Cycling Cities: The African Experience
In einem Forschungsprojekt zur sozialen Geschichte des Fahrrads in Malawis urbanem Zomba, erforscht David Drengk die sich verändernde gesellschaftliche Wahrnehmung und Nutzung des Fahrrads im 20. Jahrhundert. Das Projekt ist dabei Teil des übergeordneten größeren Forschungsverbundes „Cycling Cities: The African Experience", das von Njogu Morgan (Wits University, Johannesburg, South Africa/University of London College), Yusuf Madugu (Bayero University, Kano, Nigeria), und Ruth Oldenziel (TU Eindhoven) geleitet wird. Das Projekt arbeitet auf die Publikation eines Sammelbandes hin, angelehnt an ein Vorgängerprojekt unter dem Titel „Cycling Cities: The European Experience“. Neben Zomba, sind derzeit 14 weitere afrikanische Städte Teil des Projekts, darunter Aba (Nigeria), Bamako (Mali), Kairo (Ägypten), Kapstadt (Südafrika), Chipata (Sambia), Dar es Salaam (Tansania), Douala (Kamerun), Kampala (Uganda), Kano (Nigeria), Kisumu (Kenia), Machakos (Kenia), Maputo (Mosambik), Mzuzu (Malawi) und Tamale (Ghana).
Die soziale Geschichte des Fahrrads in Zomba, 1890 – 2020 (tentativer Titel)
Die Geschichte des Fahrradfahrens in Malawi - und in Zomba - ist eng mit der Geschichte des britischen Kolonialismus in Afrika verwoben. Zunächst nutzten vornehmlich europäische Kolonialbeamte, Kaufleute und Missionare Fahrräder, die 1895 nach Britisch-Zentralafrika - seit 1907 das so genannte britische Protektorat Nyasaland - eingeführt wurden. Innerhalb der malawischen Bevölkerung wurde das Fahrrad zu dieser Zeit hingegen nur selten genutzt; viele bewegten sich stattdessen zu Fuß fort. Die vergleichsweise geringe Anzahl an malawischen Fahrradfahrer*innen arbeiteten in der Kolonialverwaltung oder waren in europäischen Sportvereinen aktiv. Fahrräder galten Anfang des 20. Jahrhunderts schließlich als Luxusgüter, die hauptsächlich für Reisen, Sport und koloniale Verwaltungsaufgaben von genannten Akteuren genutzt wurden.
Die europäische koloniale Fahrradkultur begann sich jedoch zu diversifizieren, als eine wachsende malawische Elite begann Fahrräder zu kaufen. Das Gleiche galt für Wanderarbeiter, die auf Plantagen und in Minen in Südrhodesien und Südafrika vergleichsweise hohe Löhne verdienten (McCracken, 2011). Unter vielen der zurückkehrenden Wanderarbeiter galt das Fahrrad als prestigeträchtiges Konsumgut, dessen Kauf schließlich finanziellen sowie sozialen Erfolg und Aufstieg symbolisierte. Vor ihrer Rückkehr in ihre Heimatorte kauften diese Arbeiter daher neben einer Vielzahl anderer Gegenstände auch oft Fahrräder, die sie mit nach Hause brachten. Nichtsdestotrotz blieb das Fahrrad unter kolonialem Einfluss ein Fortbewegungsmittel einer privilegierten sozialen Klasse.
Das änderte sich in den 1940er Jahren nachdem immer mehr Malawier*innen begannen, das Fahrrad in ihr tägliches Leben und ihre Gewohnheiten zu integrieren. Während 1945 Fahrräder im Wert im Wert 26.000 Pfund nach Nyasaland importiert wurden, stieg der Import acht Jahre später auf das Zwölffache (Irvine 1959, 170). Das Fahrrad wurde in Malawi und insbesondere in Zomba in der Folge zunehmend populär. Das veränderte schließlich auch die Einstellung der urbanen Bevölkerung zum Fahrradfahren.
Heute sind die Einwohner*innen von Zomba weitgehend auf das Fahrrad als wichtigstes Verkehrsmittel angewiesen, um sich fortzubewegen, zur Arbeit zu fahren, Freunde und Familie zu besuchen, einzukaufen und Waren zu transportieren. Fahrradtaxis sind ein weitverbreitetes Phänomen. In den letzten Jahren hat der Stadtrat ebenfalls erkannt, dass die Stadtplanung und das Verkehrssystem von Zomba nicht drum herumkommen, das Fahrrad als wichtigen Bestandteil des alltäglichen urbanen öffentlichen Lebens anzuerkennen.
Verkehrszählungen an verschiedenen Orten in der Stadt etwa haben gezeigt, dass Fahrräder bei weitem das am meisten genutzte Verkehrsmittel in Zomba sind - noch vor den viel zitierten Minibussen oder Motorrädern (Zomba City Council, “Zomba Urban Profile 2017-2022,” S. 113.). Das Fahrrad ist aus dem städtischen Zomba demnach nicht mehr wegzudenken.
Die unzähligen mobilen und immobilen Fahrradwerkstätten, die im gesamten Stadtgebiet anzutreffen sind, bezeugen diese integrale Bedeutung des Fahrrads im urbanen Stadtbild Zombas. Das Teilprojekt zu Zomba beschäftigt sich daher mit der Fragestellung, wie sich die Wahrnehmung des Fahrrads gesellschaftlich sowie politisch in den letzten 100 Jahren spürbar verändert hat.