Fließgewässersimulation in Mesokosmen
Die Gefahren von Chemikalien auf aqutische Lebensgemeinschaften werden primär durch standardisierte Einzelartentests evaluiert. Die Risikobewertung basiert dadurch zum einen auf Ergebnissen von Organismen die auf die Bedingungen lentischer (stehende Gewässer) Ökosysteme adaptiert sind und des Weiteren werden die Interaktionen zwischen Organismen in diesen Standardtests häufig vernachlässigt. Bedenkt man, dass der ersten Kontakt von ausgebrachten Chemikalien mit der Umwelt häufig in Fließgewässerökosysteme stattfindet, wirkt es befremdlich, dass ausgerechnet Mikrokosmosversuche mit lentische Gemeinschaften die Brücke vom Labor zu Feldversuchen schlagen sollen. Wir begegnen dieser Diskrepanz durch unsere Fließrinnenanlage im Gewächshaus, in der sechs Fließrinnen für komplexe Versuche zur Verfügung stehen.
Die Fließrinnenanlage kann technisch bedingt mit einer Fließgeschwindigkeit von bis zu 0,5 m/s und konstanten Wassertemperaturen von 6 bis ca. 20 °C ganzjährig betrieben werden. Dadurch ist es möglich mit dieser Anlage Effekte von Chemikalien auf Fließgewässergemeinschaften zu untersuchen.
Das Ziel dieses Ansatzes ist es neben den direkten Effekten von Chemikalien auch indirekte Effekte (Räuber- Beute, Konkurrenz) mit zu erfassen. Dazu wurde über verschiedene Versuche hinweg eine Modellgemeinschaft für Versuche in den Fließrinnen etabliert. Diese ist zwar im Vergleich zur Umwelt vereinfacht, jedoch sind alle Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Dynamiken gut erforscht. Die Basis der Gemeinschaft besteht aus Aufwuchs (Mikrophytobenthos) aus Bächen der näheren Umgebung sowie groben partikulären organischen Material (cPOM) z.B. von Blättern der Schwarzerle (Alnus glutinosa). Als Konsumenten des Aufwuchses werden verschiedene Grazer z.B. Eintagsfliegenlarven (Rhithrogena semicolorata, Ephemerella ignitia) oder Schnecken (Potamopyrgus antipodarum) eingesetzt. Die Gemeinschaft wird durch Mitglieder der Detritusnahrungskette ergänzt. Dazu werden z.B. Detritusfresser wie der Wurm Lumbriculus variegatus oder Zerkleinerer wie der Bachflohkrebs (Gammarus fossarum) oder Wasserassel (Asellus aquaticus) eingesetzt.
Die abiotischen Bedingungen in den Fließrinnen werden während der Versuche konstant gehalten. Nur die Konzentration der Testsubstanz wird zu Beginn des Versuchs variiert. Die Organismengemeinschaft wird zu Beginn der Versuche klar definiert und entwickelt sich in Abhängigkeit der Konzentration der Testsubstanz. Dieser experimentelle Ansatz erlaubt, zusammen mit der mathematischen Modellierung der Populationsentwicklung, eine kausale Analyse der direkten und indirekten Effekte der Testsubstanz.
In weiteren Versuchen wird die standardisierte Gemeinschaft in den nächsten Jahren noch um weitere Mitglieder erweitert. Die Experimente werden als Brücke zwischen der Wirkungsanalyse in Einzelartentests und Freilandstudien gesehen, da die Erstgenannten keine Interaktionen zwischen Organismen enthalten und Freilandstudien häufig so komplex sind, dass einzelne Interaktionen nicht im Detail aufgelöst werden können.