Präsentationen
Inhaltsverzeichnis
- Geschichtswissenschaftliche Forschung im Archiv - Eine Einführung (SoSe 2018)
- Vom Nutzen des Todes. Innansichten der Dresdner Anatomie 1736-1817 (WS 2016/17)
- Dresdner Stadtgeschichte(n) schreiben (SoSe 2016)
- Beleidigung und Protest in Sachsen (WS 2015/16)
- Geschichte aus dem Archiv - Geschichte im Archiv (WS 2014/15)
- Budissinische Chronologium - Die Klahre-Wahren-Chronik (SoSe 2010)
- "Der Nieder-Lausitzische Methusalah". Annäherungen an das Leben des Wirtschaftsvogtes Martin Kaschke (1610-1727) (WS2003/04)
- Sächsische Leichenpredigten in der Frühen Neuzeit (SoSe 2003)
- Essen und Trinken in der Frühen Neuzeit (SoSe 2002)
- Eide, Statuten und Prozesse (WS 2000)
Geschichtswissenschaftliche Forschung im Archiv - Eine Einführung (SoSe 2018)
Dresdner Studierende kommen der geheimnisvollen Geschichte des Dresdner Pulverturms auf die Spur
Historische Forschung im Archiv und historische Forschung in Stadtführungen - wie passt das zusammen? Vom 20. bis 24. August 2018 ergründete eine kleine Gruppe Studierender gemeinsam mit Mario Sempf (Stadtführer und Praxisanleiter für Geschichte) und Dr. Alexander Kästner vom Institut für Geschichte der TU Dresden die Geschichte des Pulverturms in Dresden.
Das Praxisseminar sollte - so die ursprüngliche Idee - Studierenden einen Einblick in mögliche Berufsfelder für Historikerinnen und Historiker geben und sie zugleich exemplarisch an das eigenständige Arbeiten mit archivalischen Quellen heranführen. Dass am Ende viel mehr dabei herauskam, lag vor allem am Engagement und an der Begeisterung der Studierenden. Auf der Suche nach einem geeigneten Thema für das Seminar stießen die beiden Veranstalter auf widersprüchliche Berichte zum alten Dresdner Pulverturm, dessen Fundamentreste noch heute im gleichnamigen Restaurant in den Kellergewölben des Cosel-Palais’ bestaunt werden können. Wie sah der Turm eigentlich einmal aus? Weshalb wurde er abgerissen? Was ist dran an den Gerüchten um die Existenz einer ursprünglich am selbigen Platz befindlichen Mühle? Und könnte es sich nicht bei dem vermeintlichen Brunnen im Eingangsbereich um die Überreste einer Latrine handeln? Diese und weitere Fragen führten die Studierenden auf eine spannende Entdeckungsreise von der Dresdner Altstadt ins Hauptstaatsarchiv Dresden (StA-D) und weiter ins Landesamt für Archäologie Sachsen (LfAS).
Tag 1, 20. August 2018: Vom Pulverturm ins Hauptstaatsarchiv
Die Spursensuche begann pünktlich 8:30 Uhr vor dem Restaurant Pulverturm an der Frauenkirche, wo Mario Sempf zunächst die Geschichte des Ortes und seines Wiederaufbaus in den Jahren 1997-98 erläuterte. Liebenswerter Weise sponserte das Restaurant sogar den Beteiligten einen Morgenkaffee, der die ohnehin schon längst nicht mehr müden Augen der Beteiligten noch aufmerksamer machte für das, was nun direkt vor uns lag. Nachdem wir die baulichen Überreste in Augenschein nehmen durften, setzten wir unseren Weg fort ins Hauptstaatsarchiv Dresden. Diplomarchivarin Andrea Tonert vermittelte in einer kurzweiligen Führung die Grundlagen des Archivwesens und gewährte uns spannende Blicke hinter die Kulissen. Gegen Mittag hatten wir vorerst ausreichend genügend Eindrücke gesammelt, die wir zunächst auswerteten und Fragen für die nachfolgenden Recherchen formulierten. Nach einer kurzen Einführung in das konkrete Suchsystem des Archivs gelang den Studierenden der Sprung ins kalte Wasser, sodass schnell die ersten Archivalien gefunden werden konnten. Gemeinsam tauschten sich dabei die Veranstalter und Studierenden über Probleme, Kniffe und Tricks bei der Recherche im Archiv aus. Nachdem alle Beteiligten bis 15Uhr die Findmittel des Hauptstaatsarchivs durchstöbert hatten, bestellten wir dutzende Archivalien für den kommenden Tag.
Tag 2, 21. August 2018: Die Arbeit beginnt
Am zweiten Tag stand nun die erste Sichtung der bestellten Archivalien an. Da sich das Ausgangsniveau paläographischer Vorkenntnisse als äußerst unterschiedlich darstellte, verteilten wir die bestellten Archivalien auf drei Arbeitsgruppen auf. Es bestand die Aufgabe, den jeweiligen Inhalt kurz zu erfassen, relevantes Material herauszufiltern und alle Probleme und Hindernisse zu notieren, die sich bei dieser Aufgabe stellten. Obwohl einige Studierende hier zum ersten Mal mit handschriftlichen Quellen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert arbeiten konnten, gelang es erste, teils überraschende Erfolge zu erzielen. So berichtete beispielsweise eine Akte aus dem Finanzarchiv detailliert von einem Münzfund im Turmknopf beim Abriss des Pulverturms im Jahr 1744.
Und dennoch stellte sich am Ende des zweiten Tages auch ein wenig Ernüchterung ein. Es war uns noch nicht gelungen, Licht ins Dunkel der Baugeschichte des Pulverturms zu bringen. Die Überlieferung für den fraglichen Zeitraum der Jahre 1560-1580 erwies sich als zu schmal. Die Aussagen der Literatur blieben äußerst widersprüchlich und deren Quellengrundlage mitunter nebulös. Und auch zur Frage, ob es sich beim “Brunnen” im heutigen Restaurant eher um eine Latrine handelte, fanden sich keinerlei Unterlagen. Somit blieb die Aufgabe, geeignetes Material für gemeinsame Übungen zur Paläographie und Quellenkunde am Folgetag auszuwählen. Dank der hervorragenden technischen Ausstattung im Hauptstaatsarchiv konnten diese sogleich gescannt und aufbereitet werden. Zudem blieb es nach Beendigung der ersten Quellenlektüre Hausaufgabe, weiter zur Geschichte des Pulverturms zu recherchieren und entsprechende Fundstellen in der Literatur systematisch zusammenzutragen.
Tag 3, 22. August 2018: Historik praktisch: Geschichten vermitteln, Quellen erschließen
Der dritte Tag diente dazu, den Alltag und die Herausforderungen für einen Stadtführer näher kennen zu lernen und in der Arbeit mit den Quellen noch einmal einen Schritt zurück zu gehen. Mario Sempf erläuterte den Studierenden in einem Vortrag und im gemeinsamen Gespräch ausführlich seine Arbeit als Stadtführer und passionierter Experimental-Archäologe (seit 2011 Mitglied im Verband der Experimentellen Archäologie in Europa, EXAR, sowie Mitstreiter und Mitglied in der Archäologischen Gesellschaft Sachsen, AGIS). Anschließend ging es in den großen Vortragssaal des Hauptstaatsarchivs, in dem uns Laptop und Beamer bereit gestellt wurden, um gemeinsam an den Quellenscans vom Vortag zu arbeiten.
Am Beispiel einer Archivalie aus dem Finanzarchiv klärten wir Schritt für Schritt die Frage, wie man sich eine solche Quelle inhaltlich sowohl systematisch als auch zügig erschließen kann, ohne gleich den gesamten Text transkribieren zu müssen. Dabei besprachen wir nicht nur verschiedene Arbeitstechniken, sondern auch einige propädeutische Grundlagen der Quellenkunde zur Einordnung der verschiedenen Textformen, die in der Archivalie enthalten waren (Konzeptschreiben, Abschriften von Reskripten, originale Briefe und Bittschreiben, Kabinettserlasse, persönliche Anmerkungen des Landesherrn, Grundrisse und Planzeichnungen, Registraturen, Dorsualvermerke usw.).
Dank der hochauflösenden Scans konnten wir anschließend einige Texte gemeinsam lesen, sprachliche Besonderheiten klären (etwa das Verb “würdern” = schätzen, taxieren) und Abkürzungen (etwa “actuts” = actum ut supra) auflösen. Ganz nebenbei kamen hier auch die üblichen Hilfsmittel konkret zur Anwendung, die in sonstigen Seminaren nur in den reichhaltigen Literaturempfehlungen auftauchen. Am Ende dieses Tages hatten wir einige Arbeitstranskriptionen erstellt, auf deren Grundlage künftig Führungen durch den Pulverturm neu gestaltet werden könnten.
Dennoch waren viele Fragen offen geblieben. Auch die weiteren, parallelen Recherchen im Home-Office zu Literatur und Quellen hatten weder die bisherigen Widersprüche der Baugeschichte aufklären noch all unsere Fragen beantworten können. Und so setzten wir unsere Hoffnung auf unseren Besuch im Landesamt für Archäologie.
Tag 4, 23. August 2018: Archäologie und Geschichte - das gehört zusammen, passt aber nicht immer!
Erneut pünktlich 8:30 Uhr empfing uns Herr Dr. Heynowski vom LfAS und erläuterte uns am Kartentisch anschaulich anhand der Dokumentation der für die Geschichte des Pulverturms relevanten Grabungen von 1997 (DD-56) und 1976 (DD-177) zunächst ausführlich die Aufgaben und das praktische Arbeiten des LfAS. Wir waren sehr überrascht darüber, dass wir vollen und freien Zugriff auf die gesamte Dokumentation erhielten. Das Material war derart umfangreich, dass wir bis in die Nachmittagsstunden mit einer ersten, vorläufigen Auswertung beschäftigt waren. Es zeigte sich - unverhofft für uns alle - wie akribisch und systematisch auch die historischen Vorarbeiten für die Grabung durchgeführt und dokumentiert worden waren. Neben Arbeitsttranskriptionen einzelner Archivalien (für uns besonders hilfreich aus dem Stadtarchiv Dresden, das aus Zeitgründen in dieser Blockveranstaltung nicht angesteuert werden konnte) fanden sich Literaturauswertungen, Kopien der hauseigenen Publikationen und neben der Grabungsdokumentation auch jede Menge Unterlagen zum Neubau des Cosel-Palais’.
In mehreren Arbeitsschritten gingen wir systematisch alle Ordner (mit Befundblättern, Fotos, Rechercheergebnissen usw.), Planzeichnungen und Detailskizzen zu den einzelnen Funden durch. Immer wieder beratschlagten wir mit Hrn. Dr. Heynowski, wie die einzelnen Befunde ins Verhältnis zur bisherigen Literatur gesetzt werden könnten. In den Gesprächen zeigte sich wiederholt, wie problematisch voreilige Analogieschlüsse sein können und wie zurückhaltend kritisch auch die archäologischen Befunde vor dem Hintergrund der schriftlichen und bildlichen Überlieferung gedeutet werden müssen. Auf die Frage, ob der Brunnen des Pulverturms womöglich eine Latrine sei, erhielten wir ambivalente Antworten aus dem Material: Erstens fanden sich Überreste einer bereits vor 1744 verfüllten Grube, deren zeitgenössisch mehrfach überbaute Mauerringreste bei der Grabung als “Brunnen oder Latrine” gedeutet worden waren. Allerdings hatte die damalige Grabung nicht die Tiefe des heutigen “Brunnenbodens” erreicht. Mehr war hier also zunächst nicht in Erfahrung zu bringen. Und es wurde noch seltsamer, als wir in der Fotodokumentation des Neubaus aus dem Jahr 1998 entdeckten, dass der fragliche Bereich vollständig mit einer Stahlbetondecke überzogen worden war. Wie also der heutige “Brunnen” an exakt der Stelle der damaligen, gemauerten Grube in den heutigen Pulverturm kam, ließ sich somit noch weniger klären. Ganz im Gegenteil hatten wir am Ende des Tages noch wesentlich mehr Fragen als zuvor.
Tag 5, 24. August 2018: Ein Abschluss - kein Ende
Den letzten Tag dieser Seminarwoche nutzten wir, um alle gewonnenen Daten, Befunde und Eindrücke zu sammeln, systematisch zu notieren und über das weitere Vorgehen zu sprechen. Als zentrale Aufgabe im Anschluss an das Seminar wurde das Erstellen eines umfassenden Quellendossiers festgehalten, sowie dessen Form und notwendiger Inhalt besprochen. Dieses Dossier soll dazu dienen, künftig schnell einen Überblick über vorhandene Quellen (immerhin haben wir u.a. Bildquellen gefunden, die allen bisherigen Darstellungen unbekannt geblieben waren) und über widersprüchliche Aussagen in der Literatur zu erhalten. Auch soll das Dossier quellenkritische Anmerkungen zu den teils engen Grenzen der Interpretation einzelner Funde Quellen enthalten, um weitere voreilige Schlussfolgerungen zu vermeiden helfen. Die endgültige Fertigstellung des Dossiers, an das einzelne Prüfungsleistungen der Studierenden gekoppelt sind, ist für Ende Oktober 2018 geplant.
In der abschließenden Auswertungs- und Feedbackrunde waren sich alle Kommilitoninnen und Kommilitonen mit den Veranstaltern darüber einig, dass eine spannende und anregende Woche hinter uns lag. Insbesondere die Verknüpfung von Recherchen im Hauptstaatsarchiv und im Landesamt für Archäologie war für uns alle äußerst gewinnbringend gewesen. Ein nach den Vorrecherchen bei der Planung vermeintlich leicht zu bearbeitendes Thema hatte sich als derart vertrackt und komplex erwiesen, dass es am Ende trotz beeindruckender Rechercheergebnisse und einiger Antworten mehr Fragen gibt als am Beginn unserer Spurensuche - aber dass genau ein solches Ergebnis gute Forschung ausmacht, sollten ja alle Seminarteilnehmer ebenso lernen wie den Weg historischen Forschens hin zu einem solchen Ergebnis.
Ausblick: Aktuell wird ein Quellendossier zur Geschichte des Pulverturms erstellt, das 2019 in einem historischen Brunch im Restaurant Pulverturm präsentiert wird.
Dr. Alexander Kästner
Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Restaurants Pulverturm, des Hauptstaatsarchivs Dresden und des Landesamts für Archäologie Sachsen, insbesondere Janette Lipar, Andrea Tonert, Dr. Peter Wiegand und Dr. Ronald Heynowski für ihre freundliche, zuvorkommende und vorbehaltlose Unterstützung.
Vom Nutzen des Todes. Innansichten der Dresdner Anatomie 1736-1817 (WS 2016/17)
Im Wintersemester 2016/17 erkundeten Studierende die Überlieferungen zur Geschichte des anatomischen Instituts am Collegium medico-chirurgicum in Dresden im 18. Jahrhundert. Neben einer Vielzahl von archivpraktischen und paläografischen Übungen edierten sie dabei auch einige spannende Quellen. Ausgewählte Ergebnisse finden Sie hier als PDF zum Download.
Dresdner Stadtgeschichte(n) schreiben (SoSe 2016)
Bericht zum Praxisseminar, Veranstalter: Dr. Alexander Kästner in Kooperation mit dem Stadtarchiv Dresden
„Ist halt mal etwas ganz Anderes“ – mit diesen Worten eines Kommilitonen ist ein Ertrag des Archivseminars „Dresdner Stadtgeschichte(n) schreiben“ vom Sommersemester 2016 gut zusammengefasst. Die Veranstaltung bot Studierenden unterschiedlicher Studiengänge die Möglichkeit, verschiedene Orte, Ausstellungen und Akteure der Dresdner Geschichtskultur (z.B. Dresdner Geschichtsverein) kennenzulernen und eigene praktische Erfahrungen in der Archivarbeit und im Publizieren kurzer Geschichten aus der Vergangenheit Dresdens zu sammeln.
Die TeilnehmerInnen nutzten die Chance, sich auf ein gemeinsam zu bearbeitendes Thema zu einigen und organisierten ihre Forschungsarbeit selbständig (digitale Vernetzung, eigenständige Archivarbeit, Austausch von Materialien usw.). Die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, wie beispielsweise paläographische Grundfertigkeiten, Arbeitspläne und Anleitungen zur strukturierten Entwicklung systematischer Fragestellungen, zur redaktionellen Überarbeitung von Texten, die ein breiteres Publikum adressieren, und zur Arbeit im Archiv, wurden zusammen mit dem Veranstalter und in Kooperation mit dem Stadtarchiv Dresden entwickelt.
Zunächst recherchierten die TeilnehmerInnen drei Wochen umfassend die Bestände des Stadtarchivs Dresden sowie den Stand und die populären Themen der Dresdner Stadtgeschichtsforschung in der SLUB und im Internet. Hierzu gab es jeweils erste Präsentationen und Zusammenfassungen. Ergänzt wurde dieser Arbeitsschritt durch eine Analyse der Dauerausstellung des Dresdner Stadtmuseums, in der wir den Fragen nachgingen, welche Geschichte der Stadt in der Ausstellung erzählt wird und mit welchen Mitteln diese Geschichte dargestellt wird.
Nachdem das Feld sondiert war, einigten sich die KommilitonInnen schnell darauf, gemeinsam Geschichten über Armut nachzuspüren, die in der Stadtgeschichte Dresdens auffällig unterrepräsentiert sind. Um die Arbeit im Team über die reine Veranstaltungszeit hinaus zu koordinieren, vernetzten sich die KommilitonInnen untereinander über eine vom Veranstalter bereitgestellte digitale Lernplattform sowie über soziale Medien, tauschten Literaturexzerpte und Transkriptionen aus. Die eigenen Ergebnisse standen so von Beginn an allen KommilitonInnen zur Verfügung. In Zwischenauswertungen wurden das Forschungsfeld vorgestellt (arbeitsteilige Lektüre und Präsentationen), der individuelle Arbeitsstand evaluiert und die Schnittstellen zwischen den einzelnen Fallstudien systematisch bestimmt. Das Stadtarchiv Dresden stellte uns Arbeitsräume zur Verfügung, in denen wir gemeinsam Archivalien lesen und über Probleme der historischen Interpretation des heterogenen Quellenmaterials diskutieren konnten. Hierzu zählten auch Methoden der quantitativen Auswertung serieller Quellen.
Exemplarisch untersuchten die KommilitonInnen folgende Themen und sagten darüber:
Erstens, die historische Konstruktion des Bettlers (Jonas Mortsiefer): „Es war für mich spannend zu sehen, wie man in historische Denkwelten eindringt, die einerseits fern und andererseits seltsam vertraut erscheinen, etwa was die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Bettlern betrifft. Ich habe mich intensiv mit der Forschung und verschiedenen Quellentypen auseinandergesetzt, um der Frage nachzugehen, inwiefern vor allem das obrigkeitliche Sprechen über Bettler in verschiedenen Ordnungen und Gesetzen die gesellschaftlichen Vorstellungen von Armut und Bettel geprägt haben.“
Zweitens, Armut als gesellschaftliches Phänomen (Sebastian Müller): „Mich interessierte vor allem die Frage, wer die Armen waren. Erstaunt hat mich, dass eigentlich Jedermann betroffen sein konnte, Armut also auch ein kontingentes Phänomen ist. Ich habe in den Unterlagen der Armenverwaltung viele Einträge verarmter Handwerker und Bürger gefunden, die ich nun systematisch auswerte.“
Drittens, das Armenhaus zu Dresden (Felix Ruppricht): „Nach meiner Lektüre über multifunktionelle und gemischte Versorgungs- und Inhaftierungseinrichtungen in der Frühen Neuzeit war es für mich zunächst spannend zu sehen, wie sehr der Versorgungsgedanke im Dresdner Armenhaus im Vordergrund stand. Ich bin dann der Frage nachgegangen, wie der normative Anspruch auf Versorgung und Ordnung im Armenhaus durchgesetzt wurde und konnte eine große Diskrepanz zwischen Anstaltsalltag und Ordnungsanspruch feststellen.“
Viertens, das Dresdner Waisenhaus (Isabella Kalte): „Erstaunt hat mich zum einen, dass die institutionelle Versorgung unversorgter Kinder in Europa erst im 17. Jahrhundert einsetzte. Dresden war da ja auch kein Vorreiter. Zum anderen fand ich es irritierend, wie sehr die Waisen in der Einrichtung als Erwachsene (etwa im Manufakturbetrieb) behandelt wurden und wie gefährdet die Finanzierung der Einrichtung stets war. Wenn man auf die Vielzahl unversorgter Kinder in der Stadt blickt, dann kann diese Einrichtung eigentlich nur ein symbolischer Tropfen auf den heißen Stein gewesen sein. Für meine weiteren Forschungen möchte ich stärker das Alltagsleben im Waisenhaus in den Blick nehmen.“
Fünftens, die Sozialgeschichte der Dresdner Armenvögte (Stefan Beckert): „Im Arbeitsalltag der Armen- und Bettelvögte spiegeln sich wie unter einem Brennglas alle Probleme der vormodernen Armutsverwaltung. Es war für mich faszinierend, wie mit diesem Amt das Armutsproblem auf sozial wie materiell unterstem Niveau behandelt wurde. Die biografischen Einblicke aus den Anstellungsverfahren zeigen, wie prekär der Status dieser Vögte war und wie nah sie eigentlich jenen Menschen standen, die sie überwachen sollten. Fesselnd waren die Einblicke in den Arbeitsalltag, vor allem der tiefe Graben zwischen der Bettelgesetzgebung und der Arbeit der Armenvögte auf der Straße, etwa die vielen Anfeindungen, denen sie täglich ausgesetzt waren. Ich werde mit Sicherheit aus diesem Thema meine Masterarbeit machen.“
Ausgewählte Ergebnisse werden von November 2016 bis Juni 2017 im Rahmen einer kleinen historischen Artikelserie und unterstützt von der Deutschen Fotothek in der Dresdner Obdachlosenzeitung drObs publiziert. Voraussichtliche Abfolge und Arbeitstitel der Texte:
- 11/2016, J. Mortsiefer: Die Erfindung des Bettlers? Der obrigkeitliche Versuch ein gesellschaftliches Problem zu bekämpfen
- 12/2016, S. Müller, Armut als gesellschaftliches Phänomen. Wer waren die Bettler um 1800 in Dresden?
- 01/2017, F. Ruppricht, Das Dresdner Armenhaus im 18. Jahrhundert – (k)ein Ort für „wahrhaftig arme und elende Personen“
- 02/2017, I. Kalte, Die Dresdner Waisenhausmanufaktur. Teil 1: Struktur und Finanzierung
- 03/2017, I. Kalte, Die Dresdner Waisenmanufaktur. Teil 2: Leben im Waisenhaus
- 04/2017, S. Beckert, „Wenn jemanden ein hund crepiret ist, fragen die Bettelvoigte solchen um ein Trinkgeld“. Bettelvögte und ihre Wahrnehmung im Dresden des 18. Jahrhunderts (Bettelvögte Teil 1)
- 05/2017, S. Beckert, Die Gräfin und der alte Vogt. Die Bewerbungsunterlagen der Dresdner Bettelvögte des 18. Jahrhunderts (Bettelvögte Teil 2)
- 06/2017, S. Beckert, Bettelvögte bei der Arbeit (Bettelvögte Teil 3)
Fasst man die Eindrücke und Erfahrungen der KommilitonInnen zusammen, waren alle bewegt von den vielen unterhaltsamen Geschichten (überhaupt dem Spaß, den Forschen im Archiv bereitet) und der (gefühlten) Nähe zum historischen Thema durch das Bearbeiten archivalischer Quellen. Die paläographischen Fertigkeiten wurden jeweils soweit verbessert, dass nun alle TeilnehmerInnen in der Lage sind, Kanzleischriften des 18. Jahrhunderts zu lesen. Alle haben das Potential der Arbeit mit Archivalien für eigene zukünftige Projekte erkannt, z.T. entstehen aus diesen Studien nun Qualifikationsarbeiten. Aufgrund der geringen Zahl an TeilnehmerInnen und ihrer jeweils hohen Motivation und Arbeitsleistung war es möglich, den gemeinsamen Arbeitsprozess intensiver zu steuern und die einzelnen Ergebnisse präzise aufeinander zu beziehen und abzustimmen.
„Aus der Uni rausgehen und Dinge tun, nicht nur über sie reden“ – auch das war für dieses Seminar eine wichtige Erfahrung. Das Gleiche gilt für die Erkenntnis, dass Forschung nie aufhört, denn wie stellten die KommilitonInnen zurecht fest: „Jede Frage, die wir beantwortet haben, führte zu dutzenden weiteren Fragen – Fragen über Fragen, spannend!“
Dank: Unser Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Stadtarchivs für die stets unbürokratische und unkomplizierte Hilfe und die spannenden Einblicke hinter die Kulissen. AK
Beleidigung und Protest in Sachsen (WS 2015/16)
Veranstalter: Prof. Dr. Dagmar Ellerbrock, Dr. Alexander Kästner in Kooperation mit dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden
Hier finden Sie die Pressemitteilung des Hauptstaatsarchivs Dresden und hier die Zusammenfassung der ausgestellten Poster als reduzierte PDF-Datei.
Geschichte aus dem Archiv - Geschichte im Archiv (WS 2014/15)
Veranstalter: Dr. Alexander Kästner in Kooperation mit dem Stadtarchiv Dresden
Historiker sehen in Archiven nicht selten ‚Heiligtümer‘ ihrer Forschungspraxis. Zumindest in ihrer Wirkung auf Studierende mag das stimmen, denn gleich anderen sakralen Räumen üben Archive eine besondere Faszination aus. Sie erscheinen zugleich seltsam entrückt und unnahbar. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nur ein geringer Teil von Geschichtsstudierenden bereits während des Studiums den Weg ins Archiv findet. Als Lernort existiert das Archiv vor allem in den Bachelorstudiengängen praktisch nicht, obwohl es immer wieder als Ort der Aufbewahrung, Bereitstellung und Erzeugung von Wissen angepriesen wird. Hierin liegt ein deutlicher Widerspruch zu den Kompetenzerwartungen und Anforderungen an Historiker. In der Regel sind es Praktikanten, die die Erfahrung machen dürfen, dass ein Archiv (neben einer Bibliothek) ein Ort unendlicher Inspiration und zugleich immer wieder neuer Herausforderungen für den Alltag historisches Arbeiten ist.
Im Wintersemester 2014/15 wurden, anders als in vorangegangenen Paläografieseminaren und Archivführungen, Studierende praktisch an die Archivarbeit herangeführt. Ziel war es zu erleben, dass die Benutzung eines Archivs zwar kein unüberwindbares Hindernis darstellt, aber eben auch nicht trivial ist. Die Nutzbarmachung der Überlieferung eines Archivs ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ebenso wie das Überliefern selbst ein Ergebnis vielfältiger Praktiken. In Kooperation vorrangig mit dem Stadtarchiv Dresden, dessen Leiter Hr. Kübler die Veranstaltung unbürokratisch unterstützte, sollten daher auch Einblicke in die Arbeitspraxis von Archivaren gewährt werden.
Hier finden Sie die Präsentationen (als PDF - Größe: A0) derjenigen Studierenden, die während der Prüfungszeit über das übliche Zeitbudget hinaus an kleineren Projekten gearbeitet haben. In einigen Fällen werden diese als BA- oder MA-Arbeiten fortgeführt. Das Plakat von A. Kästner bietet eine Einführung in die Lehrveranstaltung sowie einen Überblick über das Praxisseminar:
- Alexander Kästner: Geschichte aus dem Archiv - Geschichte im Archiv. Ergebnisse eines Praxisseminars im Stadtarchiv Dresden ... zum Plakat
- Johannes Köhler: Vom Untertanen zum aktiven Staatsbürger. Der Bund für unparteiische Erziehung zu politischer Betätigung ... zum Plakat
- Chris Kühndel: Der Dresdner Pfarrer Martin Stephan im Konflikt mit Stadt und Kirche (1810-1838) ... zum Plakat
- Arlett Mielisch: Wie die Hebamme ihren Meister fand. Der lange Weg zur ersten Dresdner hebammenordnung von 1764 ... zum Plakat
- Helge Neumann: Zirkus und Krieg - Dresden am 7. Oktober 1944. Eine Eintrittskarte als Brücke zwischen dem Schrecken einer Bombardierung und dem Alltag der Dresdner Bevölkerung ... zum Plakat
- Carolin Schüler: Eine Ruine wird zum Mahnmal ... ... zum Plakat
- Christian Schuster: Die (englischen) Wurzeln des Sports in Dresden ... zum Plakat
- Daniel Wilken: Carl Gustav Carus - Ein Name prägt das Stadtbild ... zum Plakat
Budissinische Chronologium - Die Klahre-Wahren-Chronik (SoSe 2010)
Veranstalter: Tim Deubel M.A., Dr. Alexander Kästner
Das Stadtarchiv Bautzen verwahrt in seinem Handschriften-Bestand eine vierbändige Chroniksammlung, die als sogenannte „Klahre-Wahren-Chronik“ bekannt ist (StABZ, 68002 – U.III.188, Bd. 1– 4). Diese Chroniksammlung, die vermutlich zwischen 1730 und 1750 entstand und deren Autorschaft noch ungeklärt ist, gelangte wohl über den Weg der Schenkung Ende der 1930er oder in den 1940er Jahren in den Besitz der Stadt Bautzen. Die inhaltlich sehr heterogene Chroniksammlung zieht bis heute vor allem aufgrund ihrer Zeichnungen von Bautzener Bauwerken Aufmerksamkeit auf sich. Indes steht eine systematische Erschließung des Inhalts noch aus.
Im Sommersemester 2010 wurden, unterstützt vom Archivverbund Bautzen, im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden erstmals Überlegungen zur systematischen Erschließung und (Teil-)Edition der „Klahre-Wahren-Chronik“ angestellt. In zwei Arbeitsgruppen wurde zunächst über die Quellengattung Chronik diskutiert, für die ein klar definierter und fest umrissener Gattungsbegriff fehlt und die vor allem als "Speicher für eine Vielzahl verschiedenartiger Textformen und als Transporteurin anderer Gattungen" (Ernst Riegg) in Erscheinung tritt. Anschließend wurde über vorliegende Empfehlungen zur wissenschaftlichen Edition frühneuzeitlicher Handschriften debattiert. In der praktischen Umsetzung konzentrierte sich die Arbeit der Studierenden exemplarisch auf den dritten Band, und hier auf die Edition von [z. T. fehlenden] Marginalien als Grundlage für ein bislang nicht vorhandenes Register einerseits und die Edition eines vollständigen Jahreseintrags (1608) andererseits.
Ausgewählte Ergebnisse dieser Arbeiten finden Sie hier.
"Der Nieder-Lausitzische Methusalah". Annäherungen an das Leben des Wirtschaftsvogtes Martin Kaschke (1610-1727) (WS2003/04)
Veranstalter: Prof. DSr. Gerd Schwerhoff
Methusalem, der vorsintflutliche Patriarch und Großvater Noahs, erreichte nach dem Bericht des Alten Testamentes (1Mose 5,21.25-27) das legendäre und unübertroffene Alter von 969 Lebensjahren. Der „niederlausitzische Methusalem“ –der Bauer und Wirtschaftsvogt Martin Kaschke (1610-1727), brachte es immerhin auf erstaunliche 117 Jahre. Drei Jahre nach seinem Tod setzte der Drehnaer Pfarrer Christoph Crusius diesem einfachen Mann ein Denkmal in Gestalt einer über 200 Seiten umfassenden Druckschrift, deren einziges bekanntes Exemplar heute in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden aufbewahrt wird. Bei dem Text handelt es sich um ein fiktives Gespräch, das Kaschke im 'Reich der Toten’ mit dem Erzvater Jacob sowie einem 'Theologus’ und einem 'Philosophus’ führt. Das Gespräch umfasst eine weite Spanne von Themen. Nur einen kleineren Anteil machen die Erzählungen von Martin Kaschke über sein Lebensschicksal und Beobachtungen seiner Zeit aus. Dennoch wurde der Protagonist in neuerer Zeit als „Augenzeuge eines Jahrhunderts“ bezeichnet, der Text als „Selbstzeugnis aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges“ eingeordnet.
Im Rahmen einer Übung zum Thema "Ego-Dokumente der Frühen Neuzeit" (WS 2003/04) setzte sich eine Gruppe von Studierenden unter der Leitung von Prof. Dr. Gerd Schwerhoff das Ziel, diese Urteile aufgrund intensiver Textlektüre kritisch zu prüfen. Einige Ergebnisse sind in einer Internetpräsentation zusammengefasst worden. Nach der Umbau der Homepage des Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit finden Sie diese Präsentation in Form eines PDF jetzt hier.
Folgende in der Präsentation erwähnte Aufsätze können hier zur Verfügung gestellt werden:
- Alexander Kästner: Der "Nieder-Lausitzische Methusalah" als Ego-Dokument?
- Felix Kollender: "… böse war die Zeit meines Lebens"
- Alexander Kästner: Das memorierte Trauma
- Gudrun Söffker und Alexander Kästner: Alltägliche Erfahrung und Gelehrsamkeit
Sächsische Leichenpredigten in der Frühen Neuzeit (SoSe 2003)
Veranstalter: Prof. Dr. Gerd Schwerhoff
Das Seminar "Sächsische Leichenpredigten in der Frühen Neuzeit", welches im Sommersemester 2003 stattfand, hatte das Ziel, sich einen Überblick zur neueren Forschung zu verschaffen, aber auch selbst mit Originalquellen zu arbeiten. Das Seminar wurde in Kooperation mit Prof. Dr. Rudolf Lenz (Marburg) durchgeführt, der die einschlägige Forschungsstelle für Personalschriften leitet, die auch eine Abteilung an der TU Dresden unterhält.
Als Grundlage der Arbeit wurde das Repertorium zur SLUB genutzt:
"Der Katalog weist 1293 Quellen aus der Zeit zwischen 1571 und 1799 nach. 814 Stücke beziehen sich auf männliche und 479 auf weibliche Adressaten, von denen 6% nicht älter als 15 Jahre sind. Rund die Hälfte der Gefeierten stehen in Beziehung zu Sachsen, etwa zwei Drittel zum mitteldeutschen Raum, dem Kernland der Reformation. Mit 749 Eintragungen ist der niedere Adel und mit 120 der Hochadel repräsentiert. 422 Drucke sind bürgerlicher Provenienz, 2 sind Vertretern der Unterschicht gewidmet. Rund 12% aller Katalogisate beziehen sich auf Gelehrte, unter denen 62 Seelsorger zu finden sind."
Die Ergebnisse dieser Arbeit finden Sie in Form eines PDF hier.
Essen und Trinken in der Frühen Neuzeit (SoSe 2002)
Veranstalter: Dr. Susanne Rau, Prof. Dr. Gerd Schwerhoff
Von Teilnehmer(inne)n des Hauptseminars "Kulturgeschichte des Essens und Trinkens in der Frühen Neuzeit", veranstaltet im Sommersemester 2002 von Gerd Schwerhoff und Susanne Rau, wurde eine Internetpräsentation erstellt. Diese wurde im Zuge des Umbaus der Homepage des Lehrstuhls in ein PDF umgewandelt, welches Sie hier finden.
Eide, Statuten und Prozesse (WS 2000)
Veranstalter: Prof. Dr. Gerd Schwerhoff in Kooperation mit dem Archivverbund Bautzen.
Die Ergebnisse dieses Seminars wurden in einem gleichnamigen Buch veröffentlicht (Link zur Rezension). Weitere Informatuionen finden Sie hier.