19.12.2021
Rekonstruktion des Infektionsnetzwerkes der ersten Corona-Welle
PI/Dagmar Möbius
Wie konnte sich die Corona-Infektionen während der ersten Welle in Deutschland ausbreiten? Dies zu entschlüsseln ist einem internationale Forschungsteam gelungen. Es stand unter der Leitung von Prof. Andreas Deutsch, Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH) an der TU Dresden.
Seit Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren lagen politischen Entscheidungen über geeignete Anticorona-Maßnahmen mathematische Modelle zugrunde. „Mathematisch betrachtet bilden Menschen ein Kontaktnetzwerk, das sich dynamisch verändert. Je besser man dieses Netzwerk versteht, umso zielgerichteter kann man effiziente Maßnahmen einleiten“, erklärt Professor Andreas Deutsch.
Bis dahin vorliegende wissenschaftliche Arbeiten verwendeten meist grob aufgelöste Netzwerkstrukturen aus anonymisierten Daten, zum Beispiel Handydaten. „Wir haben explizit die Kontakte einzelner Individuen betrachtet“, so der Leiter der Abteilung Innovative Methoden des Computing. So fanden die Forscher heraus, dass die Menschen infolge der Maßnahmen (engl. non-pharmaceutical interventions, NPIs) fast ausschließlich Kontakte in einer Gruppe hatten. Das verringerte die Übertragungswahrscheinlichkeit der Corona-Viren. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen blieb konstant. Auch andere Studien betonten die Effekte von zufälligen Kontakten zwischen Personen aus unterschiedlichen Gruppen. So zeigte beispielsweise eine Auswertung von Mobilitätsnetzdaten, dass sich Infektionen hauptsächlich durch Aktivitäten ausbreiten, an denen unterschiedliche Gruppen teilnehmen, wie in Lebensmittelgeschäften, Restaurants oder religiösen Einrichtungen.
Die Forschungsarbeit von Andreas Deutsch & Team basierte auf der täglichen Anzahl positiver Corona-Tests. „Dieser Ansatz ist nicht perfekt“, weiß der Studienleiter. „So ist die Zahl von der Teststrategie, der Anzahl verfügbarer Tests und dem Datum des Ergebnisses abhängig.“ Man könnte auch mit der Zahl der Todesfälle pro Tag rechnen. Diese sind unabhängig von Tests. Dagegen sprach, dass die Zahl der Todesopfer in Deutschland während der ersten Welle und insbesondere im Sommer 2020 vergleichsweise gering war. Zudem kann die Zeit zwischen Infektion und Tod um bis zu zehn Tage differieren. „Wir gingen deshalb davon aus, dass alle positiv getesteten Personen zum Zeitpunkt des Tests auch infektiös waren und dass die Zeitverzögerung zwischen der Ansteckung der Personen und ihrem Test vernachlässigbar ist.“
In der Originalarbeit werden weitere Szenarien und Einflüsse diskutiert. Zusammenfassend zeigt die Analyse, dass angeordnete Hygienemaßnahmen die effektive Reproduktionszahl auf eins reduzieren können, indem zufällige Kontakte vermieden werden. Um die weitere Infektionsausbreitung zu verhindern und die Pandemie zu beenden, müssten nahezu alle vermeidbaren Kontakte abgebrochen werden. Politisch wurde deshalb aktuell erneut an die Home-Office-Pflicht appelliert. Mit den entwickelten Methoden lassen sich auch die Kontaktnetzwerke in der gerade beginnenden vierten Welle identifizieren.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Scientific Reports publiziert und sind frei zugänglich.
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TU Dresden
ZIH
Prof. Andreas Deutsch
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