Forschungsschwerpunkte
Forschungsansatz: Kognition als Eigenschaft eines Komplexen Dynamischen Systems
Wie nehmen wir unsere Umgebung wahr?
Wie steuern wir unsere Handlungen?
Wie treffen wir in ambivalenten Situationen Entscheidungen?
Antworten auf diese zentralen psychologischen Fragen finden wir auf verschiedenen
- Komplexitätsebenen (neuronal, Verhalten, soziale Interaktion) und
- Zeitskalen (kognitive Prozesse, ontogenetische Prozesse, evolu-tionäre Prozesse).
Wie können wir die unterschiedlichen Antworten, die auf den einzelnen Ebenen und Zeitskalen gefunden werden, zusammenführen? Die Theorie komplexer dynamischer Systeme (dynamic systems theory, DST) bietet ein solches integratives Denkmodell. Ihr liegen die Annahmen zugrunde, dass Kognition und Verhalten
- sich über die Zeit entfalten und von ihrer Vorgeschichte beeinflusst werden,
- in Interaktion mit dem einbettenden Kontext entstehen und
- in multikausalen, nicht-linearen Zusammenhängen stehen.
Psychologische Forschung im Rahmen der DST erfordert die Entwicklung und gegenseitige Ergänzung dreier Forschungsbereiche:
- Die Entwicklung dynamischer Modelle des zeitlich und räumlich kontinuierlichen Verlaufs kognitiver Prozesse
- Die Entwicklung und Anwendung von Untersuchungsmethoden zur Erfassung von Verhalten und kognitiven Prozessen in ihrem zeitlichen Verlauf
- Die Entwicklung und Anwendung von Analysemethoden für die multidimensionalen und zeitlich variierenden Einflüsse auf Verhalten und Kognition.
Ziel dieser Vorgehensweise ist die Entwicklung von Modellen als formalisierten Theorien von der neuronalen bis zur sozialen Ebene, um Kognition und Verhalten so abzubilden, wie sie in der realen Welt entstehen: kontinuierlich und kontextuell eingebettet.
Modelle als formalisierte Theorien ermöglichen
- die interne Validierung von Theorien durch eine erzwungene Prüfung auf Konsistenz um Zuge der Formalisierung und damit auch den Proof of Concept einer Theorie;
- die externe Validierung durch den Vergleich von Simulationsergebnissen (Vorhersagen) und empirischen Ergebnissen;
- die Verbindung verschiedener Forschungsansätze (Verhaltensforschung, physiologische und Imagingforschung) durch Modellbasierte Analysen;
- präzisere Theorien zu den Hintergründen psychologischer Störungen und möglichen Behandlungsansätzen (Stichwort Computational Psychiatry).
Entwicklung Dynamischer Kognitiver Modelle
Attraktormodelle, Diffusionsmodelle & Differentialgleichungen
In Attraktormodellen bilden wir die Dynamik kognitiver Prozesse auf einer hohen Abstraktionsebene ab und verbinden sie mit tieferliegenden Erklärungsebenen.
Attraktordynamik in kompetitiven neuronalen Netzen
Mit biologisch inspirierten neuronalen Netzen untersuchen wir die kompetitive Interaktionsdynamik verschiedener kognitiver Zustände, um z.B. EEG-Daten kognitiver Kontroll-prozesse vorherzusagen.
Dynamische neuronale Felder
Mit dynamischen neuronalen Feld-Modellen bilden wir die räumlich und zeitlich kontinuierliche Entstehung kognitiver Zustände ab, um z.B. Auswahl-Bewegungen in Entscheidungsaufgaben vorherzusagen.
Agentenbasierte Modelle
Mit agentenbasierten Modellen untersuchen wir, welche einfachen Interaktionsregeln zwischen Individuen das Entstehen komplexer Verhaltensmuster auf der Ebene von Gruppen ermöglichen.
Entwicklung von Mess- und Analysemethoden kognitiver Prozessdynamik
Dynamische Verhaltensaufgaben: Kontinuität innerhalb und über Durchgänge
Unsere Aufgaben ermöglichen es uns die Interaktionsdynamik und Stabilität kognitiver Zustände innerhalb und über Durchgänge hinweg zu untersuchen, z.B. Entscheidungsprozesse und das Festhalten an einmal gewählten Optionen.
Frequency Tagged EEG & EEG Zeitfrequenz-Analyse
Moderne EEG-Methoden ermöglichen die Verfolgung der Entwicklung kognitiver Prozesse im Millisekundenbereich, z.B. die Modulation der Aufmerksamkeit auf Stimuli welche mit einer Flackerfrequenz markiert werden.
Kontinuierliche Bewegungsverfolgung mit Maus und Joystick
Mit der Analyse von Bewegungen bei Entscheidungen ermitteln wir die Stärke und den Wirkzeitpunkt von Einflüssen auf kognitive Prozesse. Z.B. bewirkt eine attraktivere ablenkenden Option eine stärkere Auslenkung der Mausbewegung.
Augenbewegungen als Marker kognitiver Prozesse
Mit der Analyse von Eye-Tracking Daten können wir ermitteln, zu welchen Zeitpunkten die Aufmerksamkeit und kognitive Verarbeitung auf bestimmte Stimuli gerichtet ist.
Beispielhafte Anwendungsfelder
Entscheidungen
Wir entwickeln klassische Entscheidungs-aufgaben weiter zu dynamischen Aufgaben. Damit untersuchen wir die Prozesse, die schließlich zu einer Entscheidung führen, z.B. warum sich Personen für eine kleine, zeitige an Stelle einer großen, späteren Belohnung entscheiden.
Kognitive Kontrolle & Volition
Wir entwickeln klassische kognitive Kontrollaufgaben (z.B. Flankierreizaufgabe oder Simon-Aufgabe) weiter zu dynamischen Aufgaben. Damit untersuchen wir den Zeitverlauf kognitiver Kontrollprozese, z.B. die Fokussierung der Aufmerksamkeit bei drohender Ablenkung.
Soziale Interaktion & Entscheidungen
Mit dynamischen kollaborativen Entscheidungs-aufgaben untersuchen wir die dynamischen Abstimmungsprozesse in Paaren und Gruppen, z.B. durch die Analyse gleichzeitiger Auswahl-Bewegungen von Paaren, die sich gemeinsam für eine Belohnung entscheiden müssen.