30.04.2025
„Im Gedenken der Kinder“: Wanderausstellung zur nationalsozialistischen Kinder-„Euthanasie“ in Dresden eröffnet

Ausstellungseröffnung in der Dreikönigskirche Dresden
Am 29. April wurde die Ausstellung „Im Gedenken der Kinder“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) in der Dresdner Dreikönigskirche eröffnet. Auf Initiative des Instituts für Geschichte der Medizin der TU Dresden kann die bereits in 27 Städten gezeigte Wanderausstellung nun auch in Dresden präsentiert werden. Die TUD-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ergänzten sie um die Rolle der Dresdnerinnen und Dresdner sowie der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses Dresden-Johannstadt, Vorgängerin des Universitätsklinikums, in der NS-Zeit.
Zwischen 1939 und 1945 erklärten deutsche Ärzte tausende Kinder für unbrauchbar und lebensunwert, sofern sie an bestimmten Behinderungen oder nicht heilbaren Erkrankungen litten. Dahinter stand die Idee der Eugenik, wonach Erbanlagen, Fortpflanzung und schließlich auch das Leben vermeintlich „nutzloser“ Menschen zu eliminieren seien. In schönfärberisch „Kinderfachabteilungen“ genannten Einrichtungen wurden die betroffenen Kinder durch Schlafmittel oder Unterernährung getötet. Häufig hatten sie vorher noch medizinische Versuche über sich ergehen lassen müssen.
Die Ausstellung „Im Gedenken der Kinder“, die bis zum 3. Juli 2025 in der Dresdner Dreikönigskirche zu sehen ist, thematisiert dieses Kapitel deutscher Medizin. Die von der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin konzipierte Ausstellung präsentiert darüber hinaus Ergebnisse eines lokalen Forschungsteams des Instituts für Geschichte der Medizin. Diese zeigen, dass auch in der Kinderklinik des Krankenhauses Dresden-Johannstadt Tötungen durchgeführt wurden, obwohl hier keine sogenannte Kinderfachabteilung bestand.

Ausstellungseröffnung mit (v.l.) Janko Haft, Kaufmänischer Vorstand UKD, Prof. Fred Zepp, Präsident DGKJ, Prof. Reinhard Berner, Direktor Klinik und Poliklinik Kinder- und Jugendmedizin UKD, Dr. Erik Bodendiek, Präsident Sächs. Landesärztekammer, Prof. Florian Bruns, TUD, Bürgermeisterin Annekatrin Klepsch und Prof. Thomas Beddies, Medizinhistoriker.
„Bei unseren Recherchen in den wenigen noch vorhandenen Krankenakten hat uns besonders die direkte, unverblümte Wortwahl überrascht, die die beteiligten Dresdner Ärzte benutzten“, erklärt Prof. Florian Bruns, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und Leiter des Forschungsteams. “Euthanasie eines mongoloiden Idioten“ lautet etwa der Eintrag, mit dem 1944 der Tod eines drei Monate alten Mädchens im Krankenhaus Johannstadt dokumentiert wurde. „Dass dies die Tötung des Säuglings bezeichnete, wussten damals nicht nur Mediziner und Medizinerinnen. Diese offene Sprache war ungewöhnlich. Andernorts bemühten sich die Täter, ihr tödliches Handeln zu verschleiern“, so Bruns.
„Häufig wurden Eltern und Angehörige getäuscht und gaben ihre Kinder in der Hoffnung auf eine moderne, Erfolg versprechende Behandlung in die Hände der Täterinnen und Täter“, erläutert der Berliner Medizinhistoriker Prof. Thomas Beddies. „Trotz ihrer Verstrickungen konnten sie nach 1945 nicht selten weiterhin ihre ärztliche Tätigkeit ausüben.“ Thomas Beddies war an der Konzeption und inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung maßgeblich beteiligt. In seinem Vortrag zur Eröffnung schildert er die inhumanen Menschenversuche an kranken oder behinderten Kindern und Jugendlichen sowie deren Ermordung im Rahmen der sogenannten Kinder-„Euthanasie“.
Nach einer langen Phase kollektiver Verdrängung hatte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sich im Jahr 2010 zur Verantwortung der Kinderärzte und -ärztinnen an den Medizinverbrechen in der NS-Zeit bekannt. Der Mainzer Pädiater Prof. Fred Zepp, damals Präsident der DGKJ, erklärte dazu: „Es darf keine Zielvorgaben in der Forschung und in der Betreuung von Patienten geben, die als so wichtig und hochrangig angesehen werden können, dass sie die Missachtung individueller Menschenwürde und Menschenrechte rechtfertigen.“ Er beschreibt in einem zweiten Vortrag zur Ausstellungseröffnung die Konzeption und die Entwicklung des Projekts der DGKJ zur „Kinderheilkunde in der Zeit des Nationalsozialismus“.
Angesichts der jahrelangen Aufarbeitung und Forschung zur Kinder-„Euthanasie“ kann Florian Bruns nicht nachvollziehen, dass auch heute noch vereinzelt Ärzte glauben, der Staat solle Eugenik auf die eine oder andere Art einsetzen. „Gerne werden solche Ideen verklausuliert oder als Gedankenspiele getarnt, um bei Kritik alles von sich weisen zu können. Die Geschichte lehrt: Es gibt keine gute Eugenik. Sie ist immer gefährlich, für die Betroffenen ebenso wie für die Gesellschaft.“
Ort: Dreikönigskirche Dresden, Hauptstraße 23, 01097 Dresden
Zeit: 16 Uhr
Die Ausstellung ist vom 30. April bis 3. Juli, montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Zugang ist barrierefrei. Der Eintritt ist frei.
Weiteres Programm:
20. Mai, 16 Uhr: „Die Beteiligung von Dresdnerinnen und Dresdnern an der ‚Kindereuthanasie‘“ Vortrag von Dr. Marina Lienert, Institut für Geschichte der Medizin, Medizinische Fakultät der TU Dresden
4. Juni, 19:30 Uhr: Kommentierte Vorführung des Films „Nebel im August“ (D 2016) im Dresdner Filmtheater Schauburg
24. Juni, 16 Uhr: „Und dieses Kind, das wollte keiner haben... – Hebammen zwischen Aufwertung und Indienstnahme für Rassenhygiene und Kinder-‚Euthanasie‘?“ Vortrag von PD Dr. Wiebke Lisner, Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover
Parallel zur Ausstellung findet in der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein vom 9. bis 11. Mai die Frühjahrstagung des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation statt.
Mehr Informationen: https://tu-dresden.de/med/mf/ges/sammlung/ausstellung-im-gedenken-der-kinder-die-kinderaerzte-und-die-verbrechen-an-kindern-in-der-ns-zeit-rahmenprogramm
Kontakt:
Prof. Florian Bruns
Institut für Geschichte der Medizin
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
der Technischen Universität Dresden
+49 (0) 351 3177 402
Anne-Stephanie Vetter
Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
der Technischen Universität Dresden
+49 (0) 351 458 17903
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