Der Warum-Faktor in groß und klein
(porträtiert im Jahr 2011, mit Update 2021)
Dagmar Möbius
Anja Gena studierte eine ziemlich exotische Fächerkombination. Heute leitet die Soziologin eine Konzert- und Eventagentur in Dresden. Und hat eine Schnitzeljagd namens Stadt(Ver-)Führung erfunden.
Direkt nach dem Abitur kam die gebürtige Leipzigerin 1998 an die TU Dresden. Denn nur hier gab es die von ihr favorisierte Studienfächerkombination Soziologie mit den Nebenfächern Geografie und Erziehungswissenschaften. „Zunächst hatte ich mich für Literaturwissenschaft interessiert, mich dann aber nach einem Semester für Erziehungswissenschaften entschieden", erinnert sich die 31-Jährige, die Dresden „sehr aufregend fand und immer noch findet". Die seltene Konstellation war ihr anfangs gar nicht bewusst: „Aber in meiner Studienzeit war ich wohl die Einzige damit." Soziologie gefiel ihr, weil das Fach nicht nur geisteswissenschaftlich ist, sondern auch viel Empirie und Statistik enthält. „Das fiel mir leicht und war eine gute Abwechslung", begründet sie. Und: „Der Faktor, warum etwas jetzt so ist, hat mich fasziniert." Bis heute.
Die eigentlichen Studieninhalte hatten zwar wenig mit ihrem heutigen Berufsalltag zu tun, doch sie lernte, sich selbst, den Studienablauf und sogar ihre Prüfungen zu organisieren. „Zwischen zwei Blöcken nur 20 Minuten Pause, drei bis vier Kilometer Entfernung zwischen den Gebäuden, häufige Überschneidungen – da musste man gucken, wie man es hinbekommt", erinnert sie sich und lacht: „Mit den Inhalten musste man sich auseinandersetzen – auch wenn es mich nicht immer interessierte." Gern denkt sie an „die unterhaltsamen Vorlesungen von Professor Ekkart Zimmermann" zurück. Dessen Fachgebiet, die Makrosoziologie, bezeichnet sie nach wie vor als ihren Lieblingsbereich. Es sind die großen Zusammenhänge der Welt, die Anja Gena interessieren. Ihre Magisterarbeit behandelte ein Thema, dass so in keinem anderen Fach möglich sei. Sie schrieb über „Islam und Demokratie" und sagt: „Das ist typisch Soziologie." In einem Praktikum beim Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen arbeitete sie Zeitzeugen-Porträts wissenschaftlich auf.
Die Geografie bildete einen gewollten Kontrast zur Soziologie. Besonders eine mehrtägige Exkursion nach Süddeutschland, bei der sie sich mit Weinanbau am Kaiserstuhl, Meteoriteneinschlägen und der Donauversickerung befasste, war „eine schöne Abwechslung zur Theorie". Aber auch das intensivere Kennenlernen von Kommilitonen, das sonst aufgrund ihrer seltenen Fächerkombination immer zu kurz kam, war für sie von großem Wert.
Nach Studienabschluss 2004 blieb Anja Gena in Dresden und arbeitete zunächst freiberuflich. 2006 gründete sie die Event- und Konzertagentur G&G Events. Was als GbR begann – daher auch der Firmenname, der sich aus den Anfangsbuchstaben der Gründerinnen-Familiennamen bildete – führt sie inzwischen als Einzelunternehmerin fort. Anja Gena organisiert Events, überregionale Messen und klassische Konzerte vom Musik-Duo bis zum Orchester. Auch wenn sie inzwischen Mutter zweier Töchter ist, sich derzeit in der Elternzeit befindet und nur eingeschränkt tätig sein kann, mag sie sich keine andere Arbeit mehr vorstellen. Es entwickelt sich langsam, aber stetig, ist sie sicher.
2009 erfand sie das Stadtspiel (Ver-)Führung, eine Art Schnitzeljagd, die individuell zu Fuß, per Bus und Bahn erfolgt. Angeregt hatte das eine Familie, die die Stadt auf ungewöhnliche Weise entdecken wollte. Die erste entwickelte Tour führte zu den Elbschlössern – immer noch ein Geheimtipp und Anja Genas Lieblingsspiel. Die Gäste lösen Rätsel, werden von einer Sehenswürdigkeit zur anderen geleitet und erfahren viel Wissenswertes. Inzwischen gibt es sechs verschiedene Routen für die Region Dresden: Neben den Elbschlössern auch die Altstadt, Neustadt, Dresdens Kirchen, Radebeul sowie speziell eine Route für Familien „Neustadt für Kids". Eine Fahrradroute ist geplant, ebenso Stadtspiele für Meißen, Leipzig und Berlin. Eine Campusroute gibt es noch nicht. Aber Anja Gena denkt bereits darüber nach.
Update 2021:
Inzwischen sind zehn Jahre seit dem Interview vergangen und es hat sich viel geändert. Die Event- und Konzertagentur gibt es nicht mehr. Mein Fokus liegt nun ausschließlich auf den Stadtspiel Schnitzeljagden. Auch das Team ist um einiges gewachsen. Wir sind mittlerweile sieben Kolleg:innen, die Stadtspiel Schnitzeljagden entwickeln, produzieren und im neuen Laden auf der Rähnitzgasse im schönen Barockviertel Dresden verkaufen.
Auch online hat sich einiges getan. Ein großer eigener Onlineshop ist hinzugekommen und wir haben viele Kooperations- und Verkaufspartner über die Zeit gewinnen können. In den letzten Jahren haben wir für viele neue Städte Schnitzeljagden entwickelt, mittlerweile gibt es unsere Stadtspiele von 20 verschiedenen Städten. Insgesamt sind es über 40 verschiedene Touren und es kommen immer neue hinzu. Wir haben noch einige Städte auf unserer Wunsch-Stadtspiel-Liste, ganz oben stehen Potsdam, Frankfurt am Main und Stuttgart.
Neu hinzugekommen sind auch noch Download-Schatzsuchen für Kinder und Schatzsuche Outdoor-Sets in verschiedenen Varianten. Die Ideen gehen uns auf jeden Fall nicht aus. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Weg so gehen kann und das mein Unternehmen – auch trotz Corona – wächst und gedeiht. Meine Töchter haben inzwischen auch das Teenager-Alter erreicht und ich hoffe, dass ich sie mit meiner Geschichte ein wenig inspirieren kann. Ich bin überzeugt, dass man selbst mit dem eigenen Unternehmen nur dann erfolgreich sein kann, wenn man seinen Beruf liebt und mit Leidenschaft dabei ist. Und genau diese Leidenschaft, das Brennen für ein Thema, wünsche ich nicht nur meinen Töchtern, sondern allen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. Dann wird es auch ein erfülltes Berufsleben sein.
Kontakt:
Stadtspiel Schnitzeljagd
Inh. Anja Gena
Rähnitzgasse 24
01097 Dresden