Dresdner Stahlbaufachtagung 2024
Unter der Überschrift „Stahl- und Verbundbau – Neues aus Forschung, Normung und Praxis“ fand am 20. März die 16. Dresdener Stahlbaufachtagung im Heinz-Schönfeld-Hörsaal der TU Dresden statt. Den Teilnehmern wurden Einblicke in verschiedene Themen des Stahlbaus mit dem besonderen Schwerpunkt auf die Königsdisziplin des Bauingenieurwesens, den Brückenbau, durch ausgewiesene Experten gegeben.
Die kurzweiligen Fachvorträge umfassten die Instandsetzung und Verstärkung des Chemnitzer Viadukts, einen Beitrag zur Dauerhaftigkeit von ermüdungsbeanspruchten, feuerverzinkten Stahl- und Verbundbrücken, eine Analyse der novellierten Bemessungsrichtlinien des Eurocode 3 sowie die wichtigsten Erkenntnisse zur Entwicklung europäischer Bemessungsregeln für wiederverwendete Stahlbauteile. In der zweiten Tageshälfte wurde die richtige Verwendung von wetterfestem Baustahl, die Nachrechnung bestehender Eisenbahnbrücken auf Basis der neuen Richtlinie 805 und die Bemessung von Anschlüssen im Stahlbau thematisiert. Abgerundet wurde das Programm durch einen Vortag zum Bau der Gottleubatalbrücke im Taktschiebeverfahren.
Organisiert wurde die Veranstaltung durch das Institut für Stahl- und Holzbau der Technischen Universität Dresden und die Bauakademie Sachsen. Die Tagung wurde unterstützt von bauforumstahl, der FOSTA, der Ingenieur- und der Architektenkammer Sachsen, dem Verband Beratender Ingenieure (VBI), dem Verlag Ernst & Sohn und der Baukammer Berlin. Herr Dr. Gregor Nüsse, Stellvertreter des Geschäftsführers der FOSTA- Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V., moderierte die Veranstaltung.
Die Veranstaltung wurde von Prof. Richard Stroetmann mit einer Begrüßung aller Teilnehmer und Dankesworten an die Referenten, die allesamt nach Dresden angereist waren, eröffnet. Anschließend sprach Jörg Thiele, Präsident des Verbandes Beratender Ingenieure (VBI), über die aktuellen Herausforderungen für die Bauindustrie aufgrund der allgemeinen inflationsbedingten Verteuerungen, der steigenden Energiepreise, der geopolitischen Lage und dem landesweiten Sanierungsrückstau von Bestandsbauwerken. Ein weiteres Kernthema stellten die anstehenden Europa- und Landeswahlen dar. Dabei betonte er die Notwendigkeit des Abbaus von Bürokratien durch die Politik und die Schaffung klarer Rahmenbedingungen für das Bauwesen, sodass die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigt werden können. Innovationen und nachhaltige Lösungen im Bauwesen helfen dabei der Gesellschaft, die Energie- und Verkehrswende zu bewältigen. Ein internationaler wissenschaftlicher Austausch sei hierbei ebenfalls unentbehrlich, da dieser dazu beitrage, Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu finden. Trotz der Vielzahl an globalen Herausforderungen wies Jörg Thiele optimistisch mit den Worten „Wir können das!“ in eine positive Zukunft.
Der anschließende Eröffnungsvortrag der Tagung wurde von Prof. Richard Stroetmann (TU Dresden, KREBS+KIEFER Ingenieure GmbH) gehalten. Thema seines Vortrages war die technische Instandsetzung und Verstärkung des Chemnitzer Viaduktes. Umfangreiche Baumaßnahmen waren notwendig, da die 115 Jahre alte Brücke den Anforderungen des heutigen Bahnverkehrs nicht mehr gerecht wurde. Prof. Stroetmann thematisierte zunächst das bestehende Bauwerk in seinem sanierungsbedürftigen Zustand sowie die ursprünglichen Pläne für einen Ersatzneubau. In einem ausführlichen Überblick über die Bauausführung zeigte Prof. Stroetmann die größten Herausforderungen bei der Ertüchtigung des Tragwerks. Diese umfasste die Teilerneuerung und Instandsetzung der Balkenfelder, die Ertüchtigung der Bogenfelder und Stützensysteme sowie ausführliche Untersuchungen und die Instandsetzung der historischen Brückenlager. In seinen Schlussbemerkungen beleuchtete er mit eindrucksvollen Zahlen die imposanten ingenieurtechnischen und handwerklichen Leistungen der am Bau beteiligten Unternehmen und -büros.
Den zweiten Fachvortrag hielt Frau Prof. Bettina Brune von der TU Dortmund über wesentliche Forschungsergebnisse zur Dauerhaftigkeit von feuerverzinkten, ermüdungsbeanspruchten Konstruktionsdetails von Brücken und Lagern. Beginnend mit der Motivation und dem Forschungsanlass ging sie auf die aktuellen Fragestellungen zur Anwendbarkeit der Feuerverzinkung unter zyklischer Belastung ein. Wesentliche Kerninhalte waren die Dauerhaftigkeit des Korrosionsschutzes, der Einfluss der Verzinkung auf die Ermüdungsfestigkeit und Besonderheiten ausgewählter Konstruktionsdetails. Frau Prof. Brune stellte dar, dass der Korrosionsschutz durch die Feuerverzinkung unter den im Brückenbau spezifischen Bedingungen bisher nicht ausreichend beforscht wurde und der Einfluss der Verzinkung auf die Ermüdungsfestigkeit bislang unklar war. Im Vortrag beleuchtete sie die Ermüdungsfestigkeit von Verbunddübelleisten, Montagestößen, Hohlkästen und Fahrbahnübergängen. Anhand zahlreicher Beispiele ging Frau Prof. Brune auf Einflüsse aus der Feuerverzinkung ein und wies auf optionale Lösungsmöglichkeiten, wie die nachträgliche Spritzmetallisierung an geschweißten Montagestößen, hin. Während Kerbfälle mit hoher Ermüdungsfestigkeit durch sich aus der Verzinkung entwickelnde Risse um etwa eine Klasse herabgestuft werden, bleibt bei schärferen Kerbfällen die Verzinkung ohne Auswirkung. Abschließend stellte sie den Mehrwert der Feuerverzinkung als Korrosionsschutz am Beispiel eines Pilotprojektes, einem Überführungsbauwerk für einen Wirtschaftsweg in Nordhessen, vor. Der Korrosionsschutz verringert den Arbeitsaufwand auf der Baustelle und zeigt sich bis heute als robust genug, den korrosiven Angriffen und der zyklischen Belastung zu widerstehen.
Der zweite Vortragsblock wurde durch einen Beitrag von Prof. Markus Knobloch von der Ruhruniversität Bochum zu Änderungen und Entwicklungen der neuen Normengeneration des Eurocode 3 eingeleitet. Zu Beginn seiner Präsentation ging er auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des europäischen Normungswerkes ein. Prof. Knobloch betonte, dass die Bedeutung von Normen sich in einer globalisierten Welt nicht allein auf die Regelung von Bemessungskonzepten oder Produkten beschränkt. Normen stehen im Spannungsfeld von Wirtschaft, Gesellschaft und dem technologischen Fortschritt. Die aktuellen und künftigen Entwicklungen richten sich noch stärker auf den gesellschaftlichen Bedarf mit dem Fokus auf den Klimawandel und Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgase aus. Nach den allgemeinen Ausführungen ging Prof. Knobloch auf wesentliche Veränderungen der neuen gegenüber der derzeit bauaufsichtlich eingeführten Fassung des Eurocodes 3 ein. Zu den grundlegenden Zielen gehören die Harmonisierung der bestehenden Regeln und die Erhöhung der Anwenderfreundlichkeit. Auf die Umsetzung dieser Ziele ging er Anhand von Beispielen, wie die Erweiterung auf Stähle bis S700, die Einführung von Ablaufdiagrammen zum Stabilitätsnachweis, den Biegedrillknicknachweis im Teil 1-1, die Bemessung im Brandfall im Teil 1-2 sowie die Erweiterung der Möglichkeiten zum Nachweis der Ermüdungsfestigkeit im Teil 1-9 ein. Mit dem Teil 1-14 wird künftig die Anwendung der FEM im Stahlbau geregelt. Zudem wurden Adhoc-Gruppen zur Entwicklung von Eurocodes für das Bauen im Bestand und die Wiederverwendung von Bauteilen eingerichtet.
Die Präsentation von Prof. Markus Feldmann von der RWTH Aachen zur Wiederverwendung von Stahlbauteilen schloss sich thematisch der Vortragsreihe zur globalen und gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Bauwesens an. Die Errichtung und Nutzung von Gebäuden sei für 40 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die Europäische Kommission hat im Rahmen des „Green Deal“ einen Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft eingeführt. In diesem wird dem Recycling und der Wiederverwendung von Bauelementen eine besondere Bedeutung zugesprochen. Prof. Feldmann verdeutlichte, dass der Stahlbau für einen Reuse von Tragwerkselementen besonders geeignet ist. Alte Bauteile aus bestehenden Bauwerken können zurückgebaut und in neuen Tragwerken wiederverwendet werden. Mit der Weiterverwendung von Bauwerken und der Wiederverwendung von Bauteilen ergeben sich die größten Ressourceneinsparungen und Senkungen des CO2- Ausstoßes. Ein weiteres Kernthema von Prof. Feldmann war die Prozesskette zur Wiederverwendung von Tragwerkselementen, bei der der Bewertung der Bauteil- und Materialeigenschaften nach dem Rückbau eine besondere Bedeutung zukommt. Ferner ging er auf die Auslegung von Stahlkonstruktionen mit wiederverwendeten Bauteilen ein. Dazu ist eine Unterscheidung zwischen CovEx („Coverage by Existing Rules of the Eurocode“) und NonCovEx-Fällen („Non-Coverage by Existing Rules of the Eurocode“) erforderlich. Den Vortrag schloss Prof. Feldmann, indem er auf Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung der Wiederverwendung von Bauteilen, die notwendigen Bemessungs- und Ausführungsvorschriften sowie rechtliche Aspekte einging.
Der erste Vortrag nach der Mittagspause wurde von Dr. Dennis Rademacher von ArcelorMittal Europe zur richtigen Verwendung von wetterfestem Baustahl gehalten. Er betonte die Vorteile für den Korrosionsschutz mit geringem Wartungsaufwand und thematisierte die Metallurige des niedriglegierten Stahls. Typische Anwendungsfelder sind der Brückenbau, Fassaden und weitere Außenanwendungen. Höhere Erstinvestitionskosten durch Mehrkosten des Stahls könnten sich über den Nutzungszeitraum durch geringere Instandhaltungskosten amortisieren. Im Rahmen seiner Präsentation ging Dr. Rademacher auf die neu entwickelten ECCS Design Guides ein. Diese Best-Practice-Sammlung aus vielen europäischen Ländern entspricht dem aktuellen Stand der Technik zu den relevanten Themen bei der Verwendung wetterfester Baustähle. Anhand von Praxisbeispielen betonte Dr. Rademacher die Bedeutung einer geeigneten konstruktiven Gestaltung, um bereits im Entwurf Schäden an der Konstruktion durch eine funktionierende Entwässerung und ausreichende Belüftung zu vermeiden.
Im Anschlussvortrag zur „Nachrechnung bestehender Eisenbahnbrücken auf Basis der neuen Richtlinie 805 (RIL 805) der Deutschen Bahn“ thematisierte Prof. Martin Mensinger von der TU München das vierstufige Sicherheitskonzept zur Bestimmung der Restnutzungsdauer von Eisenbahnbrücken sowie die Nachweise sicherer Betriebsintervalle. Der Vortrag begann zunächst mit einem geschichtlichen Rückblick zur Entwicklung der deutschen Schieneninfrastruktur sowie einer Übersicht zum aktuellen Sanierungsbedarf. Prof. Mensinger erläuterte in seinem weiteren Vortrag die Relevanz der richtigen Materialcharakterisierung einschließlich der Beprobung, die nur durchgeführt werden sollte, wenn tatsächlich wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind. Den Ausführungen zu den Werkstoffeigenschaften folgten Erläuterungen zum Nachweis der Restnutzungsdauer. Die Bewertung einer Vielzahl von Einflussgrößen führt zu ungenauen Prognosen des verbleibenden Nutzungszeitraums. Da der Nachweis der Restnutzungsdauer jedoch als Grundlage für eine Investitionsentscheidung dient, sind zu konservative Bewertungsansätze kritisch zu bewerten.
Prof. Thomas Ummenhofer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ging in seinem Vortrag auf die neuen Bemessungsregeln von Anschlüssen im Stahlbau nach dem Eurocode 3 Teil 1-8 ein. Dabei wählte er als Einstieg eine Übersicht über den Normungsumfang und die Regelungsinhalte. Prof. Ummenhofer ging auf die wesentlichen Änderungen bei der Anschlussbemessung, wie der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Stahlsorten bis S700, Änderungen in der Bemessung von Schrauben- und Schweißverbindungen sowie die allgemeine Überarbeitung des Eurocodes im Hinblick auf die Anwenderfreundlichkeit, Fehlerkorrekturen und die weitere Harmonisierung der Norm ein. Durch die Erweiterung auf Stähle bis S700 wurden auch entsprechende Anpassungen bei den Werkstoffbeiwerten Cf für Hohlprofilanschlüsse im Abschnitt 9 der Norm erforderlich. Der neue Teil 1-8 wird um 4 Anhänge erweitert, die sich den Eigenschaften von Grundkomponenten, den Träger-Stützen-Verbindungen, den gelenkigen Verbindungen und den Stützenfüßen widmen. Gussknoten werden weiterhin nicht geregelt. Sie bleiben Gegenstand des deutschen Nationalen Anhangs sowie einer künftigen DASt-Richtlinie. In der nächsten Generation des Teil 1-8 sollen auch Klebeverbindungen aufgenommen werden.
Der Abschlussvortrag wurde von Tobias Mansperger von Leonhardt, Andrä und Partner gehalten. Dabei bot er eindrucksvolle Einblicke in die Montage der Gottleubatalbrücke mit dem Taktschiebeverfahren und beleuchtete zugleich die Planung und Ausführung des Brückenbauwerks. Aus dem Gestaltungswettbewerb von 2006 folgte der 916 m lange und 60 m hohe Bauwerksentwurf der Gottleubatalbrücke in semi-integraler Bauweise mit fünf monolithisch zum Oberbau verbundenen Brückenpfeilern und drei konventionell Pfeilerauflagern. Der Vortrag thematisierte die ingenieurtechnischen Herausforderungen, für die das Team um Tobias Mansperger eindrucksvolle Lösungen, wie den Entwurf eines Vorbauschnabels mit Klappvorrichtung für das Taktschiebeverfahren, entwickelte. Die imposant bebilderte Darstellung des gesamten Bauablaufs wurde durch ein Zeitraffervideo zum Taktschiebeverfahrens mit dem 50 Meter langem Vorbauschnabel abgerundet.
Das vielfältige Programm lud zu Fachdiskussionen mit den Referenten in den Pausen ein und bot eine ausgezeichnete Plattform für den fachlichen Austausch. Ergänzt wurde die Tagung von verschiedenen Fachausstellern, die an ihren Ständen über aktuelle Entwicklungen und neue Produkte informierten. Die nächste Dresdner Stahlbaufachtagung ist für das kommende Jahr im März 2025 geplant.
Bericht: Dipl.-Ing. Tobias Bochmann (TU Dresden)