14.08.2020
Sehen ist Glauben: Wie sehen Korngrenzen in 2D Polymeren aus?
Seit den Anfängen der Materialwissenschaft sind Forscher auf diesem Gebiet fasziniert von der Schönheit der Kristalle, in denen alle Atome an der richtigen Position in der richtigen Reihenfolge erscheinen. Aber selbst die leuchtenden Diamanten auf den Eheringen, das perfekte Symbol für ewige Liebe und Hingabe, sind nie so perfekt, wie wir dachten. Kristalle, egal ob natürlich oder synthetisch, enthalten Defekte, bei denen die Atome nicht so angeordnet sind, wie sie sein sollten, oder Korngrenzen als Grenzlinie zwischen zwei kristallinen Bereichen. Die Untersuchung der Unvollkommenheiten ist ein wichtiges Thema in der Nanomaterial- und Nanotechnologie, da selbst eine triviale Veränderung der lokalen Struktur eine erhebliche Variation der physikalischen und chemischen Eigenschaften von Materialien bewirken kann. Da die Unvollkommenheiten so klein sein können wie fehlende winzige Atome, gehört es zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Materialwissenschaftler, zu sehen, wie Defekte aussehen, und die Verbindung zwischen Defekten und der daraus resultierenden Veränderung der Eigenschaften herzustellen. Mit Beginn dieses Jahrhunderts wurde die Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) zu einem mächtigen Werkzeug, um uns in die Welt der einzelnen Atome zu führen. Solche modernen Mikroskope können nun strukturelle Merkmale bis hinunter zur Sub-Angström-Skala (1 Angström = 10-10 Meter = die Größenordnung von Atomen) auflösen, und daher entwickelte sich das TEM zu einem engen und zuverlässigen Begleiter, um auch zweidimensionale 2D Materialien zu entwirren, angefangen bei Graphen, das aus Kohlenstoffatomen bestehende Wundermaterial, welches 2004 entdeckt und 2010 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten wurde.
In den letzten Jahren ist ein neuer Stern am weiten Himmel der synthetischen 2D Materialien aufgegangen, nämlich das 2D Polymer. Im Gegensatz zu traditionellen linearen Polymeren, entdeckt vor 100 Jahren von Staudinger (Chem. Ber. 1920, 53, 1073) wie z.B. PVC-Kunststoff, bestehen 2D Polymere aus sich wiederholenden Bausteinen in einer 2D Ebene, die durch starke kovalente Bindungen miteinander verbunden sind und ein flächiges Netzwerk bilden. Die enorme chemische und strukturelle Vielfalt der Bausteine (d.h. der Monomere) und Verknüpfungsarten bietet den Wissenschaftlern eine Spielwiese voller unendlicher kreativer Möglichkeiten. Das bedeutet, dass die synthetischen Polymermaterialien für wünschenswerte Anwendungen entworfen und "programmiert" werden können.
Aber wie jedes andere kristalline Material enthalten auch 2D Polymere Unvollkommenheiten. Auffallend ist, dass selbst beim Einsatz der besten TEMs es bis heute ein Rätsel bleibt, wie diese Unvollkommenheiten wirklich aussehen. Da das TEM einen hochenergetischen Elektronenstrahl als Abbildungsquelle verwendet, hängt es nicht nur von der erreichbaren Auflösung des Mikroskops ab, ob wir die Struktur abbilden können oder nicht. Sie hängt weitgehend auch vom zu untersuchenden Material selbst ab. Kann es während des Abbildungsprozesses intakt bleiben? 2D Polymere verbrennen leider, wie viele andere organische Materialien auch, schnell zu Asche, wenn der Elektronenstrahl eingeschaltet wird. Wie können wir also 2D Polymere abbilden? Nun, wenn wir zum Beispiel mitten in der Nacht ein Buch lesen wollen, genügt wahrscheinlich eine kleine Lampe einzuschalten, anstatt eine Operationsleuchte mit hoher Helligkeit. Beim Übersetzen brauchen wir nur eine gerade ausreichende Menge an Elektronen bereitzustellen, um die Strukturinformation zu erhalten, bevor das Material zerstört wird. Eine einfache Idee, aber nicht leicht zu verwirklichen! Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Ulm und der Technischen Universität Dresden hat erfolgreich Korngrenzenstrukturen in 2D Polyimin mit einer noch nie dagewesenen Auflösung von 2,3 Angström beobachtet (siehe Abbildungen 1 und 2). Das 2D Polyimin wurde durch unsere kürzlich entwickelte Tensid-unterstütze Grenzflächensynthese hergestellt, welche die Synthese von hochkristallinen 2D Polymeren auf ein neues Niveau brachte. Auffallend ist, dass auf der Grundlage des Wissens über anorganische 2D Materialien, wie Graphen und Übergangsmetalldichalkogenide, an den Korngrenzen zwischen zwei kristallinen Bereichen hochenergetische Punktdefekte auftreten sollten. Wie jedoch durch unsere Computersimulationen gezeigt wurde, neigen die beiden kristallinen Domänen bei 2D Polymeren dazu, über flexible kovalente Bindungen an den Korngrenzen miteinander verbunden zu sein, was darauf hindeutet, dass die lokalen Eigenschaften von 2D Polymeren im Vergleich zu herkömmlichen Materialien robuster sind. Während bei letzteren aufgrund der Unvollkommenheit der Bindung zwischen den Atomen über die Korngrenzen hinweg viel Bindungsenergie verloren geht, verringert die strukturelle Flexibilität der Moleküle im 2D Polymer diese Energieeinbuße stark und begrenzt somit den Einfluss der Korngrenze auf die Stabilität, aber auch auf die chemischen und physikalischen Eigenschaften des 2D Polymers.
Diese Ergebnisse werden am 14. August 2020 im Journal Science Advances veröffentlicht. Dies markiert einen fabelhaften Start den neu etablierten Sonderforschungsbereich 1415 "Chemie der synthetischen zweidimensionalen Materialien".
Referenz
H. Qi, H. Sahabudeen, B. Liang, M. Položij, M. Addicoat, T. Gorelik, M. Hambsch, M. Mundszinger, S. Park, B. Lotsch, S. Mannsfeld, Z. Zheng, R. Dong, T. Heine, X. Feng, Ute Kaiser, “Near-atomic-scale observation of grain boundaries in a layer-stacked two-dimensional polymer", Sci. Adv. 2020.
H. Sahabudeen und B. Liang trugen gleichermaßen zu dieser Arbeit bei. H. Qi, T. Heine, X. Feng und U. Kaiser sind die korrespondierenden Autoren.