09.09.2025
Team der NNG auf dem Historikertag 2025 in Bonn
Unsere Kollegin Silke Fehlemann geht gemeinsam mit der Historikerin Sabine Mecking (Marburg) auf dem diesejährigen Historikertag in Bonn der Frage nach, ob Geschichtswissenschaft auch Trost spenden kann. Hier finden Sie das Programm der geplanten Sektion.
Kann Clio trösten? Geschichtswissenschaft als Trost.
Sektionsleitung: Silke Fehlemann (Dresden), Sabine Mecking (Marburg)
Geschichtswissenschaften fragen, verstehen und erklären, doch welches Potential bieten sie noch? Offenbar scheint ihnen auch eine tröstende Wirkung innezuwohnen, die über Kontingenzbewältigung hinausgeht. In den furchteinflößenden Monaten der Corona-Pandemie spendeten Historiker:innen mit ihrem Wissen über frühere, überstandene Seuchen Trost, Zuversicht und Orientierung. Gemeinhin gilt Trost als Ermutigung und Leidlinderung, dabei stand der Begriff lange in einem religiösen oder pastoralen Kontext. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Säkularisierung suchen jedoch offenbar immer mehr Menschen auch einen weltlichen Trost, in dem die historische Perspektive wichtig ist. Diese tröstende Dimension von Geschichte zeigt sich etwa – wenngleich ganz unterschiedlich – anhand der historiographischen „Bewältigung“ von NS-Vergangenheit und Holocaust oder in der historischen Betrachtung der DDR, bei der einige Darstellungen einen nostalgischen Einschlag nicht verleugnen können. Dabei stellt sich jedoch zugleich die Frage, inwieweit sich ein historischer Trosteffekt auch machtpolitisch missbrauchen lässt. Politische Kampfparolen wie „Make America great again“ oder die rückwärtsgewandte Forderung nach der „erinnerungspolitischen Wende“ deuten in diese Richtung.
Welche Chancen und Grenzen eröffnen sich dem Fach Geschichte als empathische Wissenschaft, wenn die tröstende Wirkung reflektiert wird? Oder widerspricht diese Funktion gar der akademisch-rationalen Ausrichtung des Faches? Ziel der Sektion ist es, die tröstende Dimension der Geschichtswissenschaften zu markieren und zu diskutieren, da sie im Gegensatz zur Bildungs- und Aufklärungsfunktion bislang nicht systematisch reflektiert wird.
Geschichtswissenschaft als Trost? Eine Einführung
Silke Fehlemann (Dresden), Sabine Mecking (Marburg)
Einführend legen Silke Fehlemann und Sabine Mecking unterschiedliche Trostdimensionen dar. Dabei stehen drei Aspekte im Vordergrund: (a) Nostalgie, die Sehnsucht nach Vergangenem, die sich sowohl in Dingen als auch in Narrativen manifestiert; (b) Geschichte kann mit Kontinuität an sich trösten, mit der Gewissheit, dass bereits die Vorfahren zahlreiche Herausforderungen und Krisen bewältigten. Zudem (c) kann sie mit einem Ausblick auf Potentiale trösten, wenn sie auf Vergangenes, auf Macht und/oder Größe blickt.
Auf Trotz und Trauer folgt Trost? Rituale der „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945
Philipp Erdmann (Münster)
Philipp Erdmann erörtert, inwieweit die NS–„Vergangenheitsbewältigung“ in Trostpraktiken verarbeitet wurde. Nach 1945 bot der Blick zurück unter dem Eindruck des Krieges und des Holocaust wenig Tröstliches. Im Gegenteil: Bei Gedenkfeiern, Denkmalseinweihungen und anderen Formen der öffentlichen Erinnerung standen mal Trauer und erzieherisch-mahnende Funktionen, mal trotzige Verklärung oder gar Abkehr im Vordergrund. Der „Vergangenheitsbewältigung“ wurden dabei zahlreiche Funktionen zugeschrieben: (Wieder-)Herstellung von Gemeinschaft und Machtstrukturen, individuelle wie kollektive Sinnstiftung oder das Anbahnen von Versöhnung.
Die DDR-Geschichtsschreibung nach 1989 als Trosterzählung
Martin Sabrow (Potsdam)
Martin Sabrow legt dar, wie sich Zäsuren in der DDR-Aufarbeitung nach 1989 über die Kategorie Trost entschlüsseln lassen: Trost konnte die zweite deutsche Diktatur für eine westdeutsche Geschichtserzählung bereithalten, die sich selbst bewies, aus der versäumten Vergangenheitsbewältigung nach 1945 gelernt zu haben. Entmachtete DDR-Eliten tröstete dagegen die Vorstellung, dass der Zusammenbruch der DDR nur eine kurzfristige Niederlage im jahrhundertealten Kampf für den historischen Fortschritt bedeute. Trost bietet schließlich auch das Narrativ einer vom Herrschaftscharakter der DDR entkleideten Alltagsgeschichte, die dem Stolz auf das gelungene Leben unter widrigen Umständen Raum gibt.
Trost in der Katastrophe. Wie Geschichte als „coping mechanism“ in Zeiten von Krise und Konflikt in der Schule eingesetzt werden kann
Beatrice de Graaf (Utrecht)
Beatrice de Graaf zeigt, wie Historiker:innen in den Niederlanden ihrer Trostfunktion in den Schulen nachkommen, wenn Amokläufe oder andere Katastrophen die Gesellschaft schockieren. Nach 9/11 stellte sich heraus, dass es Kindern half, Geschichten über Krisenbewältigung aus der eigenen Familie zusammenzutragen und zu erzählen. Aus der Geschichtspädagogik ist bekannt, dass Geschichte hier Trost spenden kann. Vor dem Hintergrund empirischer Forschungen in Sekundar- und Berufsschulen wird analysiert, wie die historische Kontextualisierung von „disruptiven Momenten“ dazu beiträgt, Schüler:innen Halt und Bewältigungsmöglichkeiten in Krisen zu geben.