Apr 04, 2019
100 Jahre Grundschule in Deutschland – eine Schule für alle?
Eine staatliche Einheitsschule ohne kirchlichen Einfluss war der Traum sozialdemokratischer und linksliberaler Politiker und Pädagogen, als vor 100 Jahren die Weimarer Republik gegründet wurde. Ziel war es, die bestehenden Standesunterschiede zu überwinden und allen Kindern die Chance zu geben, erfolgreich eine Schullaufbahn zu durchlaufen. Nicht mehr die soziale Herkunft, sondern die schulischen Leistungen sollten entscheidend sein.
Im Kampf um politische Mehrheiten und den Friedensvertrag von Versailles geriet das Thema Bildung allerdings ins Hintertreffen. Die reformpädagogischen Vorschläge wurden zur Verhandlungsmasse zwischen möglichen Koalitionspartnern. Als nach drei Lesungen die Schulartikel der Weimarer Verfassung angenommen wurden, hatten die Eltern zwar theoretisch die Wahl zwischen konfessionell gebundenen und weltlichen Schulen, doch die festgeschriebene „organische Ausgestaltung“ des Bildungswesens entpuppte sich als Leerformel. Nach Verkündung der Weimarer Reichsverfassung am 14. August 2019, blieb das länderspezifische, konfessionelle dreigliedrige Schulsystem laut Verfassung bestehen. Daran konnten auch viele weitere Versuche zu Schulreformen nichts ändern.
In den verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen politischen Systemen hat sich die Grundschule mehrfach gewandelt, verschiedene institutionelle Formen angenommen und curriculare Änderungen durchlaufen. Trotzdem stecken die Grundschulen in Deutschland nach wie vor in einer ähnlichen Zwickmühle wie vor 100 Jahren: Dem Anspruch, alle Kinder zu fördern bei gleichzeitiger Selektion.
Das hat Folgen. Im europäischen Vergleich fällt die Grundschule in Deutschland durch ihren geringen Integrationsgrad auf, da sie in fast allen Bundesländern lediglich vier Schuljahre umfasst, institutionell und curricular vom Elementar- und Sekundarbereich getrennt ist und frühzeitig für das nachfolgend gegliederte Schulsystem Selektionsaufgaben übernimmt.
Aktuelle internationale Vergleichsstudien konstatieren einen engen Zusammenhang zwischen sozialer sowie sprachlich-kultureller Herkunft und Bildungserfolg. Von daher stellt sich die Frage, inwiefern die Grundschule in Deutschland tatsächlich den Anspruch erfüllen kann, eine Schule für alle Kinder zu sein.
Das Jubiläum nehmen die Erziehungswissenschaftlerinnen Jeanette Hoffmann und Matthea Wagener, Professorinnen der Grundschulpädagogik und der Grundschuldidaktik Deutsch an der TU Dresden, zum Anlass, in einer Ringvorlesung der Frage nachzugehen, inwiefern die Grundschule in Deutschland tatsächlich den Anspruch erfüllen kann, eine Schule für alle Kinder zu sein. Eingeladen haben sie dazu auch Wissenschaftler der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, der Freien Universität Berlin, der Hochschule Bern sowie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd.
Die Ringvorlesung beginnt am Dienstag, 9. April 2019, und findet 14-täglich im Hörsaal WEB 136 von 18:30 bis 20:00 Uhr am Weberplatz 5 statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Das vollständige Programm finden Sie hier: https://tu-dresden.de/gsw/ew/iew/gspd/die-professur/ringvorlesung.
Informationen für Journalisten
Prof. Jeanette Hoffmann
Fakultät Erziehungswissenschaften
Institut für Erziehungswissenschaft
Professur für Grundschulpädagogik/Deutsch
Tel.: +49 351 463-35375
Prof. Matthea Wagener
Fakultät Erziehungswissenschaften
Institut für Erziehungswissenschaft
Professur für Erziehungswissenschaft/ Schwerpunkt Grundschulpädagogik
Tel.: +49 351 463-33310