16.12.2020
Schönes gemeinsam machen, Unangenehmes gerecht aufteilen
Beate Diederichs
Die Brüder Ansgar und Benedikt Schulz teilen sich seit rund zwei Jahren die Professur für Entwerfen und Konstruieren I an der Fakultät Architektur der TUD. Gemeinsam eine Professur inne zu haben, ist für sie ein Zukunftsmodell. »Als Doppelspitze sind wir flexibel und haben so auch mehr Gelegenheiten, neben der Lehrtätigkeit praktisch als Architekten zu arbeiten. Das ist uns sehr wichtig. Denn wer Architektur lehren will, muss selbst entwerfen und bauen«, sagt Benedikt Schulz, der jüngere der beiden Professoren.
Die Architektur wurde Ansgar und Benedikt Schulz in die sprichwörtliche Wiege gelegt: »Schon unser Vater baute Häuser und sprach oft am Esstisch zu Hause davon, wie es auf der Baustelle lief. Manchmal nahm er uns auch nach der Schule dorthin mit. Wir erlebten dann, wie er ein Heer von Leuten so erfolgreich dirigierte, dass aus der anfänglichen Unordnung allmählich ein Haus entstand«, erinnert sich Benedikt Schulz an seine Kindheit in Witten, gelegen nahe Dortmund und Bochum. Dort war er 1968 geboren worden, sein Bruder Ansgar zwei Jahre früher. Dass das Selbstverständnis eines Architekten außer der reinen Bauumsetzung noch einen Gestaltungsanspruch umfasst, lernten die Brüder Schulz beim Studium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und bei Auslandsstudienaufenthalten.
Wie man sich eine Professur teilt
Bereits während des Studiums gründeten sie das Büro »Schulz und Schulz« mit Sitz in Leipzig. Und zwar gemeinsam. »Wir sind relativ zeitgleich in die Architektur hineingerutscht und wollten probieren, ob die enge Zusammenarbeit klappt. Dies war definitiv der Fall«, berichtet der jüngere der beiden Architekten. »Schulz und Schulz« entwarf vielbeachtete Projekte wie das Vereinsgelände von Schalke 04 in Gelsenkirchen oder den Neubau der Kirche St. Trinitatis in Leipzig. Von 2010 bis 2018 forschten und lehrten die beiden an der Universität Dortmund. Sie leiteten gemeinsam den Lehrstuhl für Baukonstruktion an der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen und bildeten damit Deutschlands erste Doppelspitze in einer Professur. Vor rund zwei Jahren übernahmen sie an der TU Dresden gemeinsam die Professur für Entwerfen und Konstruieren I an der Fakultät Architektur. »Seit nunmehr 28 Jahren arbeiten wir zusammen. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, ist das für uns selbstverständlich geworden«, berichten Ansgar und Benedikt Schulz.
Die Arbeit wird gerecht aufgeteilt
Eine Rollenverteilung haben die beiden Professoren dabei nicht. Sie versuchen stattdessen, die Arbeit gerecht aufzuteilen. »Schönes machen wir möglichst gemeinsam, bei Unangenehmem übernimmt jeder den gleichen Anteil«, kommentiert Ansgar Schulz. Jeder kann etwas gut, was dem anderen nicht so liegt. Im Idealfall ergänzen sie sich so zu einem Architekten. Diesem Prinzip folgen sie, wenn sie lehren oder forschen, Lehrbücher schreiben oder als Gutachter und Berater fungieren. »Oft entscheiden wir erst kurz vorher, welcher Herr Schulz zu einer Veranstaltung kommt. Wir sagen immer: Ein Herr Schulz erscheint auf jeden Fall«, so die Professoren. Wenn sie zusammen agieren, setzen sie auch gern ihren Dialog zum entsprechenden Thema als didaktisches Mittel ein. Die Studierenden reagieren meist sehr positiv: »Bei unserer Verabschiedung in Dortmund meinte ein Vertreter der Studierenden, es habe ihm ziemlich imponiert, dass wir uns nie widersprochen hätten, obwohl Ansgar in der A-Woche und ich in der B-Woche unterrichtete«, erzählt Benedikt Schulz.
Auch die Universitätsleitung weiß nach ihrem Eindruck zu schätzen, dass sich die beiden Professoren die Professur teilen. »Architekten arbeiten ohnehin oft im Team und sind daher mit dieser Vorgehensweise vertraut. Wir haben diese Organisationsform vor einigen Jahren in der Schweiz kennen gelernt. An der TU Dresden waren wir Vorreiter, aber es gibt mittlerweile eine zweite geteilte Professur. Dort arbeiten zwei Menschen zusammen, die auch privat als Lebenspartner und Lebenspartnerin verbunden sind«, sagt Ansgar Schulz.
Häuser zu entwerfen und zu errichten, ist ihnen nach wie vor wichtig. »Will man das Procedere des Hausbauens unterrichten, muss man selbst Häuser bauen, sonst verliert man den Anschluss.« Als Doppelspitze sind sie zeitlich und organisatorisch flexibel, um beispielsweise Projekte wie das Perlmutter- und Heimatmuseum im vogtländischen Adorf zu gestalten, wofür sie vor Kurzem die europaweite Ausschreibung gewonnen haben. Kurz: Die geteilte Professur ist für Schulz und Schulz ein Modell, das Zukunft haben wird.
Ansgar und Benedikt Schulz möchten gemeinsam innerhalb ihres Zukunftsmodells gezielt Akzente setzen: Erstens liegt es ihnen am Herzen, dass die angehenden Architektinnen und Architekten lernen, kreatives Entwerfen mit gut organisiertem Ausführen zu verknüpfen, also die Arbeit mit Reißbrett, Rechner und Modell mit dem eigentlichen Bauprozess zu verbinden, bei dem sich die Tätigkeit des Architekten mit der einer Bauingenieurin oder eines Bauingenieurs berührt.
Die Architektur braucht neue Räume
Dann wollen sie gerne das Fach in Dresden innerhalb des Deutschland-Rankings weiter nach vorn bringen. Drittens schließlich möchten sie langfristig das Problem beheben, dass die Architektur an der TUD im Vergleich zu anderen Hochschulen sehr wenige Arbeitsräume hat. »Die Leute müssen in Teams an Projekten arbeiten. Dafür brauchen sie diese Räume zwingend«, sagt Benedikt Schulz. Das Atelier der beiden Professoren, wo sie parallel zur Arbeit an der TUD entwerfen und organisieren, liegt in Leipzig am Zwenkauer See. Die Landschaft mit Gewässer und reizvoller Umgebung bietet für Schulz und Schulz nicht nur ein Arbeitsumfeld, sondern auch einen Erholungsraum: Dabei hat – anders als in der Architektur – jeder seinen ganz eigenen Bereich: Ansgar Schulz, verheiratet und dreifacher Vater, widmet sich dem Fahrrad und dem Tontaubenschießen. Benedikt Schulz, der geschieden ist, mittlerweile in neuer Partnerschaft lebt und eine Tochter hat, segelt und bereitet sich auf Regatten vor.