15.07.2024
Start des REDECORATE-Projekt zur Bekämpfung von Weltraumschrott
Die Raumfahrtindustrie wächst in einem noch nie dagewesenen Tempo. Jedes Jahr werden mehr Satelliten als je zuvor in erdnahe Umlaufbahnen (engl. Low Earth Orbits, (LEO)) gebracht. Dies führt zu einer steigenden Zahl von Kollisionen mit unkontrollierten Weltraumobjekten und zu einer Anhäufung von Weltraummüll im LEO. Der Space Environment Report 2022 der European Space Agency (ESA) geht von insgesamt 30.000 größeren Objekten aus, die katalogisiert und regelmäßig verfolgt werden (z.B. Trägerraketenkomponenten und ausgediente Satelliten). Zählt man alle Objekte, die größer als 1 cm sind, liegt die Zahl wahrscheinlich bei über einer Million. Jedes einzelne Trümmerteil stellt eine potenzielle Bedrohung für laufende Missionen und Astronauten dar. Damit ist der Weltraummüll eine der größten aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für die Raumfahrtindustrie. Die Nachhaltigkeit der Weltraumwirtschaft erfordert zwingend neue Techniken zur Bekämpfung des Weltraummülls.
Am 1. Juli startete das von der Europäischen Kommission geförderte MSCA Global Postdoctoral Fellowship REDECORATE - REcommissioning and DEorbiting using Cubesat swarms with electrO spRAy ThrustErs an Prof. Pfifers Professur für Flugmechanik und Flugregelung. In den nächsten drei Jahren wird unser Marie-Curie-Fellow Dr. Felix Biertümpfel mit den internationalen Experten Prof. Paulo Lozano am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Prof. Peter Seiler an der University of Michigan (U-M) zusammenarbeiten. Gemeinsam werden sie an neuen Konzepten arbeiten, um die Entstehung von Weltraummüll proaktiv zu verhindern.
REDECORATE schlägt CubeSat-Schwärme als kosteneffiziente Möglichkeit zur Bekämpfung von Weltraummüll vor. Das Projekt entwickelt ein Konzept zur Entfernung von Weltraummüll und zur Wiederinbetriebnahme ausgemusterter Satelliten. Das Konzept kombiniert innovative Regelungs- und Flugführungsansätze mit einem CubeSat-Schwarm, der neuartige Elektrospray-Triebwerke (engl, ionic electro spray engines (iESE)) einsetzt.
Prinzipiell kann ein CubeSat-Schwarm ein Rendezvous mit Weltraumschrott durchführen und anschließend dessen Rotationsenergie z.B. mit Hilfe seiner Reaktionsräder abbauen (engl. detumble). Die Haupttriebwerke der CubeSats senken dann die Umlaufbahn des Trümmerteils ab, so dass das System in der Erdatmosphäre verglüht. Eine solche Mission ist äußerst anspruchsvoll und erfordert eine komplexe Steuerung und Kontrolle des CubeSat-Schwarms, zuverlässige Hardware und einen effektiven Antrieb - eine Kombination, die in dieser Form nicht existiert. REDECORATE adressiert drei Hauptprobleme einer solchen Mission.
Erstens werden iESE-Triebwerke als ein Konzept vorgeschlagen, um die Grenzen heutiger CubeSat-Antriebe und Lageregelungssysteme zu überwinden. Elektrospray-Triebwerke sind passiv angetrieben, kompakt, treibstoffsparend und können sowohl für den Hauptantrieb als auch für die Lage- und Positionskontrolle eines CubeSats eingesetzt werden. Aufgrund ihrer Kompaktheit können mehrere iESE-Stufen auf einem CubeSat installiert und dann nacheinander verwendet werden. Durch die Staffelung können längere Missionen, eine höhere Zuverlässigkeit und eine höhere Schubkraft als mit einem Standard-CubeSat-Antrieb erreicht werden. Darüber hinaus sind die iESEs-Antriebe voll regelbar und erzeugen keine Mikrovibrationen. Der Einsatz von Elektrospray-Triebwerken zur Lage- und Positionskontrolle eines CubeSats ermöglicht somit ein neues Leistungsniveau. Wenn die CubeSats in korrekt auf einem ausgedienten Satelliten montiert werden, kann die koordinierte Aktivierung der iESEs als neues Kontrollsystem für das Detumbling (Vermeidung von unzuverlässigen Reaktionsrädern) und das Deorbiting dienen. Aufgrund ihrer langen Lebensdauer kann der CubeSat-Schwarm auch dazu verwendet werden, den Satelliten wieder in Betrieb zu nehmen, wenn z.B. ein Fehler im Flugsteuerungssystem des Satelliten zu einem vorzeitigen Ende der Mission geführt hat. Zweitens wird ein sicheres hierarchisches Regelungssystem entwickelt, das den hohen Zuverlässigkeitsanforderungen in der Raumfahrt gerecht wird und gleichzeitig ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit garantiert. Es verwendet eine Planer-Tracker-Feedback-Anordnung und deckt alle Missionssegmente ab. Drittens werden sogenannte Integral Quadratic Constraints (IQCs) verwendet, um die Robustheit gegenüber Modellunsicherheiten und Totzeiten (z.B. Kommunikationsverzögerungen innerhalb des Schwarms) des Schwarms zu erhöhen. Die Implementierbarkeit und Anwendbarkeit der entwickelten Regelungsalgorithmen wird durch IQC-basierte und probabilistische Robustheitsanalysen an einem digitalen Zwilling des iESE-CubeSat-Schwarms und Mikrocontrollern-in-the-Loop validiert.
Das Projekt beginnt mit einem 2,5-monatigen Aufenthalt am Lehrstuhl für Flugmechanik und Flugregelung, bei dem die Mission und der CubeSat-Schwarm modelliert werden. Darauf folgt ein 1,5-monatiger Aufenthalt am Space Propulsion Laboratory des MIT. Hier ist geplant, ein robustes Lageregelungsdesign für einen einzelnen iESE CubeSat zu entwerfen und zu validieren. Dabei wird Dr. Biertümpfel von Prof. Lozanos Expertise im Bereich der iESE und CubeSats profitieren. Anschließend wird unser Fellow für 20 Monate zu Prof. Seiler an die University of Michigan gehen, um gemeinsam mit ihm fortgeschrittene Regelungsalgorithmen für CubeSat-Schwarm-Missionen zu entwickeln. Während seiner 12-monatigen Rückkehrphase an den Lehrstuhl für Flugmechanik und Flugregelung wird Dr. Biertümpfel die Algorithmen validieren und dabei von Prof. Harald Pfifers Erfahrung in der Analyse komplexer Raumfahrtsysteme profitieren.
Kontakt:
Dr. Felix Biertümpfel
TU Dresden
Tel.: 0351 463-38197