterliebe sagt, von Phänomenen oder Archetypen. Er spricht nicht von Geschlechterrollen. Also ein liebender Vater kann Mutter Liebe schenken. Das ist dann einfach die Bezeichnung für die Art, die Liebe, die er da schenkt. Fromm würde nicht behaupten, dass ein Vater diese Liebe nicht geben kann, ein biologischer Vater, ein sozialer Vater oder so, das ist alles möglich. Aber es existieren diese beiden Archetypen von Liebe. Das heißt immer die Liebe, die an Bedingungen geknüpft ist, und einmal die absolute bedingungslose Liebe. Und wenn wir jetzt ganz fair sind, dann wollen wir mal sagen diese ganz bedingungslose Liebe ist auch nicht oder nur sehr schwer zu denken. Weder würde spontan sagen Ich liebe meine Kinder bedingungslos. Und dann wäre die Frage na gut, was wäre, wenn die Massenmörder werden würden? Würdest du sie dann auch bedingungslos?
Katrin Tominski
Okay, das ist ein Argument, noch mal drüber nachzudenken. Das stimmt. Ich wollte gerade sagen, wie geht das zusammen, wenn wir die zwei Stereotype haben, wie würde das zusammenpassen, dass wir auf der einen Seite das Stereotyp der bedingungslosen Liebe plus der bedingungslosen Liebe das kann ja eigentlich gar nicht vereint werden. Aber okay, das ist natürlich ein Beispiel, wo man vielleicht noch mal nachdenkt. Genau, Spannend, okay, habe ich noch, habe ich es noch so gar nicht gesehen. Aber wir wollen doch mal zur Mutterliebe kommen. Das ist ja ein großer Archetyp, den Fromm auch bedient. Was hat bei Fromm die Mutterliebe? Oder übersetzen Sie es die Elternliebe mit der Fähigkeit zu tun, einen Partner zu lieben.
Markus Tiedemann
Sie ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt produktiv zu leben. Also der schöne Begriff des Urvertrauen, das Urvertrauen wird geschenkt durch diesen Archetyp der Mutterliebe, die sowohl von Vater als auch von Mutter geschenkt werden kann. Und das ist die spendende Kraft, die Symbiose zu verlassen. Das kennen wir. Das Phänomen, dass Kinder, die sich fraglos geliebt fühlen, die gehen selbstlos in die Ferien, rufen nur zweimal an, wenn überhaupt, dann.
Katrin Tominski
Ist alles in Ordnung.
Markus Tiedemann
Sie wissen ja, sie können sich darauf verlassen, während Kinder, die schlecht oder mangelhaft geliebt werden, oft um die Liebe der Eltern buhlen, also nicht die Kraft haben, die Symbiose zu verlassen. Das ist ein bekanntes Phänomen. So, und was daraus generiert aus Urvertrauen, ist Selbstliebe. Oh, ein wichtiger Teil der Welt liebt mich. Offensichtlich bin ich ja ganz liebenswert. Ergo kann ich mich auch selbst lieben. Und bei Fromm ist die Selbstliebe die zentrale Voraussetzung überhaupt produktiv zu lieben, also damit auch produktive Partner Liebe zu.
Katrin Tominski
Das klingt alles sehr plausibel, aber umgekehrt muss ich jetzt mal fragen Das würde ja heißen, dass alle Kinder, die meinetwegen verrückt zerrüttet das Verhältnis mit ihren Eltern haben oder kein Urvertrauen in der Elternschaft erfahren haben oder Waisenkinder sind. Oder vielleicht Kriegskinder oder so, den wäre es ja denn alles gar nicht mehr möglich, eine selbstbestimmte Liebe zu führen?
Markus Tiedemann
Nein, eingeschränkt. Denen fällt es deutlich schwerer. Das Urvertrauen kann ja auch durch zum Beispiel selbstloses Geliebtwerden zu einem späteren Zeitpunkt wieder erwachsen. Aber wir wissen alle, wie schwer es ist, wenn Menschen emotional massiv verletzt wurden, wie lange es dauert, bis diese Wunden heilen. Deswegen ist es so eine große Gnade, wenn man als Kind das Glück hatte, selbstverständlich geliebt aufzuwachsen. Das heißt aber nicht, dass die anderen für alle Zeiten davon abgeschnitten sind.
Katrin Tominski
Okay, okay. Ähm, vielleicht ein weiterer Punkt, der Fromm unterscheidet sehr stark zwischen Verliebtsein und Liebe. Das wissen wir ja eigentlich alle. Verliebtsein ist nicht das Gleiche wie Liebe und Verliebtsein ist der große Rausch des Anfangs. Und dann kommt die Liebe. Aber wo macht Fromm die Unterschiede zwischen Verliebtsein und Liebe aus?
Markus Tiedemann
Also auch das bringt Spaß, einfach darüber zu reden. Das erste ist Verliebtsein ist passiv, lieben es aktiv. Verliebtsein stößt mir zu einem Falling in Love, während Liebe etwas aktiv ist. Liebe ist nämlich Arbeit. Nach Fromm. Und die zweite Unterscheidung ist Verliebtsein ist Wahnsinn. Zu zweit ist es nämlich die Illusion, dass der Unterschied zwischen mir und Welt aufgehoben ist. Dass ich wieder Kugel Mensch in die Symbiose mit jemanden eintreten kann, ist natürlich Unsinn.
Katrin Tominski
Ja, das ist sicher eine Vorstellung, was die.
Markus Tiedemann
Schöne Vorstellung deswegen jetzt ganz wichtig ist, dass wenn die Phase des Verliebtseins endet und die endet biologisch, na, nach zwei, drei Monaten ist das in der Regel so ein Evolutionsbiologin würde dir sagen na ja, nach zwei, drei Fruchtbarkeitsphasen Verliebte kopulieren sehr oft. Das macht biologisch Sinn. Ist sie zu Ende, dann sinkt der Hormonspiegel. Und jetzt muss Liebe als Arbeit beginnen, denn sonst geht man auseinander.
Katrin Tominski
Liebe als Arbeit ist. Ich weiß wahrscheinlich, was du sagen willst, aber trotzdem klingt es gleich wieder so ein bisschen nach protestantische Arbeitsethik und überhaupt nicht nach Vergnügen. Liebe als Arbeit. Was will Fromm genau damit sein? Wie sieht diese Arbeit aus, diese Arbeit an der Liebe?
Markus Tiedemann
Also wir stellen uns wieder vor unsere beiden verliebten. Jetzt sinkt der Hormonspiegel und plötzlich sehe ich nicht mehr alles durch die rosarote Brille. Also Moni ist eine grandiose Liebhaberin, aber sie schnarcht und Max ist so einfühlsam. Aber ein Mensch kann ja nicht einmal die Toilette putzen. Also so, jetzt geht's ja los.
Katrin Tominski
Hat mich nie gestört. Aber jetzt auf einmal.
Markus Tiedemann
Ja, genau so und jetzt muss Arbeit beginnen. Und jetzt unterscheidet sich reife und unreife Liebe voneinander. Die Arbeit der unreifen Liebe ist destruktiv.
Katrin Tominski
Genau das ist der nächste Punkt. Wie sie denn reif und unreife liebe. Es sind die zwei große Stichworte bei Fromm. Da will ich jetzt noch mal dezidiert nachfragen. Die Arbeit bei der unreifen Liebe sieht destruktiv wie Sie.
Markus Tiedemann
Destruktiv aus, weil sie sich entweder gegen das Selbst oder gegen den anderen richtet. Ihr Stichwort ist Ich liebe dich, weil ich dich brauche. Also unreife Liebe bitte immer dran denken. Ist Mariah Carey Kent Live Living ist mit Audio. Ich kann nicht ohne dich leben. Das ist nicht romantisch. Das ist furchtbar. Das ist Erpressung. Wenn ich nicht ohne dich leben kann, also nicht der großen Welt ohne dich begegnen kann, du aber deine Probleme hast, dann muss ich entweder dich so umbiegen, bis du so bist, wie ich dich haben will. Er sich destruiere, Teile von dir, oder ich muss meine eigenen Bedürfnisse verleugnen und ordne mich unter. Das wäre das masochistische Prinzip. Wir können das aber auch mal positiv wenden.
Katrin Tominski
Ich will noch mal ganz kurz, bevor du zum Positiven gehst. Aber gerade bleiben wir bei Mariah Carey. Oder war es nicht irgendwie Houston?
Markus Tiedemann
Wahrscheinlich haben es beide getrennt.
Katrin Tominski
Okay, ich weiß es jetzt auch nicht ganz genau, aber, ähm. Das ist aber das, was gerade viele Teenager mit mit Liebe verbinden. Also diese Hingabe, dieses. Ich bin bei dir, aber ich kann auch nicht mehr ohne dich sein.
Markus Tiedemann
Ja, aber das ist eben diese. Dieser Wahnsinn. Zu zweit, Das ist die Ignoranz, das ist eine Trennung. Gibt also zum Beispiel der Satz Ich weiß, wie du dich fühlst, Stimmt ja gar nicht. Ich hoffe zu wissen, wie du dich fühlst. Ich hoffe, das nachvollziehen zu können. Aber das sind deine Gefühle. Ich werde das nie wissen. Verlässlich wissen, wie du dich fühlst. Und Verliebtsein ist die Illusion, dass diese Grenze aufgehoben sein würde. Und es wird dann problematisch. Ist hier eine gegenläufige Bewegung zur Mutterliebe? Die Mutterliebe ermöglicht mir, die Symbiose zu verlassen und das Verliebtsein zieht mich zurück in eine Symbiose, die übrigens Illusion ist.
Katrin Tominski
Aber wie sieht denn jetzt die reife Liebe aus, wenn sie rein ist? Also positiv.
Markus Tiedemann
Quasi die reife? Liebe Maria Kerry steht da und trällert Council of living Issues Auto. Das ist unreife Liebe und reife Liebe wäre du. Ich kann wunderbar ohne dich leben. Ich kann sogar ohne dich glücklich sein. Aber ich will es nicht. Ich halte dich für so wertvoll, so liebenswert. Ich weiß, dass du schnarchst. Ich weiß all dies usw Ich muss Arbeit investieren, weil ich dich für so wertvoll halte. Ich will große Teile meines Lebens mit dir verbringen. Ich muss es nicht. Ich kann mit in dieser Welt auch ohne dich glücklich sein. Aber du bist so wertvoll, dass ich diese Arbeit investieren will. Das ist das Konzept der Reifen Liebe und des reifen Charakters.
Katrin Tominski
Das heißt, es heißt, ich kann selbstbestimmt sein und sagen, Ich komme in dieser Welt klar, Das klappt alles. Ich brauche dich nicht unbedingt. Ich will dich aber brauchen, um das jetzt mal so zu sagen. Aber wäre zum Beispiel auch die Aussage, wenn ich sagen würde Ich komme schon klar, ganz salopp formuliert aber mit dir ist einfach viel, viel schöner. Wäre das reife oder unreif?
Markus Tiedemann
Das wäre glaube ich noch sehr akzeptabel für reife Liebe. Wichtig ist. Du hast es eben gesagt Ich will dich brauchen. Das ist, glaube ich, ein Fehler. Okay, Ich brauch dich nicht. Ich will dich so und ich will unsere Gemeinsamkeit. Ich wertschätze dich. Und. Und was? Was? Ich kann auch begehren. Spaß kann alles mit dabei sein. Aber ich bin nicht auf dich angewiesen. Und wenn man jetzt mal ganz ehrlich ist, das Geschenk dieser Liebe ist ja auch viel größer. Da holt mich nicht jemand, weil er mich unbedingt brauchen, weil er sonst die Welt untergeht, sondern.
Katrin Tominski
Es ist ja eigentlich auch egoistisch, wenn er nur bei mir ist, man ihn selbst braucht.
Markus Tiedemann
Das ist ja das Destruktive in der unproduktiven Liebe.
Katrin Tominski
Und was sagt Fromm? Kann man. Also ich entnehme dir das auf alle Fälle die reife Liebe, das viel, viel Bessere ist. Deswegen kann man das ja nicht, vor allen Dingen der reifen Liebe glücklich. Dann kann man auch mit unreifer Liebe glücklich werden, oder wäre erste Frage Und dann wäre meine letzte Frage noch Können auch junge Menschen, die wenig Erfahrung haben können, auch die reife Liebe empfinden oder praktizieren?
Markus Tiedemann
Also bei der ersten Frage bin ich sehr skeptisch. Man kann der Illusion des Glücks einhergehen, aber in letzter Instanz hat man sich nur vor der Welt versteckt und seine Angst vor der Welt nicht überwunden. Und das kompensiert man in so einem sadomasochistischen Beziehungsverhältnis. Die Mehrheit aller Beziehungen sind so und das zweite ist Können junge Menschen das auch? Na selbstverständlich können sie das, ist es sicherlich schwerer, in einem gewissen Alter schon ein reifen Charakter entwickelt zu haben. Aber vielleicht habe ich das Glück, mit Urvertrauen ausgestattet zu sein. Vielleicht habe ich das Glück, sehr früh ein produktives Verhältnis zur Welt entwickelt zu haben. Ich brauche das Gegenüber nicht, ich will es und ich wertschätze es. Und ich empfinde Wohlwollen, aber keine Abhängigkeit. Dann können das auch junge Menschen.
Katrin Tominski
Das klingt wie die absolute schöne Formel für Liebe. Markus, herzlichen Dank für diese interessante Entdeckung. Frank Er kannte ich bis jetzt überhaupt noch nicht. Erich Fromm ist mir Asche auf mein Haupt nur am Rande begegnet. Jetzt konnte ich endlich mal richtig eintauchen. Das war unser erster Ausflug in die Neuzeit des 20. Jahrhundert. Beim nächsten Mal gehen wir zur Evolutionsbiologie und sprechen über empirische Sexual und Paarforschung. Vielen Dank. Es war toll.
Markus Tiedemann
Ich danke dir. Verschwand.
Katrin Tominski
Das war unser erster Ausflug in die Neuzeit des 20. Jahrhunderts. Beim nächsten Mal gehen wir zur Evolutionsbiologie und sprechen über empirische Sexual und Paarforschung. Das war's jetzt erst mal für heute. Ich bin Katrin Tominski. Bis zum nächsten Mal. Wir freuen uns wieder auf euch. Tschüssi. Tschüss. Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germeroth. Technik: Birgit Nockenberg. Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Folge 5: Pädophilie und Päderastie: wichtige Unterscheidungen und Anmerkungen
In Teilen der römisch-griechischen Antike wurde die Knabenliebe, die Päderastie, praktiziert und als Symbiose von Liebe und Freundschaft verherrlicht. Was folgt aus dieser Tatsache für unsere heutige Bewertung der Pädophilie? Welche wichtigen phänomenologischen und moralischen Unterscheidungen lassen sich formulieren?
Katrin Tominski
Liebe. Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski. Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft. Selbst Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden.
Herzlich willkommen bei der fünften Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie. Markus Tiedemann ist wieder bei uns, um heute ganz wichtige Unterscheidung vorzunehmen. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden und der Experte für Liebe, Sex und Freundschaft in der Philosophie. Hallo Markus.
Markus Tiedemann
Hallo. Zu viel der Ehre.
Katrin Tominski
Wir sind ja mittlerweile schon bei der fünften Folge unseres Podcasts angelangt. Heute geht es um ein wichtiges Thema, was mit der Antike verbunden ist und was auch dir sehr wichtig gewesen ist. Es wurde ja schon angedeutet, die sogenannte Knabenliebe spielte beim Thema Liebe, Sex und Freundschaft in der Antike eine sehr große und populäre Rolle. Eigentlich haben wir schon alle davon mal etwas gehört und man muss aber auch ehrlicherweise sagen, dass man diese Knabenliebe heute unter die Phänomene Pädophilie oder Päderastie einordnen würde.
Doch was ist das genau? Wie unterscheiden wir Pädophilie und Päderastie? Darüber wollen wir heute sprechen. Deswegen machen wir es gleich für dich die erste Frage. Pädophile sind der Horror für viele Eltern. Regelmäßig verfolgen wir erschreckende Nachrichten über Kinderpornografie. Vielleicht klären wir am Anfang einmal Was ist Pädophilie und was ist sie?
Markus Tiedemann
Okay, ich darf kurz eine Anmerkung machen. Die Anmerkung ist der Horror für uns alle ist die Pädophilie als Praxis, als Veranlagung? Kann sie ein dramatisches Schicksal einer Person sein. Für diese Veranlagung kann die Person nicht. Schuldig wird sie allein dadurch, wenn sie der Neigung folgt und sie in die Praxis überführt. Dann haben wir es mit einem moralischen, verwerflichen Problem zu tun.
Die Veranlagung würde ich davon trennen.
Katrin Tominski
Okay, ich will gleich noch mal einhaken. Die Veranlagung willst du trennen, weil niemand etwas für seine Veranlagung kann und Pädophile Opfer ihrer selbst sind, sozusagen.
Markus Tiedemann
Oder Opfer der Natur. Also das Entscheidende ist, dass ich aus einer Veranlagung, die ich habe, weder eine Schuld auf mich Anlage noch einen Berechtigungsschein generieren kann. Wenn ich eine Veranlagung habe, habe ich eine Veranlagung, habe ich eine Veranlagung. Ich darf ihr nicht immer folgen. Also viele von uns haben einen ausgeprägten Aggressionstrieb. Das rechtfertigt aber nicht, in auszuleben. Aber wir müssen unterscheiden zwischen Pädophilie als Veranlagung, Pädophilie als Praxis.
Aber deine Frage ging Wie? Wir unterscheiden wir von Plastik.
Katrin Tominski
Das war immer im Ursprung genau so übersät.
Markus Tiedemann
Es gibt folgenden Unterschied. Die Pädophilie, verstanden als moderne Diagnostik der Sexualforschung, besteht in einer Abnormalität, die genau dadurch definiert wird, dass sexuelle Erregung generiert wird aus dem Nichtvorhandensein primärer Geschlechtsmerkmale. Also man findet gerade das erregend, dass das Gegenüber nach aus biologischer Sicht noch nicht dafür bereit ist, überhaupt in diesen Kontext der Sexualität zu gehören. In der Päderastie, die wir aus der Antike kennen, handelt es sich um andere Objekte.
Dort sind die berühmten Knaben geschlechtsreif, also plus -16 Jahre, würde ich sagen. Das heißt also, hier ist das Alter das erste und wichtige Unterscheidungsmerkmal. Diejenigen, die dort angehimmelt, verführt oder auch missbraucht werden, sind wenigstens geschlechtsreif. Das ist der erste wichtige Unterschied.
Katrin Tominski
Okay, also wenn wir in der Antike von Knabenliebe sprechen, sprechen wir sozusagen von Sex mit Menschen, die schon ihre primären Geschlechtsorgane ausgeprägt haben.
Markus Tiedemann
Also dann wurde auch damals schon der Begriff der Päderastie geprägt. Und wir können gleich auf die ganzen Irrungen dieser Geschichte eingehen. Ist dadurch geprägt, dass es zwei Teilnehmer gibt. Es gibt einmal den er rastet, das ist der Liebhaber, das ist der gestandene Mann, der sich dem Jüngling nähert. Und es gibt dann noch den Irrtum Minos, das ist der Liebling, um den geworben wird und der dann ja auch verführt.
Und wir können auch gerne sagen in einzelnen Fällen missbraucht wird. Wichtig ist nur, dass dieser Liebling zumindest kein Kind ist. Ist es ein Jüngling? Das macht es in Teilen besser. Dadurch wird es noch lange nicht gut.
Katrin Tominski
Ich wollte gerade sagen, das ist zwar ein Unterschied, aber ich kann mir vorstellen, dass trotzdem viele Eltern heute geschockt sein würden, wenn sie wüssten, dass sich ihre jugendlichen Kinder älteren Herrn zuwenden oder von denen in irgendeiner Art und Weise benutzt werden.
Markus Tiedemann
Ja, zu Recht. Mit guten Gründen. Wir können es vielleicht noch ein bisschen ausführen, wo das besteht. Wir müssen vor allen Dingen unterscheiden zwischen dem Ideal, was sich vielleicht gerade Junge jene älteren Herren selbst ausgedacht haben und immer wieder erzählt haben, und in der Praxis, die stattgefunden hat. Also in dem Ideal ist es so, dass die Päderastie die Verbindung der Männerfreundschaft mit der Sexualität ist.
Da steckt übrigens auch gleich eine ordentliche Portion Frauenverachtung drin. Die Frauen sind nicht klug genug, um richtig mit ihnen Freundschaft zu haben. Nur Sexualität reicht nicht. Also der Knabe als Mann und gleichzeitig als Sexualpartner, das ist dann die Erfüllung. Dann merkt man schon, dass das schon. Es knirscht im Gebälk sehr in dieser Erzählung.
Katrin Tominski
Das wäre also nach dieser Einheit, diesem Ansatz mehr wert. Eine richtige Männerfreundschaft plus Sex, Sex als eine Liebesbeziehung mit einer Frau?
Markus Tiedemann
Ja, okay. Na ja, und man kann es ja ganz schnell entlarven und sagte Warum habt ihr dann nicht ein normales homosexuelles Verhältnis? Also. Das heißt also, hier wird schon etwas zu Recht erzählt. Was man unterscheiden kann, ist das also das Ganze erst einmal in der Öffentlichkeit stattfindet. Was immer ein gewissen Schutz auch für die, also die Jünglinge, die da umworben wurden, wurden nicht in irgendwelchen dunklen Kammern verführt, sondern in aller Öffentlichkeit und dass das mit sozialer Verantwortung einher ging.
Wir reden noch vom Ideal. Ich will es nur kurz erklären.
Katrin Tominski
Ich will muss mal kurz einhaken. Was heißt in aller Öffentlichkeit?
Markus Tiedemann
Also wir haben zum Beispiel Dokumente, auch platonische Dialoge. Wenn diese älteren Herren in die Sportstätten ziehen, wo sie dann die Jünglinge beim Turnen anhimmeln und und und. Also das wird in aller Öffentlichkeit gelebt, was natürlich das Wissen der Öffentlichkeit inklusive der Eltern impliziert. Insofern gibt es einen gewissen Schutz und es generiert eine Verantwortung daraus, denn dieser Rast ist der Liebhaber, wenn es ihm denn gelingt, die Zuwendung des Jünglings zu bekommen durch Geschenke, durch Komplimente und und und.
Hat er dafür zu sorgen, dass aus diesem seinem Liebling ein reifer Mann wird, ein Mann, der später eine Rolle in der Gesellschaft einnimmt, die man als gesund und dominant einnehmen würde, übrigens auch im sexuellen Sinn. Da gibt es auch noch eine Extra, was dann der Mann zu tun hat und was nicht. Und deswegen hat er ihn zu fördern.
Also er hat die Schule zu bezahlen, er hat all diese Dinge zu tun und er hat auch seinen späteren verordnet. Ja, das ist ja nett, aber das macht das andere ja nicht besser. Das muss man einfach sagen. Wir müssen es der Ehrlichkeit sagen gegenüber sagen, dass es diese Konzepte gegeben hat und dass sie eine gewisse Verpflichtung mit sich brachten und dass es sich nicht um Kinder, sondern um Jünglinge gehandelt hat.
Punkt. Aber jetzt kommt das große Aber, Jetzt kommen wir zur sozialen Realität. Das eine ist die ideale Erzählung und das andere ist die gelebte Praxis. Ob das dann immer mit so viel Fürsorge zu tun gehabt hat, das wissen wir nicht. Denn überliefert sind ist ja immer das Ideal. Und dann sollten wir immer noch sagen wir sind in einer Sklavenhaltergesellschaft.
Für die Jünglinge, die gleichzeitig Sklaven waren, galt all dies nicht.
Katrin Tominski
Also es hatte auch ganz viel mit sexueller Ausbeutung zu tun.
Markus Tiedemann
Ja, natürlich. Es ist eine Form der sexuellen Ausbeutung und es in irgendeiner Form zu nutzen, um etwas damit zu rechtfertigen. Es ist ja schon logisch falsch. Also wir Philosophen und Philosophen lieben das. Den Vorwurf des naturalistischen Fehlschluss, es also nur weil es etwas gegeben hat, weil etwas existiert, folgt daraus normativ gar nicht. Ich kann nicht vom Sein auf sollen schließen.
Angenommen, es wäre so gewesen, Es ist nicht so gewesen, aber es wäre so gewesen, dass alle antiken Philosophen päderastische Verhältnisse gehabt hätten. Daraus folgt nicht, dass die gut waren, in keinster Weise. Die haben auch so eine Menge Unsinn und schlechte Dinge gemacht. Das heißt, das eine kann man mit dem anderen nicht rechtfertigen, was man machen muss. Man muss unterscheiden zwischen dem Phänomen der Pädophilie, was eigentlich mit der Päderastie überhaupt nicht mehr so viel zu tun hat und deswegen deswegen schon auch dadurch gar nicht gerechtfertigt werden kann.
Das bedeutet aber auch nicht, dass Päderasten ische Formen in irgendeiner Form akzeptabel sind.
Katrin Tominski
Es gibt also einen ganz großen Unterschied. Du sagst jetzt auch Päderastie, wo es nicht unbedingt akzeptabel sein bzw. Trotzdem in der Antike war sie dennoch sehr akzeptiert. Warum?
Markus Tiedemann
Also vielleicht sollte man erst mal sagen, sie ist akzeptiert gewesen aufgrund dieser dieses Narrativs, dass sich hier männliche Freundschaft mit Sexualität paaren wird und zweitens, dass ihre Akzeptanz doch sehr begrenzt war. Also Päderastie war ein Phänomen, vor allen Dingen in Athen und in einigen Staaten Kleinasiens. In Sparta war sie verpönt. Das war nicht akzeptabel. In Rom wurde sie gelebt, wurde aber später sehr interessant.
Verboten als Beziehung zu Knaben aus gutbürgerlichen Haushalten. Und das ist deswegen so interessant. Wenn das denn alles gestimmt hätte, was da so im Ideal erzählt, dass der Jüngling keinen Schaden davon nimmt, dass er eine gute Entwicklung hat, das usw. Dann hätte man das ja nicht abschaffen müssen, verbieten müssen. Hat man aber und hat damit zu sagen ihr könnt das an Sklaven immer noch ausleben.
Furchtbar, furchtbar. Aber das Narrativ, dass die Jünglinge dadurch einen Vorteil gehabt hätte, scheint ja nicht zu stimmen.
Katrin Tominski
Spannend. Also es ist nicht überall gleich gewesen. Es gab schon regionale Unterschiede und es setzte dann anscheinend ein Bewusstsein ein, diese Päderastie abzuschaffen.
Markus Tiedemann
Ja, also Formen der Knabenliebe tauchen in vielen Kulturen auf. Wir kennen sie aus Japan, wir kennen sie aus Afghanistan, da gibt es die Tänzer, Jungs usw bis heute leider, an denen oft auch sexuelle Handlungen vollzogen werden. Aber nach wie vor bleibt es eine Form der sexuellen Ausbeutung. Und egal in welchem Kontext man das schafft, man kann differenzieren, aber man kann es wohl kaum gutheißen.
Katrin Tominski
Ich will noch mal auf einen Punkt hinaus gehen. Und zwar der Punkt, dass. Du hast es in einem Buch geschrieben, dass der Unterschied auch bei den, der dieser Knabenliebe ist, dass es keine Penetration gibt.
Markus Tiedemann
Ja, das entspricht aber wieder diesem Ideal. Diese Erzählung.
Katrin Tominski
Ist das Ideal.
Markus Tiedemann
Wieder. Und genau das ist wieder sexy. Also wenn der Knabe soll ja zum reifen Mann werden, der ungebrochen später als Autorität in der Gesellschaft auftritt und später auch eine typisch nach damaligen Verständnis typisch männliche Verhaltensweise in der Sexualität zeigt, also selbst penetriert, selbst eindringt und so das ist. Ab einem gewissen Alter wird das erwartet, ihn damit. Und damit das erfolgt, wird dann auf gewisse Praktiken, solange er noch Liebling ist, nicht an ihm vollzogen.
Aber das ist das Ideal, Das ist die Erzählung. Und wir dürfen mit guten Gründen befürchten, dass die Praxis anders aussah.
Katrin Tominski
Ich fasse mal zusammen Auch hier gab es wieder einen riesen riesengroßen Unterschied zwischen Ideal und Praxis. Aber eine Frage stellt sich mir die noch Wie sah es denn mit Frauen aus? Gab es auch die Liebe zwischen älteren Frauen und zwischen Mädchen oder spielte das gar keine Rolle?
Markus Tiedemann
Also ich vermute, dass es das alles gegeben hat, aber wir haben keine Dokumente, also ich wüsste zumindest nicht darüber.
Katrin Tominski
Okay, also es ist nicht verbrieft.
Markus Tiedemann
Nein.
Katrin Tominski
Okay. Du hattest vorhin schon erwähnt. Nur weil Philosophen vielleicht auch Knabenliebe gefrönt haben, heißt das noch lange nicht, dass es so moralisch akzeptiert ist. Viele Homosexuelle berufen sich auf die Freiheit in der Antike. Das könnten doch dann Päderasten heute eigentlich auch machen.
Markus Tiedemann
Nein, ich kann den Vergleich nicht mittragen. Denn das eine widerspricht den Menschenrechten und das andere nicht. Einen mündigen gleichgeschlechtlichen Partner zu lieben ist überhaupt kein Widerspruch mit den Menschenrechten. Einen unmündigen Menschen. Liebe geht mir schwer. Über die Lippen zu verführen kann sehr wohl in Konflikt mit den Menschenrechten geraten.
Katrin Tominski
Also können wir ganz klar sagen hier weist uns das Recht und die Menschenrechte ganz klar den Weg, wie wir die Dinge beurteilen.
Markus Tiedemann
Ja, da bin ich dabei. Und ich würde auch noch mal betonen wollen, dass Homosexualität und Päderastie Pädophilie völlig unterschiedliche Phänomene sind. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.
Katrin Tominski
Äh, bei Päderastie geht es vor allen Dingen sicherlich auch um die Kategorie Macht oder.
Markus Tiedemann
Bei der Päderastie. Ja, aber wieder in der Idealvorstellung Ja, als Fürsorge und Förderung und in der Praxis wahrscheinlich sehr oft als Missbrauch.
Katrin Tominski
Das Verhältnis Macht und Sex beschäftigt uns ja bis heute. Also anscheinend war das schon früher ganz großes Thema, denn über die Zeiten bis heute ist das ein großes Thema. Ist es nur gefühlt ein großes Thema oder ist es wirklich eine bedeutende Rolle, die sozusagen dem Verhältnis nach dem Sex zukommt?
Markus Tiedemann
Oder war das eine grandiose Frage? Ich würde nur gern vorweg stellen, dass wir sozusagen jetzt das Feld der Päderastie Pädophilie verlassen und damit da nicht was durcheinandergerät. Macht und Sexualität haben immer was miteinander zu tun. Auch evolutionsbiologisch scheint hier leider etwas in uns zu stecken. Also Gewalt und Sexualität, Tod und Sexualität. Und wir sind sowohl im Mythos als auch in der dokumentierten menschlichen Praxis dicht beieinander.
Also Thanatos und Eros werden im Mythos oft gleich dargestellt. Es gibt sogar eine Statue in den Sammlungen des Vatikan, worüber man sich nicht einig ist. Wer ist das jetzt? Weil die sich so ähnlichsehen. Massenvergewaltigung nach Gewaltexzessen gehören leider zur Geschichte der Menschheit. Anders gedreht das sich fallen lassen in die Macht von jemand anderen, sich lustvoll in die Macht von jemand anders geben.
Erleben wir auch wieder als höchst erotisch, höchst anregend. Das heißt also steckt in uns drin und es hat eine hässliche Seite und es kann eine schöne Seite haben.
Katrin Tominski
Danke, lieber Marquis, das waren jetzt ganz wichtige Unterscheidungen. In der nächsten Folge springen wir ganz weit in die Neuzeit zu Erich Fromm und Viktor Emil Frankl. Dann geht es um Reife, Liebe und Selbsttranszendenz. Jetzt sagen wir Tschüss und bis bald. Ciao, Markus.
Markus Tiedemann
Tschüss. Vielen Dank, dass ich da sein durfte.
Katrin Tominski
Ich bin Katrin Tominski. Bis zum nächsten Mal. Wir freuen uns auf euch. Bis bald. Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germeroth. Technik. Birgit Nockenberg. Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Folge 4: Wahre Freundschaft nach Aristoteles. Oder: warum Räuber keine echten Freunde sein können
Nach Aristoteles wollen alle Menschen glücklich sein und Freundschaft ist für ein gelungenes Leben unverzichtbar. Aber welche Arten von Freundschaft gibt es und welche sollten wir anstreben? Können schlechte Menschen wahre Freunde sein? Was können wir tun um uns eines wahren Freundes würdig zu erweisen?
Katrin Tominski
Liebe. Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski. Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft. Selbst Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden.
Katrin Tominski
Herzlich willkommen bei der vierten Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie im Studio. Hier ist wieder Markus Tiedemann. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden und er wird uns weiter die Zeitleiste der Philosophie entlang führen. Hallo Markus.
Markus Tiedemann
Hallo Katrin.
Katrin Tominski
Schön, dass du wieder da bist. Ich bin schon ganz neugierig, was du uns heute erzählen wirst. In der vergangenen Folge haben wir ziemlich ausführlich über Plato und das Ideal der wahren Liebe gesprochen. Heute wollen wir uns der Freundschaft zuwenden. Damit hat sich Aristoteles, der begabte Schüler Platons, nämlich, eingehend beschäftigt. Kleiner Fun Fact am Rande Platon war nicht verheiratet und hat sich intensiv mit Liebe beschäftigt.
Katrin Tominski
Aristoteles hatte eine Frau und kümmerte sich in seinen Überlegungen maßgeblich um Freundschaft. Warum, werden wir gleich erfahren. Herzlich willkommen also zu unserer vierten Folge von wahrer Freundschaft oder warum Räuber niemals echte Freunde sein können. Markus, erklär mir doch einmal warum war Aristoteles Freundschaft so wichtig?
Markus Tiedemann
Oh, ich bin auch immer gespannt auf deine Fragen und das ist eine sehr große Frage. Und die Antwort könnte in der Kurzzusammenfassung so lauten, dass bei Aristoteles die gesamte Lehre sehr verzahnt, systematisch ineinander aufgreift. Aristoteles war an wahnsinnig vielen Dingen interessiert, hat sie erforscht, hat sie systematisiert. Da gehört erst mal der Mensch in Gänze zu mit all seinen Erscheinungsformen, all seinen Bedürfnissen. Und in seiner Ethik nimmt nun die Freundschaft einen ganz besonderen Stellenwert ein. Also zunächst einmal Wie kommt es zu der Ethik der Take off? Die Prämisse der Ethik, die man schlucken muss, ist, dass der Mensch nach Glück strebt.
Katrin Tominski
Also das ist ja nachvollziehbar.
Markus Tiedemann
Ist es nachvollziehbar. Das passt in seine Metaphysik, also in allen Dasein gibt es ein Streben nach dem Idealzustand. Telos das Ziel. Also eine Blume strebt danach zu blühen, sonst wäre sie keine Blume. Da fließt alle in ihre Energie rein. Und auch wir machen ja ganz selten Dinge, nur um der Tätigkeit willen, die wir gerade vollziehen. Also wir putzen uns die Zähne ja nicht um des Zähneputzen willen, sondern weil wir uns davon gesundheitlichen und sozialen Effekt. Und so weiter und so weiter.
Katrin Tominski
Weil uns das immer schön brav erzählt wurde.
Markus Tiedemann
Das auch und viele Dinge. Aber in letzter Instanz muss dieser endlose Regress ich mach das, damit ich das bekomme, Das möchte ich haben, damit ich das Erreichen oder irgendwann zu einem Ende kommen. Und das ist die Idee eines höchsten Gutes. Dieses höchste Gut muss abschließen und muss vollkommen sein. Es dafür keinen Mangel geben. Das von mir weiter streben. Und dann fragt sich Aristoteles Was könnte das sein? Und er kommt zu der Antwort, dass das Glück, die EUdaimonia, das vollkommene Glück, verstanden als die Befriedigung unserer elementaren zentralen Bedürfnisse und ganz wichtig als Verwirklichung der wesenhaften Anlage des Menschen.
Katrin Tominski
Um noch mal ganz kurz dazwischen zu wirken. Das wäre sozusagen der Moment, wenn man dasitzt und sagt Oh, ich bin ich, Ich. Wer fehlt jetzt nicht mehr? Ich bin so glücklich.
Markus Tiedemann
Ja. Ich gebe zu, dass das nicht leicht zu denken möglich ist. Deswegen kennen wir nur Hilfskonstruktion. Und man kann Aristoteles auch verteidigen, nur weil er sagt, das wäre das höchste Gut. Das vollkommene Glück. Hat er noch nicht gesagt, dass wir es erreichen und dass jemand das hier erlebt hat. Gleichwohl gibt es ja doch zumindest Funken, in denen wir das erleben. Also ein Beispiel Wenn wir einen positiven Orgasmus erleben.
Katrin Tominski
Dann wollen wir eben auch negative Orgasmen.
Markus Tiedemann
Also ich hoffe nicht, aber in der Sexualforschung ja doch, ist es. Da gibt es leider furchtbare Experimente, auf die ich jetzt nicht zu sprechen. Okay. Aber wenn wir jetzt einen Wünschens Orgasmus erleben, dann erleben wir in dem Moment genau das, was wir erleben wollen. Und wir wollen nichts anderes, als was wir gerade erleben. Leider ist das natürlich unheimlich vergänglich und Aristoteles geht es ums dauerhafte Glück. Und für das dauerhafte Glück, für das gelungene menschliche Leben brauche ich Freunde. Warum brauche ich Freunde? Erstens, weil dieses Glück darf ja keinen Mangel haben, dieses Sonst wäre es ja nicht vollkommen. Und alle Menschen sagen, dass sie Freunde haben wollen, selbst dann, wenn sie alle anderen Güter besitzen, wenn sie zum Beispiel steinreich sind. Zweite Sache Wir sind fein.
Katrin Tominski
Haken Also Aristoteles sagt praktisch Wir werden nur glücklich, wenn wir Freunde haben. Ja, was ist der Unterschied? Manche andere würden vielleicht sagen Wir werden auch glücklich, wenn wir eine Liebe haben. Warum sind wir in die. Ich muss noch mal auf dieses, dann.
Markus Tiedemann
Müssen wir später noch mal eingehen und gucken, wie wir Freundschaft und Liebe auseinander klabustern. Zunächst einmal ist Freundschaft nicht hinreichend. Also wenn ich einen guten Freund habe, bin ich automatisch und verlässlich immer glücklich. Das nicht, Aber es ist notwendig, ohne Freunde werde ich es nicht schaffen. Warum? Weil alle Menschen sich Freunde wünschen, selbst dann, wenn sie alles andere haben. Zweites Argument Wir sind zoon politikon. Wir sind politisches Wesen. Außerhalb der Gemeinschaft, sagt Aristoteles, sind wir entweder Gott oder wildes Tier. So. Wenn ich also mein Bedürfnis befriedigen will, wenn ich eine gewisse intellektuelle Schulung durchlaufen will, brauche ich die Gemeinschaft. Ich brauche eine freundliche soziale Umgebung. Auch Staatsbürger sollten Freunde sein. Die dritte Ebene ist dann Ich will intellektuelles Wesen sein. Ich will tugendhaftes Wesen sein und niemand und nichts schult mich hier intensiver als der wahre Freund. Und deswegen brauche ich in.
Katrin Tominski
Das stimmt wahrscheinlich. Wer ist denn sonst zu ehrlich als die wahren Freunde? Wird ja immer gesagt das Ja ist ein interessanter Aspekt. Niemand ist so gnadenlos wie die eigenen Freunde, auch die Eltern nicht. Bestimmt vielleicht. Es ist spannend zu mal okay, hier ist das Glück bei Aristoteles. Dann die Freunde. Welche Arten von Freundschaft unterscheidet denn Aristoteles?
Markus Tiedemann
Also sein Freund? Das ist erstmal sehr, sehr weit. Überall dort, wo Menschen im wechselseitigen Wohlwollen zusammenkommen, ist für Aristoteles Freundschaft im Spiel. Wenn wir aber holzschnittartig vorgehen wollen, dann dann sind es drei. Es gibt die Lust, die Nutz und die wahre Freundschaft.
Katrin Tominski
Lust, Freundschaft klingt schon mal gut.
Markus Tiedemann
Klingt gut. Und Aristoteles sagt das so ein bisschen mit dem Augenzwinkern. Es hebt sich bei den jungen Menschen vertreten zentral. Einer Lustfreundschaft ist der wechselseitige Lustgewinn. Also der Wann Night Stands zum Beispiel. Zentrales Moment der Nutzfreundschaft ist der wechselseitige Nutzen. Dinge Geschäftsfreunde beispielsweise. Und spannend ist dann die wahre Freundschaft. Hier geht es um die wechselseitige Tugendhaftigkeit, weswegen die wahre Freundschaft selten ist und den moralisch Edlen vorbehalten.
Katrin Tominski
Wirklich mehr die moralisch Edlen? Was sind die moralisch edlen Menschen?
Markus Tiedemann
Das sind diejenigen, die die Tugenden erkannt und kultiviert haben, das heißt also, die einen Begriff, ein Verständnis vom moralisch Richtigen haben und es nicht bei dem Verständnis allein belassen, sondern sich auch strebend darum bemühen, sich selbst trainieren, sich selbst erziehen. Was man im Akt der wahren Freundschaft am besten kann, weil der Freund eben auch der schärfste Kritiker sein kann.
Katrin Tominski
Das heißt aber umgekehrt, dass unmoralische Menschen, also vielleicht auch die Räuber, wie du im Podcast genannt hast, ja eigentlich keine Freunde sein können.
Markus Tiedemann
Sie können Lust und Nutzfreunde sein. Also wir können uns sehr schnell Räuberkumpel denken, die gemeinsam ihre Missetaten begehen, die vielleicht auch ihre Beute fair untereinander teilen, weil sie davon einen Nutzen haben, weil so sozusagen ihr Pakt funktioniert. Aber jetzt denken wir das mal zu Ende. Wir sind diese Räuber. Würden wir unseren Kumpanen zum Beispiel unsere schutzlosen Kinder überlassen?
Katrin Tominski
Nein, natürlich.
Markus Tiedemann
Nein, natürlich nicht. Wir wissen ja, dass er gemein und grausam ist. Genauso wie wir gemein und grausam sind. Und deswegen können wir ein letztes Vertrauen, eine letzte Wertschätzung für ihn gar nicht empfinden. Und deswegen können Räuber niemals wahre Freunde sein, weil sie moralisch nicht edel sind.
Katrin Tominski
Das klingt ja nicht sehr attraktiv. Also unmoralisch zu sein hat ja dann einige Schwierigkeiten oder bringt einige Schwierigkeiten mit sich, wenn ich dann auf wahre Freunde verzichten muss, ist es doch besser, ich bin gleich moralisch.
Markus Tiedemann
Ein starkes Argument. Das würde aber so vielleicht die platonische Schulungschule noch deutlich machen, die Aristoteles teilweise auch fortführt. Also Platon hat ein berühmter Stelle gesagt Es ist besser Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun. Denn wenn ich Unrecht erleide, dann widerfährt mir Unrecht. Aber ich werde nicht moralisch hässlich und ungerecht. Und das bei Aristoteles ein bisschen auch so Aristoteles würde aber sagen Na ja, gut, es ist schon leicht, ein lustvolles Scheusal zu sein, also Lustfreundschaften, Lustgewinne zu zu akkumulieren.
Markus Tiedemann
Es ist unheimlich schwer, ein tugendhafter Mensch zu sein. Um aber langfristig ein gelungenes menschliches Leben zu führen, muss ich Letzteres für interessant.
Katrin Tominski
Aber sind denn die Lust und die Nutzfreundschaft? Du hattest eben als Beispiel genannt für die Lust Freundschaft ein wo nicht sind? Gibt es vielleicht noch andere Formen? Und sind diese beiden Formen die Lust und Nutzfreundschaft denn per se schlechtere Freundschaftsform?
Markus Tiedemann
Nein, das. Sie sind keine schlechten. Sie sind weniger gut. Also vielleicht kann man das an Beispiel deutlich machen. Erstes Beispiel eine Nutzfreundschaft als Reise Bekanntschaft. Wir müssen beide durch dieses finstere Tal durch und es findet sich kein. Es fühlt sich eindeutig besser an, dies gemeinsam zu machen und wir supporten einander während dieser gemeinsamen Wanderung. Wir sind also Freunde. Es besteht ein wechselseitiger Gewinn und nachher trennen wir uns. Es gibt einen Scheich, Hans, und wir sehen uns nie wieder. Dann sagt Aristoteles Das ist doch wertvoll, Das ist doch gut so! Gehen doch Menschen miteinander um. Und das ist Ist es nicht Schlechtes?
Katrin Tominski
Stimmt.
Markus Tiedemann
Es ist noch keine wahre Freundschaft. Zweites Beispiel. Du und ich, wir sind Tennisfreunde. Angenommen, es wäre so.
Katrin Tominski
Ich kann kein Tennis.
Markus Tiedemann
Ich auch. Ich auch sehr schlecht. Aber wir nehmen es mal so und wir spielen seit zehn Jahren zusammen, machen aber sozial nichts miteinander. Wir mögen einfach wirklich nur gerne miteinander Tennis spielen, will also besagen: Wir haben eine Lust-Freundschaft. So, jetzt kriege ich einen Tennisarm und der ist hartnäckig und lässt sich nicht auskurieren. Dann wissen wir beide, was passiert. Du ruft genau einmal an und fragst. “Mensch, das tut mir so leid. Können wir uns nicht wieder treffen?”
Katrin Tominski
Ich würde zwei Mal anrufen.
Markus Tiedemann
Ja, genau. Aber beim dritten Mal wissen wir alle, diese Freundschaft ist beendet. Ist das schlimm?, sagt Aristoteles. Nein. Sofern wir uns nichts anderes versprochen haben. Sie war sogar wertvoll. Wir hatten beide einen wechselseitigen Lustgewinn.
Katrin Tominski
Das heißt aber die Lust und die Freundschaft sind auf alle Fälle zeitlich begrenzt oder auf die auf die Lust, den Nutzen oder die Lust begrenzt.
Markus Tiedemann
Ja, genau. Wenn diese lange andauert, vielleicht spielen wir 30 Jahre zusammen Tennis? Kann sein, dann kann es weitergehen.
Katrin Tominski
Du hattest über die wahre Freundschaft gesprochen. Ich will noch mal darauf zurück. Die interessiert mich doch ein bisschen mehr. Die wahre Freundschaft bei Aristoteles. Was ist denn? Oder gibt es denn bei Aristoteles überhaupt eine Voraussetzung für die Freundschaft?
Markus Tiedemann
Also die Voraussetzung für die Freundschaft ist eben Wechselseitigkeit und Wohlwollen. Das sind die beiden Kriterien für alle Arten der Freundschaft. Sonst reden wir nicht über Freundschaft, Wohlwollen und Wechselseitigkeit. Damit es jetzt eine wahre Freundschaft wird, muss dieses diese Wechselseitigkeit primär in der gemeinsamen Tugendhaftigkeit liegen, und das heißt eben im Verstehen und im Kultivieren des tugendhaft seins. Und nur wenn ich ein gewisses Niveau habe, kann ich auch einen Freund auf diesem Niveau haben. Vielleicht kann ich ein Beispiel geben.
Katrin Tominski
Ja, genau, will ich gerade sagen. Unter Tugenden kann man ja sehr viel.
Markus Tiedemann
Genau. Also ich halte Nelson Mandela wirklich für eine beeindrucken, eine Persönlichkeit. Da ist jemand, der jahrzehntelang Unrecht und Grausamkeiten erleiden musste, an die Macht kommt und der Versuchung widersteht, Rache zu üben und sich stattdessen um Aussöhnung bemüht. Das ist also für mich eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich würde es...
Katrin Tominski
...Größe...
Markus Tiedemann
...tugendhaft auch nennen, im aristotelischen Sinne. So, wenn jetzt jetzt einen wahren Freund von Nelson Mandela gibt oder gar gab, dann muss dieser auch tugendhaft gewesen sein. Der muss nämlich ein gleiches Verständnis von Gerechtigkeit und dem Guten gehabt haben. Ein anderer würde vielleicht sagen Das ist aber Schwäche, das ist Dummheit. Warum nutzt du die Macht nicht, um endlich Rache zu üben oder ähnliches? Der Räuber würde wahrscheinlich genau das zu Mandela sagen.
Katrin Tominski
Jetzt kannst du es denen endlich zeigen?
Markus Tiedemann
Genau so und er würde wahrscheinlich gar nicht die Tugendhaftigkeit in dem Verhalten von Mandela erkennen.
Katrin Tominski
Er würde die Größe nicht erkennen. Das wäre.
Markus Tiedemann
Exakt. Und deswegen kann wahre Freundschaft eben nur zwischen zwei oder mehreren Tugend haften Menschen existieren.
Katrin Tominski
Das heißt, wahre Freunde erkennen wir auch immer daran, dass wir uns in dem jeweils anderen erkennen.
Markus Tiedemann
Zumindest, dass wir uns gemeinsam um Tugend bemühen.
Katrin Tominski
Ja hm, klingt schön.
Markus Tiedemann
Also es darf natürlich Unterschiede in anderen Neigungen geben. Der eine darf Tennisspielen, der nächste tauchen gehen. Das ist nicht entscheidend.
Katrin Tominski
Ja, ja, ja, ja, das ist klar. Ähm, vielleicht die nächste Frage. Müssen denn. Oder daran anknüpfend, Sie dürfen natürlich unterschiedliche Neigungen haben. Aber wie gleich oder wie ungleich können denn wahre Freunde sein? Ein Beispiel, was ja immer wieder ein großes Thema ist Freundschaft zwischen Arm und Reich, Freundschaft zwischen einen sehr klugen und einen sehr einfachen Menschen. Ist das möglich.
Markus Tiedemann
Dass es möglich, sofern Aristoteles sagen würde sagen, sofern eine Art Ausgleich gefunden wird? Das gilt aber vor allen Dingen auf den Stufen der Lust und der Freundschaft, dann muss es immer irgendwie einen Ausgleich geben. Also wenn der eine von dem anderen einen großen Lustgewinn hat, der andere dies aber nicht erwidern kann, dann muss dann vielleicht ein Nutzgewinn zurückgeben. So, da wäre Ausgleich möglich. In einer Situation, wo der eine geistig sehr schlicht ist und der andere sehr klug, wird es unheimlich schwierig, denn dann wäre es der eine bringt sozusagen geistige Förderung ein und damit etwas in Aristoteles, das in sehr sehr wertvoll ist und der andere kann eher so etwas wie Fürsorge, emotionale Nähe und so etwas bringen. Das kann dann Freundschaft sein, aber hier wird sozusagen Tugendhaftigkeit gegen Lustgewinn getauscht. Da wird es schwierig. Aber es.
Katrin Tominski
Gibt. Aber er kann ja anderes wissen als intellektuelles okay, jetzt.
Markus Tiedemann
Jetzt wird es zum Beispiel Also jetzt nehmen wir mal ein anderes Beispiel. Der eine ist so ein absoluter Universitätsnerd und der also.
Katrin Tominski
Ein verkopfter Theoretiker.
Markus Tiedemann
Genauso so dumm, so ein Philosoph wie ich, der sich vielleicht auch wirklich hin und wieder in Irrelevanz verliert. Der andere ist nicht ignorant. Wäre er ignorant, würden sie keine gemeinsame Basis finden. Das ist schon interessiert, aber er hat auch ein gesundes Gefühl Von Gott reicht es mir. So, und jetzt könnten sich beide annähern. Der eine verlässt die den Bereich, wo es vielleicht gar nicht mehr relevant ist, wo er sich verloren hat in seinen Nerdforschung. Und der andere wird ein bisschen angepuscht, um sich mehr zu interessieren. Komplexer zu denken. Dann könnten sie beide Tugend kultivieren, weil sie nämlich gerade eine Mitte gemeinsam finden.
Katrin Tominski
Ja, das klingt super. Das klingt.
Markus Tiedemann
Schön. Darf ich noch was zu arm und reich sagen?
Katrin Tominski
Weil das ja unbedingt. Und ich sage nachher noch was zu Mitte, Aber wir gehen jetzt.
Markus Tiedemann
Zu arm und reich, würde ich gerne noch mal sagen. Das macht noch mal deutlich, was wahre Freundschaft bei Aristoteles ist. Zwischen wirklich tugendhaften, also zwischen wahren Freunden ist der Unterschied zwischen Arm und Reich gar kein Problem, denn was sie einander geben, wo die wechselseitig bestehen, im Bereich der Tugendhaftigkeit, das ist kein ökonomischer Tausch. Zwar, sagt Aristoteles, geben ist moralisch edler als Nehmen, weswegen natürlich ein Ungleichgewicht entsteht, aber der wahre Freund würde ja geben, wenn er könnte. Und weil ich das weiß, ist dieses Ungleichgewicht irrelevant. Unwichtig zwischen wahren Freunden.
Katrin Tominski
Das klingt ganz schön und ich denke, das funktioniert auch. Aber in der Praxis kommt das ja trotzdem manchmal an seine Grenzen, oder weil die Lebenswirklichkeiten ja teilweise sehr verschieden sind. Oder Lebensstile. Wenn die beide nicht diese Tugenden so im Blick haben.
Markus Tiedemann
Ja, wenn sie beide nicht.
Katrin Tominski
Und sie müssen sich erst mal treffen.
Markus Tiedemann
Gut, aber nun wissen wir doch, dass wirklich gute Freunde durch äußere Umstände in andere soziale Lebensumstände geführt werden können, geraten können und und und. Und dann wäre es keine wahre Freundschaft, wenn der einen nicht einfach öfter die Rechnung bezahlt als der andere.
Katrin Tominski
Das stimmt, das stimmt. Äh, also ich weiß noch mal zusammen Wahre Freundschaft existiert unabhängig von der Ökonomie und von dem, von dem Geld, was beide haben oder eben nicht haben. Ich möchte aber noch mal auf einen Punkt zurückkommen. Du hattest am Anfang gesagt, Aristoteles fasst sein Freundschaftsbegriff sehr weit und dieser Freundschaftssbegriff betrifft nicht nur die Privatsphäre. Kannst du vielleicht noch mal darauf eingehen?
Markus Tiedemann
Ja, Aristoteles würde sagen, auch Staatsbürger sollen Freunde sein. Also soll wechselseitiges Wohlwollen auch zwischen Bürgern existieren.
Katrin Tominski
Ich glaube, wir brauchen alle ein bisschen mehr. Aristoteles in der heutigen Zeit ganz dringend.
Markus Tiedemann
Wir haben natürlich den Begriff der Solidarität zum Beispiel, den Aristoteles nicht kannte und der, denke ich, hier diese Lücke füllen könnte, die er versucht, mit der Freundschaft zu bezeichnen. Aber natürlich wünschen wir uns eine Gemeinschaft, in der gewisse Prinzipien der Solidarität verlässlich existieren. Und das tut jede Gemeinschaft gut.
Katrin Tominski
Solidarität in unserer Gesellschaft wäre also so was wie die bürgerliche Freundschaft von Aristoteles?
Markus Tiedemann
Ja.
Katrin Tominski
Oh, klingt toll, aber ich möchte noch mal dahin kommen. Wie kommen wir dahin? Wie werden wir denn Freunde im gesellschaftlichen Raum? Reicht es, wenn jeder für sich sagt Ich verhalte mich tugendhaft? Beispiel Ich lasse alle alten Leute hinsetzen in der Bahn, was ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Oder ich gebe Gefundenes ab Im Fundbüro würde das schon reichen, wenn jeder selbst an sich arbeitet. Oder wie kommt man zu dieser Freundschaft im bürgerlichen Raum?
Markus Tiedemann
Das ist natürlich eine Frage, von der ich nicht sicher bin, ob ich sie wirklich gut beantworten kann. Aber ich denke, aus der aristotelischen Perspektive kann man zumindest sagen, dass das ein wichtiger Beitrag wäre, wenn jeder sich an gewisse Prinzipien der Solidarität hält oder sich ihnen verpflichtet fühlen würde, dann hätte das auch einen immensen Impact auf die Gesellschaft. Also schönes Beispiel dazu gebracht hast. Wenn wir uns gar keine Sorgen mehr machen würden, wenn wir unser Handy liegen lassen, weil wir genau wissen, dass es seinen Weg zu uns zurückfindet. Aber das wäre so toll. Wäre das nicht wunderbar in dieser Gesellschaft?
Katrin Tominski
Wäre wunderbar.
Markus Tiedemann
Wenn eine Frau nachts einfach überhaupt nicht drüber nachdenken müsste, welchen Weg sie durch die Dunkelheit geht. Weil es gibt das überhaupt nicht. Sie kann sich auf die Solidarität ihrer Mitbürger verlassen. Das ist schon eine traumhaft schöne Vorstellung.
Katrin Tominski
Das ist eine traumhaft schöne Vorstellung und auch die Vorstellung einer ganz gesunden Gesellschaft ist in dem Misstrauen eigentlich nicht so eine große Rolle. Spielt.
Markus Tiedemann
Ja, es wäre die Gemeinschaft der moralisch Edlen. Allerdings, sagt Aristoteles, da ist er ja Realist, das ist den wenigen vorbehalten.
Katrin Tominski
Aber wir können alle was beitragen, wenn wir möchten mit unserem eigenen Verhalten.
Markus Tiedemann
Definitiv.
Katrin Tominski
Das klingt doch schon mal gut. Wir sind also Selbstwirksamkeit. Wir sind nicht nur auf die Gesellschaft angewiesen, sondern wir sind ja die Gesellschaft und können uns daran beteiligen.
Markus Tiedemann
Das ist ja der entscheidende Punkt der aristotelischen Ethik. Wir haben selbst uns um das Gute zu bemühen. Und da gibt er im Endeffekt zwei Tipps. Ich weiß nicht, ob ich die noch ausführen.
Katrin Tominski
Ja.
Markus Tiedemann
Okay. Also wir hatten ja gesagt, das höchste Gut ist das Glück. Die EUdaimonia. Das ist sehr überzeugend abgeleitet. Aber dann steht man ja auch so ein bisschen im Regen und sagt Ja, Aristoteles, das weiß ich. Das. Aber wie komme ich denn dahin? Und da gibt es zwei, zwei Aussagen. Das erste ist die Verwirklichung der wesenhaften Anlage, und zwar sowohl als Individuum, als als Gattungswesen. Also du hast die individuelle Veranlagung zu tanzen, du hast eine wirkliche Begabung zu tanzen. Dann würde Aristoteles sagen, es wäre ein Ja, na, wenn du es denn dein Leben nicht tust, verwirkliche deine Anlagen in bestmöglicher Form. Es geht um Höchstleistung.
Katrin Tominski
Wir sollten also unseren Talenten nachgehen?
Markus Tiedemann
Ja, natürlich. Und wir sollten fragen Was ist denn die Essenz unseres Gattungsdasein? Was unterscheidet denn ein gutes menschliches Leben von anderen Lebewesen? Und da würde Aristoteles sagen Gut, wir sind animal rationale, wir sind rationales Wesen, Verding geistigen Teil seiner Veranlagung. Als Mensch nicht kultiviert, führt kein gelungenes menschliches Leben. Ergo das glücklichste aller Leben, das natürlich Fun fact führt. Die Philosophin, der Philosoph. Zweiter Tipp ist die Mesoteslehre. Das ist die Lehre von der Mitte.
Katrin Tominski
Strebe die Mitte. Gleich darauf kommt man doch mal gut vorwärts mit der goldenen Mitte. Anfangen möchte ich noch mal jetzt. Das heißt also im Wenn wir. Unser ganzes Leben nach Erkenntnis suchen, dann können wir glücklich werden. Also nicht unbedingt nur allein. Aber das könnte zu unserem Glück beitragen.
Markus Tiedemann
Ganz, ganz entscheidend kann es dazu beitragen. Also bei Aristoteles gibt es nicht so, dass eine hinreichende Werte Theoretikerin und du bist glücklich. Er war erwartbar. Das nicht, aber es gibt notwendige Bedingung. Und ein Mensch, der zumindest in gar keinem Umfang seine rationale Plan veranlagung kultiviert, führt kein gelungenes menschliches Leben.
Katrin Tominski
Klingt sehr plausibel und aber auch sehr schön, weil wir das alle sehr beeinflussen können.
Markus Tiedemann
Es liegt in unserer Macht.
Katrin Tominski
Ja, gibt es. Wir alle kennen es. Wir alle haben es schon mal gehört. Die goldene Mitte. Was meint Aristoteles mit der goldenen Mitte?
Markus Tiedemann
Ich sage mal als erstes, was er damit nicht meint. Nämlich eine arithmetische Mitte. Ein Mittelmaß. Ein Ding genauen geometrischen Mittelpunkt zwischen zwei Extremen. Dann wäre es ja, man stelle sich mal vor, man wäre Bürgerinnen während der NS Zeit. Dann wäre so etwas wie ein gemäßigter Nationalsozialismus die goldene Mitte. Das wäre furchtbar.
Katrin Tominski
Das wäre furchtbar.
Markus Tiedemann
Genau das meint aber auch gerade nichts, sondern Aristoteles versteht unter der goldenen Mitte das rechte Maß zwischen den Extremen, das rechte Maß, das rechte moralische Maß, also das rechte Maß zwischen Feigheit und Tollkühnheit, ist die Tapferkeit, das rechte Maß zwischen Geiz und Verschwendungssucht ist die Großzügigkeit. Alles wird schlecht durch eins zu viel oder zu wenig. Und deswegen der zweite Tipp des Aristoteles Wenn du glücklich werden willst, versuche tugendhaft zu werden. Und tugendhaft heißt, das rechte Maß am rechten Ort zur rechten Zeit zu finden. So nämlich schwer.
Katrin Tominski
Ich wollte sagen, das klingt alles ganz toll, aber stell ich mir sehr, sehr schwer vor.
Markus Tiedemann
Ja, aber deswegen ist es eben auch so dynamisch. Also zum Beispiel Wut ist nicht immer falsch. Es kann die Situationen geben, wo Wut auch im Sinne des Aristoteles das rechte Maß in dieser Situation ist. Weil moralische Empörung zum Beispiel höchst angebracht ist.
Katrin Tominski
Habe ich auch selbst schon erlebt. War sehr heilsam.
Markus Tiedemann
Genau. Wenn man dann aber sagen möchte Ich kann mir sofort aber auch ein Zuviel vorstellen, wenn zum Beispiel aus Mut Wut, Rachsucht entsteht, dann würde das sei ja genau das ist das zu viel, von dem ich spreche?
Katrin Tominski
Ja, ja, schön, das hört sich sehr gut für mich. So ein kleiner Baustein, der mir eigentlich immer auch gefehlt hat, weil natürlich die goldene Mitte, die wird immer wieder verwendet und das war jetzt auch für mich sehr interessant. Wir hatten am Anfang das schon mal anklingen lassen der Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft bei Aristoteles. Du hattest es schon mal angedeutet, vielleicht können wir es noch mal ganz kurz ausführen.
Katrin Tominski
Also Freundschaft brauchen wir im Leben glücklich zu werden. Wie sieht es mit der Liebe aus? Nach Aristoteles?
Markus Tiedemann
Da sagt er so wenig drüber. Also tatsächlich wird die Freundschaft in den Mittelpunkt gestellt und Liebe wird mal subsum miert, mal taucht sie einzeln auf. Und dann wird eigentlich nur darauf hingewiesen, dass Liebe eben einseitig empfunden werden kann. Dann wird in der Regel auch der Begriff Eros verwendet, während viele ja der Begriff für die Freundschaft ist. Und die muss immer wechselseitig sein. Mehr sagt er eigentlich nicht über die Liebe.
Katrin Tominski
Also er schweigt sich so ein bisschen aus.
Markus Tiedemann
Ja mal wird es ihm subsumiert und mal wird es nach diesen Kriterien getrennt.
Katrin Tominski
Trotzdem hatte ich in deinem Buch gelesen, dass er von Mutterliebe spricht, aber, äh, im Verhältnis zwischen Vater und Sohn, sozusagen von Freundschaft. Wie ist das zu verstehen?
Markus Tiedemann
Ja, das ist ein ganz, ganz spannender Punkt. Zumal dieses Phänomen der Mutterliebe uns noch öfter beschäftigen wird, wenn wir zum Beispiel zu Erich Fromm kommen oder ähnlichen. Dann die Mutterliebe von so ein Archetyp. Also wenn Aristoteles von Mutterliebe spricht, dann hat er die aufopferungsvolle Fürsorge der Frau für den Säugling oder das Kleinkind vor Augen. Dort ist es mit der Wechselseitigkeit schwierig. Die Mutter gibt unheimlich viel und der Säugling kann schon aufgrund seines Entwicklungsstandes wenig zurückgeben. Weswegen das für Aristoteles ein faszinierendes Phänomen ist, wenn er von Vaterliebe spricht, dann hat er die Vorstellung des reifen Vaters, der mit dem heranwachsenden Jüngling einhergeht. Da gibt es auch ein Ungleichgewicht. Für Aristoteles ist natürlich der Vater, was Tugendhaftigkeit und Weisheit betrifft, dem Knaben um vieles voraus. Aber es kann zumindest ein Hin und Her geben, ein Ausgleich. Der Ausgleich wird unter anderem dadurch geschaffen, dass der Knabe folgsam ist. Bewunderung zeigt und lehrsam ist.
Katrin Tominski
Das spricht aber auch für eine Wahrnehmung von starken Unterschieden zwischen Mann und Frau. Das kann er dir auch in einem heutigen Verständnis können ja auch Väter selbstlos lieben bzw auch Mütter sozusagen Tugenden vermitteln.
Markus Tiedemann
Also definitiv. Vielleicht kommen bei Fromm noch mal drauf zurück. Da gibt es auch noch mal Vater und Mutterliebe als ein Das sehen wir uns überhaupt? Um das noch mal deutlich zu machen Aber ja, diese diese Archetypen ziehen sich durch die ganze Geistesgeschichte.
Katrin Tominski
Wir hatten es ja auch schon erwähnt bzw ich hatte es am Anfang anklingen lassen. Du sagst es ja jetzt auch Aristoteles sagt nicht viel über Liebe, aber im Gegensatz zu Platon war er verheiratet. Kannst du dazu was sagen?
Markus Tiedemann
Ja, jetzt muss ich zwei Mal schlucken und dann muss ich eingestehen, dass. Ich mir wünschen würde, Aristoteles hätte ein positiveres Frauenbild gehabt. Also man muss einfach eingestehen, dass dieser Geist des Titan, dieser Titan des Geistes, dieser Urvater unseres wissenschaftlichen Denkens, ein wirklich schlichtes, vielleicht von seiner Zeit geprägtes Frauenbild gehabt hat, sie für intellektuell nicht gleichberechtigt hielt, sie nicht für fähig der wahren Freundschaft hielt. Anders als sein Lehrer Platon, der.
Katrin Tominski
Das.
Markus Tiedemann
Ja. Leider sind kluge Menschen nicht auf allen Gebieten klug, und er hätte vielleicht auf seinen Lehrer mehr hören sollen, der das eben sehr genau und deutlich gemacht hat. Der war der Universal ist eindeutig, was man zu seiner ja, es kann Ehrenrettung aber zur Relativierung dieses traurigen Side Effects sagen kann, ist, dass Aristoteles für seine zweite Frau sehr fürsor glich in seinem Testament Vorsorge getroffen hat, dass es ihr gut gehen möge und dass er seine erste Frau Pythia so sehr geliebt hat, dass er nach vielen, vielen Jahren nach ihrem Tod nämlich in seinem Testament verfügt hat, dass er neben ihr begraben werden wollte.
Katrin Tominski
Okay, es war schon Liebe im Spiel, aber anscheinend keine Liebe auf Augenhöhe. Oder vielleicht lieber auf Augenhöhe, aber keine intellektuelle Betrachtung auf Augenhöhe. Das wird dann nochmal spannend, wenn wir über das Konzept der Reife und Reife und Liebe sprechen. Ich möchte jetzt erst mal hier das Kapitel Freundschaft bei Aristoteles schließen. Also wenn wir etwas über echte und wahre Freundschaft wissen wollen und auch über Freundschaft, über ehrliche Freundschaft, über Freundschaft, mit der wir aneinander wachsen können, dann können wir uns abends in bei Regen, bei Sommerregen schön in unser, in unsere Wohnung einschließen und Aristoteles lesen und dabei ganz glücklich werden.
Katrin Tominski
Es klänge so.
Markus Tiedemann
Schön gesagt.
Katrin Tominski
Markus, ich danke dir. Ich muss sage, ich bin wirklich beeindruckt, dass sich Aristoteles vor so langer Zeit solche Gedanken gemacht hat über Freundschaft, der heute auch noch brandaktuell sind. Also die Definition und die Fragen zu Freundschaft bewegen ja ganz viele Menschen, von jung bis alt und von arm bis reich. Ja, die Welt verändert sich schnell, aber manche Dinge scheinen für die Ewigkeit. Also in der nächsten Folge möchten wir uns wichtigen Anmerkungen widmen. Wer sich mit der Antike beschäftigt hat, läuft unweigerlich der Knabenliebe über den Weg. Also ich, dieser jetzt in die nächste Folge ein. Da geht nämlich ganz spannend weiter. Doch was bedeutet eigentlich Knaben liebe? Wie unterscheidet man denn Pädophilie und Päderastie? Und warum ist es ein moralischer Fehlschluss zu denken, Knabenliebe sei heute zu rechtfertigen? Nur weil sie damals en vogue war? Doch für heute sagen wir erst mal Tschüss. Vielen Dank, Markus, für die sehr, sehr interessanten Ausführungen zum Thema Freundschaft bei Aristoteles. Ja, vielen Dank! Und danke Dir.
Katrin Tominski
Auch an alle Hörer da draußen. Ich bin Katrin Tominski. Bis bald. Wir freuen uns auf euch in der nächsten Folge.
Markus Tiedemann
Tschüss. Tschüss.
Katrin Tominski
Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germeroth. Technik. Birgit Nockenberg. Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Folge 3: Von Platonischer Liebe und dem Aufstieg des Logos
Mit Platon erreicht die die Emanzipation gegenüber dem Mythos und die Orientierung an Vernunft und Wissenschaft einen ersten Höhepunkt. Dies gilt auch für die Vorstellungen über Liebe. Leibliches Begehren und sexuelle Lust werden nicht negiert, aber zu einem „nice to have“. Erkenntnis und die Liebe zur Idee rücken dafür ins Zentrum eines gelungenen Lebens. Ist platonische Liebe also erstrebenswert?
Dieses Transkript wurde maschinell erstellt und nur teilweise nachbearbeitet.
Katrin Tominski:
(Intro)
Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski.
Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft, selbst. Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen. Von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden.
(Intro Ende)
Herzlich willkommen zur dritten Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie. Ich begrüße wieder hier im Studio Markus Tiedemann. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden. Hallo Markus.
Markus Tiedemann:
Hallo Katrin.
K. T.:
Hier sind wir wieder. Das letzte Mal haben wir ziemlich ausführlich über die Mythen in der Antike und unsere Religionen gesprochen. Heute wollen wir einen Schritt weiter gehen und fragen, was Platon zu Liebe sagt und welche Rolle der Aufstieg des Logos der Vernunft spielt. Also herzlich willkommen zur dritten Folge. Ich fasse jetzt noch einmal zusammen mit den griechischen Philosophen hat also die Beschäftigung mit Liebe, Freundschaft und Sexualität begonnen?
Habe ich mich da jetzt richtig erinnert?
M. T.:
Jein. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen, die Beschäftigung selbst ist so alt wie die Menschheit.
K. T.:
Okay, die wissenschaftliche Beschäftigung kannst du noch mal ganz kurz sagen. Wo liegt jetzt der Unterschied der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Fragen zu den der ganz normalen Beschäftigung damit.
M. T.:
Im Rechtfertigung Kontext? Also jemand der Wissenschaft betreibt, versucht seine Erkenntnisse und die Rechtfertigung dieser Erkenntnisse so zu formulieren, dass eine andere Person, die nicht den kulturellen Hintergrund hat, nicht den gleichen sozialen Status oder andere Unterschiede mit sich bringt, gleichwohl die Argumente verstehen kann und im Idealfall sogar logisch zustimmen muss. Das wäre ein wissenschaftlicher Anspruch. Und mit dieser Art und Weise beginnen erstmals die Philosophen, sich mit der Welt zu beschäftigen.
Vorher ist die Welt ja auch erklärt worden. Wir hatten letztes Mal die Mythen. Man denkt sich einfach eine schöne Geschichte aus. Es donnert, es blitzt. Ich kann es mir nicht erklären. Und dann denke ich mir Zeus oder Thor oder so etwas aus. Und für mich ist das eine überzeugende Erklärung. Aber eben nur für mich. Und jemand, der meiner Kultur nicht anhängt, würde sagen Was für ein Blödsinn.
K. T.:
Hm, okay, heute geht es denn um Platon. Wir wollen ein bisschen tiefer hineinkriechen in die Definition oder auch die Definition Versuch von Liebe und Platons Ideal der wahren Liebe gilt ja als Schlüssel Text der Philosophiegeschichte. Warum?
M. T.:
Ich denke, das liegt daran, dass es ein Schlüsselthema der sogenannten Ideenlehre ist. Also die Ideenlehre ist vielleicht das, was man am meisten mit Platon verbindet. Klammer auf Es gibt eine Diskussion darüber, ob Platon überhaupt als Person selbst eine Ideenlehre vertreten hat. Es gibt sehr renommierte Platon Kennerin Dorothea Frede, Eckhard Martens. Die würden sagen, das hat er nie. Das ist später daraus gemacht worden.
Aber unstrittig ist, dass die Ideenlehre sehr wirkungsmächtig war und die Geschichte oder die Erzählung oder die ersten Dialoge, die sich um Liebe drehen, beschreiben den Aufstieg zur wahren Liebe als einem Ideal, einer Idee. Und deswegen sind sie dafür sehr geeignet, die Ideenlehre zu erklären.
K. T.:
Okay, das verstehe ich jetzt aber noch nicht so richtig. Also ich verstehe natürlich, dass die Voraussetzung von wahrer Liebe die Idee davon sein soll. Aber es trifft das dann auf alle Ideen zu, die wir im Leben haben.
M. T.:
Nein, auf gar keinen Fall. Wir haben viele verrückte Ideen. Das sind aber unsere persönlichen Vorstellungen. Wenn Platon die Idee Idee meint, dann meint er etwas, was außerhalb von uns aus sich selbst heraus ewig und dauerhaft existiert. Das klingt jetzt ganz verrückt, ist aber eigentlich berauschend klug, weil wir es auch übersetzen können mit dem Versuch, so etwas wie Objektivität zu fassen.
Also vor Platon gab es die unterschiedlichen Narrative, die unterschiedlichen Erklärungsansätze, die waren subjektiv, kulturell geprägt. Und Platon sagt Na ja, aber es gibt auch Dinge, die unabhängig von unserer Neigung, unserer Erziehung, unseren Vorlieben existieren. Leicht zugänglich ist das bei mathematischen Gesetzen. Also die Definition des Kreises. Alle Punkte sind vom Mittelpunkt gleich weit entfernt. Ist völlig darüber erhaben, ob ich das gut finde oder ob mich das überzeugt.
Es ist einfach so und wenn ich ein Objekt Kreis ähnlich gestalten möchte, kann ich diese Definition nicht umgehen. Ich kann nicht ein Objekt schaffen, das einerseits Kreis ist und andererseits dieser Definition nicht gehorcht. Und dann würde Platon sagen Na ja, aber dann ist eben diese Idee, die Definition des Kreises, etwas, was über dich hinausweist, was wir gerne als ewig Platon würde vielleicht auch sagen als göttlich, damit man das gleiche ewig und perfekt festhalten können.
Und jetzt kommt der Idealismus noch mal rein, um das ganz stark zu machen, der jetzt kommt. Der Idealismus ist die Hoffnung, dass wir mit gleicher Präzision wie wir mathematische Erkenntnisse festhalten, vielleicht auch Gesetze von Gerechtigkeit, von Liebe, von Freundschaft oder anderen Dingen erfassen können.
K. T.:
Könntest du denn ein Beispiel nennen für dieses Ideal, die der wahren Liebe vorausgeht, wie es Platon meint?
M. T.:
Vorausgeht? Ich könnte vielleicht mal versuchen, eine nette, ein Beispiel zu konstruieren, wie man zur wahren Liebe aufsteigt. Ja, vielleicht ein bisschen macht. Okay, wir stellen uns Peter und Petra vor und Petra liebt Peter. So, Warum liebt sie ihn? Weil Peter einen schönen Körper hat. Und den findet sie anziehend, weil sie Anteil am Schönen haben möchte und in dem sie Zugang zu diesem schönen Körper hat, hat sie Anteil.
Schön. So, nun nimmt Peter Petra mit ins Freibad und Petra sagt Hoppla, da gibt es aber eine Menge schöner Körper. Und Petra wird darauf Liebhaberin der schönen Körper an sich. Und das macht sie auch sehr intensiv. Vergisst Peter eine Weile. Aber bei diesem ganzen Hin und Her, was nach Plato und vor allen Dingen in der Jugend stattfindet, trifft sie Peter dann wieder und es kommt der nächste Schritt.
Sie liegen zusammen im Bett und Petra stellt fest Hoppla! Peter spricht, und zwar ganze Sätze. Und die sind sogar klug.
K. T.:
Also er hat nicht nur einen schönen Körper, sondern kann auch reden.
M. T.:
Er kann auch reden. Oder mit anderen Worten, er hat eine schöne Seele. So heißt es dann in der Erzählung bei Platon. Und Petra wird Liebhaberin der einen schönen Seele. Peter macht aber seinen nächsten Fehler. Sie spricht ihn darauf an Mensch, warum redest du denn so klug? Und er sagt Komm doch mal mit zu diesen Diskussionsveranstaltung, da gehe ich gerne hin oder in dieses Bildungszentrum.
Petra kommt mit und sagt Hui, es gibt ganz viele schöne Seelen und wird Liebhaberin der vielen schönen Seelen. Während sie sich weiter beschäftigt, stellt aber Petra sich irgendwann die Frage Was macht eine Seele eigentlich schön? Also was ist das Gemeinsame dieser vielen schönen Seelen? Und sie kommt zu der Idee, dass sie sagt Eine schöne Seele ist entweder klug oder gerecht, oder sie ist beides klug und gerecht.
Und sie wird Liebhaberin der Weisheit, also der Klugheit, in diesem Fall der Wissenschaft oder der Gerechtigkeit. Platon nennt das der Gesetze, also den Versuch, Gerechtigkeit herzustellen, und sie liebt plötzlich die wissenschaftliche Wahrheit, und sie liebt die Gerechtigkeit. Und sollte es ihr gelingen, noch eine Stufe, den Weg hochzuklettern, dann würde sie die Ursache, die Essenz, das Wesen, die Idee der Gerechtigkeit und der Wahrheit selbst verstehen.
Platon hat keine genauen Begriffe dafür, weil er es nicht beschreiben kann. Deswegen nennt er das dann die Idee. Und das wäre ein absolutes Glücks Erlebnis und das wäre der Aufstieg zur wahren platonischen Liebe.
K. T.:
Spannend, spannend, der platonischen Liebe. Möchte ich nachher noch einmal kommen. Kann ich in dem Zusammenhang auch diese sogenannten Zwei Welten Theorie verwenden, in dem Platon ja sagt okay, hier ist es ideal, da ist die Realität. Und je näher ich in der Realität an das Ideal herankomme, desto rauschhaft wird es. Hast du zumindest so geschrieben?
M. T.:
Ich würde sagen, es wird umso glücklicher. Rauschhaft ist es, der Moment der Erkenntnis. Man könnte es auch so sagen Die alten Griechen haben zu Recht die Entdeckung mathematischer Gesetze in rauschenden Partys gefeiert. In wilden, orgiastischen Festen, weil sie sich dem Göttlichen und dem Wahren nahe fühlten oder meinten. Und das ist ja auch gar nicht so ganz falsch. Also diese Definition des Kreises, die wir Hirten hatten, die ist wahr.
Und sie war, war, bevor wir da waren. Und sie wird noch wahr sein, wenn wir schon wieder weg sind. Also das könnte man durchaus göttlich nennen. Tipp an alle Mathematiklehrerin da draußen Also wenn man solche Gesetze verinnerlicht mit den Schülern würde ich meine Party feiern, weil das eben so toll ist. So, wie ist das super. Wie gehört das zur Ideenlehre?
Na ja, wir hatten ja schon gesagt, mathematische Gesetze sind gute Beispiele für Ideen. Und diese Vorstellung von Petra Ich habe das Prinzip Ich habe den Schlüssel, die Definition, ja, die Idee verstanden, was eine Seele schön macht. Was Gerechtigkeit ausmacht. Das muss dann auch etwas sein, was vor mir schon existiert hat, während mir existiert. Und wenn ich weg bin, auch schon noch immer weiter existieren wird.
Und das ist sind diese zwei Welten. Die Ideen sind ewig und unveränderlich. Sie sind immer da, sind auch perfekt. Man kann eine Idee nicht wegnehmen oder hinzufügen ist einfach da. Bei den mathematischen Definitionen am leichtesten zu denken, auch wenn es nur kleine Haken gibt und alles andere wie zum Beispiel wir sind ja unperfekt und vergänglich, leiblich, physisch. Und so weiter.
Wir können also immer nur in einer Annäherung zu den Ideen leben, haben aber einen Zugang, und das ist unsere Vernunft. Die Vernunft ist in der Lage, Ideen zu erkennen. Nicht alle, aber hin und wieder gelingt es Umkehr.
K. T.:
Die Vernunft ist in der Lage, die Ideen zu erkennen. Aber das würde ja heißen nach Platon, dass wir nicht nur Menschen lieben können.
M. T.:
Das stimmt. Die der höchste Schritt, den wir auch gerade bei Petra hatten. Petra liebt nachher das Prinzip der Gerechtigkeit. Sie liebt das Prinzip der Wahrheit und der Wissenschaften. Also sie ist immer weiter hinauf geklettert und hat sich immer mehr von dem konkreten Physischen entfernt. Sie hat angefangen mit Peters Körper und ist später beim Prinzip der des Gerechten, der Wahrheit, ja, bei der Idee des Richtigen.
K. T.:
Platons Ideal der wahren Liebe. Ich muss jetzt noch mal kurz nachdenken. Kann es vielleicht jetzt noch mal Wir sind jetzt ein bisschen weit gegriffen. Ist es vielleicht in wenigen Sätzen noch mal zusammenfassen Was ist Platons Ideal der wahren Liebe?
M. T.:
Es ist die, die oder ist es die Liebe zur Idee des Gerechten, des Schönen und des Wahren?
K. T.:
Das klingt toll.
M. T.:
Ja, das ist auch der Idealismus bei Platon. Also ein Idealist im platonischen Duktus ist jemand, der an die Einheit des Guten, Schönen und Gerechten glaubt. Also das Gute ist immer auch gerecht und schön. Das Schöne ist immer gerecht und wahr, und das Wahre ist gut und schön. Also das fällt in sich zusammen. Das kann man natürlich instruieren. Aber dieser platonische Idealismus würde sagen, da fällt es in sich zusammen.
Und der zweite Teil des Idealismus ist Wir sind, wenn nicht in Gänze, doch zumindest in Teilen dazu in Lage, einige Bausteine dieses Ewigen zu erkennen, festzuhalten. Und das weist ja dann auch über unsere eigene Vergänglichkeit hinaus.
K. T.:
Ich müsste es aber noch mal in die Gegenwart kommen. Wir hatten ja am Anfang darüber geredet, dass Liebe auch einseitig sein kann und Liebe ist ja dann oft einseitig, wenn der andere die Liebe nicht erwidert. Und oft ist es dann so, so vermeinen wir zu denken. Der andere ist böse und deswegen erwidert er unsere Liebe nicht. Bzw ist es ja oft so, dass Enttäuschung in der Liebe mit ja vielleicht nicht dem Guten, Edlen und Tugendhaften zusammenpassen.
M. T.:
Ja, ich versuche mal eine Bindung, eine Brücke zu Platon zu schlagen. Also Platon würde natürlich sagen ich Platon habe nicht behauptet, dass sämtliche Phänomene, die ihr so als Liebe empfindet, liebe Menschen, meinem Ideal gerecht werden. Wahrscheinlich werden aber alle zumindest Anteile daran haben. Also auf der untersten Stufe. Jeder Körper ist einfach schön, deswegen will man daran partizipieren.
K. T.:
Und ganz.
M. T.:
Gut andere Brücke. Vielleicht kann ich das mit der Diotima kurz erklären, die sowieso eine spannende Figur in diesem berühmten Symposion bei Platon taucht. Diotima auf und die sind doppelt spannend. Also die meisten Dialogpartner von Sokrates in den platonischen Dialogen sind unheimlich langweilig, weil sie eigentlich nur sagen Ja, Sokrates, beim Zeus, so, Sokrates, natürlich hast du recht, Sokrates Und so weiter.
Und Diotima hat nun zweierlei Erstens ist Diotima eine Frau, was Platons Position als Universalisten noch mal verdeutlicht. Platon hat ja auch bei dem berühmten Stelle, wo er gesagt hat Alle die Könige müssen Philosophen werden, also der Philosophen König, auf die Frage geantwortet Kann das auch eine Frau sein? Hat er gesagt. Selbstverständlich kann er seine Frau sein. Super Sohn.
Also das ist noch mal der zweite Beweis. Ist Diotima, Denn jetzt kommt die zweite Eigenschaft von Diotima. Diotima gehört zu den wenigen Dialogpartner des Sokrates, wo sich der Dialog umdreht. Das ist der junge Sokrates. Also er berichtet von seiner Jugend und wie Diotima ihn belehrt hat, und die Lothar ist dann diejenige, die die Definition der Liebe bringt. Darf ich die noch?
K. T.:
Ja.
M. T.:
Also, Diotima würde sagen Ja, lieber Sokrates, überleg dir doch mal, warum Menschen lieben. Und dann geht es ein bisschen hin und her. Dann gibt es den ersten Vorschlag. Ja, das liegt daran, dass man Anteil am Schönen haben will. Man begehrt das Schöne, weil man Anteil daran haben will, wenn man daran partizipieren. Das heißt nicht so einen besitzen, verbrauchen, aber man möchte es haben.
Also so wie man eine schöne Vase gerne hat, im Besitz hat, weil man dann an dieser Schönheit partizipieren kann, die ist um ein So ist das mit Peter und Petra auch mit seinem schönen Körper. So, dann ist die Frage Wie schaffe ich es, daran zu partizipieren? Langfristig, weil ich ja Anteil am göttlichen haben will? Und die Antwort der Diotima ist Zeugen Wir haben Anteil am Schönen, in dem wir in anderer das Schöne zeugen oder in dem andere in uns das Schöne zurück.
K. T.:
Das klingt ja toll.
M. T.:
Ja, und das also das muss man sich nicht leiblich vorstellen, kann man sich leiblich vorstellen. Wir kriegen zusammen ein schönes Kind, Dann haben wir das Schöne gezeugt und merken irgendwie auch es geht ja auch ein bisschen über unsere eigene Vergänglichkeit hinaus. Da ist was uns soweit, was schön ist in der Welt. Jetzt denken wir das noch mal weiter diesem Kind.
Das hat nicht nur einen schönen Leib, sondern dem werden schöne Ideen. Und bei Platon ist schön immer auch gerecht gerechte Ideen eingepflanzt. Er oder sie wird Trägerin von Gerechtigkeit und dem Wahren. Mit anderen Worten sie wird ein guter Mensch.
K. T.:
Da muss ich gleich mal einhaken. Ich sitze gerade, überlegt, meine Gedanken nebenbei waren irgendwie okay. Deswegen ist Liebe bzw alles was wir darunter verstehen, auch mit Schönheit immer verbunden. Gleichzeitig ist mir eingefallen, es gibt ja auch zwei schöne Menschen, die vielleicht Kinder bekommen, die nicht so schön sind oder die vielleicht beeinträchtigt sind. Wird es denn bei Platon aufgehoben, weil er das Schöne immer mit dem Gerechten verbindet?
M. T.:
Ich würde zunächst einmal Platon würde antworten Das eine spielt sich auf der untersten Stufe ab, die schönen Körper, die sich da begegnen. Dann würde Platon sagen Na ja, also nehmen wir mal zwei Menschen, die visuell hässlich sind. Die könnten aber eine viel höhere Stufe des des Guten und Gerechten erreichen, indem sie gute Menschen in diese Welt bringen. Das ist auch dieses Bild, der typische Aufstieg, den wir eben bei Peter und Petra gehabt haben.
Es wird immer mehr vergeistigt, was nicht bedeutet, dass die anderen Stufen schlecht sind. Sie sind nur nicht so viel wert wie die höheren. Eine Erkenntnis, die ich habe, die gut und ewig ist, die bleibt sogar über meinen Tod. Richtig. Ich kann alt werden, ich kann hässlich werden, ich kann ganz, ganz vieles. Aber ich bin im Besitz dieser Idee.
Ich partizipiert am Unvergänglichen. Wenn ich nur einen schönen Körper habe, ja dann herzlichen Glückwunsch. Ist auch schön, Aber das ist es dann auch.
K. T.:
Aber klingt das nicht auch alles ein bisschen naiv? War Platon da vielleicht nicht auch ein bisschen ein naiver Idealist?
M. T.:
Ich würde es anders sagen Man kann den Platonismus als naiven Idealismus lesen. Wenn man aber Platon Gerechtigkeit angedeihen lässt, dann muss man auch die Dialoge lesen, wo er sich selbst über sich lustig macht. Und dann wird deutlich, dass vieles, was uns heute naiv erscheint, auch an Mangel an Begriffen liegt. Er musste von Ideen sprechen, weil er noch wenige Möglichkeiten hatte, so ewige Prinzipien zu fassen.
Wenn man sagt, es geht eigentlich um die letzten Entitäten unserer Sprache, dann ist Platon plötzlich eher bei Wittgenstein als bei so einer naiven Ideenlehre. Also das heißt, hier ist jemand, der erstmals in die Geschichte der Menschheit das Prinzip der Objektivität einflicht. Das übrigens der Grund, weswegen Whitehead gesagt hat Die gesamte Geschichte des Abendlands besteht aus Fußnoten zu Platon.
Er ist da nicht mehr. Das ist eine totale Übertreibung. Aber wenn man ihm Gerechtigkeit, dann ist hier jemand, der um das Prinzip der Objektivität weiß. Er hat es entdeckt, er hat es verstanden, dass es existiert. Aber noch nicht die Begriffe hat, es sauber zu fassen.
K. T.:
Okay, wenn ich jetzt ein ganzes. Ähm, will ich. Wie soll ich jetzt sagen, wenn ich jetzt aus unserem Verständnis zuspitzt, würde ich sagen Aber Objektivität ist doch genau das Gegenteil von subjektiver Liebe.
M. T.:
Ja, von es genau das Gegenteil von subjektiver Liebe, weswegen Platon sagt, die die höheren Stufen der platonischen Liebe sind. Ja, genau die Überwindung dieser Subjektivität. Peter liebt Peter, weil sie ihn subjektiv begehrenswert findet. Und ja, da muss so eine Rest Objektivität irgendwo muss dieser Körper an einem Schönen, am objektiv Schönen, an der Idee des Schönen irgendwie partizipieren. Auf welche Weise, aus welchem Blickwinkel, das ist Petra überlassen.
So, wenn sie später, sollte sie so weit kommen, die Prinzipien des Guten, Schönen und Gerechten definieren zu können, dann ist sie auf einer Stufe, die jeder Mensch, jedes vernunftbegabte Wesen verstehen muss.
K. T.:
Aber ich muss jetzt noch mal nachfragen Wird er liebe ich. Das ist alles verständlich, wenn ich sagen in dieser Tugendhaftigkeit immer ein Stück weiter nach oben gehe. Wird Liebe dann nicht zu verkopft? Oder wandert dann Liebe vielleicht nicht zu sehr vom Gefühl in den Verstand?
M. T.:
Ja und nein. Also zunächst einmal wandert sie in den Verstand. Ja, das ist ja das Konzept der platonischen Liebe. Die platonische Liebe bedeutet, dass zunehmend die Vernunft das geistige Zugang zum Ewigen erarbeitet. Und das, was sie dort findet, ist liebenswert. Übrigens berauschend. Auch das ist nicht nur so trockener, dröger Koran, sondern es ist wirklich berauschend, wunderbar Anamnese. Es ist wieder Erkenntnis des ewigen.
Das Zweite ist aber das ist ein Missverständnis, was vielleicht auch so ein bisschen christliche Tradition offenbart und Abwertendes. Das Leibliche, die Lust an der Sexualität hat Platon niemals verneint. Das existiert alles weiter und darf weiter existieren. Das wird nicht schlecht geredet, das ist wunderbar, das sollte man ruhig machen, aber das andere ist mehr wert. Er hat es. Deswegen hat er die ersten Stufen aber nicht negativ konnotiert.
K. T.:
Okay, das ist nachvollziehbar. Was für mich jetzt allerdings nicht nachvollziehbar ist. Wir sprechen ja immer von platonischer Liebe. Und obwohl, wenn ich es jetzt überlege, passt es ja dann wieder. Wir sprechen ja von platonischer Liebe, was ja letztlich in unserem Verständnis heute meint Es gibt kein Sex oder es ist eine Beziehung ohne Sex. Wie passt das mit der Leidenschaft zusammen?
K. T.:
Beziehungsweise ist denn damit das gemeint, dass sozusagen Sex auf einer niedrigeren Ebene steht als sozusagen die höhere Betrachtung?
M. T.:
Also wenn ich, wenn ich es richtig verstanden habe, hat es einfach einen Begriff Wandel gegeben. Und heute sagen wir platonisch, wenn wir mehr oder weniger sagen wollen, da ist nichts mehr los. Deswegen ist es dann eine platonische Liebe, oder wir wollen ja Freundschaftsbeziehungen beschreiben oder ähnliches, aber das ist nicht das, was ursprünglich Platon damit meinte. Platon.
K. T.:
Wir haben also hier ein Missverständnis.
M. T.:
Oder man hat eigentlich Raubbau, oder man hat Piraterie an einem Begriff in Gang. Die platonische Liebe ist die Liebe zu den Ideen oder ist das Ringen und das Aufsteigen zu den ewigen Ideen. Wie weit man kommt, muss man eben sehen. Was aber nicht bedeutet, dass es auf den unteren Stufen nicht Leidenschaft und Sexualität geben darf. Man eine Anekdote dazu.
K. T.:
Und.
M. T.:
Platon erzählt in einem Dialog davon, wie Alkibiades, der schöne Jüngling, versucht, Sokrates zu verführen, und dann erzählt er, dass er so und sagt Ja, denn war, ich bin erst mal mit im Ring und dann haben wir uns eingeölt, und dann haben wir miteinander gerungen, und da ist immer noch nichts passiert. Und dann haben wir nachts am Feuer am Lagerfeuer gelegen, dass auch nichts passiert und dann habe ich mich zu ihm gelegt und er mich am nächsten Morgen aufgewacht, als hätte ich neben meinem Vater oder meinem Bruder gelegen.
Und der ist dann auch ein bisschen beleidigt, weil Alkibiades der Star ist und das ist dieser hässliche Steinmetz. Und dann fragt Warum ist das so? Und Sokrates antwortet Ja, ich hatte ja auch einen schlechten Tausch gemacht. Du glaubst, dass man Schönheit des Körpers gegen Weisheit der Seele tauschen kann. Nur weil du schön bist, nimmst du dir das Recht heraus, dass ich dich dann sofort partizipieren lasse an meinen Erkenntnissen, dass ein unfairer Tausch okay ist.
K. T.:
Auch die Sichtweise.
M. T.:
Genau.
K. T.:
Okay, dann noch mal zu deiner Geschichte zu kommen. Dann hat er alles aufgeboten und ist eigentlich nicht zum Erfolg gekommen, wie er sich das gewünscht hat oder wie es erzählt wird, dass er sich das gewünscht hat. Und weil da eben dieser Geschlechtsakt nicht vollführt wurde. Sprechen wir denn heute? Oder ist vielleicht dieses Missverständnis entstanden?
M. T.:
Das wäre eine Möglichkeit. Aber es kann schlichtweg sein, dass die Macht Konstruktionen der nachfolgenden Jahrhunderte und Jahrtausende christlich geprägt waren und die hatten eh ein negatives Bild von Geschlechtlichkeit. Darüber haben wir ja schon gesprochen. Und dann war es nur passend, Platon zu benutzen und nicht ehrlich mit ihm umzugehen, sondern manipulativ.
K. T.:
Das ist ja ein bisschen gemein. Du hattest es aber vorhin schon erwähnt, dass Platon mit dem Ideal der wahren Liebe einen riesigen Einfluss hatte bzw auch noch heute hat. Kannst du vielleicht noch mal ganz kurz zusammenfassen Wie sieht die Wirkung Platons bis heute und bis in die Gegenwart aus?
M. T.:
Vielleicht kann ich es wieder an einer Geschichte, also im Symposion gibt es also erst mal muss man sich das Symposium vorstellen. Das ist nicht so eine trockene Tagung, sondern da sitzen diese Seher dem Wein zusprechen in der Gesellschaft in einem fast Dionysos ähnlichen Kult zusammen. Und wer genau liest, weiß, dass man das die schon am dritten Tag der Feier sind und es an diesem Tag etwas ruhiger angehen lassen wollen.
Wir, die anderen schon sehr.
K. T.:
Mitgenommen sind.
M. T.:
Mitgenommen worden. So, und deswegen spricht man mal eben über die Idee der Liebe. Das erste, das Spannende ist der Dreischritt Die ersten, die da erzählen, sind diejenigen, die den klassischen Mythos nur interpretieren. Die erzählen also was über Eros und über Aphrodite und wie das so ist und wie man die zu verstehen hat. Eigentlich sind die noch genau Mythos München hinterher reden.
Und dann kommt Aristophanes, der Komödien Dichter. Und der erzählt seine eigene Geschichte, der erfindet schon eine eigene Geschichte, zu der gleich kommt.
K. T.:
Was jetzt?
M. T.:
Ja, ja, genau. Aber vorher. Der dritte Schritt ist dann Sokrates, der dann von seinem seiner Diskussion, seiner wissenschaftlichen Diskussion mit Diotima berichtet. Das heißt also, wir haben Mythos selbst erfundenen Mythos, eigentlich schon Übergang zum Logos Logos selbst an einem Abend im Brennglas. So, und jetzt erzähle von Google.
K. T.:
Ja.
M. T.:
Also die ist einfach so wunderschön.
K. T.:
Also wenn man so wäre.
M. T.:
Ja, und es ist auch ein bisschen Komödien, Dichter, der das die erzählt, also immer mit einem Augenzwinkern. Man stelle sich bitte den Menschen vor, wie er ursprünglich war, so Aristophanes. Und das war ein Kugel Wesen mit vier Armen, vier Beinen. Und wenn es mal richtig schnell gehen sollte, dann haben wir uns schlagen vor, bewegen, voran bewegt und wir waren sehr mächtig.
Wir waren, weil wir eben so stark waren, weil wir so schnell waren, waren wir so mächtig, dass wir irgendwann die Hybris begangen haben, den Olymp anzugreifen, was Zeus sehr erzürnte. Und dann hat Zeus uns in der Mitte durchgeschnitten und gesagt Das habt ihr jetzt davon und dann verblutet ihr.
K. T.:
Was bisschen gemein, das ist.
M. T.:
Ein bisschen gemein. Aber zum Glück ist Apoll gekommen als erster plastischer Chirurg der Menschheitsgeschichte uns zusammen geknotet. Deswegen haben wir allen Bauchnabel. Da ist nämlich sozusagen die OP Narbe. So, und damit hat man gesagt gut, Strafe genug, wir sollen weiterleben. Was ist aber passiert? Und jetzt kommt die Romantik. Wir haben alle unsere Beine, wir haben unsere zweite Hälfte gesucht, haben, wenn wir sie gefunden haben, uns umschlungen in der Sehnsucht nach der alten Vollkommenheit und sind in dieser Umklammerung gestorben, weil wir uns nicht voneinander lösen können.
Nur mal so ein bisschen, wie wirkungsmächtig dieses Bild ist. Ein Ehepartner stellt man heute als seine bessere Hälfte vor. Der Glöckner von Notre Ban beginnt damit, dass zwei Skelette gefunden werden in den Katakomben von Paris, die ihn umschlingen, miteinander gestorben sind und, und und. Diese Romantik lebt.
K. T.:
Das ist sehr romantisch.
M. T.:
Aber die Geschichte geht trotzdem noch weiter. Die typisch griechische Götter, die ärgern sich, die sterben ja alle die Menschen und bietet uns ja keiner mehr an und wir kriegen auch keine Opfergaben mehr. Das irgendwie schlecht müssen wir uns wieder was Kluges einfallen lassen. Und Apoll ist ja sehr klug und er sagt Menschen verlegen die Geschlechtsorgane nach außen, denn vorher waren die in und je Menschen haben in sich selbst gezeugt.
So, und danach ist es möglich, dass sich die getrennten Hälften wenigstens zeitweise im Geschlechtsakt zur alten Symbiose, zur alten Vollkommenheit vereinen können. Daraus können sie so viel Kraft schöpfen, dass sie dann wieder gewachsen sind, dem Alltag zu begegnen und ihr Leben zu leben. Schöner Zusatz dazu ist Es gab drei Geschlechter im ursprünglichen Kugel Zustand. Es gab Kugeln Kugel Menschen die zwei Männer waren.
Es gab Kugeln, Menschen die zwei Frauen waren und es gab heterosexuelle. Und wenn man jetzt geteilt wird, heißt das nicht, dass man eine heterosexuelle Hälfte sucht. Man kann auch eine gleichgeschlechtliche Hälfte suchen. Und noch besser diese Vereinigung zur alten Vollkommenheit muss nicht die eine Hälfte sein. Es ist eigentlich mit fast jeder hilft möglich, sofern das im Guten und im Schönen und im Gerechten passiert.
Und dann ist es wunderbar.
K. T.:
Weil merk dir deine Begeisterung. Das ist wirklich eine sehr schöne Geschichte. Diese Kugel hatte ich schon mehrmals erwähnt in den ganzen Folgen.
M. T.:
Sie steckt ja auch voller Toleranz, das darf man ja auch nicht vergessen. Also für die Neigung, für die Vereinigung und und und. Bei Platon geht ja immer die da in diesem Schritt weiter. Dann kommt das Gespräch mit der Diotima, die eigentlich platonische Liebe ist sozusagen dann noch den Schritt weiter, die trennt sich ja von diesem Geschlechtsakt orientierten Vereinigung Prinzip, sondern sagt nachher vereinigt man sich mit etwas Abstraktem, nämlich mit der Idee des Guten, Schönen und Gerechten, zumindest in den höchsten Stufen.
Was aber so ein Prinzip bleibt, ist die Sehnsucht nach Vollkommenheit. Diesen beiden Geschichten drin. Der Kugel Mensch war vollkommen und ist jetzt konfrontiert mit seiner unüberwindbaren Individualität, die uns ja bis heute in der Psychoanalyse beschäftigt. Also wir werden geboren, wir leben und wir sterben allein und die Subjektivität lässt sich nicht überwinden. Deswegen diese Hoffnung auf Vereinigung. Und bei Platon geht es ein bisschen weiter.
Wir möchten so gerne am Ewigen partizipieren, und das können wir durch Erkenntnis.
K. T.:
Jetzt muss ich mal provokativ fragen Gibt es denn bei den Kugel wäre klar okay, die Vollkommenheit ist erreicht, wenn das Kugel Wesen wieder zusammen ist. Beide Erkenntnis. Gibt es da eine Grenzen Grenze der Vollkommenheit oder ist es beliebig nach oben zu erweitern?
M. T.:
Nein, wenn man erst mal absolute Erkenntnis gefunden hat, dann lässt sich nicht mehr toppen. Also sollte es dem Menschen gelingen und hier sind wir immer sehr Konjunktive ist es eine Idee zu erkennen, dann hat er etwas Ewiges, Vollkommenes und nicht mehr zu verbessern. Alles erkannt. Das ist ja gerade das Rauschhafte, das Faszinierende.
K. T.:
Aber woran erkennen wir dann, dass es diese Idee ist?
M. T.:
Dann bleiben wir mal bei mathematischen Gesetzen. Es ist ja in irgendeiner Weise vorstellbar, dass man die Definition des Kreises toppen könnte. Mehr Kreis.
K. T.:
Wie Jein. Man weiß es ja noch nicht. Also die Frage ist ja, wenn wir immer sicher sein würden, das ist jetzt das Ende der Erkenntnis ist, dann wird es ja nie weiter ein weiteres Streben nach Erkenntnis geben.
M. T.:
Ja, aber das passiert ja immer genau dann, wenn wir nur das Gefühl haben würde, So würde Platon anfangen, wenn wir nur dicht dran sind. Wir haben es immer noch nicht genau getroffen. Es gibt noch Schwierigkeiten, es hakt noch. Das ist ja das Prinzip des Forschens an sich. Es gibt objektive Erkenntnis Werden wir reichen sie nur ganz, ganz selten.
Und wir merken aber, dass wir uns dem annähern, wenn Widersprüche reduziert werden, wenn Prognosen möglich sind und so Im Endeffekt ist das schon wissenschaftliches Arbeiten in Reinkultur. Aber erst dann, wenn wir etwas gefunden haben, was über jegliche Falsifikation, also Infragestellung und Revision erhaben ist, dann würden wir sagen, jetzt ist eine Idee gefunden worden im platonischen Sinn.
K. T.:
Okay, die Idee bei Platon ich möchte jetzt mal nach eine ganz einfache Frage stellen War Platon eigentlich verheiratet?
M. T.:
Nein, war nicht.
K. T.:
Okay. Also Platon hat ganz viel über Liebe sich ausgedacht bzw eruiert und war aber eigentlich gar nicht verheiratet.
M. T.:
Ja, aber seine Erfahrungen könnten ja auch außerhalb von der Ehe stattgefunden haben. Also tatsächlich ist Platon wir wissen ziemlich wenig über so etwas wie leidenschaftliche Beziehungen und es könnte sein, dass Platon tatsächlich hauptsächlich mit seiner Philosophie glücklich war, er trotzdem ein sehr spannendes Leben geführt also von Abenteuerreisen, von Entführungen bis hin zur wissenschaftlichen Karriere, ist alles dabei. Und er ist mit 80 Jahren nach der rauschenden Hochzeitsfeier einer seiner Schüler gestorben.
K. T.:
Oh, das klingt aber eigentlich nach einem sehr, sehr schönen Abschied, möchte ich mal sagen. Ja, Marcus, vielen, vielen Dank. Das war eine spannende dritte Folge über Platons Ideal der wahren Liebe. Das nächste Mal machen wir mit Freundschaft weiter. Und zwar reden wir über Aristoteles und sein Freundschafts Begriff. Ich danke dir für die schöne Folge.
M. T.:
Ich danke dir.
K. T.:
Und wünsche dir einen schönen Tag noch und euch allen auch und hoffe, wir hören uns bald wieder. Tschüss!
(Outro)
Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germeroth, Technik: Birgit Nockenberg. Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
(Outro Ende)
Folge 2: Der lange Arm des Mythos – zur Bewertung von Lust, Leib und Weiblichkeit
Der griechisch-römische Mythos und das Christentum prägen bis heute die abendländischen Vorstellungen von Liebe, Freundschaft und Sexualität. Was sind die zentralen Motive und Wertvorstellungen dieser Traditionen? Wieso ist die eine lust- und leibfreundlich, während die andere Leib, Lust und Weiblichkeit tendenziell als sündhaft diskreditiert? Welche wunderbaren und welche problematischen Konsequenzen erwachsen bis heute aus diesen Traditionen?
00:00:09:07 - 00:01:51:18
Katrin Tominski:
Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski.
Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft, selbst. Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt? Wie wird Sex bewertet und praktiziert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust?
Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen. Von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden. Herzlich willkommen bei der zweiten Folge unseres Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie.
Ich begrüße Markus Tiedemann. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden. Hallo Markus, Schön, dass du wieder da bist.
00:01:51:21 - 00:01:52:20
Markus Tiedemann:
Hallo! Ich grüße dich.
00:01:53:07 - 00:02:15:18
Katrin Tominski:
Ja, Markus. Wir haben uns jetzt hier wieder zusammen gefunden. Heute geht es um die zweite Folge unseres Podcasts. Unser Thema heute ist der lange Arm des Mythos zur Bewertung von Lust, Leib und Weiblichkeit. Markus Hier wirft sich mir gleich die erste Frage auf Was haben Mythen denn mit Liebe, Sex und Freundschaft zu tun?
00:02:16:05 - 00:02:39:15
Markus Tiedemann::
Na ja, Mythen stehen für die großen Narrative der Kulturen, also für Religion, für Sagen, für Helden, Erzählungen, für Märchen und und und. Und durch diese Überlieferung und durch die explizite Erziehung wird natürlich unser Bild vom Menschen und seinen wesentlichen Eigenschaften geprägt. Und dazu gehören Liebe, Freundschaft und Sexualität.
00:02:39:21 - 00:02:45:09
Katrin Tominski:
Du sprichst von Mythen, aber auch von Logos, also von Mythos und Logos. Warum? Warum diese beiden?
00:02:46:07 - 00:04:01:15
Markus Tiedemann::
Also Mythos und Logos. Das ist eine große Unterscheidung in der Philosophie. Zu viel der Ehre, die geht nicht auf mich zurück, sondern da müssten dann eher so Karl Jaspers oder Arno Schmidt genannt werden. Die große Unterscheidung kann man vielleicht auf drei Ebenen machen Kneife mich, wenn ich es mache. Die erste Unterscheidung ist eine philologische. Also Mythos kommt von Mühlen und heißt so viel wie ein geweiht werden oder wiederholen. Man könnte das auch so ein bisschen provokativ mit Nachreden nacherzählen übersetzen. Und Logos kommt von lege ein und das ist selbst reden oder Selbstdenken. Und da ist schon der entscheidende Unterschied. Das eine ist also Reproduktion dessen, was mir vorgegeben ist und das andere ist selbst drüber nachdenken, eigene Erklärung finden. Die zweite Unterscheidung zwischen Mythos und Logos sind ihre Ausdrucksweisen. Also Ernst Cassirer würde sagen Der Mensch ist das Symbol des Wesen, das symbolisieren Wesen. Wir scheinen das einzige Wesen zu sein, das wir kennen, das sich nicht nur in der Welt verhält, sondern auch zur Welt. Also wir gehen nicht nur jagen, sondern wir malen die Jagd auf Höhlen, Wände. Das heißt also, wir symbolisieren. Und es gibt eigentlich zwei Arten von Symbolisierung.
00:04:01:23 - 00:04:49:00
Markus Tiedemann::
Das eine ist diskursiv und das anderes präsenter. Tief diskursiv ist alles, was so in Richtung Ikonische geht, also Bilder, aber auch Sprachbilder. Und das Diskursive findet seine strengste Ausprägung in der Logik, in der formalen Wissenschaft. Und das bringt zwei Ausdrucksweisen hervor das eine ist etwas, was zwar erklärend wirkt, formal logisch, aber nicht erklärend ist. Also wenn ich jetzt behaupte, durch unser Gespräch weht der Geist der Freundschaft, dann fühlst du dich hoffentlich geschmeichelt. Ich mich in jedem Fall auch. Aber wir können das nicht als richtig oder falsch überprüfen, in keinster Weise. Wenn ich aber sage Aristoteles hat die Idee des Kugel Menschen, auf den wir hoffentlich noch zu sprechen kommen.
00:04:49:08 - 00:04:50:02
Katrin Tominski:
Auf alle Fälle.
00:04:50:08 - 00:05:13:23
Markus Tiedemann::
Die hat er erfunden. Dann kannst du das nachschlagen und sagen Markus, das ist falsch. Das heißt, das eine hat also ein Wahrheitsanspruch, der auch überprüfbar ist, und der andere hat eigentlich einen Anspruch. Dem muss man Glauben schenken und das eines Mythos, das anders logos. So kommen wir auch gleich zur dritten Unterscheidung. Und die dritte Unterscheidung ist kulturhistorisch. Karl Jaspers hat von der Achsenzeit gesprochen.
00:05:13:23 - 00:05:43:14
Markus Tiedemann::
Tatsächlich ist es erstaunlich spannend, irgendwo zwischen 800 und, naja, ich sage jetzt mal 300 vor Christus findet fast überall auf der Welt so ein Verdichtung prozess von Erklärung statt und die Religionen verdichten sich zu System. Also der Buddhismus entsteht, Konfuzius und Laotse sind unterwegs, im Judentum sind die Propheten unterwegs und und und. In Griechenland ist Homer hat den griechischen Pantheon zu einer geschlossenen Geschichte gemacht und weil.
00:05:43:14 - 00:05:45:02
Katrin Tominski:
So richtig was los 300 v.Chr.
00:05:45:06 - 00:06:07:20
Markus Tiedemann::
Ja, richtig spannend in dieser Zeit. Und das Erstaunliche ist, ohne dass diese Kulturen großen Kontakt zueinander gehabt haben auf jeden Fall wissen wir so gut wie nichts darüber, dass schon erstaunlich. Aber in Griechenland und jetzt kommt's geht die Menschheit einen Schritt weiter und dieser Schritt ist die Erfindung des Logos, und zwar die Unterscheidung zwischen bloßem Mein und Wissen.
00:06:08:17 - 00:06:33:15
Markus Tiedemann::
Wir haben sogar die Geburtsurkunde, das ist Platons tz. Da steht drin, es gibt Doxa, das ist das bloße Meinen, und es gibt Episteme, das ist wahre, begründete Überzeugung. Und wahre begründete Überzeugung muss beweisbar sein. Das ist die Erfindung der Objektivität. Und plötzlich geht es nicht mehr nur darum, Recht zu bekommen, dass eine Machtfrage, sondern im Recht zu sein, die Wahrheit richtig beschrieben zu haben.
00:06:33:16 - 00:06:37:15
Markus Tiedemann::
Und das ist der entscheidende Schritt. Und das ist der Weg vom Mythos zum Logos.
00:06:38:16 - 00:06:51:18
Katrin Tominski:
Das klingt alles ganz schön. Ich muss nur noch mal zurückfragen Warum ist das jetzt wichtig für die Liebe und die Freundschaft und die Sexualität? Geht es darum, Liebe nachzuweisen? Das geht ja nun gerade nicht, oder?
00:06:52:05 - 00:07:14:11
Markus Tiedemann::
Es geht um Mündigkeit, um Freiheit. Wenn ich um Logos und Episteme ringe, bin ich dir Rechenschaft schuldig. Du würdest sagen Markus Nee, für die Aussage möchte ich eine Begründung haben. Und wenn du die nicht leisten kannst, dann glaube ich dir nicht. Wenn ich zum Beispiel sage naja, Frauen haben folgende soziale Rolle und da gehören sie hin und das soll auch so sein.
00:07:14:11 - 00:07:31:12
Markus Tiedemann::
Dann würdest du sagen Moment, wie begründest du denn das? Und wenn du das nicht begründen kannst und folglich deine Argumentation nicht und ich kann mich nicht einfach auf den Mythos berufen sagen naja, das machen wir schon seit 2000 Jahren, so dass es naturalistischer Fehlschluss nur weil etwas schon immer so war, heißt es nicht, dass es so bleiben sollte.
00:07:31:21 - 00:07:41:20
Markus Tiedemann::
Will also sagen in allen Bereichen und dazu gehört auch Liebe, Freundschaft und Sexualität, hat die Orientierung am Logos etwas mit Mündigkeit und in letzter Instanz mit Freiheit zu tun?
00:07:42:15 - 00:08:03:00
Katrin Tominski:
Das klingt ganz toll. Trotzdem sagst du, dass die Mythen sehr wichtig sind, auch für die Herausbildung unseres Verständnisses von Liebe, Freundschaft und Sexualität. Du hast gerade mit Griechenland angefangen, ich will da noch mal hingehen. Was sind denn die großen Mythen, die in dieser Zeit präsent waren?
00:08:03:05 - 00:08:09:07
Markus Tiedemann::
Also ich würde vielleicht das so wenden Was sind die großen Mythen, die bis heute unsere Vorstellung prägen?
00:08:09:09 - 00:08:10:17
Katrin Tominski:
Ja, das ist natürlich noch spannender.
00:08:10:17 - 00:08:30:11
Markus Tiedemann::
Ja, denn das ist der Kern der Sache. Und da fängt das dann wieder auch von Mythen um, die man wissen muss, um sie vielleicht mal charmant lustig zu finden, um sie dort zu kultivieren, wo sie auch ihre Berechtigung haben, nämlich im Bereich der Fantasie, aber auch, um sich eventuell von ihm befreien zu können, um sich zu ihnen verhalten zu können.
00:08:30:11 - 00:08:48:01
Markus Tiedemann::
Und das sind diese beiden großen Mythen, die unseren Kultur Corridor geprägt haben. Das ist einerseits sind es die abrahamitische, der abrahamitische Mythos, also Judentum, Christentum und Islam. Und das andere ist der hellenische Pantheon, also das ist das Griechentum und das Römer tum mit all ihren Sagen und Vorstellungen.
00:08:49:03 - 00:08:53:04
Katrin Tominski:
Was bedeutet das konkret, also was ist der abrahamitische Mythos?
00:08:53:13 - 00:09:29:06
Markus Tiedemann::
Oder er ist natürlich sehr groß und beginnt mit der Vorstellung des Sündenfalls des Alten Testaments, der Torah und weiten Teilen des Islam. Und der andere Mythos gehört der gehört ist die griechische Pantheon, der Götterhimmel bis hin zum Sagen um Troja. Und so weiter dazu. Der entscheidende Unterschied ist, dass die eine Tradition relativ lieb lust freundlich ist, während die andere Tradition ein starkes Dreaming hin zur Liebe, lust und frauenfeindlich keit etabliert hat.
00:09:29:07 - 00:09:34:08
Katrin Tominski:
Bleiben wir mal beim griechischen Mythos. Warum ist er denn so Lust und Leid freudig?
00:09:34:10 - 00:10:03:24
Markus Tiedemann::
Na ja, gut, holzschnittartig könnte man sagen, dass ein Mensch des alten Lehnen tun gar nicht verstanden hätte, warum Liebe und Lust überhaupt etwas Schlechtes sein kann. Das hat mit mehreren Dingen zu tun. Das hat erst mal damit zu tun, dass der Mensch der Antike einen Götterhimmel als Erklärungs ansatz für vieles herangezogen hat, von dem er a wusste, dass er den nicht so ernst nehmen sollte.
00:10:03:24 - 00:10:44:13
Markus Tiedemann::
Die meisten Griechen wussten sehr wohl, dass das Anthropomorphismus men, also Vermenschlichung sind, denn die verhielten sich ja so wie wir auch. Und zum anderen einen Götterhimmel hatten, der ständig in lustvolle Affären verstrickt war, in Ehebruch, in Affäre 123. Das heißt, die Vorbilder, die man hatten, liebten das ja. Und das nächste, was dann kam, was es auch viel einfacher machte Körperlichkeit, Sexualität, positiv, normativ, nicht unter irgendwelchen Verdächtigungen, Kontexten zu sehen war, dass es so ein Bewusstsein für das, was Judith Butler Heteronormativität gibt, gar nicht gab.
00:10:45:01 - 00:11:09:22
Markus Tiedemann::
Der Grieche der damaligen Zeit hat sich als sexuelles Wesen verstanden und an welchen Objekten seine sexuelle Begierde sich festmacht, ob Männlein oder Weiblein, das war sekundär. Und nach seinem Verständnis übrigens auch gar nicht in seiner Macht. Denn wenn wir mal beim Mythos bleiben wir kennen alle die Story von Eros und seinen Pfeilen. Wenn ich mich in A verliebe, dann trifft mich doch keine Schuld, sondern mich traf ein Pfeil.
00:11:09:22 - 00:11:17:16
Markus Tiedemann::
Ich bin Opfer des Ränken Spiels, des Eros. Das heißt also, es lebe die Lust, es lebe der Körper und es lebe die Sexualität.
00:11:19:05 - 00:11:25:07
Katrin Tominski:
Wir kennen alle die Geschichte von Eros und seinem Pfeil. Vielleicht kennen Sie doch nicht alle. Willst du vielleicht noch mal kurz drauf eingehen?
00:11:25:08 - 00:11:53:00
Markus Tiedemann::
Ja. Also auf Eros. Geh ich immer gern ein. Iris ist also wirklich ein ganz. Darf ich ein bisschen größer ausholen? Also als erstes, sagen wir mal, was Eros nicht ist. Eros ist kein fetter, androgyne Engel, der irgendwo an der Decke klebt und harmlos ist. Das haben nachfolgende Jahrhunderte des Christentums aus ihm gemacht, weil die hellenische Vorstellung von Eros so wirkungsmächtig im kollektiven Bewusstsein war, dass man ihn nicht ganz abschaffen konnte.
00:11:53:01 - 00:11:59:10
Katrin Tominski:
Da muss ich jetzt noch mal kurz reingehen. Also Eros kommt eigentlich aus Griechenland, aber dann hat das Christentum Eros weiter.
00:11:59:10 - 00:12:22:01
Markus Tiedemann::
Benutzt, ja gekapert. Also das ist es gibt ja viele Traditionen, den Tannenbaum oder ähnliches, die eigentlich aus heidnischen, in Anführungsstrichen Kontexten kommen, aber so fest verankert waren, dass man sie nicht ganz abschaffen konnte. Also hat man sie umfunktioniert. Und Eros hat man eben kastriert und übergewichtig gemacht und irgendwo hin geklebt. Wenn man jetzt genau schaut, hat man ihn aber nicht entwaffnet.
00:12:22:08 - 00:12:37:06
Markus Tiedemann::
Und jetzt wird es spannend, denn man hätte mal wissen sollen, wie gefährlich seine Waffen sind. Also Eros hat zwei Arten von Pfeilen. Er hat einmal den Liebes Pfeil, wenn der mich trifft, ihn flamme ich wehrlos und leidenschaftlich zu. Ex.
00:12:37:12 - 00:12:38:07
Katrin Tominski:
Ja, es klingt toll.
00:12:39:13 - 00:13:01:24
Markus Tiedemann::
Eros bestimmt, wer oder was X ist. X muss noch nicht mal belebt sein, um das mal auch zu sagen. Also Eros kann jede Grausamkeit mit mir spielen. Wenn X belebt ist, kann Eros aber auch seinen zweiten Fall ins Spiel bringen. Und das wäre ein Hass, Weil was, wenn mein begehrtes Objekt in Hass zu mir entflammt?
00:13:02:05 - 00:13:02:16
Katrin Tominski:
Nein.
00:13:02:22 - 00:13:27:15
Markus Tiedemann::
Ja, es gibt sogar eine ganz tolle Erzählung, wenn die erzähle Also Apoll ist auch ein Gott, der hin und wieder mit Pfeil und Bogen dargestellt wird. Und Apoll ist ein Gott, der ersten Reihe, während Eros ist der Sohn, der dritte, also der Sohn der Liebesgöttin, und gehört eigentlich zu zum Club der zweiten Reihe. Also er gehört nicht an die Tafel von Runde, wenn man so sagen will.
00:13:28:09 - 00:13:50:16
Markus Tiedemann::
So, Und Apoll nahm sich raus, Späße über Eros und seinen Bogen zu machen. Okay, das ist ihm nicht gut bekommen, denn darauf hat dann Eros seinen liebes Pfeil genommen und auch den Gott Apoll in Liebe entbrennen lassen. Und zwar zur schönen Daphne eines Sterblichen, worauf Apoll zunächst einmal gesagt hat Na ja, wunderbar, ich bin göttlich, ich bin unwiderstehlich, dann mal los.
00:13:51:08 - 00:13:58:17
Markus Tiedemann::
Aber Eros hat seinen Hass voll auch ins Spiel gebracht, und Daphne konnte Apoll nicht ertragen und ist ihm geflohen.
00:13:59:07 - 00:13:59:07
Katrin Tominski:
Ja.
00:13:59:19 - 00:14:25:18
Markus Tiedemann::
Ja, Liebe kann man auch nicht erzwingen, dass natürlich auch die Lehre der Geschichte und es ist so weit gegangen, dass Daphne, um diesem Stalker zu entkommen, sich in einen Lorbeer Baum hat verwandeln lassen, damit sie endlich ihre Ruhe vor ihm hat. Und Apoll läuft bis heute mit einem Lorbeerkranz in den Haaren herum, weil er darin die einzige Möglichkeit sieht, seiner Angebeteten noch ein wenig nahe zu sein.
00:14:26:01 - 00:14:38:01
Markus Tiedemann::
Und wenn man es noch weiter treiben will Der Lorbeerkranz ist das Vorbild aller europäischen Kronen, das heißt die gekrönten Häupter Europas laufen eigentlich mit einer Liebes Narren Krone durch die Gegend.
00:14:38:03 - 00:14:41:19
Katrin Tominski:
Das kann ich mir jetzt gar nicht richtig vorstellen. Wirklich, Das ist ja Wahnsinn!
00:14:42:04 - 00:15:10:02
Markus Tiedemann::
Ja, also wenn man das Eros in Vielleicht kann man noch eine Sache drauflegen, weil Eros ist. Der Eros wird in zwei Gestalten dargestellt im klassischen griechischen Mythos. Also entweder ist er tatsächlich so an der Grenze zum Erwachsensein eher noch Kind, so Lausbub ist er dann. Ist aber eher ein liebes Prinzip, dass seine Mutter Aphrodite losschickt. Oder aber er ist grandios, wunderschön, ein Jüngling und grandioser Liebhaber und Verführer.
00:15:10:08 - 00:15:16:23
Markus Tiedemann::
Und das ist die Art und Weise, wie das Lust und Liebe freundliche Griechenland sich seine Götter vorgestellt hat.
00:15:17:04 - 00:15:25:22
Katrin Tominski:
Ich wusste gar nicht, dass Eros auch Hass aussendet. Das finde ich ja sehr, sehr spannend. Für mich war Eros immer nur die Liebe in Person.
00:15:26:13 - 00:15:53:16
Markus Tiedemann::
Und nein, er ist typisch für den griechischen Mythos. Der griechische Mythos hat den Vorteil, dass er uns moralisch entlastet. Also ganz vieles, was uns passiert, dass das nicht unsere Schuld. So, aber er kann höchst grausam sein. Also das nächste Mal, wenn du bei an Piccadilly Circus sitzt, das steht da direkt über dir. Übrigens als grandioser Jüngling dargestellt. Wunderschön.
00:15:53:22 - 00:15:58:23
Markus Tiedemann::
Aber du weißt nicht, welchen Pfeil er gerade von der Sehne geschossen hat. Also vorsichtig angefangen.
00:15:59:06 - 00:16:02:24
Katrin Tominski:
Also, er ist eigentlich überall zu finden, auch jetzt in unserer Gegenwart noch.
00:16:03:14 - 00:16:27:15
Markus Tiedemann::
Ja, wir würden uns ja mit dem griechischen Mythos sowieso nicht beschäftigen, wenn er nicht bis heute wirken würde. Wir werden immer wieder, auch wenn wir jetzt die explizite Beschäftigung mit dem Mythos verlassen haben, immer noch wieder auf Restbestände stoßen. In einem späteren Podcast Hoffentlich sprechen wir mal darüber, warum wir bis heute unseren Ehepartner als unsere bessere Hälfte vorstellen.
00:16:27:16 - 00:16:29:07
Markus Tiedemann::
Das hat auch mit dem griechischen Mythos zu tun.
00:16:29:15 - 00:16:40:23
Katrin Tominski:
Ja, wir sind die Kugel Wesen. Da komme ich auf alle Fälle zu sprechen. Ich will aber noch mal ganz kurz Es gibt ja auch eine schöne Geschichte, wenn ich mich richtig erinnere, wie Eros selbst geliebt hat.
00:16:41:16 - 00:17:05:11
Markus Tiedemann::
Oh ja, ja, ja. Also er hat viel und oft geliebt, wie alle Himmlischen immer. Aber er hat auch mal tragisch geliebt. Und das Interessante ist, dass seine geliebte Psyche ist und das also Psyche ist ja nun auch noch die Namensgeberin unseres bewussten und unbewussten Seelenlebens. Und das macht diese Nähe zur Psychoanalyse so, so spannend, eigentlich so was passiert.
00:17:05:15 - 00:17:20:03
Markus Tiedemann::
Eros verliebt sich in Psyche für einen himmlischen. Eigentlich gar kein Problem, denn Himmlische sind in dem Sinne unwiderstehlich. Er hat aber die Auflage von den anderen Göttlichen, dass seine Geliebte ihn nicht als Gott identifizieren darf.
00:17:20:03 - 00:17:21:07
Katrin Tominski:
Er muss also geheim bleiben.
00:17:21:07 - 00:17:40:10
Markus Tiedemann::
Ja, ja, das muss alles so ein bisschen geheim bleiben. Also die Spannung des Neuen steckt da auch drin. Lange Rede, kurzer Sinn Was macht so ein Gott dann da lässt man die Geliebte eben entführen durch Winde und man lässt sie in einen himmlischen Palast entführen. Und es geht ihr so richtig gut. Sie wird verwöhnt und sie lässt sich auch darauf ein.
00:17:40:14 - 00:18:02:15
Markus Tiedemann::
Sie genießt die den komfortablen Palast am Tag und die Wonnen der Liebe. In der Nacht sieht man sie. Sie liebt, wird von einem Gott geliebt. So eigentlich ist das alles wunderbar, bis Freud Janisch ausgedrückt, die über Ich Schwestern vorbeikommen, schlechtes Gewissen machen. Was ist denn das für ein Liebhaber, der sich gar nicht zeigt? Was ist denn das für eine Liebe, die sich dir nicht offenbart?
00:18:02:23 - 00:18:03:01
Katrin Tominski:
Eine?
00:18:04:01 - 00:18:33:20
Markus Tiedemann:
Ja, nee, das bestimmt nicht das Richtige. Und was du hast? Wir vermuten. Wir vermuten, das ist ein Ungeheuer, das sich nachts um dich schlingt, um dich zu schwängern und dann anschließend die gemeinsamen Kinder zu fressen. Ja, vor allen Dingen, wer kann dann die Wonnen der Liebe noch genießen, wenn das erst mal ins Ohr gepflanzt worden ist, worauf jetzt Psyche den Kardinalfehler typisch Mensch begeht und sagt Also, so schön das auch ist, ich muss da jetzt mal mit Neugier ran.
00:18:34:02 - 00:18:57:16
Markus Tiedemann:
Und sie entzündet eine Öllampe und sieht diesen herrlichen Gott neben sich liegen und könnte eigentlich denken Mensch, wunderbar, ist ja besser, hätte gar nicht laufen können. Aber natürlich, wir sind im tragischen Verhältnissen des griechischen Mythos. Es tropft Öl auf den Gott, er sieht sie, er weiß, sie hat ihn gesehen und er muss entfliehen. Und jetzt gibt es den zweiten Teil der Story, und das ist eine Helden Wanderung.
00:18:57:24 - 00:19:23:09
Markus Tiedemann:
Psyche besteht ganz, ganz viele Abenteuer. Eros kann ja immer nur so ein bisschen durch die Hintertür helfen. Er darf ja nicht wirklich und sie schafft das Unmögliche, denn sie gewinnt das Herz einer Schwiegermutter. Und das ist eine ganz große Aufgabe. Zumal diese Schwiegermutter auch aus Neid bezüglich ihrer Schönheit zwischendurch mal versucht, sie zu vergiften und sie in einen Todes ähnlichen Schlaf zu bringen, was übrigens durch die Liebe von Eros geheilt wird.
00:19:23:09 - 00:19:31:06
Markus Tiedemann:
Also Liebe überwindet auch hier mal wieder den Tod. Und es gibt tatsächlich ein Happy End mit Hochzeit und Unsterblichkeit auf dem Olymp.
00:19:31:11 - 00:19:43:23
Katrin Tominski:
Das hört sich alles prima an, ja, ja, aber was vielleicht noch als dieser Geschichte? Was ist die Quintessenz? Warum gibt es diese Geschichte? Warum wird sie erzählt? Was hat das mit dem Unterbewussten zu tun?
00:19:44:01 - 00:20:01:14
Markus Tiedemann:
Na ja, also, man hat viele Anknüpfungspunkte. Was die Griechen und Römer damit explizit machen wollen, können wir ja nur mutmaßen. Schriftlich taucht die Erzählung von Amor und Psyche übrigens erst im in Rom auf. Wir dürfen aber annehmen, dass sie älter ist.
00:20:01:20 - 00:20:04:03
Katrin Tominski:
Und noch mal eine kleine Zwischenfrage Amors gleich.
00:20:04:04 - 00:20:30:19
Markus Tiedemann:
Ihres Amos, nur lateinisch für Eros. So, da ist sie überliefert. Wir können aber natürlich Deutungsmuster Ha machen, und da greifen in der Regel ja dann auf dieses tyrannische Deutungsmuster, das heißt Liebe im Sinne von leidenschaftlicher Erotik braucht nicht unbedingt Wahrheit, braucht auch nicht unbedingt die Konfrontation mit dem Gegenüber in seiner ganzen Offenbarung. Es reicht doch, sich den Wonnen hinzugeben.
00:20:30:20 - 00:20:39:18
Markus Tiedemann:
Also sehr, sehr griechisch gedacht und zu viel Wahrheit, zu viel Licht, zu viel Ehrlichkeit könnte selbige sogar eher zerstören.
00:20:40:00 - 00:20:48:03
Katrin Tominski:
Okay, das heißt, man kann schon genau hingucken, muss aber nicht immer so genau hingucken, sondern man kann auch einfach genießen.
00:20:48:03 - 00:20:50:11
Markus Tiedemann:
Vielleicht klassisch griechische Einstellung.
00:20:51:00 - 00:21:14:19
Katrin Tominski:
Also die Griechen, die scheinen ja sich der Lust und Liebe förmlich hingegeben zu haben. Das scheint im Christentum bzw in den abrahamitischen Religionen ja nicht ganz so zu sein. Wie kam es, dass das dann auf einmal so anders wurde? Alle waren Lust und Leid freudig, alle haben sozusagen das Leben genossen und auf einmal gab's diese ganz große Änderung in der Welt.
00:21:14:19 - 00:21:15:21
Katrin Tominski:
Womit hatte das zu tun?
00:21:15:24 - 00:21:35:18
Markus Tiedemann:
Also vielleicht eine Einschränkung vorweg die Lust, Leib und ja, auch Frauen. Freundlichkeit des griechischen Mythos stößt natürlich auch an Grenzen. Das, was im Mythos erlaubt war, war noch nicht, längst nicht in der sozialen Realität in Griechenland schon gar nicht für Frauen und erst recht nicht für Sklaven.
00:21:36:03 - 00:21:37:12
Katrin Tominski:
Also so rosig war es dann doch.
00:21:37:13 - 00:21:53:20
Markus Tiedemann:
Nein, nein, das ist das sozusagen. Das Ideal, an dem man sich orientiert hat, konnte ja nicht von allen gelebt werden. Also hier stößt sozusagen die Die Meter Erzählung stößt auf die Realität einer männlich dominierten Sklavenhaltergesellschaft. Das sollte man einschränken.
00:21:53:20 - 00:22:07:16
Katrin Tominski:
Also die Männer haben es auch bei Liebe, Freundschaft und Sexualität geschafft, ein schönes positives Bild von der griechischen Mythologie zu vermitteln, wie es auch in der Politik ja ist. Aber eigentlich gab es Frauen und Sklaven in der Realität, die dann gar nicht so viel zu sagen hatten.
00:22:07:17 - 00:22:37:15
Markus Tiedemann:
Ja und nein. Wir sind immer noch in der Antike und wir sind nicht in emanzipierten Gesellschaften. Aber es gibt zumindest ein Mehr und ein Weniger. Eine Frau musste sich in der Antike, das heißt jetzt im hellenischen Griechenland, ihrer Sexualität nicht schämen, und sie konnte sie auch in nicht heteronormativen Kontexten frei leben. Sie durfte sie auch genießen. Das Konzept der Sünde kannte man an sich sexuell nicht, und schon gar nicht war dieses Konzept weiblich.
00:22:38:04 - 00:22:41:03
Katrin Tominski:
Das heißt, es gab nicht nur Männer und Männer, sondern auch Frauen und Frauen.
00:22:41:08 - 00:23:14:04
Markus Tiedemann:
Ja, natürlich. Wir verdanken ja den Begriff lesbisch dem griechischen Mythos. Lesbos ist bis heute eine Insel, wo die gehaust haben sollen über weibliche Homosexuelle kann man eigentlich folgen. Eigentlich. Drei Dinge kann man über sie sagen. Das erste ist, die war schon immer da. Das zweite ist sie wurde im hellenischen Kontext weitgehend akzeptiert und für richtig empfunden. Und in späteren Jahrhunderten wurde sie aus reiner Ignoranz weniger diskriminiert als männliche Homosexualität.
00:23:14:13 - 00:23:32:01
Markus Tiedemann:
Ah okay, ja, da gibt es eine Erklärung für das ist das leicht dämliche Verständnis von Männern von Sexualität, dass alles, was ohne Penetration passiert, keine Sexualität ist. Da waren die Griechen deutlich weiter, die wussten, dass das sehr wohl geht und dass das sehr lustvoll sein kann.
00:23:32:16 - 00:23:39:09
Katrin Tominski:
Aber das ist ja jetzt auch wieder so ein Erlebnis. Also die Insel Lesbos hat wirklich was mit der weiblichen Sexualität zu tun.
00:23:39:15 - 00:23:42:07
Markus Tiedemann:
Von vom Mythos der Lesben.
00:23:42:08 - 00:23:58:00
Katrin Tominski:
Ja, interessant. Sehr schön. Okay, aber du sagtest, die Realität abseits des Mythos sah das, hatte dann schon ihre Grenzen. Es gab Sklaven. Die Frauen waren auch nicht so gleichberechtigt, wie wir das heute verstehen. Gab es denn sexuelle Ausbeutung?
00:23:58:02 - 00:24:17:07
Markus Tiedemann:
Ja, selbstverständlich gab es sexuelle Ausbeutung. Wir haben sogar eine klare Dokumente darüber. Also Frauen konnten im alten Rom verschenkt werden, auch Ehefrauen. Sie konnten getauscht werden. Sklaven waren gänzlich schutzlos, gerade gegenüber sexueller Ausbeutung. Ovid hat da durchaus Quellen hinterlassen.
00:24:17:15 - 00:24:21:04
Katrin Tominski:
Jetzt habe ich mich gerade so an die Griechen gewöhnt und jetzt ist alles doch nicht mehr so schön.
00:24:21:16 - 00:24:26:07
Markus Tiedemann:
Es ist trotzdem deutlich besser als der abrahamitische Mythos, zu dem wir vielleicht noch kommen.
00:24:26:09 - 00:24:45:05
Katrin Tominski:
Ja, da können wir rübergehen. Was ist denn der Hauptunterschied? Du hattest es ja schon angedeutet Der abrahamitische Mythos ist auch lustfeindlich. Also ein ganz großer Unterschied sozusagen zur griechischen Mythologie, die lustfeindlich. Warum? Wie kam es dazu? Wieso ist alles da so anders gewesen?
00:24:45:08 - 00:25:14:23
Markus Tiedemann:
Also wahrscheinlich kann man das am besten mit mit der Erzählung, also mit dem Sündenfall erzählen oder erklären. Ich fange mal mit einer positiven Lesart an, wie wir. Es hätte vielleicht auch besser gewertet werden können. Also man könnte ja die Erzählung des Sündenfalls, also Kurzzusammenfassung für alle, die es nicht kennen, mal wieder Es kann Obst gefährlich Gott hat gesagt Bitte keinen nicht von diesem Baum essen, weil wenn ihr das tut, dann habt ihr gegen dieses Gebot verstoßen und müsst ihr aus dem Paradies.
00:25:15:17 - 00:25:23:11
Markus Tiedemann:
So, jetzt fange ich mal an, das Ganze liebevoll zu erzählen und sage wir achten als erstes mal darauf, was das für ein Baum ist. Das ist der Baum der Erkenntnis.
00:25:23:13 - 00:25:25:03
Katrin Tominski:
Wieso ist das der Baum der Erkenntnis?
00:25:25:03 - 00:25:48:01
Markus Tiedemann:
Das der Baum der Erkenntnis? Weil in dem Moment wenn ich davon esse beginnt mein rationales Denken an zu arbeiten. Vorher bin ich im Paradies der Kindheit, im Hier und Jetzt. Ich denke wenig über die Vergangenheit nach und schon gar nicht über die Zukunft. Wenn ich aber davon esse, dann ist es nicht nur so, dass ich plötzlich merke Oh, ich bin ja nackt, das wäre eigentlich kein Problem, so schön warm.
00:25:48:12 - 00:26:15:23
Markus Tiedemann:
Aber mir kommt die Idee, dass ich morgen schlechtes Wetter haben könnte und morgen frieren könnte. Ich esse nicht nur die wunderschönen Früchte, die mich umgeben, sondern ich überlege Naja, die könnten ja irgendwann weg sein. Und morgen habe ich wieder Hunger. Da muss ich Vorsorge betreiben. Ich muss Kleidung und ich muss Vorräte anlegen. Mit anderen Worten Ich erfinde die Arbeit und damit ist das Paradies des Hier und Jetzt der Kindheit, des Gefühls der Unsterblichkeit.
00:26:15:23 - 00:26:34:15
Markus Tiedemann:
Vielleicht war das ja auch mit Unsterblichkeit gemeint, das Gefühl der Unsterblichkeit, was Kinder ja teilweise haben und uns auch noch schenken können im Spiel, sich im Hier und Jetzt verlieren unwiderruflich genommen. Und vielleicht wäre das ein liebender Gott, der gesagt hat Liebe Leute, wenn ihr da bleiben wollt, dann lasst das mit dem Denken. Diese liebevolle Erzählung hat sich aber leider nicht durchgesetzt.
00:26:34:17 - 00:26:36:00
Markus Tiedemann:
Warum? Warum?
00:26:37:20 - 00:26:38:06
Katrin Tominski:
Ja.
00:26:38:13 - 00:26:48:21
Markus Tiedemann:
Das haben die auch. Zumal die ja nebenbei auch sehr frauenfreundlich erzählt werden können. Man könnte nämlich sagen na ja, Eva hat als erstes vom Baum der Erkenntnis genannt Frauen sind von Natur aus klüger als Männer.
00:26:48:23 - 00:26:50:11
Katrin Tominski:
Ja, finde ich auch gut.
00:26:50:11 - 00:27:10:14
Markus Tiedemann:
Hätte ich nichts dagegen. Aber leider hat sich eine Interpretation durchgesetzt, die man natürlich ganz stark schon bei Paulus findet und die dann das Christentum geradezu flutet mit Augustinus. Und dann gibt es kein Zurück mehr. Auch bei Augustinus wird übrigens aus der Ursünde, die es noch bei Paulus gibt, eine Ursünde.
00:27:10:14 - 00:27:12:11
Katrin Tominski:
Also noch einmal Paulus für alle, die.
00:27:12:22 - 00:27:40:23
Markus Tiedemann:
Paulus ist eben einer der der Bibel Väter, der dort in den Texten zu lesen ist, während Augustinus einer, der mit Thomas von Aquin, Augustinus, Thomas sind die beiden großen Kirchenväter, die sozusagen die Tradition insbesondere der katholischen Kirche geprägt haben. Und Augustinus hat aus der Ursünde, also der Fehler, den Adam und Eva begangen haben, hat er die Erbsünde gemacht, die im Akt der Sexualität auf jede nächste Generation weitergegeben wird.
00:27:40:23 - 00:27:43:09
Markus Tiedemann:
Also die Ursünde steckt im Sperma in letzter Instanz.
00:27:43:18 - 00:27:46:13
Katrin Tominski:
Sondern erbt. Es klingt alles schlimm, ja.
00:27:46:21 - 00:27:48:05
Markus Tiedemann:
Wie könnte man vielleicht wissen.
00:27:48:07 - 00:27:48:24
Katrin Tominski:
Ja, wir.
00:27:48:24 - 00:27:49:08
Markus Tiedemann:
Können es ja mal.
00:27:49:08 - 00:27:50:16
Katrin Tominski:
Aufdröseln. Ja, genau.
00:27:50:21 - 00:28:15:05
Markus Tiedemann:
Also hier geht es in erster Linie darum, dass man sagt, Adam und Eva sind im Paradies. Sie sind anders als im griechischen Mythos, Herrn ihrer Entscheidung damit voll verantwortlich. Sie kennen das Gebot und sie übertreten es. Sie haben die Autorität verletzt und werden deswegen in voller Härte gestraft. Die eine soll fortan in Schmerzen gebären, der andere im Schweiße seines Angesichts um das Überleben kämpfen müssen.
00:28:15:22 - 00:28:43:00
Markus Tiedemann:
Warum ist das so? Weil sie dort verführt werden. Und jetzt kriegt das Ganze so eine merkwürdige leib lust und frauenfeindliche Interpretation. Die erste, die verführt wird, ist Eva. Eva ging nackt zu der Schlange, diesem fast bis zur Langweiligkeit bemühten Phallussymbol. Die Schlange. Danach ist sie Mittäterin, denn sie verführt ja Adam.
00:28:43:03 - 00:28:44:16
Katrin Tominski:
Die böse Frau, verführt den Mann.
00:28:44:16 - 00:29:18:11
Markus Tiedemann:
Ja, natürlich, selbstverständlich. Weswegen sie zunehmend zum Prinzip des leicht verfügbaren, aber auch zum Prinzip des durch Leiblichkeit agierenden, ja nahezu teuflischen, verführerischen Weib wird. Diesen Dualismus gibt es ja bis heute in vielen Traditionen. Also das hebräische Wort für Mann kann auch so mit Erinnern, also mit rationaler Tätigkeit übersetzt werden, während die Frau eben als Symbol des männlich das vom Mann zu dominierenden, damit nichts Schlimmes passiert, verstanden werden muss.
00:29:18:18 - 00:29:43:11
Markus Tiedemann:
Man kann sie aber noch schlimmer sagen Sie ist potenziell teuflisch, denn sie hat ihn ja mit verführt. Und jetzt, wenn ich nur einem draufsetzen kann? Ich würde allen, die zuhören, mal empfehlen, in den im Vatikan in der Sixtinischen Kapelle Michelangelos Deckengemälde genau anzuschauen und die Vertreibung der beiden aus dem Paradies. Da taucht Eva in einem Bild dreimal auf.
00:29:43:23 - 00:30:07:16
Markus Tiedemann:
Einmal ist sie die nackte Frau, die mit der Hand übrigens ziemlich dicht an Adams Genital ist. Zum anderen ist ihr Oberkörper Teil der Schlange, die sich um den Baum windet, also die Einheit von Frau und teuflisch. Und dann ist sie, als das Paar das Paradies verlässt. Schauen Sie sich das mal bitte alle acht. Ist sie der Prototyp der Hexe?
00:30:08:08 - 00:30:08:22
Katrin Tominski:
Oh Gott.
00:30:09:19 - 00:30:15:05
Markus Tiedemann:
Und das ist alles die gleiche Frau. Und wenn das nicht frauenfeindlich ist, dann weiß ich nicht, was frauenfeindlich ist.
00:30:15:15 - 00:30:24:18
Katrin Tominski:
Man könnte also sagen, unsere und Gleichberechtigung oder respektive Frauenfeindlichkeit kann. Können wir auf das Alte Testament zurückschrauben?
00:30:25:04 - 00:30:50:20
Markus Tiedemann:
Ja, und sie hat dort eine ihrer stärksten Quellen. Also bis hin man kann noch einen Bruchteil hinzufügen, nämlich dass Adam ja zuerst da war und dann Eva aus seiner Rippe getätigt wird. Die Erlaubnis des Mannes für den Mann, die Frau zu schlagen, ist im Mittelalter unter anderem damit begründet worden. Man kann ja mit seinem Körper machen, was man will.
00:30:51:18 - 00:31:24:13
Markus Tiedemann:
Und das ist natürlich überhaupt gar kein Argument. Man könnte sagen, es ist ein Akt des Modernen oder des. Das war der erste Akt des Klonens. Und ein Klon ist genauso selbstständig wie ein anderer, dem die Menschenrechte zuvor egal. Aber diese Lesart hat sich durchgesetzt. So, und jetzt kommt noch das lustfeindlich obendrauf, dass man einfach mitdenken muss. Und was bei Augustinus dann immer, immer 3 $ wird das also die anders gesagt das Schöne an richtig erfüllter Sexualität Wenn wir alle tollen Sex haben, dann ist er das Größte.
00:31:24:13 - 00:31:44:16
Markus Tiedemann:
Dann aber ist der Kontrollverlust, das ist ja, das ist ja, das ist ja gerade das Tolle an der Sache. Ja, aber Kontrollverlust heißt ja Unvernunft. Und damit ist das Prinzip der Kontrolle der Beherrschbarkeit gebrochen. Und damit ist sozusagen Tür und Tor für das Teuflische geöffnet. Ich habe jetzt die Interpretation gewechselt. Ich halte das alles für Unsinn, aber so wird es nun mal interpretiert.
00:31:45:07 - 00:31:52:09
Markus Tiedemann:
Und deswegen wird sozusagen Sexualität an das Weibliche, an das Leibliche und an das Teuflische gebunden.
00:31:52:18 - 00:32:16:17
Katrin Tominski:
Aber das muss ich jetzt erst mal verkraften. Ähm, ich müsste mal nachdenken. Vielleicht. Aber noch mal zurück. Weiß ich jetzt nicht. Vielleicht kannst du dann noch mal, mir fehlt so ein bisschen der Link. In Griechenland war alles so okay. Die Frauen waren auch nicht komplett gleichberechtigt. Die Realität sah auch anders aus. Aber wie kommt es dann trotzdem zu so einer?
00:32:17:17 - 00:32:40:04
Katrin Tominski:
Ja, ich will vielleicht jetzt mal patriarchale Erzählungen nennen, die so eine ungleichen Erzählung, die ja wirklich immense Folgen hatte. Ich, sagen wir mal das Stichwort Hexenverbrennung. Und so weiter und so fort. Und diese Verbindung zwischen der Sünde der Frau, die den Mann verführt, die ist ja heute bis heute noch hochaktuell. Wie kam es dazu? Warum waren die Griechen so, so wie sie waren?
00:32:40:04 - 00:32:51:11
Katrin Tominski:
Und auf einmal kommt Paulus und dann wird die Geschichte erzählt. Warum ist es denn so, so gepresst? Woher kommt dieses Negative? Oder vielleicht, wenn man es als negativ Also ich als Frau sage ich mal.
00:32:52:00 - 00:33:14:19
Markus Tiedemann:
Ich glaube auch als als Ethiker kann ich sagen wenn. Jetzt sind wir wieder bei der Unterscheidung zwischen Mythos und Logos. Wenn auf der Logos Ebene kein rationales Argument besteht, das eine solche Diskriminierung rechtfertigt, dann muss man sie falsch nennen. Und darauf hinzuweisen, dass sie aus einer gewissen Tradition stammt, legitimiert sie ja nicht. Sie bleibt falsch, auch wenn sie legitimiert ist.
00:33:15:03 - 00:33:47:18
Markus Tiedemann:
Man kann vielleicht folgendes sagen Sie ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern diese abrahamitische Tradition, diese Erzählung fällt genau in diese Achsenzeit, über die wir vorhin gesprochen haben. Das ist eine Verdichtung der unterschiedlichen, primär dem Judentum zuzuordnenden Erzählungen, die dann zu einem Gesamtkonzept verdichtet worden sind, wahrscheinlich primär während der babylonischen Gefangenschaft, und die sich dann fortgepflanzt hat und ihre Tradition ins Christentum weitergetragen hat und auch in den Islam weitergetragen hat.
00:33:48:15 - 00:34:12:21
Markus Tiedemann:
Das Christentum hat dann sich quasi in seinem in seiner Radikalität noch weiter in die Höhe geschraubt. Also Augustinus, der Erfinder der Erbsünde, die ja ins Absurde führt. Denn deswegen musste übrigens dann Maria Jungfrau sein, damit sie nicht Trägerin der Erbsünde ist, was nun logisch unsinnig ist, denn sie ist ja irgendwann auch mal geboren worden. Und so weiter. Ich springe jetzt gerade.
00:34:12:24 - 00:34:15:12
Katrin Tominski:
Kannst du noch kurz erklären Erbsünde? Was bedeutet das?
00:34:15:19 - 00:34:48:23
Markus Tiedemann:
Erbsünde bedeutet die Schuld, die Adam und Eva auf sich geladen haben, dadurch, dass sie das Gebot Gottes missachtet haben. Klammer auf! Aufgrund so mancher sexuell konnotierten Verführung dazu wird an jede weitere Generation weitergegeben. Und wie wird sie weitergegeben? Durch den Geschlechtsakt? Durch das Sperma? Um es mal ganz genau zu sagen. Und deswegen ist jedes Kind in dieser Tradition in Augustinus Tradition in Sünde geboren und der Hölle anheimgefallen und kann nur durch die Taufe und die Gnade gerettet werden.
00:34:48:23 - 00:35:09:18
Markus Tiedemann:
Also Taufe reicht nicht. Taufe ist eine notwendige, keine hinreichende Bedingung. Dadurch gerettet werden und damit dann die neue Erzählung überhaupt funktionieren konnte, die des Neuen Testamentes, musste die Sache ja durchbrochen werden, weswegen dann sage Ja gut, da muss muss Maria eben Jungfrau gewesen sein, dann hat sie es ja nicht. Kriege, Trägern der Erbsünde, dass zumindest Jesus nicht so geboren.
00:35:10:04 - 00:35:29:03
Markus Tiedemann:
Aber es macht natürlich nur bedingt Sinn, denn schließlich war sie ja selbst geboren worden. Wäre ihre Mutter Trägerin der Erde und ihr Vater Träger der Erbsünde, Deswegen hat man dann nachher so ein Dogma und endlosen Regress. Dann war nämlich ihre Mutter wurde auch zur Jungfrau erklärt und immer so weiter und so fort. Man führt das Absurde.
00:35:29:22 - 00:35:32:13
Katrin Tominski:
Das klingt alles total komplex.
00:35:32:13 - 00:35:33:03
Markus Tiedemann:
Absurd.
00:35:33:03 - 00:35:36:24
Katrin Tominski:
Klingt es je komplex? Ja, genau, irgendwie konstruiert.
00:35:37:08 - 00:35:49:15
Markus Tiedemann:
Ja, das ist es eben auch. Aber jetzt vielleicht zurück zu deinem ersten Impuls. Das hängt auch damit zusammen, dass hier eine Erzählung vorangetrieben wird, von der Männer durchaus auch Vorteile gehabt haben.
00:35:50:09 - 00:35:58:16
Katrin Tominski:
Also kann man eigentlich davon ausgehen, um das jetzt mal ein bisschen feministisch zu formulieren, dass wahrscheinlich vor allen Dingen Männer diesen ganzen Sündenfall interpretiert haben?
00:35:59:01 - 00:36:28:22
Markus Tiedemann:
Das Mag sein, das Mag sein. Da fehlt mir die historisch Expertise, um das zu beweisen. Die entscheidenden Quellen stammen alle von Männern und die Herrschaftsstruktur der Gesellschaft war männlich dominiert, weswegen der Schluss ja naheliegt, das so kolportiert worden ist. Man muss aber fairerweise auch dazu sagen, dass es in all diesen Jahrhunderten auch immer Frauen gegeben haben, die sich an der Unterdrückung der Frau aktiv beteiligt haben, indem sie zum Beispiel solche Narrative immer weitergetragen haben.
00:36:29:02 - 00:36:30:02
Katrin Tominski:
Welche zum Beispiel?
00:36:30:15 - 00:36:56:11
Markus Tiedemann:
Ja, jetzt fällt mir kein gutes Beispiel ein. Aber wenn Frauen zum Beispiel christliche Lehre betrieben haben, wenn Frauen an zum Beispiel Als ob. Thissen keinerlei sexuelle Toleranz kannten, dann sind sie selbst Trägerin des Narrativs gewesen und haben selbst dazu beigetragen. Das macht die Männer nicht besser, aber es gehört zur Komplexität des Geschehens.
00:36:56:22 - 00:37:12:24
Katrin Tominski:
Ich möchte noch mal kurz auf den Sündenfall eingehen. Ich habe auch schon mal gehört, dass Adam für das Geistige steht und Eva für das leibliche Prinzip. Und daraus wurde dann unter anderem auch die Herrschaft des Geistes über das Fleisch, also die Herrschaft des Mannes über die Frau.
00:37:13:13 - 00:37:40:16
Markus Tiedemann:
Ja, das ist ja genau das quasi, was aus dieser Geschichte hervorgeht. Das leibliche Prinzip ist schwach und verführbar und deswegen sozusagen nicht wehrhaft gegen das Teuflische. Und genau deswegen muss es einen Vormund haben, der auf es aufpasst, der es notfalls auch züchtigt. Also auch Grausamkeiten stecken da mit drin. Nicht nur Fürsorge, sondern auch Grausamkeit. Das gilt für das eigene Fleisch, was Adam hat, also Selbstgeißelung.
00:37:41:00 - 00:37:47:20
Markus Tiedemann:
Das gilt aber auch für das Weib, das ihm anvertraut ist. Also eine klassische patriarchale Figur.
00:37:49:14 - 00:38:21:18
Katrin Tominski:
Spannend. Ich muss sagen, mir gefällt die Lust der Griechen besser als die Scham und die Schuld im Alten Testament. Wir kommen aber noch zu vielen weiteren Geschichten. Vielleicht zum Abschluss noch zwei Fragen. Erstens In manchen islamischen Gesellschaften ist ja auch die Vielehe erlaubt. Kann man dann sozusagen diese Vielehe als Kombination der verschiedenartigen Lebensformen aus der Kirche interpretieren plus den Extrakt aus den abrahamitischen Religionen?
00:38:21:19 - 00:38:26:05
Katrin Tominski:
Kann man das so sagen? Nur dass es dummerweise nur für Männer gilt? Oder ist es ein bisschen weit hergeholt?
00:38:26:14 - 00:38:39:23
Markus Tiedemann:
Also ich täte mich schwer damit, muss ich ehrlich sagen, denn ich sehe eigentlich nicht, wie die klassisch patriarchale Struktur dort durchbrochen wird, dass selbst gesagt, es gibt keine Reziprozität, es gibt keine Wechselseitigkeit.
00:38:40:07 - 00:38:41:10
Katrin Tominski:
Ja, und ich weiß ja.
00:38:41:10 - 00:39:06:10
Markus Tiedemann:
Gut, das gilt ja immer, dass kreative Menschen zu allen Zeiten Formen des Zusammenlebens gefunden haben, die vielleicht nicht der Obrigkeit oder dem gerade herrschenden Narrativ genehm sind. Das hoffe ich, dass es immer so gewesen ist. Aber Fakt ist dieses Narrativ, in diesem Fall der Islam sieht zwar Vielweiberei aus männlicher Perspektive vor, aber nicht Wir haben auch nicht mal ein Wort dafür.
00:39:06:12 - 00:39:25:17
Markus Tiedemann:
Für Männer viel Männer. Rein aus weiblicher Perspektive wäre nicht erlaubt. Insofern täte ich mich schwer, um etwas Positives zu sagen, was ihn vom Christentum abgrenzt. Und das gilt für den Islam. Das gilt aber auch fürs Judentum. Ist das zumindest innerhalb der Ehe sexuelle Lust für beide Geschlechter erlaubt ist?
00:39:26:00 - 00:39:49:16
Katrin Tominski:
Oh, das wusste ich nicht. Wir hatten ja am Anfang letzte Frage jetzt für diesen Podcast. Dann wollen wir für diese Folge werden, weil wir ein bisschen zum Ende kommen. Wir haben ja noch ganz viel vor uns. Letzte Frage Wir hatten ja am Anfang über Mythos und Logos gesprochen. Ist denn der Logos sozusagen, der sich dann entwickelt hat, auch quasi eine Befreiung von der Schuld und Haftung der abrahamitischen Religionen gewesen?
00:39:50:03 - 00:40:14:19
Markus Tiedemann:
Ja, ja, aber wir sind noch dabei. Das steckt ja noch alles in unserem kollektiven Bewusstsein drin. Wir müssen uns mühsam da herausarbeiten. Das ist übrigens die Bewegung der Aufklärung. Die hat es einmal in der Antike gegeben, und jetzt sind wir haben eine Zeit lang Glück gehabt, dass es aufklärerische Dominanz zumindest in Teilen der Erde gegeben hat. Aber das Prinzip heißt Freiheit.
00:40:14:19 - 00:40:20:07
Markus Tiedemann:
Und Freiheit braucht auch einen gebrochenen Mythos. Wir müssen uns dagegen emanzipieren.
00:40:20:13 - 00:40:44:12
Katrin Tominski:
Es ist spannend, so weit den Bogen zu ziehen und zu sehen, dass wir Teil eines riesengroßen Ganzen sind, was auch sehr, sehr weit in die Vergangenheit zurückreicht. Markus Vielen, vielen Dank. Das war sehr spannend heute. Ich wusste gar nicht, wie sehr unser Denken und auch Fühlen heute mit den Erwägungen der Menschen vor über 2000 Jahren zusammen gehangen haben.
00:40:45:00 - 00:41:03:24
Katrin Tominski:
Es hat mir viel Spaß gemacht. Wir sehen uns und hören uns der nächsten Folge. Da gehen wir noch weiter in die Tiefe. Da sehen wir uns die Liebe noch mal genauer an, oder genauer gesagt Platons Ideal der wahren Liebe. Ja, schaltet wieder ein. Wir freuen uns auf euch. Für heute sagen wir Tschüss. Tschüss. Ich danke dir. Ich danke dir.
00:41:04:14 - 00:41:07:16
Katrin Tominski:
Bis zum nächsten Mal. Tschüss.
00:41:10:03 - 00:41:33:03
Katrin Tominski:
Das war unser Podcast. Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germerot, Technik: Birgit Nockenberg.
Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Folge 1: Die Philosophie und Liebe, Sex und Freundschaft
Warum beschäftigen uns Liebe, Freundschaft und Sexualität so sehr? Welche Motive durchziehen Kunst und Literatur? Lassen sich die drei Phänomene sinnvoll unterscheiden? Bestehen notwendige oder hinreichende Beziehungen? Welche grundlegenden Fragen stellt sich die Philosophie?
Katrin Tominski:
Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie Ein Podcast der TU Dresden mit dem Philosophieprofessor Markus Tiedemann und der Wissenschaftsjournalistin Katrin Tominski.
Nur wenig auf dieser Welt interessiert die Menschen mehr als Liebe, Sex und auch Freundschaft selbst. Geld, Status, Reichtum und auch Schönheit sind oft nur Mittel zum Zweck für den Erfolg bei der Partnerwahl oder für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, für das Gewinnen von Freunden oder auch, um eine Familie zu gründen. Doch gibt es wahre Liebe und wahre Freundschaft überhaupt?
Wie wird Sex bewertet und praktiziert? Welche Denkmodelle prägen unsere Vorstellungen von Lust? Seit Jahrtausenden beschäftigen sich auch Philosophen mit diesen Fragen. Von der Antike bis zur Gegenwart, von Aristoteles und Platon bis Simone de Beauvoir und auch Erich Fromm. Sie alle haben nach Antworten gesucht und auch welche gefunden. Ja. Herzlich willkommen zu unserem Podcast Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie.
Ich begrüße Markus Tiedemann. Er ist Professor für Philosophie und Didaktik an der TU Dresden. Hallo Markus.
Markus Tiedemann:
Hallo Katrin.
Katrin Tominski:
Ja, wir wollen diese Reise heute zusammen unternehmen und in der ersten Folge gleich einmal nachfragen. Haben sich wirklich Menschen schon vor über 2000 Jahren mit den gleichen Fragen beschäftigt, wie wir das heute tun? Was interessiert Philosophinnen und Philosophen überhaupt ein Liebe und Freundschaft? Und was denken sie über Sex und Moral? Was hat das alles mit Denktraditionen zu tun?
Markus Da will ich gleich mit meiner ersten Frage starten. Du kennst dich gut aus. Du kennst die Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart ganz genau. Hat das Thema denn wirklich schon vor über 2000 Jahren interessiert und warum?
Markus Tiedemann:
Also ob ich alle genau kenne, weiß ich nicht, aber ich hoffe ein Überblick zu haben und die Antwort würde so lauten Ja. Und die Begründung hierfür ist eine geteilte. Also das erste wäre relativ einfach Philosoph und Philosophen sind Menschen. Man denkt das manchmal nicht, weil wenn man an Philosophen denkt, denkt man irgendwie so an alte weise Männer. Oder man denkt an irgendwie graue Mäuse, die durch den Elfenbeinturm wuseln und sich mit Problemen beschäftigen, die es auch nur dort gibt und nicht in der normalen Welt.
Aber wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann entdeckt man, dass Philosophinnen und Philosophen längst nicht nur dorthin gehören. Es gibt sogar richtige Feuergeist darunter den Philosophen, also Voltaire, Rousseau, Schiller, Nietzsche. Die haben ja nicht nur leidenschaftlich geschrieben, sondern auch leidenschaftlich gelebt. So, und das führt in die eine Richtung. Sie sind damit ganz normalen Menschen, wie wir alle Menschen sind.
Und damit sind sie ein biologisches, soziales und intellektuelles Wesen. Wir haben einen starken Geschlechtstrieb, wir haben ein starkes Bedürfnis nach sozialen Beziehungen und wir haben Bedürfnis, das Ganze intellektuell zu verstehen. Und deswegen gehe ich mal davon aus, dass schon unsere frühesten Vorfahren an den Lagerfeuern darüber nachgedacht haben, wie sich das mit diesen ganzen Phänomenen verhält. Und für die philosophischen Schulen gilt das in besonderer Weise.
Und da sind wir schon auf Ebene zwei Diese Phänomene sind an sich philosophisch so interessant. Erstens, weil sie den Menschen in einer extremen Tiefe ergreifen. Und auf der anderen Seite, weil es so schwer ist, sie zu identifizieren. Also wo denken wir mal an diese Begriffe, die wir oft ja inflationär verwenden? Wo fängt Liebe an, wo fängt Freundschaft an, wo ist eine genaue Grenze?
Sprechen wir eigentlich über das Gleiche? Ja, und als letztes muss man einfach sagen, dass diese Begriffe sehr wirkungsmächtig sind, und zwar emotional bis hin zum Ökonom. Ganze Wirtschaftszweige leben von ihnen.
Katrin Tominski:
Du hast es eben schon erwähnt, dass gerade diese Trennschärfe Wo fängt Liebe an, wo hört sie auf? Was ist eigentlich Liebe? Damit haben sich die Philosophen ja nun anscheinend schon viele Jahrtausende, kann man ja schon sagen, beschäftigt. Vielleicht ganz kurz Was ist denn jetzt eigentlich liebe?
Markus Tiedemann:
Oha. Also ich. Ich hoffe, dass wir im Laufe dieser Podcastfolge des Öfteren darauf zurückkommen. Deswegen werde ich jetzt wahrscheinlich versagen, eine glorreiche Definition hinzulegen. Ich möchte aber doch folgendes an Unterscheidung bringen. Also wir können klare Definitionen bringen, zumindest in einzelnen Teilbereichen. Und die beziehen sich dann immer entweder auf das Subjekt, also verliebt auf das Objekt. Was wird geliebt oder auf die Motive.
Ich nehme mal die Motive, da würde ich sagen, haben die philosophischen Schulen drei herausgearbeitet. Also Liebe ist entweder Habsucht erobern und gebrauchen wollen. Liebe ist entweder Wertschätzung, Bewunderung und vielleicht auch den Wunsch, in gewissem Maße daran partizipieren zu dürfen. Oder Liebe ist so etwas wie Wohlwollen, das bis zur Selbstaufgabe führen kann. Und damit hätten wir so drei Möglichkeiten, sich der Liebe zu nähern. Und dahinter stehen dann auch wieder philosophische Schulen.
Katrin Tominski:
Die Variante mit der Habsucht gefällt mir persönlich jetzt nicht so gut. Welche Schule ist das?
Markus Tiedemann:
Na ja, das geht schon. Wenn ich mal einen nennen darf, wäre bei Nietzsche. Vielleicht kommen wir später noch auf ihn. Also, liebster, Nietzsches liebes Verständnis, wenn du ein Bild haben willst, sind das die Möwen. Bei Findet Nemo meinte und meint meins. Also es geht darum zu haben, ja auch zu überwältigen und zu gebrauchen. Das ist eine Art der Liebe.
Also Liebe ist Begehren ist sehr egoistisch. Das Mag einem unsympathisch vorkommen. Nietzsche würde sagen Ja, vielleicht ist es aber einfach ehrlich so? Allerdings eine Differenzierung, die wir im Bereich der Liebe noch fällen dürfen, ist die Nietzsche nicht macht, ist die der Unterschied zwischen verliebt sein und lieben. Da ist ein anderer Grad des Begehrens im Spiel. Und man kann auch sagen, das sind zwei völlig getrennte Phänomene. Also falls wir noch auf Erich Fromm zu sprechen kämen, der würde sagen Ja, Liebe ist das eine. Und Verliebtsein ist nichts anderes als Wahnsinn zu zweit.
Katrin Tominski:
Darüber wird ja ganz oft diskutiert. Aber wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, weiß ich, wie Nietzsche genannt, am Anfang sozusagen Liebe als Habsucht. Dann wiederum gibt es ja auch eben die Ansätze Liebe als Selbstaufgabe, was sie jetzt auch in ihrem dritten Ansatz genannt hat. Verstehe ich das richtig, dass ich ich will es jetzt mal tut, auch nach über 2000 Jahren sozusagen heute keine Status Quo Liebes Definition zusammengefasst werden kann?
Markus Tiedemann:
Also wir haben eine Anzahl von Definitionen, aber wir haben nicht die eine, die in der Lage ist, alle Fragen zu beantworten. Die haben wir nicht.
Katrin Tominski:
Das ist spannend. Vielleicht kommen wir gleich mal zum Begriff Freundschaft. Unterscheidet sich Liebe von Freundschaft? Und wenn ja, wie viel?
Markus Tiedemann:
Sehr, sehr schwierige Frage. Also, wir haben eine Möglichkeit, das relativ klar zu unterscheiden. Und dann später wird es wieder diffus. Die klare Unterscheidung wäre, dass wir sagen, Liebe ist primär ein Gefühl, also ein emotional, ein emotionaler Zustand, während Freundschaft so was wie eine soziale Disposition ist. Eine soziale Relation ist. Ich kann nicht alleine Freundschaft leben. Also Robinson kann ohne Freytag nicht Freund sein. Robinson kann aber ohne Freitag lieben. Also Liebe ist einseitig. Freundschaft muss immer wechselseitig sein, sonst macht es keinen Sinn.
Katrin Tominski:
Da muss ich jetzt mal kurz zwischen gehen. Ist es wirklich so, dass Liebe einseitig ist?
Markus Tiedemann:
Nein, nein, sie ist nicht einseitig, aber sie kann einseitig sein.
Katrin Tominski:
Kann sie überhaupt entstehen, wenn sie einseitig ist?
Markus Tiedemann:
Das weiß ja jeder von uns, der schon mal unglücklich verliebt war und von dem oder der geliebten Null wahrgenommen wurde. Wir können sogar Dinge lieben. Also strenggenommen sind wir Naturliebhaber. Wir können aber keine Naturfreunde sein, weil die Natur ist die Natur und hat keine emotionale Beziehung zu uns. Wir haben emotionale Beziehung zur Natur. Es gibt Sammler von unbelebten Gegenständen, die lieben ihre Gegenstände, werden aber nicht geliebt.
Will also besagen Liebe kann einseitig sein. Muss es natürlich nicht. Freundschaft muss wechselseitig sein, sonst lässt sich nicht sauber denken. Und dann geht es aber trotzdem. Die Nähe zwischen beiden. Und falls wir dazu kommen, würde ich gerne die These vertreten, dass wahre Freundschaft bei Aristoteles und das, was Erich Fromms Reife Liebe nennt, mehr oder weniger das gleiche Phänomen beschreiben.
Katrin Tominski:
Das klingt ganz spannend. Das lässt sehr neugierig machen auf alles, was jetzt in noch weiter kommt. Ich möchte noch mal zum Überblick. Jetzt weiter zum Sex gehen. Wir haben über Liebe und Freundschaft gesprochen. Markus Kann Sex als Grenze dazwischen formuliert werden?
Markus Tiedemann:
Ich kann die Frage sehr gut nachvollziehen. Und das Sympathische daran ist, dass sie zum Beispiel in Schulklassen andauernd gestellt wird, weil dort so ein Bedürfnis nach Romantik besteht und gleichzeitig auch nach Sicherheit, dass man diese Phänomene klar voneinander abgrenzen kann. Aber die Antwort lautet Nein. Sex kann keine verlässliche Unterscheidung zwischen Liebe und Freundschaft sein. Ich kann natürlich auch Sex mit meiner Freundin oder meinem Freund haben.
Wir kennen das Phänomen Freundschaft Plus und man muss natürlich sagen, dass Sexualität ganz ohne Liebe und ganz ohne Freundschaft besteht. Zwei Beispiele in der Prostitution. Hoffen wir, dass es wenigstens auf einen fairen Deal hinaus geht. Läuft. In der Vergewaltigung läuft das einfach nur auf Grausamkeit hinaus. Das heißt, dort manifestiert sich Sexualität ganz ohne Liebe und Freundschaft, weswegen sie weder dem einen noch dem anderen verbindlich anhaftet.
Katrin Tominski:
Sexualität ist also ein ganz besonderes Phänomen. Er macht die Liebe ganz erfüllend, er macht die Freundschaft interessant oder es macht die Liebe ganz erfüllend, die Freundschaft ganz interessant, kann aber auch für sich alleine stehen, weil sie die gute alte Formel Freundschaft ist. Alles ohne Sex und alles, was mit Sex ist, ist eine Liebe. Die stimmt also nicht.
Markus Tiedemann:
Ich glaube, man kann sie logisch nicht verteidigen, weil wir jede Menge Phänomene finden, die anders zusammen gestrickt sind.
Katrin Tominski:
Wir werden auch in den nächsten Folgen jetzt nicht viel sagen. Ich möchte noch kurz einen Schritt zurück gehen. Wir haben ja jetzt vorher gefragt Brauchen wir Liebe für guten Sex? Umgekehrt Ist Sex denn wichtig für die Liebe? Oder kann die Liebe auch ohne Sex bestehen?
Markus Tiedemann:
Also Liebe kann definitiv ohne Sex bestehen. Es gibt ja Formen. Also noch mal, wenn es ohne Genitalien gemeint ist, dann sind ja schon alle Formen der Liebe raus, die wir so mit Elternliebe, Geschwistern, Liebe, Freundschaft, Liebe und so etwas beschreiben würden. Also das wir ja schon hinreichend. Dann gibt es asexuelle Menschen, das sind Menschen, die keine Genialität lieben, aber sehr wohl zur Liebe fähig sind. Und insofern lässt sich das relativ leicht sagen, dass Liebe ohne Sexualität möglich ist.
Katrin Tominski:
Das war alles sehr aufschlussreich. Ich danke dir für diese Reise ins Reich der Philosophie. Ich bin auch schon ganz gespannt, wie es weitergeht. In der nächsten Folge dreht sich alles um Mythen und deren Auswirkungen auf unser Verständnis von Liebe und Sex. Warum waren die Griechen so tolerant und warum ist das Christentum so lustfeindlich? Das klären wir beim nächsten Mal. Für heute sagen wir Tschüss. Das war die erste Folge des Podcasts Liebe, Sex und Freundschaft. Fragen und Antworten der Philosophie. Danke dir, Markus.
Markus Tiedemann:
Ich danke dir.
Katrin Tominski:
Ich bin Katrin Tominski. Wir freuen uns auf euch in der nächsten Folge. Bis bald.
Das war unser Podcast Liebe, Sex und Freundschaft, Fragen und Antworten der Philosophie mit Markus Tiedemann und Katrin Tominski. Musik: Sven Germerot, Technik: Birgit Nockenberg.
Und schaltet auch das nächste Mal gern wieder ein.
Weitere Informationen
Sprecher:innen
Katrin Tominski
Katrin Tominski ist freie Journalistin und veröffentlicht vor allem in Online- und Hörfunkredaktionen des Mitteldeutschen Rundfunks, gelegentlich auch beim Magazin „Veto“ und „Zeit Online“. Sie betreut als Redakteurin die Radio-Live-Gesprächsrunde „Dienstags direkt“, analysiert als Wissenschaftsjournalistin bei MDR WISSEN in neue Erkenntnisse aus der Forschung und publiziert regelmäßig zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen bei MDR SACHSEN. Die Thüringerin ist gelernte Verlagskauffrau, hat Kulturwissenschaften, Journalistik und Politikwissenschaften in Leipzig und Lyon studiert lebt und arbeitet heute in Dresden.
Markus Tiedemann
Markus Tiedemann ist Professor für Didaktik der Philosophie und für Ethik am Philosophischen Institut der TU Dresden. In seinen überwiegend auf Studierende des Lehramts ausgerichteten Vorlesungen behandelt er Themen und Konzepte wie Streitkultur, Post-Aufklärungs-Gesellschaft, transzendentale Toleranzerziehung und normative Integration, die er nicht nur durch eine umfassende fachdidaktische Ausbildung ergänzt, sondern auch durch Exkursionen und Praxisseminare. 2023 wurde er für sein Engagement von der UNICUM-Stiftung als "Professor des Jahres" in der Kategorie Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften gewählt.
Produktionsteam
Professor Markus Tiedemann, Professur für Didaktik der Philosophie und für Ethik, TU Dresden
Katrin Tominski, Wissenschaftsjournalistin MDR
Sven Germeroth, Musik- und Jingleproduktion
Birgit Nockenberg, Technik und Wortproduktion
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