Kulturelle Vielfalt im Lichte der Handelsliberalisierung
Dresdner Vorträge zu Recht und Politik der Vereinten
Nationen
Der fortschreitende Prozess der Handelsliberalisierung engt
die nationalen Spielräume im Bereich der Kulturpolitik in
zunehmendem Maße ein. Staatliche Maßnahmen zur Wahrung
kultureller Vielfalt müssen mit internationalen
Handelsabkommen, insbesondere dem Allgemeinen Abkommen über
den Handel mit Dienstleistungen (GATS) in Einklang gebracht
werden. Dies folgt aus der Doppelnatur von Kulturgütern als
kulturelle Güter einerseits und kommerzielle Güter
andererseits.
Über diese „Handel und Kultur“–Debatte referierte Frau Dr.
Lilian Richieri Hanania im Rahmen der Dresdner Vorträge zu
Recht und Politik der Vereinten Nationen am 23. Juni 2011.
Organisiert wurde der Vortrag von der Forschungsstelle
„Vereinte Nationen“ in Zusammenarbeit mit dem UNESCO-Lehrstuhl
für Internationale Beziehungen und dem Zentrum für
Internationale Studien (ZIS) der TU Dresden. Die Referentin
war als Beraterin für kulturelle Vielfalt, Handel und
Globalisierung bei der UNESCO tätig und arbeitet seit Mai 2009
im französischen Außenministerium.
Insbesondere in der Welthandelsorganisation (WTO) wird
Kulturgütern nach Auffassung der Referentin kein
ausreichender Schutz zuteil. Daher besteht das Bedürfnis nach
einem kulturellen Gegenpart zu den Handelsabkommen, der
Kulturgütern die nötige spezifische rechtliche Behandlung
gewährt. Durch die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur
Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, welche
2007 in Kraft trat, wurde eine völkerrechtlich verbindliche
Grundlage für das Recht aller Staaten auf eine eigenständige
Kulturpolitik geschaffen.
Mit dem Übereinkommen werden keine protektionistischen Ziele verfolgt; insbesondere finden Handelsabkommen wie das GATS weiterhin Anwendung auf Kulturgüter. Die Konvention kann jedoch in zwei Situationen Einfluss auf Handelsabkommen ausüben: (1) Beim Streitschlichtungsverfahren der WTO kann die Konvention im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Angemessenheit der betreffenden Maßnahme als Hilfsmittel zur Auslegung herangezogen werden. (2) Die Konvention bildet eine politische Grundlage, um eigene kulturpolitische Interessen der Staaten bei der Annahme neuer Verpflichtungen aus Handelsabkommen besser durchzusetzen.
Ein echter „hard-law“ Charakter kann der Konvention aber nach Auffassung von Frau Dr. Hanania nicht zugemessen werden. Sie präsentierte in diesem Zusammenhang Entwürfe der französischen Regierung für eine neue kulturelle Strategie für die Außenbeziehungen der Europäischen Union. Der französische Vorschlag ist darauf gerichtet, insbesondere in Verhandlungen und in Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der WTO, der UNESCO-Konvention zu einer besseren Durchsetzung zu verhelfen, um im Zuge der anhaltenden „Handel und Kultur“–Debatte der Doppelnatur von kulturellen Gütern und Dienstleistungen in angemessener Weise Rechnung zu tragen.
Text: Jonathan SchaubFotos: Jonathan Schaub