Jul 10, 2023
Präzisionsmedizin gesucht für das Gesicht unter Tausenden
Das Multiple-Sklerose-Zentrum sowie die Forschungsgruppe Digital Health und der Lehrstuhl für Softwaretechnologie der TU Dresden freuen sich über die Förderzusage der Sächsischen Aufbaubank in Höhe von rund 841.400 Euro. Mithilfe der Fördersumme wollen die Projektpartner ein IT-System zur datengetriebenen Charakterisierung von Patiententypen (Phänotypisierung) realisieren. Ihr Ziel ist es, ganz im Sinne der Präzisionsmedizin, die Grundlage für eine personalisierte Versorgung von an MS erkrankten Personen zu schaffen.
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Die MS verläuft individuell unterschiedlich – ein multidisziplinäres Team an der TU Dresden möchte die „tausend Gesichter“ der Krankheit sichtbar machen. Schon bevor ein Patient die Diagnose MS erhält, werden im Zuge der Anamnese und notwendiger Untersuchungen viele Daten erhoben.
Mit der Diagnose fallen im Verlauf der weiteren Behandlung und den routinemäßigen Kontrollterminen weitere Daten an. Im Laufe eines Patient:innenlebens entsteht so eine individuelle Datenspur entlang des klinischen Pfads, den Patient:innen im Versorgungsystem durchlaufen.
Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts DigiPhenoMS („Digital phenotyping for intelligent management of Multiple Sclerosis“) steht die Auswertung der multidimensionalen Datensätze, die mit jedem Pfad verbunden sind. Mittels künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellen Lernalgorithmen wollen das Multiple-Sklerose-Zentrum, die Forschungsgruppe Digital Health und der Lehrstuhl für Softwaretechnologie der TU Dresden die „verschiedenen Gesichter“ der Krankheit aus den Datensätzen heraus sichtbar machen.
In Dresden entsteht ein Baukasten digitaler Werkzeugkasten für die Behandlung von MS
Sämtliche erhobene Daten werden aktuell lediglich statisch für die Dokumentation und Steuerung von Versorgungsmaßnahmen der Patient:innen verwendet. Mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen wird es möglich, Datensätze umfassend auszuwerten und sinnvoll zu gruppieren, sodass Modelle für die Pfade und Phänotypen von Patient:innen kreiert werden können. Diese Modelle können im Praxisalltag die Organisation von Behandlungsabläufen unterstützen, indem alle Akteure über eine digitale Plattform auf die Modelle zugreifen, diese in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen und weitere Abläufe individuell anpassen können. Individuelle Anpassungen wiederum führen zu einem Lerneffekt innerhalb des intelligenten Systems.
Im Fokus der Forschungsarbeit stehen die Patient:innen
Es ist vorgesehen, dass die Pfade und Phänotypen in einem zentral zugänglichen System hinterlegt werden. So entsteht die Option, allen an der Versorgung beteiligten Personen darauf Zugriff zu gewähren. Die Interaktion ermöglicht eine enge Kooperation ohne Informationsverluste. Patient:innen profitieren davon, dass auch sie ihren Behandlungsplan in digitaler Form einsehen und individuelle Behandlungsanpassungen nachvollziehen können. Zudem kann der Plan ihnen dabei helfen, ihre Wünsche und Sorgen bezüglich geplanter Behandlungsschritte zu äußern.
Dresdner Konsortium entwickelt so einen Prototyp für die integrierte und telemedizinische Versorgung
Am Beispiel MS entsteht im Rahmen des Forschungsprojekts DigiPhenoMS der Prototyp für einen IT-Dienst (Smart Pathway Service) zur datengetriebenen Charakterisierung von Patient:innen. Mithilfe des Dienstes können Ärzt:innen ihren Patient:innen bislang verborgen gebliebene Phänotypen zuweisen, ihnen ein passendes Behandlungsschema zuordnen und individuell justieren. Das Krankheitsbild der MS eignet sich aufgrund der individuell unterschiedlichen Symptome und der variablen Verlaufsformen für die Entwicklung eines solchen intelligenten Dienstes. Mit der Umsetzung von DigiPhenoMS liefern die Projektpartner einen wichtigen Beitrag zur Realisierung des „Digitalen Zwillings“ in der Medizin. Hinter diesem Konzept steht die Idee, dass für jede:n von uns, bei Bedarf eine virtuelle Kopie vorgehalten werden kann, die unseren Gesundheitszustand exakt widerspiegelt. Anhand des „Digitalen Zwillings“ ließen sich einzelne Behandlungsschritte einschließlich ihrer Wirkung vorab simulieren und individuelle Verläufe von Erkrankungen wie der MS abbilden. Mit DigiPhenoMS leistet das Konsortium in diesem Sinn auch Pionierarbeit für andere Versorgungsszenarien (z. B. in der Onkologie oder bei Stoffwechselerkrankungen), in denen perspektivisch der „Digitale Zwilling“ ebenfalls zum Einsatz kommen könnte.
Kontakte
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Prof. Dr. Tjalf Ziemssen
Leiter des Multiple Sklerose Zentrums (MSZ)
Tel.: 0351 458 5934
E-Mail: tjalf.ziemssen@uniklinikum-dresden.de
https://msz.uniklinikum-dresden.de/
Technische Universität Dresden
Lehrstuhl für Softwaretechnologie
Prof. Dr. Uwe Aßmann
Tel.: 0351 463 38463
E-Mail: softwaretechnologie@tu-dresden.de
https://www.tu-dresden.de
https://www1.inf.tu-dresden.de/~ua1/
Technische Universität Dresden
Forschungsgruppe Digital Health
Dr. Hannes Schlieter
Tel.: 0351 463 32173
E-Mail: hannes.schlieter@tu-dresden.de
https://www.tu-dresden.de
https://tu-dresden.de/bu/wirtschaft/winf/digital-health
Über das Multiple Sklerose Zentrum am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Mit 1.410 Betten und 210 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Universitätsklinikum der Carl Gustav Carus das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. 26 Kliniken und Polikliniken, 4 Institute und 17 interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten, bieten medizinische Versorgung auf höchstem Niveau.
Das Multiple Sklerose Zentrum besteht seit Februar 2007 an der Klinik und Poliklinik für Neurologie. Es ist mit ca. 1.500 betreuten MS-Patient:innen im Monat eine der größten MS-Spezialambulanzen in Deutschland und Teil des internationalen Forschungsnetzwerks MS PATHS.
Am MS-Zentrum wird kontinuierlich die aktuell noch unheilbare Erkrankung der MS erforscht. Im Vordergrund steht dabei die Optimierung der medizinischen Versorgung zum Wohle der Patient:innen.
Innovationen können vor Ort im eigens dafür eingerichteten MS Living Lab von allen Beteiligten auf Herz und Nieren getestet und optimiert werden. Doch auch digitale Tools, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen kommen zum Einsatz, um Stück für Stück die Vision des „Digitalen Zwillings“ Realität werden zu lassen.
Mithilfe eines „digitalen Zwillings“ wäre es möglich, verschiedene Behandlungsschritte an dem virtuellen Abbild der erkrankten Person vorab durchzuprobieren und somit die optimale, individuell zugeschnittene Therapie für einzelne Person zu finden. Patient:innen und Ärzt:innen könnten vorab die Erfolgschancen einer Therapie besser einschätzen und auch das Risiko von Nebenwirkungen ließe sich so von Vornherein minimieren.
Über die Technische Universität Dresden, Forschungsgruppe Digital Health
Die Forschungsgruppe Digital Health befasst sich in Forschung und Lehre mit der Analyse, Gestaltung und Pflege betrieblicher Informationssysteme - vornehmlich im Gesundheitswesen. Als Analyseinstrument nutzen wir etablierte Methoden der Wirtschaftsinformatik insb. der Systementwicklung, wie die Modellierung, die wir darüber hinaus als ganzheitliches Managementinstrument weiterentwickeln.
Im Zentrum unserer Forschungs- und Entwicklungstätigkeit stehen die theoretische Fundierung, Gestaltung und Optimierung von komplexen Informationssystemen, wie sie in der integrierten Versorgung, patienten-orientierten und prozess-orientierten Informationssystemgestaltung vorzufinden sind. Unsere thematischen Schwerpunkte und Kernkompetenzen liegen daher in der Gestaltung innovativer IT-Lösungen, welche inter-organisationale Versorgungsteams zusammenbringen, effiziente Kollaborationen entlang abgestimmter Versorgungspfade fördern und gleichzeitig die Rolle der Patient:innen für ihre eigenen Behandlungsverläufe stärken. Ziel unserer Forschung ist dabei stets, die Balance zwischen Theorie und Technologie zu halten und somit durch praktische Relevanz sowie wissenschaftlicher Rigorosität Mehrwerte für Forschung und Praxis zu erzeugen.
Über die Technische Universität Dresden, Lehrstuhl für Softwaretechnologie
An moderne Software werden umfangreiche und komplexe Qualitätsansprüche gestellt, z.B. Sicherheit, Stabilität, Erweiterbarkeit, Bedienbarkeit, Transparenz oder Portabilität. Das gilt insbesondere für den Bereich Medizin und den Umgang mit sensiblen und anspruchsvollen Patientendaten. Die Softwaretechnologie-Gruppe der TU Dresden entwickelt daher Methoden, die Hilfe bei der automatisierten Softwareerstellung geben und den Wiederverwendungsgrad erhöhen: Produktlinien-Engineering, insbesondere modellbasiertes Software-Engineering (Metamodelle und Ontologien); komponentenbasierte Softwareentwicklung (invasive Softwarekomposition); Anwendung von semantischen Technologien im Software Engineering; Softwarearchitekturen für selbst-adaptive Systeme, z.B. Serviceroboter; agentenbasierte Modellierung mit Grammatiken und Bigraph-Systemen. Auf diese Weise sollen Software-Lösungen auf Basis aktueller und dynamischer KI- oder Machine Learning-Technologie zukunftssicher gestaltet und für den Einsatz in der Praxis und der dortigen Weiterentwicklung gerüstet werden.