Wie meine alten Studienunterlagen noch nützlich wurden
Nach dem Abschluss meiner Lehre als Werkzeugmacher und Arbeiten als Jungfacharbeiter im damaligen SAG-Betrieb Sachsenwerk Radeberg wurde ich von diesem zum Studium an die ABF der TH Dresden delegiert.
Dieses Studium, das der damaligen Oberschule in gestraffter Form entsprach, erfolgte von 1954 bis 1957 und endete mit einem Abschlusszeugnis, das dem Abitur gleichzusetzen war und somit Hochschulreife bedeutete. Von 1958 bis 1962 folgte anschließend das „richtige" Studium an der TH Dresden, Fakultät für Luftfahrtwesen. Allerdings mussten wir uns 1961 neu orientieren, da es infolge des Absturzes des Prototyps der „152" und weiterer Probleme die Luftfahrtindustrie der DDR aufgelöst wurde, was natürlich auch zur Auflösung der Fakultät für Luftfahrtwesen führte. Ich entschied mich dabei für die Fortsetzung bzw. Beendigung meines Studiums in der Fachrichtung Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinenkonstruktion.
Was tun mit den alten Studienunterlagen?
Viele, wenn nicht gar die meisten von uns, haben dann ihre Studienunterlagen (Niederschriften von Vorlesungen, Seminaren, Übungen usw.) wohl kaum noch einmal angeschaut, oft sogar schnell entsorgt. Irgendwie konnte ich mich aber nicht so rabiat von einem wichtigen Abschnitt meines Lebens trennen und habe zu Hause noch einmal alles geordnet und gestapelt. Ab und zu hat man zu diesem oder jenem noch einmal nachgeschaut, was sich aber schnell verlor; denn im Betrieb waren oft Augenblicksentscheidungen gefragt. Aber noch scheute ich mich vor dem Wegwerfen.
Dann kam 1989, alles wurde anders und auch das Mähdrescherwerk Bischofswerda, in dem ich inzwischen arbeitete, gab es nicht mehr. Damit war mein offizielles Arbeitsleben beendet; denn ich wurde zum Empfänger von Altersübergangsgeld, eine spezielle Form der sozialen Absicherung für alle diejenigen zwischen 55 und 60 Jahren, die altersbedingt auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatten.
Engagement beim SES
Hier wäre wieder ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, sich von den alten Unterlagen zu trennen, aber wieder tat ich’s nicht und das war auch gut so; denn inzwischen hatte ich mich beim Senior Experten Service (SES) registrieren lassen, um meine Erfahrungen bei einigen Einsätzen in Entwicklungs- und Schwellenländern einzubringen. Da machte es sich gut, wenn man nochmal in die entsprechende Theorie Einsicht nehmen konnte.
Aber auch das hatte ein Ende, altersbedingt und auch weil der Abstand zwischen meinem Wissen und dem gegenwärtigen zu groß geworden ist. Jetzt war wohl wirklich der Zeitpunkt gekommen, sich von den alten Unterlagen zu trennen – schon, um meinen Kindern eines Tages nicht mehr als nötig Arbeit mit meinem Nachlass zu hinterlassen. Aber auch jetzt warf ich die Unterlagen nicht bedenkenlos in den Container, sondern sagte mir, daß das Archiv der TU Dresden ggf. noch Verwendung hoben könnte. Weniger des Inhaltes wegen; denn da ist inzwischen Manches überholt, sogar widerlegt, wenn man z.B. die Vorlesungen u.ä. über Marxismus-Leninismus als Kriterium nimmt. Aber die Art und Weise, wie uns damals etwas gelehrt wurde, könnte für die Forschung interessant sein. Auch wie in den 1950er-Jahren der Mangel noch sichtbar war: z.B. Schreiben auf der Rückseite zurechtgeschnittener Plakate, Bleistift anstatt Kugelschreiber, seitenlanges manuelles Rechnen mit großen Zahlenmengen anstatt Gebrauch eines Taschenrechners.
Ein neues Zuhause
Und die TU Dresden (TUD) hatte Interesse! Bei Dr. Lienert, dem Leiter des Archivs, rannte ich offenen Türen ein; denn „von Professoren haben wir viele derartige Unterlagen, aber Sie sind der erste Student, der uns so etwas anbietet". So haben in den vergangenen Jahren alle meine Unterlagen ein neues Zuhause gefunden. Kürzlich habe ich die letzten übergeben, darunter auch die Mathematik, die ich bewusst bis zum Schluss zurückgehalten habe. Ich wollte mir noch einmal in Erinnerung rufen, wie uns im C-Kurs (letztes Jahr an der ABF) der Grenzübergang, damit die Differentialrechnung und der Einstieg in die höhere Mathematik nahegebracht wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie uns das vom damaligen Mathe-Dozenten Pöschel (?) als wichtigster Schritt bei der Entwicklung unseres mathematischen Denkens bewußt gemacht wurde.
Kürzlich waren mir diese Aufzeichnungen sogar noch einmal dienlich, allerdings diesmal nicht die höhere Mathematik, sondern eher deren Niederungen. Wie das? Vor einigen Jahren wurde ich vom SES gebeten, mich für das Projekt VerA (Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen) zur Verfügung zu stellen. Da geht es darum, Lehrlingen/Azubis, die es etwas schwerer haben (z.B. Dyskalkulie, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Autismus), Hilfestellung für einen ordentlichen Lehrabschluss zu geben. Mathematik steht dabei oft im Vordergrund. Als es dabei um Mehrfachbrüche ging, habe ich sicherheitshalber erst noch einmal nachgeschaut, um nichts falsch zu machen. Das gleiche betraf Teilbarkeitsregeln oder die Regel „Punktrechnung geht vor Strichrechnung". Hat man heutzutage noch damit zu tun?
Über 60 Jahre mit der TUD verbunden
Mittlerweile habe ich die 80 überschritten und meine reichlich 50-Jährige Verbindung zur TUD wird wohl nun zu Ende gehen. Oder doch noch nicht? Da steht noch etwas in der Landtechnik an. Wir werden sehen ...
Übrigens habe ich mich parallel zu den Vorlesungsniederschriften auch von meinen letzten Firmenprospekten gelöst. Es war üblich, sich solche als eine gute Bereicherung des eigenen Wissensfundus zu organisieren, insbesondere auf der Leipziger Messe, da dort die einzige Möglichkeit für Westkontakte bestand. Auch diese Trennung war mit ein bisschen Wehmut verbunden, hingen doch an manchen Prospekten interessante Begebenheiten dran. So im Jahre 1961 eine unverhoffte Begegnung mit unseren Professor Georg Berndt, dem Nestor der industriellen Längenmesstechnik. Aber das ist eine andere Geschichte.