Überreaktion oder berechtigte Sorge – wie geht die Forstwirtschaft mit Kritik um?
Unterschiedliche Sichtweisen auf dasselbe Ziel
Beim Thema Pflanzenschutz im Wald stehen sich häufig zwei Lager gegenüber, die dasselbe Ziel verfolgen, aber unterschiedliche Wege bevorzugen. Auf der einen Seite plädieren Naturschutzverbände dafür, der Natur mehr Selbstregulation zu überlassen. Sie setzen auf natürliche Feinde der Schadinsekten, auf langfristigen Waldumbau und auf Geduld. Auf der anderen Seite weisen Forstleute darauf hin, dass diese Strategien in Zeiten von Klimawandel, instabilen Monokulturen und massivem Schädlingsdruck nicht immer ausreichen, um Bestände zu erhalten. Zwar wollen beide Seiten den Wald schützen, doch die unterschiedlichen Herangehensweisen führen schnell zu Konflikten. Diese Spannungen werden noch verstärkt durch emotionale Bindungen an den „Wald vor der Haustür“, Misstrauen gegenüber Behörden, mediale Zuspitzungen und fehlendes Fachwissen in Teilen der Bevölkerung.
Das eigentliche Akzeptanzproblem
Die RiKA-Analysen zeigen, dass die Akzeptanzkrise im Forstbereich nicht allein an der Maßnahme selbst hängt, sondern vor allem an der Art, wie über sie kommuniziert wird.
Häufig erfahren Bürgerinnen und Bürger erst spät oder durch Zufall von geplanten Pflanzenschutzmaßnahmen. Offizielle Mitteilungen erreichen eher Fachleute als die breite Öffentlichkeit oder direkt betroffene Anwohnerinnen und Anwohner. Ohne frühzeitige und klare Einordnung überwiegt bei den Menschen die Sorge um mögliche Risiken, während der Nutzen kaum erkennbar ist. In dieser Phase besetzen andere Akteure – etwa Naturschutzorganisationen oder Bürgerinitiativen – das Thema frühzeitig und setzen eigene Deutungen. Diese Narrative sind später nur schwer zu korrigieren, da die erste Wahrnehmung oft besonders prägend ist.
Wenn Nicht-Handeln ebenfalls Folgen hat
In der öffentlichen Diskussion werden die Risiken des Nicht-Handelns häufig unterschätzt. Unterbleibt ein Eingriff, kann dies zum Verlust ganzer Altbestände führen. Damit gehen nicht nur Lebensräume für zahlreiche Arten verloren, sondern auch wichtige Ökosystemleistungen wie CO₂-Bindung, Trinkwasserschutz und Bodenerhalt. Der Waldumbau kann sich deutlich verlangsamen, weil junge Bäume ohne schützende Schirmbäume anfälliger für Frost, Hitze und Trockenheit sind. Auch wirtschaftliche Folgen sind möglich, wenn großflächige Kalamitäten den Holzmarkt belasten und regionale Wertschöpfungsketten unterbrechen. Diese langfristigen Nachteile lassen sich schwer in kurzen, griffigen Botschaften vermitteln und werden deshalb in der öffentlichen Debatte oft übersehen.
Kommunikation als fester Bestandteil der Waldschutzstrategie
Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, muss Kommunikation nicht nur reaktiv in der Krise erfolgen, sondern integraler Bestandteil der Waldschutzstrategie sein. Das bedeutet, schon vor einer Entscheidung über Maßnahmen den Dialog zu eröffnen, den Entscheidungsprozess transparent zu machen und zu erklären, welche Alternativen geprüft wurden. Ebenso wichtig ist die offene Benennung möglicher Nebenwirkungen, um Glaubwürdigkeit zu schaffen. Die Vermittlung eines klaren Zielbildes – beispielsweise, wie der Wald in den nächsten Jahrzehnten aussehen soll – hilft, den Zusammenhang zwischen heutiger Maßnahme und langfristigem Nutzen sichtbar zu machen. Feste, persönlich bekannte Ansprechpersonen vor Ort können dabei eine wichtige Rolle spielen, weil sie nicht nur Fragen beantworten, sondern auch eine Vertrauensbasis schaffen.
Die Herausforderung des Dialogs auf Augenhöhe
Der Dialog zwischen Forstwirtschaft und Öffentlichkeit wird dadurch erschwert, dass viele Forstleute ihren Beruf nicht gewählt haben, um regelmäßig vor Publikum zu sprechen oder öffentliche Debatten zu führen. Kommunikationskompetenzen sind bislang in der forstlichen Ausbildung kaum verankert. Das führt dazu, dass Gespräche zwar fachlich korrekt, aber für Laien oft schwer verständlich sind, emotionale Einwände nicht aufgegriffen werden und andere Akteure schneller, emotionaler und medial geschickter agieren. Das RiKA-Projekt empfiehlt deshalb gezielte Schulungen, mehr Personal für Öffentlichkeitsarbeit und den Einsatz vielfältiger Formate wie moderierte Waldspaziergänge, Informationsabende, Erklärvideos oder interaktive Online-Plattformen.
Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg
Letztlich entscheidet das Vertrauen in die handelnden Personen und Institutionen darüber, ob eine Maßnahme akzeptiert wird. Dieses Vertrauen entsteht, wenn die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, warum eine Maßnahme notwendig ist, welche Risiken berücksichtigt werden, welche Alternativen geprüft wurden und warum sie nicht gewählt wurden. Ebenso wichtig ist das Verständnis, welchen langfristigen Beitrag die Maßnahme zum Erhalt und zur Entwicklung des Waldes leistet. Eine kontinuierliche, transparente und nachvollziehbare Kommunikation – auch in Zeiten ohne akute Krisen – kann aus einem Konflikt zwischen „Überreaktion“ und „berechtigter Sorge“ einen gemeinsamen Gestaltungsprozess machen, bei dem Waldschutz zu einer geteilten Verantwortung wird.