Trauer um Prof. Dr. Winfried Müller (31. Januar 1953 – 25. Februar 2025)
Am 25. Februar 2025 ist Winfried Müller völlig unerwartet in München verstorben. Wir sind fassungslos und trauern um einen überaus geschätzten Kollegen, engagierten und zugewandten Hochschullehrer und lieben Menschen. Mit seiner Aufrichtigkeit, der wunderbaren Freundlichkeit und dem feinen Humor hat er das Institut für Geschichte und die TU Dresden zwei Jahrzehnte bereichert und blieb dem Institut und uns allen auch nach seiner Emeritierung eng verbunden. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Frau und seiner Familie!
Winfried Müller war von 1999 bis 2018 Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden und zugleich von 2000 bis 2020 Direktor des außeruniversitären Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV). Als Nachfolger von Karlheinz Blaschke, der den neugegründeten Lehrstuhl von 1992 bis 1998 innehatte, prägte Müller die weitere Etablierung und Entwicklung der Landesgeschichte in Dresden und in Sachsen ganz maßgeblich. Dies ist besonders zu betonen, da die Landesgeschichte in der Zeit der DDR nur ein Schattendasein fristete und mit Blaschke nach der Wende ein Landeshistoriker an die TU Dresden berufen wurde, der zunächst die älteren Traditionen der Landesgeschichte in Sachsen wiederbeleben musste und vielfältige Grundlagenarbeit zu leisten hatte. Mit Müller, der aus Bayern über das Rheinland nach Sachsen kam, wurden der sächsischen Landesgeschichte neue Horizonte eröffnet, insbesondere dadurch, dass er als (Früh-)Neuzeithistoriker die Sattelzeit, das 19. Jahrhundert und später auch das 20. Jahrhundert bespielte. Themen waren insbesondere die Schul- und Universitätsgeschichte, Aufklärung und Reform mit besonderem Fokus auf dem ‚Dritten Deutschland‘, die historische Jubiläumskultur, die Geschichte der Oberlausitz, die Stadtgeschichte Dresdens, die Reform- und Heimatbewegungen um 1900 und schließlich die Geschichte des Kinos. In diesen und anderen Feldern hat er auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler erfolgreich bei ihren eigenen Forschungen begleitet.
Geboren am 31. Januar 1953 in Grafrath/Oberbayern legte Müller 1973 das Abitur in Fürstenfeldbruck ab und studierte sodann Geschichte, Germanistik und Politik an der LMU München. Nach Erstem Staatsexamen und Magister Artium 1980 folgte 1983 die Promotion mit einer Dissertation bei Laetitia Böhm zum Thema „Universität und Orden. Die bayerische Landesuniversität Ingolstadt zwischen der Aufhebung des Jesuitenordens und der Säkularisation 1773–1803“. Im Anschluss war er am Institut für Bildungs- und Universitätsgeschichte der LMU tätig und habilitierte sich 1991 mit der Arbeit „Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Militärregierung 1945–1949“. Es folgten unter anderem Lehrstuhlvertretungen in München (Mittelalterliche Geschichte und Landesgeschichte) und schließlich seit 1997 in Bonn (Neuere Geschichte), wo er bis zum Ruf nach Dresden lehrte.
Neben Lehrstuhl und ISGV leitete Müller von 2000 bis 2008 das Teilprojekt „Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus“ im SFB 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ und von 2009 bis 2014 das Teilprojekt „Gemeinsinnsdiskurse und religiöse Prägung zwischen Spätaufklärung und Vormärz (ca. 1770–1830)“ im SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“. Hinzu kommen die Kinogeschichte, die er 2018 bis 2020 in einem größeren Projekt am ISGV erforschte, sowie ein Katalog der deutschen Künstlersteinzeichnungen ein zentrales Projekt der letzten Jahre, das er 2019 mit einer üppig ausgestatteten Monographie abschloss. Zu erwähnen ist darüber hinaus die Beteiligung an der Vorbereitung des 47. Deutschen Historikertags „Ungleichheiten“ (Dresden 2008) sowie die Mitarbeit an der 3. Sächsischen Landesausstellung „Via regia – 800 Jahre Bewegung und Begegnung“ (Görlitz 2011) und der 1. Brandenburgischen Landesausstellung „Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft“ (Doberlug 2014). Er war Mitglied der Historischen Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München und weiterer wissenschaftlicher Vereinigungen und Gremien sowie nicht zuletzt viele Jahre Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Sorbischen Instituts in Bautzen und Vorsitzender des Dresdner Geschichtsvereins.
Persönlich habe ich Winfried Müller erstmals als jungen Professor in meiner Bonner Studienzeit in Lehrveranstaltungen erlebt, die von der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches über die (deutsche und europäische) Aufklärung bis zur Geschichte Englands reichten. Über die Aufklärung hat er wenig später einen Reader in der Reihe „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ verfasst, der aufgrund der breiten Anlage mit Blick auf Geistesgeschichte, Gesellschaft und Politik immer noch lesenswert ist. Dass ich eines Tages sein Nachfolger in Dresden werden würde, wäre mir damals natürlich nicht in den Sinn gekommen. Umso schöner war es dann, Winfried Müller zwanzig Jahre später wieder zu begegnen und ihn als beeindruckenden Menschen besser kennenzulernen. Verbunden hat uns insbesondere die Leidenschaft für das Kino, die wir gemeinsam in zwei für das ISGV organisierten Filmreihen ausgelebt haben – „Als die Bilder sprechen lernten. Dresdner Kinokultur zwischen Stumm- und Tonfilm“ (2019/20) und „Mit Viktor Klemperer im Kino“ (2021/22). Einen idealeren Vorgänger in den beiden Ämtern an der TU Dresden und im ISGV kann ich mir kaum vorstellen: Winfried Müller hat mir alle Türen geöffnet, viele Positionen in Beiräten und Gremien vermittelt, seine jüngeren Schülerinnen und Schüler als neue Mitarbeiter:innen überlassen und mich in vielerlei Hinsicht bei den vielfältigen neuen Aufgaben beraten und begleitet – und all das ohne mir irgendetwas aufzudrängen. Vielmehr hat er in seiner höflichen, zurückhaltenden und wertschätzenden Art dezent seine Hilfsbereitschaft signalisiert und dann abgewartet, bis ich auf ihn zugekommen bin und um Rat gebeten habe. Loslassen ist eine Kunst, die nicht sehr viele Menschen im akademischen Milieu beherrschen. Winfried Müller konnte das und war zugleich durch seine aktuellen Forschungsbeiträge und die Teilnahme an Veranstaltungen weiterhin sehr präsent und überaus geschätzt.
Dass er das Leben nun so plötzlich loslassen musste, ist tragisch, stand er doch mitten in diesem und hatte mir gerade im Nachgang seines Geburtstags noch vor wenigen Tagen geschrieben, dass wir uns ganz sicher Anfang März wieder im Klemperer-Saal der SLUB sehen würden – bei einem weiteren Kinoabend des ISGV. Dass es dazu nicht mehr kommen wird, erfüllt mich mit tiefer Trauer.
Die Sächsische Landesgeschichte verliert mit Winfried Müller eine ihrer wichtigsten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte. Der Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte, das Institut für Geschichte und die Philosophische Fakultät der TU Dresden werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Andreas Rutz, 26. Februar 2025