Des Studiosus Höhenfahrt
In den ersten Semestern des Studiums an der TH war ich eine graue Maus, eine unscheinbare graue Maus!
Ich schlug mich, wie die meisten meiner Kommilitonen, tapfer durch Vorlesungen und Übungen, zufrieden auch beim Auf und Ab der Benotung durch den Lehrkörper, sei es mit „sehr gut“ oder auch mit „ausreichend“ ̶ der „Eins des kleinen Mannes“. Schließlich lagen die etwa 15 Prüfungen des Vordiploms hinter mir. Es begannen zunehmend die eigentlichen und für mich interessanten Fachvorlesungen.
Zur Aufbesserung meines Stipendiums konnte ich mich am Hochspannungsinstitut, bei Prof. Obenaus, als Hilfsassistent verdingen. Meine Aufgabe war, unter Anleitung eines Studenten des noch höheren Semesters die umfangreiche, zur Vorlesung benötigte Sammlung des Professors zu sichten, zu registrieren und zu erweitern. In dieser Eigenschaft versah ich etwa 1000 Utensilien, vom gemeinen Ziegelstein über einen der ersten Hewlett-Isolatoren bis zu alten Röntgenröhren mit Inventarnummern und kam dabei auch ab und zu mit dem Professor in Kontakt. Ich bildete mir ein, ihm besonders verpflichtet zu sein.
Eines Tages war Experimentalvorlesung in der Hochspannungshalle angesagt. Der Professor beharrte dabei auf der Demonstration des „Faradayschen Käfigs“. Sein „guter Schatten“, Herr Hofmann, stand an seiner Seite. Die Lage war ernst. Der Professor suchte nach einem zweiten, freiwilligen Passagier für den bereitstehenden Kugelkäfig. Seine Augen schweiften über die Runde der Studenten. Nun wussten wir eigentlich alle, dass in solch einem Käfig nichts passieren kann. Erstens von der glaubhaften Theorie her und zweitens deshalb, weil ein Professor niemals das Leben seiner Studenten aufs Spiel setzen würde. Aber zwei Millionen Volt flößen Laien wie Fachleuten eben doch einen gewissen Respekt ein.
Wie gesagt, der Blick des Professors schweifte in der Runde und blieb schließlich auf mir haften. Meine Hand zog es automatisch nach oben. Durch eine freigewordene Gasse schritt ich auf die Kugel zu, deren Durchmesser etwa zwei Meter betrug und die sehr engmaschig aus Metall bestand und eine Holzbank enthielt.
Herr Hofmann und ich nahmen auf der Bank Platz, das Türchen wurde geschlossen, der Käfig an den Kran gehängt und hoch ging’s. Eine Strippe verband den Käfig mit der Elektrode der Hochspannungsanlage. Die Spannung wurde hochgefahren, das Sprühen von den Käfigstäben aus begann. Mit der Zeit wurden es lange Blitze, die in die verdunkelte Halle schossen und den Kugelkäfig samt Inhalt schemenhaft deutlich machten.
Ich sah die beachtlichen Blitze in unmittelbarer Umgebung und roch Ozon. Beifall. Das Experiment war beendet, es ging wieder abwärts. Wir durften aussteigen. Am nächsten Tag wurde ich von den meisten meiner Kommilitonen achtungsvoll gegrüßt.