Geschichte II
Ab 1919 wurde das Institut für Starkstrom- und Hochspannungstechnik von BINDER geleitet. Er galt als Pionier der Wanderwellenforschung und hat sich Verdienste auf den Gebieten der Blitzforschung, Erdungstechnik und Stoßfestigkeit von Isolierstoffen erworben. Unter seiner Leitung wird 1928 - 1930 das größte Hochspannungslaboratorium in Deutschland errichtet, unsere heutige Hochspannungshalle. Nach Wiedereröffnung der TH nach dem 2. Weltkrieg gilt sein Bemühen dem Wiederaufbau und der Neuausrüstung der 1945 zerstörten Hochspannungshalle mit einem 2-MV-Impulsspannungsgenerator und einer 1,5‑MV‑Wechselspannungskaskade.
1950 beschließt der Senat die Aufteilung des Instituts in zwei Lehrstühle. Während BINDER den Lehrstuhl für elektrische Maschinen und Geräte inne hat, wird 1951 OBENAUS auf den Lehrstuhl für Hochspannungstechnik berufen und 1952 als erster Dekan der neu gegründeten Fakultät für Elektrotechnik bestätigt. Im gleichen Jahr wird OBENAUS Direktor des ausgegründeten Instituts für Hochspannungstechnik. Seine Hauptarbeitsgebiete sind das Langzeit- und Überschlagverhalten von Isolierungen sowie grundlegende Arbeiten zur Einführung der 400-kV-Ebene (1963).
Zur Wahrnehmung der Lehraufgaben für das Fachgebiet elektrische Netze wird KÜHN, Vorsitzender des Vorstands der AG Sächsische Werke, 1936 zum Lehrbeauftragten und 1937 zum Honorarprofessor für Elektrizitätsversorgung berufen. Die Professur wird 1944 auf das Fachgebiet der Elektrizitätswirtschaft erweitert. Der Aufbau des im Krieg zerstörten und als Reparation an die Sowjetunion zum Teil abgebauten Hochspannungsnetzes erfordert tiefgreifende Netzuntersuchungen. BINDER und KÜHN erhalten vom Zentralamt für Forschung und Technik der staatlichen Plankommission einen Forschungsauftrag zur Errichtung eines Netzmodells. 1952 übernimmt KÜHN den Lehrstuhl für Planung, Bau und Betrieb großer Netze. OBENAUS beantragt die Gründung eines Instituts für elektrische Energieanlagen. Das Staatssekretariat für Hochschulwesen stimmt dem Antrag 1953 zu, und KÜHN wird die Leitung dieses Instituts übertragen. Er widmet sich nun intensiv den vorbereitenden Arbeiten für den Aufbau eines dynamischen Drehstromnetzmodells und dem Schutz von Hochspannungsleitungen.
Als Lehrbeauftragter für Elektrizitätsversorgung und Kraftwerkseinrichtungen wird 1949 der sich bereits im Ruhestand befindende WENGNER, ehemals Vorstandsmitglied der Energieversorgung Großdresden AG, bestellt. 1954 zum Professor berufen, stellte er 1957 seine Lehrtätigkeit ein. Sein Nachfolger wird SCHULZE, der von der Außenstelle Dresden des IfE Leipzig an die TU Dresden wechselt. Nach dessen Eintreten in den Ruhestand wird der selbständige Lehrstuhl in das Institut für elektrische Energieanlagen integriert.
Aufgrund des sich erweiternden Verbundbetriebes und der steigenden Lastdichten wird nach der Emeritierung von KÜHN das Fachgebiet geteilt. Für das Teilgebiet Elektroenergieanlagen wird SCHULTHEISS, gleichzeitig Institutsdirektor, 1961 berufen, für das Teilgebiet Netzbetrieb wird KOETTNITZ, gleichzeitig Fachrichtungsleiter, 1961 von der TH Ilmenau umberufen und für das Teilgebiet Netzberechnung PUNDT, der die Nachfolge von SCHULZE antritt, 1967 berufen.
SCHULTHEISS konzentriert seine Forschungsarbeiten auf die Projektierung von Hochspannungsschaltanlagen, die Modellierung von Erdungsanlagen und die Erarbeitung der theoretischen Grundlagen zur mechanischen und thermischen Festigkeit von Stromleitern.
KOETTNITZ ist durch seine theoretischen Arbeiten über die transienten Vorgänge in den Netzen und die damit verbundenen Überspannungen und Überströme bekannt geworden. Seine langjährigen Forschungen zur Isolationskoordination führen schließlich zu einem international anerkannten und in Ostdeutschland angewendeten Standard. Unter seiner Leitung wird das dynamische Netzmodell vollendet, das nunmehr in die Forschung und Lehre einbezogen werden konnte. Nach seinem Tode 1987 wird das Fachgebiet von WINKLER, ehemals Leiter des Fachbereichs Technik und Rationalisierung der Energieversorgung Leipzig, mit vertreten.
Nach der dritten Hochschulreform der DDR 1969 werden die Institute für elektrische Energieanlagen und Hochspannungstechnik und Teile des Instituts für elektrische Maschinen im Wissenschaftsbereich Elektroenergietechnik vereinigt. 1977 wird diese, sich nicht als sinnvoll erwiesene Zusammenlegung wieder aufgelöst.
MOSCH wird 1968 als Nachfolger von OBENAUS auf den Lehrstuhl für Hochspannungstechnik berufen. Seine Hauptarbeitsgebiete sind der Durchschlag langer Luftfunkenstrecken als Dimensionierungsgrundlage für Höchstspannungsprüfanlagen, die SF6-Isolierungen für die neu entstehenden Kompaktanlagen sowie die Hochspannungsmesstechnik, insbesondere die TE-Messtechnik in Zusammenarbeit mit LEMKE.
In den Jahren 1973 – 1976 wird die Ausrüstung der Hochspannungshalle erneuert. Das Forschungsgebiet der mechanischen und thermischen Festigkeit geht, bedingt auch durch das 1974 altersbedingte Ausscheiden von SCHULTHEISS, in den Wissenschaftsbereich Hochspannungs- und Hochstromtechnik über.
BÖHME, der 1978 auf den Lehrstuhl für Hochspannungsgeräte berufen wird, führt die Arbeiten fort, wobei das Isoliervermögen unter Einfluss der Strombeanspruchung und der damit verbundenen Erwärmung und mechanisch-dynamischen Beanspruchung vor allem in gekapselten Schaltanlagen sowie die Dimensionierung von Mittelspannungsisolierungen den Schwerpunkt bilden.
AMBROSCH, der die Nachfolge von SCHULTHEISS antritt, widmet sich im Wissenschaftsbereich Elektroenergieversorgung wieder verstärkt der Forschung zur Technik der Hochspannungsschalter.
1992 erfolgt die Berufung von WINKLER auf das Fachgebiet der Elektroenergieanlagen. Er führt die Schalterforschung fort und forciert mit seinen Mitarbeitern die Forschung zur rechnergestützten Projektierung. Darüber hinaus setzt er mit den Forschungen zur Elektroenergiequalität, die durch neue Wirkprinzipien der Umwandlungsanlagen beeinträchtigt wird, einen neuen Schwerpunkt. Geschaffen wird das System IMEDA zur Messung, Aus- und Bewertung der Qualität von Spannung und Strom.
PUNDT, der vom Verbundnetz an das Institut wechselt, und als Erdschlussspezialist gilt, konzentriert seine Untersuchungen weiter auf den Erdschluss und seine selektive Erfassung. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Forschung ist die Modellierung der Hochspannungsnetze. Es entstehen in der Praxis angewendete Programmpakete zur Netzberechnung für den stationären und instationären Zustand. Zeitweise übernimmt er die Forschung zur automatischen Projektierung und zum Einsatz der Kryotechnik im Elektroenergiesystem und erweitert das dynamische Netzmodell um einer Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung. Ihm, der den Wissenschaftsbereich seit Ausscheiden von SCHULTHEISS leitet, wird 1990 die Direktion des neu gegründeten Instituts für Elektroenergieversorgung übertragen, die er bis zu seinem Ausscheiden 1995 wahrnimmt. Sein Verdienst ist auch die Wiedergründung des VDE-Bezirksvereins Dresden 1991, zu dessen Vorsitzenden er gewählt wird.
1990 wird auch das Institut für Hochspannungs- und Hochstromtechnik neu gegründet und bis zu seinem Wechsel in die Industrie von BÖHME geleitet. EBERHARDT wird 1992 auf den Lehrstuhl für Elektrische Isoliertechnik berufen und übernimmt die Leitung des Institutes. Sein Spezialgebiet ist das Langzeitverhalten von Isolierungen, insbesondere Maschinenisolierungen sowie Epoxidharz- und Polyäthylen-Isolierungen Nach seiner Emeritierung übernimmt KINDERSBERGER 1995 den Lehrstuhl für Hochspannungs- und Hochstromtechnik. Er beschäftigt sich mit dem Einfluss von Raumladungen auf Isolierstoffen und führt die Forschungen zur Strombeanspruchung fort. 2001 folgt er einem Ruf an die TU München.
SCHEGNER, der 1995 von der AEG Frankfurt/Main kommt und Nachfolger von PUNDT wird, führt die Erdschlussforschung kontinuierlich fort und arbeitet wieder verstärkt auf dem Gebiet der Schutz- und Leittechnik. Unter seiner Leitung wird, basierend auf den Vorstellungen von KÜHN, das dynamische Drehstromnetzmodell ausgebaut und modernisiert. Es wurde ein in Deutschland einmaliges analoges Modell zur Untersuchung von statischen und dynamischen Netzvorgängen geschaffen. Beide Institute werden 2001 zum Institut für Elektrische Energieversorgung und Hochspannungstechnik unter der Leitung von SCHEGNER vereinigt.
2003 folgt GROßMANN von RIBE Elektroarmaturen Radebeul kommend, dem Ruf auf die Professur Hochspannungs- und Hochstromtechnik, wo er mit den Forschungsschwerpunkten Hochspannungsisoliertechnik, Strombelastbarkeit und Erwärmung elektrotechnischer Betriebsmittel sowie ruhende elektrische Kontakte und Verbindungen an die Tradition von MOSCH, BÖHME, EBERHARD und LÖBL anknüpft und aktuelle Herausforderungen aufgreift.