17.12.2018
Urban Studies – wie nachhaltige Städte der Zukunft entstehen
Rund 70 Prozent der Weltbevölkerung werden im Jahr 2050 in Städten leben, dafür bedarf es durchdachter Konzepte
»Urbanization has a massive effect on the dynamics of our society.« Prof. Wolfgang Wende von der TU Dresden, Mitorganisator des Symposiums »Urban Studies in Education and Research« Ende November nimmt in seiner Begrüßung vorweg, welche Herausforderungen auf die Menschheit in den nächsten 30 Jahren zukommen werden. Laut Prognosen werden 70 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2050 in Städten leben. Mehr Wohnraum für eine schnell wachsende Stadtbevölkerung zu schaffen, hat u. a. auch Effekte auf die städtische Infrastruktur, Lebensqualität, Mobilität, den Ressourcenverbrauch und auf die Umwelt. Das verlangt nach neuen Ideen und interdisziplinären Ansätzen. Zusammen mit renommierten Partnern wie der TU Delft, der CVUT Prag und dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) wurden diese Themen und ihre Relevanz für Lehre und Forschung in Impulsvorträgen und Workshops mit Nachwuchswissenschaftlern und Studenten diskutiert. Das UJ im Gespräch mit Prof. Wolfgang Wende, Professur für Siedlungsentwicklung und Leiter des Forschungsbereiches Wandel und Management von Landschaften am IÖR, sowie Mitorganisatorin Prof. Angela Mensing-de Jong, Professur für Städtebau, beide am TUD-Institut für Städtebau und Regionalplanung.
Um das Zitat noch einmal aufzugreifen: An welche Effekte der Urbanisierung denken Sie insbesondere?
Prof. Wende: Ich denke da an unseren Ressourcenverbrauch, die Umwelt. Aber auch an unser Zusammenleben, wie es sich gerade im internationalen Raum verändern wird. Im Moment entstehen bereits sehr viele neue Stadtstrukturen. Allein in China sind es weitere 250 Millionen Menschen, die urbanisiert werden. Dabei entstehen neue formelle und auch informelle Strukturen. Im Fachjargon spricht man von »spontaneity«. Ein Beispiel dazu aus einer Promotion aus der Dresden Leibniz Graduate School zum Thema Refugee Camp. Aus diesem Camp in Jordanien heraus ist eine ganz neue Struktur entstanden, die sich selbstständig verstetigt. In der Arbeit wurde untersucht, wie sich so eine Stadtstruktur bildet und verfestigt. Dabei laufen viele informelle Prozesse ab, die gar nicht geplant waren. Für uns stellt sich die Frage, wie wir diese Prozesse begleiten können, um z. B. eine Stadt zu generieren, die auch sozial schwächere Gruppen einbindet.
Im Symposium wurde das Thema water-land-relation angesprochen. Wie stark werden bereits die Aspekte des Klimawandels, wie etwa Extremwetterlagen, in Forschung und Lehre integriert?
Prof. Wende: Am IÖR ist die water-land-relation ein Riesenthema. Ein Humboldtstipendiat aus Jamaika hat unter dem Thema »sponge city« eine Potenzialanalyse erarbeitet, wie Starkregenereignisse in einer Stadt abgepuffert werden können. Aus der Analyse geht hervor, dass die Stadtkonzepte für die Flächennutzungsplanung unbedingt den Rückbau von Versiegelungsflächen, Dachbegrünung, Kavernen sowie Stadtbegrünung beinhalten sollten. Das Thema des Klimawandels bringe ich verstärkt auch in die Lehre ein. Die Studierenden sollen befähigt sein, bei ihren Bebauungsplänen das Thema zu berücksichtigen und z. B. viele Freiflächen einzuplanen und trotzdem zu einer Innenentwicklung von Städten beizutragen.
Hieße das, das Wachstum der Städte könnte zur Folge haben, wieder zu sehr funktionalen Wohnhäusern wie zum Beispiel den Neubaublocks der 70er und 80er zurückzukehren? Diese wurden aber später, um u. a. die Wohnqualität wieder zu erhöhen, abgerissen oder teilweise zurückgebaut und mehr Grünflächen geschaffen. Wie also mehr Wohnraum für mehr Menschen auf zum Teil sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Nutzungsflächen schaffen?
Prof. Mensing-de Jong: Genau das ist die Herausforderung für Stadtplaner und Städtebauer, nicht nur über die Flächenzuweisung nachzudenken, sondern auch über die Nutzungsverteilung und Raumwirkung. Wir müssen Städte verdichten, aber auch nachhaltiger gestalten und Strukturen optimieren, damit nicht zu viele Ressourcen wie etwa Energie verbraucht werden. In Ballungsräumen fehlt günstiger Wohnraum. Hier braucht es nicht nur projektbezogene Blickwinkel, sondern interdisziplinäre Kompetenzen vieler an der Planung unserer Umwelt Beteiligten, wie Landschaftsarchitekten, Verkehrsplaner, Architekten. Wir benötigen funktional sinnvolle Planungen, aber vor allem Städte mit Lebensqualität. Zudem die Mischung sozialer Gruppen und Konzepte, die Wohnen und Arbeiten verbinden. Hier können wir alle voneinander und von Beispielen und Erfahrungen lernen.
Prof. Wende: Für die optimale Baudichte gibt es keine Faustregel. Es ist auch schwierig zu sagen, wieviel Grünausstattung den Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Kulturell bedingt wird die Wohnqualität sehr unterschiedlich empfunden. In asiatischen Ländern gibt es gegenüber einer hohen baulichen Dichte eine höhere Akzeptanz. Im europäischen Kontext sind solche baulichen Dichten gar nicht möglich. In einem F&E-Projekt mit der Strasbourg University wollen wir uns zusammen mit Stadt-, Verkehrs- und Grünflächenplanern dem Thema Mobility widmen. Im EU-Kontext wird Verkehr viel Raum zugestanden. Wir wollen untersuchen, wie sehr sich diese Beanspruchung zurückdrängen lässt und trotzdem die gleiche Mobilität gewährleistet wird. Dafür müssen Verkehrsströme umgelenkt werden, um Raum für grüne Infrastruktur zu gewinnen.
Das Symposium beschäftigte sich auch mit der Ausbildung der Studenten und wie das Profil in der Lehre weiter geschärft werden muss, um den Herausforderungen der Urbanisierung zu begegnen. Was wollen Sie den Studenten gern mit auf den Weg geben?
Prof. Mensing-de Jong: Mein Wunsch ist es, bei den Studierenden früh vor allem das Bewusstsein für den Kontext in einer globalen Gesellschaft wie auch die Aufmerksamkeit für globale Probleme zu schärfen, und nicht nur für die objektbezogene Lehre. Dazu wird im Sommersemester 2019 beispielsweise ein Workshop mit mehr als 60 Teilnehmern (Studenten und Dozenten) aus den Partneruniversitäten Prag, Göteborg, Straßburg und Delft sowie der TUD an der tschechisch-deutschen Grenze stattfinden. In so einem Format können die Teilnehmer voneinander erfahren, wie jeweils gelehrt wird, neue Netzwerke und konkrete Kooperationen etablieren.
Prof. Wende: Offen zu sein für neue Ansätze. Denn diese brauchen wir, um die Effekte der Urbanisierung z. B. auf die Umwelt in den Griff zu bekommen.
Die Fragen stellte Diana Uhlmann.
Dieses Interview ist im Dresdner Universitätsjournal 20/2018 vom 11. Dezember 2018 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.