Jan 31, 2023
Dr. Sarah Neelsen – neue Junior Research Fellow am Institut für Germanistik und Medienkulturen
Name: Dr. Sarah Neelsen
Position / Professur: Junior Research Fellow an der Professur für Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur (Prof. Dr. Lars Koch)
Institut: Institut für Germanistik und Medienkulturen
Fakultät: Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften
Dr. Sarah Neelsen ist in einer deutsch-französischen Familie in Tübingen geboren und hat Germanistik an der Ecole Normale Supérieure in Frankreich studiert, mit längeren Auslandsaufenthalten an der Universität Wien und an der Lancaster University (UK). Obwohl sie immer nur Germanistik studiert hat, so war es aus immer wechselnder Perspektive, was ihre eigene Herangehensweise an das Sprach- und Literaturstudium stark geprägt hat. So hat Dr. Neelsen zuerst Romanistik an der Universität Heidelberg und Translationswissenschaften an der Liège Université (Belgien) gelehrt und ist nun seit 2018 Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik der Université Sorbonne Nouvelle. Aktuell ist sie bei Prof. Lars Koch (Professur für Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur) zu Gast. Gemeinsamen arbeiten sie im DFG-Projekt „Theater der Translation. Dynamiken und Konstellationen von Übersetzen und Herabsetzen in Theater und Performance des 21. Jh.“.
Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte und Forschungsinteressen?
Ich habe über österreichische Literatur nach 1968 promoviert, insbesondere über essayistisches Schreiben an der Schnittstelle von Publizistik und Politik. Dabei bin ich Fragen der Konstruktion und Subversion von Auktorialität, medialer Interferenzen und Verschweigungsstrategien nachgegangen. Seit bald zwanzig Jahren arbeite ich mit dem Elfriede Jelinek-Forschungszentrum in Wien zusammen.
Neben den Literaturwissenschaften interessiere ich mich für multimodales Übersetzen in der Kunst. Das umfasst sowohl mehrsprachiges Theater, als Museumsführungen in Gebärdensprache oder die Audiodeskription von Filmen. Mein Fokus liegt dabei vor allem auf dem Miteinander von verschiedenen Zeichensystemen und dem Einfluss von Raumsemiotik. Hierzu habe ich vor allem mit belgischen Kolleg*innen aus Lüttich, Antwerpen und Gent gearbeitet.
Zuletzt beschäftige ich mich immer wieder auch mit Hochschulpädagogik (project learning, flipped classroom, undergraduate research) und gehöre verschiedenen transdisziplinären Arbeitskreisen zu diesen Thematiken an, demnächst auch mit der Anton Bruckner Privatuniversität.
Was war Ihr interessantestes bzw. spannendstes Forschungsprojekt?
Neben internationalen Forschungsprojekten zu den oben genannten Themen habe ich in den letzten Jahren auch lokale studentische Kulturprojekte begleitet, im Rahmen des Masterstudiengangs, den ich an der Sorbonne Nouvelle seit seiner Gründung 2018 leite (Master Métiers de la culture dans le domaine franco-allemand). Eins davon war eine Ausstellung des Nachlasses vom französischen Diplomaten, Journalisten und Übersetzer Jean-Louis de Rambures (1930-2006). Das Konzept war schon ziemlich ausgereift, als die Pandemie ausbrach. Mit einer Studentin haben wir uns zwischen zwei Ausgangsverboten auf die Reise zur Abbaye d’Ardennes gemacht, wo sich das Archiv in der Nähe von Caen befindet. Die Stadt war wie ausgestorben. Es war ungemein bewegend nach Wochen vor dem Bildschirm auf einmal eine Postkarte von Marianne Hoppe in der Hand zu halten, in der sie Rambures für eine nächtliche Autofahrt durch Paris dankte! Die Umstände haben uns angespornt, Außergewöhnliches zu unternehmen. Wir haben mit Hélène Cixous telefoniert, das (geschlossene) Lieblingscafe von Nathalie Sarraute besucht und sind mit dem Fahrrad zum alten Paul Nizon gefahren. Deutsche Kurator*innen haben uns über Zoom beraten, etwa Heike Gfrereis vom DLA Marbach, Stefanie Jacobs vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum Leipzig oder Ulrich-Johannes Schneider von der Universitätsbibliothek Leipzig. Das war im wahrsten Sinne des Wortes ein spannendes Projekt!
An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?
Ich untersuche den Zusammenhang von Selbst-Übersetzung und Disability Studies in Bezug auf die Vermittlung und Inszenierung in zeitgenössischen performativen Formen. In Kooperation mit dem an der TU Dresden angesiedelten DFG-Projekt „Theater der Translation. Dynamiken und Konstellationen von Übersetzen und Herabsetzen in Theater und Performance des 21. Jh.“ (Prof. Koch/Dr. Prager) möchte ich eine Brücke von meinen grundsätzlichen Untersuchungen dieses Zusammenhangs zu seinen invektiven Dimensionen schlagen. Es geht darum zu zeigen, wie strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderung durch künstlerische Praktiken fortgesetzt, aber auch unterbrochen wird.
Was darf auf Ihrem Schreibtisch auf keinen Fall fehlen?
Ich bin eigentlich viel unterwegs und in Paris sind Büroräume Mangelware. Deshalb würde ich einfach sagen, dass der Ort, an dem ich arbeite ein Ort mit Ausblick sein sollte, das hilft die Gedanken zu erden!
Haben Sie ein Lieblingszitat? Wenn ja, welches und von wem ist es?
„Nothing about us without us“ ist das Motto der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Es kann aber auch für viele andere Gruppen gelten und ist überhaupt ein demokratisches Grundprinzip, an dem mir viel liegt.
Welches Buch haben Sie als letztes gelesen?
Es war der Ausstellungskatalog Art Brut et Bande dessinée, den Erwin Dejasse für die Collection d’art brut von Lausanne herausgegeben hat. Es geht um Rezeption, Aneignung und Subversion der franco-belgischen bzw. amerikanischen Comic-Kultur durch geistig-behinderte und neurodiverse Menschen mit eigener künstlerischer Praxis. Dabei wird gezeigt, wie eine oft als marginal betrachtete und dem Publikum kaum zugängliche Produktion durchaus zur Geschichte des Mediums gehört und zu seiner Entwicklung beigetragen hat.