31.07.2017
„Die Antike ist ein Schlüssel zum kulturellen Erbe Europas“
Dr. Petra Schierl ist im Sommer 2017 als Senior Fellow zu Gast am Institut für Klassische Philologie der TU Dresden. Sie ist Privatdozentin in Klassischer Philologie an der Universität Basel und hat Lehrstuhlvertretungen an der HU Berlin und in Bern wahrgenommen. Wir sprachen mit ihr über ihre Zeit in Dresden, landesspezifische Unterschiede in der Erforschung der Antike sowie ihre Faszination für die lateinische Sprache.
Ist dies Ihr erster Forschungsaufenthalt in Dresden? Wie gefällt Ihnen die Stadt?
Ja, das ist mein erster Forschungsaufenthalt in Dresden. Die Stadt gefällt mir sehr gut. Sie ist architektonisch sehr vielseitig und hat kulturell viel zu bieten. Einige Sehenswürdigkeiten, wie das Grüne Gewölbe oder das Schloss Pillnitz habe ich mir auch bereits angesehen. Andere sollen noch folgen.
Wie ist der Kontakt mit der Klassischen Philologie entstanden?
Der Kontakt ist durch Dennis Pausch entstanden, den Professor für Lateinische Philologie an der TU Dresden. Ich habe ihn erstmals während eines Forschungsaufenthaltes an der Universität St. Andrews kennengelernt. Im Rahmen von Fachtagungen sind wir uns dann mehrfach begegnet und auf einer dieser Tagungen hat er mich auf das Fellow Programm der TU Dresden hingewiesen.
Wie finden Sie das TU Dresden Fellow Programm?
Ich finde es eine wunderbare und gewinnbringende Einrichtung für beide Seiten – einerseits für den Fellow, aber auch für die Mitarbeiter und Studierenden der TU Dresden. Für den Fellow bietet sich die Gelegenheit an einem anderen Ort zu forschen, dort ins Institutsleben eingebunden zu werden und durch den Austausch wichtige Anregungen zu erhalten. Davon habe ich sehr profitiert. Auf der anderen Seite tut man als Fellow auch dem Institut ganz gut, da man zum Austausch mit Mitarbeitern und Studierenden da ist und zukünftig als Ansprechpartner im Ausland fungieren kann.
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Ich möchte hier vor allem zwei Projekte vorantreiben. Das eine liegt im Bereich der Klassischen Philologie selbst, es geht da um eine Untersuchung der Funktion von Dramenzitaten in Ciceros philosophischen Schriften – dieses Thema beschäftigt mich schon seit der Dissertation. Eine besondere Rolle spielen Zitate im Rahmen der Auseinandersetzung mit Epikur. Cicero verwendet in einigen Werken Epikur-Zitate und solche von Figuren aus der Tragödie nebeneinander und konfrontiert auf diese Art und Weise Epikur mit dem Leid. So legt er nahe, dass Epikurs Anleitungen zu einem glücklichen Leben nicht greifen, wenn man eine Person vor sich hat, die wirklich leidet. Das andere Projekt befasst sich mit dem Latein als Wissenschaftssprache der Frühen Neuzeit. Zusammen mit einem Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums Basel übersetze ich einen Traktat des Zürcher Universalgelehrten Conrad Gessner aus dem Jahre 1565. Gegenstand der Schrift sind die „res fossiles“, also Dinge, die sich aus der Erde ausgraben lassen, wie Steine, Minerale, Erze, aber auch Fossilien. Funde aus den Bergbauregionen Sachsens spielen in Gessners Schrift eine wichtige Rolle. Das erklärt sich zum einen dadurch, dass die Erforschung der „res fossiles“ hier in Sachsen durch Georg Agricola begründet wurde. Agricolas Werke wurden übrigens in Dresden unter der Leitung von Hans Prescher am Museum für Mineralogie und Geologie herausgegeben und übersetzt. Zum anderen bespricht Gessner neben Objekten aus seiner eigenen Sammlung auch Material, das ihm sein Korrespondenzpartner Johannes Kentmann aus Torgau zukommen ließ.
Inwieweit waren Sie an der TU Dresden in den Lehrbetrieb eingebunden?
Ich habe im Rahmen der Dresdner Altertumswissenschaftlichen Vorträge über Cicero und Epikur gesprochen. Der Vortrag wurde rege diskutiert, was wohl auch daran liegt, dass das Thema einen engen Bezug zum neugegründeten Sonderforschungsbereich Invektivität hat. Außerdem habe ich meine Forschung zu Conrad Gessners „Fossilienbuch“ im Rahmen eines Workshops Studierenden und Mitarbeitern der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte vorgestellt.
Wird es gemeinsame Projekte mit der TU Dresden geben?
An der TU Dresden werden sich Professor Pausch und seine Mitarbeiter im Rahmen des neuen Sonderforschungsbereiches in den nächsten Jahren insbesondere mit dem Phänomen der Herabsetzung in Reden Ciceros befassen. Da auch ich weiterhin zu Cicero forschen werde, planen Professor Pausch und ich gemeinsam einen Workshop zu diesem Thema.
Im Laufe Ihrer Forschungskarriere haben Sie schon Station an Universitäten in Deutschland, Großbritannien, USA und der Schweiz gemacht. Sind Ihnen dabei landesspezifische Unterschiede in der Erforschung der Antike aufgefallen?
Auf der einen Seite sind die Altertumswissenschaften sehr international, vielleicht gerade deshalb, weil letztlich keiner die Antike für sich beanspruchen kann. Auf der anderen Seite ist die Forschung natürlich auch geprägt von den universitären Strukturen und nicht zuletzt von der Forschungsförderung. So gibt es in den USA und Großbritannien vergleichsweise große Departments für Altertumswissenschaften mit zahlreichen Mitarbeitern, die meist Dauerstellen haben. Dadurch ist für die einzelnen Wissenschaftler eine stärkere Spezialisierung möglich. Im deutschsprachigen Raum müssen Latinisten und Gräzisten viel breiter aufgestellt sein. Generell gibt es in Deutschland und der Schweiz zudem viele große Drittmittelprojekte, die häufig interdisziplinär sind und auf Fragen eingehen, welche die Relevanz der Geisteswissenschaften für die Gesellschaft sichtbar machen. In den USA habe ich das in der Form nicht erlebt. Dort läuft die Forschungsfinanzierung stärker über die Universitäten selbst, zumindest an den Elite-Universitäten.
Sie sind ja Expertin auf dem Gebiet der lateinischen Literatur. Was fasziniert Sie an der römischen Antike und speziell deren Literatur?
Schon in der Schule hat mich Latein fasziniert, weil es eine Sprache ist, die einen analytischen Zugang verlangt. Diese Reflexion über Sprachstrukturen hat mich als erstes angesprochen und dann als zweites natürlich die antike Welt, die sich einem über die lateinischen und griechischen Texte erschließt. Angesichts der anhaltenden künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen Texten ist die Antike ein Schlüssel, der den Zugang zum kulturellen Erbe Europas eröffnet. Und man darf auch nicht vergessen, dass bis ins 18. Jahrhundert hinein Latein die Verkehrs- und vor allem Wissenschaftssprache war, vergleichbar mit dem Englischen heute. Als Erasmus von Rotterdam 1514 erstmals nach Basel kam, hat er sich mit den Schweizer Gelehrten auf Latein unterhalten.
Welchen Rat würden Sie Studenten der Klassischen Philologie mit auf den Weg geben?
Ich würde ihnen raten, dass sie im Studium nicht nur an ECTS-Punkte denken, sondern die Studienzeit auch dazu nutzen, einen Einblick in andere Fachgebiete zu erhalten und auch privat einen Austausch mit Studierenden anderer Fächer zu suchen. Einen derartigen Austausch habe ich selbst während meines Bachelor- und Masterstudiums in Oxford erlebt und als sehr bereichernd empfunden. Zudem würde ich ihnen raten auch Austauschangebote wie Erasmus wahrzunehmen, um andere Universitäten kennenzulernen.