May 17, 2021
Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume (Making Kin with Trees)
„Wir leben in der Welt der Bäume, nicht umgekehrt“
Bäume haben einen merklichen Einfluss auf unser Wohlbefinden und nicht nur Naturfreunde schätzen die erholsame Wirkung eines Waldausflugs auf Körper und Geist. Dieser Effekt von Bäumen auf ihre Umwelt ist auch an zahlreichen Autor:innen nicht spurlos vorbeigegangen und damit sind Bäume selbstverständlich auch ein Thema für die Literaturwissenschaft.
Im von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojekt Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume (Making Kin with Trees) beleuchtet Dr. Solvejg Nitzke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur, die Beziehung zwischen Menschen und Bäumen in Literatur und Kultur in den kommenden zwei Jahren genauer. Die Bäume stehen dabei ganz klar im Zentrum, denn „wir leben in der Welt der Bäume, nicht umgekehrt.“
Das kulturwissenschaftliche Projekt möchte dabei ein komparatistisches Theorie-Fundament legen, um die Baumnarrative zu systematisieren. Zentral sind dafür unter anderem Fragen über die Rolle der rhetorischen und erzählerischen Mittel wie der Anthropomorphisierung oder warum Autor:innen sich dem Baum thematisch überhaupt zuwenden. „Dabei stellen sich auch grundsätzliche Fragen für die Wissenschaften, die ja am Ende alle sprachlich agieren: Wie kann Wissen über Bäume vermittelt werden?“
Ausgangspunkt für das Forschungsthema bildete ein Scherz: „Eine Kollegin aus Bochum sagte im Sommer 2017 aus Spaß, man müsse mal einen Workshop zu Bäumen in der Literatur machen. Der aus dem Workshop heraus entstandene Sammelband „Baum und Text. Neue Perspektiven auf verzweigte Beziehungen“ und Solvejg Nitzkes darin veröffentlichter Artikel, in dem sie sich mit der arborealen Poetik im Nature Writing befasst, liefern schon jetzt interessante Einsichten und lassen erwartungsvoll auf die Publikation blicken, die als Ergebnis des laufenden Forschungsprojekts erscheinen soll.
Im Nachgang des Workshops wurde auch klar, dass die Neugier der Wissenschaftlerin jetzt erst recht geweckt war: „Ich konnte einfach nicht aufhören, über Bäume zu lesen“. Während Sie sich weiter in das Thema vertiefte, fielen ihr die zahlreichen offenen Fragen ins Auge. In der Forschung spielen Pflanzen und Bäume eher als Bild oder Modell für Anderes vor. Für sich selbst stehen sie nur selten. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt möchte Solvejg Nitzke zeigen, dass Bäume eine deutlich größere Tragweite haben, weil sie kulturpoetisch wirksam werden: Statt nur der Artikulation menschlicher Bedürfnisse zu dienen, fordern Bäume die Erzählenden und Lesenden dazu auf, ihr Verhältnis zu sich selbst und ihrer Umwelt zu hinterfragen. Sie sind also nicht nur passive Akteure, sondern durchaus handlungsfähig und besitzen agency: „Sie rücken uns mit einigem Druck aus dem Zentrum der Weltdeutung.“
Ihr Forschungsmaterial findet Solvejg Nitzke medien- und genreübergreifend. Sie liest sich nicht nur durch Bücher zu historischer Forstökologie, blättert durch Romane, Lyrik und Nature Writing, sondern arbeitet auch disziplinübergreifend, indem Sie Filme, Comics, Ausstellungen, Dokumentationen und Formate digitalen Storytellings als Quelle nutzt: „Wichtig ist, dass es um eine Erzählsituation geht, aber das fasse ich hier bewusst im allerweitesten Sinne“.
Laufend sammelt und strukturiert sie hierfür ihre Texte und Artefakte in Clustern, um sie dann beispielsweise im Hinblick auf Fragen nach Zeit und Erinnerung, Skalierung und Vernetzung, Konsum und Poetik zu analysieren. Weil Bäume auch in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Disziplinen im Fokus stehen, erweist sich ihr Forschungsprojekt auch über die Literatur- und Kulturwissenschaft hinaus als überaus anschlussfähig: „Ich habe bisher noch nie so konsequent in ständigem Austausch gearbeitet – mit Kolleg:innen aus den Literaturwissenschaften, die auch Pflanzen erforschen, aber auch mit dem Botanischen Garten der TUD und vielen Leuten, die zum Beispiel auf Twitter und von dort aus in Podcasts und allen möglichen scicomm-Formaten, Interesse zeigen und die besten Fragen stellen. Ich bewege mich also gerade in sehr interessanten Grenzräumen der Forschung“.
Wer sich nicht bis Buchveröffentlichung gedulden möchte, kann das Projekt auch auf dem Blog ecologies.hypotheses.org begleiten
Information für Journalisten
Öffentlichkeitsarbeit des Bereichs Geistes- und Sozialwissenschaften
E-Mail:
Telefon: +49 (351) 463-36775