02.12.2016
Faszination Wissen: Wie und wo entsteht Wissen, wie wird es weitergegeben?
Dr. Swen Steinberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte. Für sein Habilitationsprojekt zum Thema "Wissen über Berg und Wald. Transnationale Diskurse und Transferpraktiken in den Montan- und Forstwissenschaften - Deutschland und die USA im Vergleich (1763 bis ca. 1950)" war er mit einem DFG-Stipendium zwei Jahre in den USA unterwegs. Wir sprachen mit ihm über sein Habilitationsprojekt, seinen Forschungsaufenthalt und seine Forschungsinteressen.
Sie waren zwei Jahre in den USA und hier vor allem in Los Angeles, um zu Ihrem Habilitationsprojekt zu forschen. Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeit. Was ist das zentrale Thema Ihres Projekts?
Mein Habilitationsprojekt untersucht die transnationalen Wissenstransfers in den Forst- und Montanwissenschaften. Ausgangspunkt dieser beider Wissenschaftsbereiche – bzw. ein ganz starker Ankerpunkt, der diese Wissenschaftsbereiche geprägte – war Sachsen: In Tharandt wurde 1811 eine der ersten Forstakademien der Welt gegründet, bereits 1765 wurde in Freiberg die erste Bergakademie eröffnet. Nach deren Modell entstanden zuerst im deutschsprachigen Raum, dann in Europa bis hin nach St. Petersburg – meistens durch ehemalige Studenten gegründet – vergleichbare Einrichtungen.
Diese Entwicklung wurde auch in den USA rezipiert, wobei der wesentliche Impuls vom Goldrausch in Kalifornien in den späten 1840er Jahren ausging: hier merkte man schnell, dass professionalisiertes Personal notwendig ist. Gut ausgebildetes Montanpersonal kam zwar durch Zufall über Migration ins Land, aber bei weitem nicht genügend. Es mussten also eigene Schulen aufgebaut werden, die professionalisierte Bergleute hervorbrachten und dafür schaute man eben, wie Andere das organisierten.
Das ist der zeitliche Beginn meiner Forschung und ich verfolge den Wissenstransfer bis in die 1950er und 60er Jahre. Ich konnte dabei über den gesamten Untersuchungszeitraum in den USA eine recht intensive Rezeption von Methoden ausmachen, die in Europa – vor allem in Frankreich und Deutschland – und eben auch in Tharandt und Freiberg angewendet wurden. Die Amerikaner haben dabei aber von Anfang an hinterfragt, ob und wie man das Wissen anwenden kann. Und sie haben es für ihre Zwecke modifiziert. Diese Modifikation wurde in Europa umgekehrt ebenfalls wahrgenommen. Es gab sozusagen ein Wechselspiel, in dem Wissensbestände hin und her pendelten bzw. zirkulierten. Der Austausch fand folglich nicht eins zu eins statt, wovon die Wissenschaftsgeschichte und die eigene Geschichtsschreibung dieser Fachdisziplin lange ausgegangen ist. Der Transfer war vielmehr immer ein Prozess der Übersetzung und damit der Anpassung an das jeweilige Setting.
Dass Modifikationen und Anpassungen immer stattfinden, ist eigentlich nicht überraschend. Ich kann dies aber – jenseits des transnationalen Vergleichs – auch auf der individuellen praktischen Ebene zeigen. Schließlich war ich nicht nur in den Archiven der Universitäten, sondern habe beispielsweise auch die Nachlässe von Geologen gesehen, die im Feld unterwegs waren; ebenso habe ich Nachlässe von Förstern untersucht, die praktisch gearbeitet haben. Und auch hier fand ein Wechselspiel statt – und zwar zwischen den Personen, die etwa an den Forest- und Mining Schools die Theorie lehrten, und denjenigen, die rausgingen und sie anwendeten.
Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von Ihrem Forschungsaufenthalt und Ihrem Forschungsprojekt?
Ich erhoffe mir einen anderen Blick auf unsere Vorstellung vom Begriff „Wissen“, mit dem ich ja stärker arbeite als mit dem Begriff „Wissenschaft“: Mein Projekt ist eher eine Wissensgeschichte als eine Wissenschaftsgeschichte. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, wie Wissen zirkuliert. Und ich möchte detaillierter herausarbeiten, wie Wissen weitergegeben wird, wie es modifiziert wird, wie es sich in der Modifikation verbreitet und wie es dann in der Rezeption wieder (re)modifiziert wird.
Ich werde dabei keine chronologische Geschichte schreiben, sondern eher thematisch mit Beispielen von Wissensbeständen vorgehen. Das Bildwissen spielt dabei eine zentrale Rolle: Reisende Forstleute aus den USA haben beispielsweise deutsche Wälder fotografiert und so das Wissen über die Beschaffenheit der Wälder in ihre Heimat mitgenommen. Das ist eine ganz spezifische Form der Wissenszirkulation, da diese Bilder beispielsweise abgedruckt oder in der Ausbildung verwendet wurden. Ein anderes Beispiel sind die Modellwerkstätten in den deutschen Bergakademien. Dort sind Modelle von allen möglichen Techniken – vom Schmelzofen über Grubenentwässerung bis hin zu Transportsystemen – für die Lehre hergestellt worden. Diese Modelle wurden wiederum von Anfang an bzw. seit der Gründung von US-amerikanischen Mining Schools angekauft und dort für die Ausbildung verwendet. Was sich hier aber abbildet, war regionales Wissen. Denn bei den Modellen der Bergakademie Freiberg handelte es sich beispielsweise um Verhüttungs- und Schmelzprozesse, die nur für den Raum Freiberg eine Bedeutung hatten: Nur hier kommt ein bestimmtes Erz mit einem bestimmten Metallgehalt vor, nur hier ist der notwendige Energieträger vorhanden. Diese Modelle waren also sowieso nicht eins zu eins als Techniken anwendbar – und genau das hatten die Amerikaner im Blick und modifizieren das Wissen für ihre Arbeit.
Das Interessante an den eben genannten Beispielen ist, dass sie ohne Wort und Schrift funktionieren. Wird Wissen in Schriftform weitergegeben, kommt die Übersetzung als Aspekt des Transfers noch hinzu, Übersetzungen sind also nochmal ein eigenes Segment. So entstehen um die Jahrhundertwende beispielsweise spezielle Wörterbücher, in denen deutsche Forstbegriffe ins Amerikanische übertragen wurden. Das Problem ist aber, dass es so einfach nicht funktionierte – es gibt beispielsweise kein amerikanisches Wort für „Dauerwald“. Das ist aber ein zentraler Begriff bzw. steht für ein zentrales Waldkonzept; genauso lässt sich der Begriff „Nachhaltigkeit“ in seiner deutschen Bedeutung nicht einfach so übersetzten.
Wie war die Zeit in den USA?
Ich war in den zwei Jahren in 18 Bundesstaaten und habe Archive bzw. Special Collections und Bibliotheken aufgesucht, unter anderem war ich in der früh gegründeten Columbia School of Mines in New York und in der Colorado School of Mines in Golden. Auch war ich in der Yale Forest School in New Haven und in Durham in North Carolina, wo es das große Archiv der Forest History Society gibt. Ich bin also ganz im Wortsinne kreuz und quer durch die USA gereist. Und das führte dazu, dass ich einiges gesehen und kennengelernt habe, auch was Land und Leute betrifft.
Sie befassen sich mit Geschichte und Wissensgeschichte in verschiedenen Zeitepochen. Was fasziniert Sie an diesen Themenkomplex?
Bei meinem Projekt finde ich die internationale Dimension interessant. Die Wissenschaftsgeschichte hat lange ihre Geschichte als Geschichte von Institutionen geschrieben. Das mag zu Jubiläen in Ordnung sein, aber man bekommt nicht wirklich eine Vorstellung davon, wie die Wissensproduktion in diesen Institutionen funktioniert und was mit diesem Wissen passiert. Daher finde ich den Blickwickel meines Projektes spannend, schon bezogen auf eine einzelne Fachbereiche und Standorte. Wenn man das Ganze dann noch international betrachten kann und dabei auch fündig wird, wie in meinen Fall, ist es noch viel faszinierender.
Insbesondere die Transfergeschichte finde ich dabei spannend – also was passiert z.B. bei Übersetzungen und was passiert nach der Übersetzung mit dem Wissen. Mein Interesse ist natürlich auch einer aktuellen Entwicklung und Diskussion geschuldet, wir hatten ja erst vor kurzem eine breite Diskussion über die Wissensgesellschaft. Von dort kam auch der Impuls über eine Geschichte des Wissens über Berge und Wälder nachzudenken: Was ist Wissen? Wo wird Wissen produziert? Wird es nur in Institutionen wie Forstakademien und im Labor produziert, oder eben auch beim Förster im Wald? Und wenn ja, was hat das „knowledge on a hidden place“ für eine Bedeutung für das Wissen im Labor? Fragen wie diese – und besser noch die Antworten darauf – schärfen sicher unseren Blick auf die Geschichte auch der modernen Naturwissenschaften.
An welchen weiteren Projekten arbeiten Sie aktuell?
Für mein aktuelles Projekt stehen natürlich zahlreiche Konferenzbeteiligungen ins Haus, im kommenden Jahr organisiere ich im Bereich der Wissensgeschichte beispielsweise mehrere Panel umfassende Sessions etwa auf Konferenzen in Rio de Janeiro, Zagreb und Atlanta.
Ein Thema, das mich jenseits meines eigentlichen wirtschafts- und unternehmensgeschichtlichen Schwerpunktes schon länger begleitet, ist die Emigrations- und Exilforschung – diesen Schwerpunkt habe ich mir schon vor vielen Jahren erarbeitet, 2009 ist dazu das erste Buch erschienen. Im Juli diesen Jahres habe ich ein weiteres Buch veröffentlicht: Über den sozialdemokratischen Journalisten Edgar Hahnewald aus Dresden, der 1933 in die Tschechoslowakei flüchtete und in Schweden überlebte. Hahnewald schrieb dann 1936 einen Roman über die Machtergreifung in Dresden. Und dieser Roman zeigt den Ablösungsprozess von der alten Heimat und die Neuorientierung auf eine neue Heimat; neudeutsch also Prozesse der Akkulturation und Integration.
Mit der Exil- und Emigrationsforschung befasse ich mich wie gesagt seit mehreren Jahren. Vor kurzem wurde ich deswegen auch in das deutschlandweit organisierte „Netzwerk Flüchtlingsforschung“ aufgenommen, im kommenden September organisiere ich eine internationale Konferenz am „Research Centre for German and Austrian Exile Studies“ der University of London. Ganz aktuell veranstalte ich in diesem Semester die Filmreihe „Flucht, schwarzweiß – Die Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland im englischsprachigen Spielfilm bis 1945“ im studentischen „Kino im Kasten“. Ein besonderes Highlight ist hier der Film „Hangman Also Die!“, der am 11. Januar 2017 nach einer Diskussionsrunde mit der Sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Integration vorgeführt wird.
Das Interview führte Jana Höhnisch.