Jan 04, 2016
Lange GenderLeseNacht – Interview "Eine Vielfalt an Texten, Epochen und Disziplinen!"
Am 25. November 2015 fand zu zweiten Mal die Lange GenderLeseNacht statt. Von 18:00 bis Mitternacht konnten die Besucher und Besucherinnen verschiedenen Texten zum Thema Mann, Männer und Männlichkeit lauschen. Ein Highlight des Abends war der Vortrag von Prof. Dr. Michael Meuser (TU Dortmund). Er spracht über „Unsichere Zeiten. Anmerkungen zum Diskurs der Krise des Mannes“. Herr Meuser fokussierte in seinem Vortrag die These einer Krise der Männer, die in der medialen, aber auch in der wissenschaftlichen Thematisierung von Männlichkeit gegenwärtig stark verbreitet ist. Demnach scheint der Mann sowohl ein Modernisierungsverlierer als auch ein Verlierer im Geschlechterkonflikt zu sein. Die Frauen hingegen stehen als die Gewinnerinnen da. Die Thematisierung von Männlichkeit im Rahmen des Krisennarrativs hat zwei Ausprägungen: Zum einem wird der Prozess der männlichen Identitätsbildung diskutiert. Zum anderen ist die Veränderung der gesellschaftlichen Position der Männer ein Teil der Debatte. „Dabei lässt sich der Krisendiskurs als ein Versuch begreifen, mit den Herausforderungen umzugehen, die sich für die Männer mit dem Wandel sowohl der Geschlechter- als auch der Erwerbsverhältnisse verknüpfen. Die Krisendiagnosen sind also mehr als eine Zustandsbeschreibung. In ihnen liegt die Aufforderung zur Gegensteuerung.“, erklärt Michael Meuser. Wir sprachen mit ihm über seine Forschung und seine aktuellen Projekte.
Herzlich Willkommen in Dresden und an der TU. Sind Sie zum ersten Mal in Dresden?
Nein, ich war schon öfters in Dresden, bestimmt schon fünf Mal. Es war aber immer im Beruflichen Kontext und immer an der TU. Das erste Mal war ich Anfang der 90iger hier bei einer Tagung, die an der TU Dresden stattgefunden hat. Und dann war ich verschiedentlich zu Vorträgen an der TU eingeladen.
Sie haben als Forschungsschwerpunkte unter anderem Soziologie der Geschlechter-verhältnisse, Soziologie des Körpers angeben. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Ich habe mich seit den 80iger Jahren mit Fragen der Geschlechterverhältnisse befasst. In den 90iger Jahren legte ich meinen Schwerpunkt auf Männlichkeitsforschung. Und dies vor dem Hintergrund, dass damals in Deutschland in der Geschlechterforschung das Thema Männlichkeit so gut wie gar nicht präsent gewesen war. Da existierte eine Forschungslücke und das war ein zentrales Motiv dieses Thema stärker in Angriff zu nehmen.
Ein weiterer Grund aus soziologischer Perspektive war, dass die Veränderungen im Bereich der Geschlechterverhältnisse mit Sicherheit zu den weitreichendsten sozialen Wandlungsprozessen der letzten Jahrzehnte gehören. Aus dieser Perspektive ist es nahezu unumgänglich sich damit zu befassen.
Das Forschungsinteresse für das Thema Körper ist entstanden, weil zum einem die Fragen nach Köper, Körperlichkeit in der Geschlechterforschung schon immer eine große Rolle gespielt haben. Zum anderen kann man soziales Handeln und soziale Verhältnisse nicht angemessen verstehen, wenn man die Dimensionen des Köpers ausspart. Das wurde mir deutlich, als ich mich näher mit den Arbeiten von Pierre Bourdieu befasst habe. Ein wichtiger Aspekt ist das was Bourdieu als Inkorporierung beschreibt. Das sind bestimmte Routinen und Handlungsgewohnheiten, die zu körperlichen Routinen werden. Das ist von sehr großer Bedeutung für unser Handeln. Ein anderer Aspekt ist, dass in der jüngeren Zeit der Körper eine gesellschaftliche Aufwertung erfährt, Inszenierungen über den Körper, am Körper festgemachte Selbstpräsentationen deutlich stärkeres Gewicht gewonnen haben. Die stärkere Aufmerksamkeit von Männern auf die ästhetische Dimension des eigenen Körpers hat zugenommen. Sowohl der fitte als auch der ästhetische Köper hat an Bedeutung gewonnen und beides ist auch miteinander verbunden.
An welchen Forschungsprojekten arbeiten sie aktuellen?
Ich arbeite aktuell an drei Projekte:
Ein Projekt befasst sich mit der Aushandlung von Elternzeitnahme durch Väter in der Paargemeinschaft und im Unternehmen. Hier interviewen wir Paare um zu untersuchen, wie das verhandelt wird und wie die Elternzeit aufgeteilt wird. Zusätzlich befragen wir Human Ressource Manager in Unternehmen um zu schauen, wie die Bedingungen im Unternehmen sind, welche förderlichen Strukturen und welche Barrieren sind vorhanden.
In einem weiteren Projekt, das in Kooperation mit den Sportwissenschaften durchgeführt wird, befassen wir uns mit sportiven Orientierungen und Köperbildern bei Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund. Aus sportwissenschaftlicher Perspektive ist das sehr interessant. Hier ist die Annahme, dass über Sport eine bessere Integration möglich ist, als über anderer Unterrichtsfächer. Aus soziologischer Perspektive ist in diesem Kontext die Frage spannend, inwieweit bestimmte sportive Orientierungen auch verknüpft sind mit Köperbildern, die wiederum einen spezifischen kulturellen Hintergrund haben.
Das dritte Projekt ist gerade erst gestartet. Wir untersuchen, ob und in welchem Maße Jugendszenen Orte sind, an denen neue Muster von Geschlecht, neue Geschlechterbilder ausprobiert werden. Aber auch inwieweit diese Szenen auch Orte sind an denen tradierte Geschlechterbilder fortgeschrieben und verstärkt werden. Wenn man sich die Spannbreite der Jugendszenen anschaut, dann hat man eine sehr große Vielfalt. Es gibt Szenen, die ganz stark tradierte Geschlechtermuster reproduzieren und es gibt andere in denen mit Geschlechterbildern ganz bewusst gespielt wird. Das schauen wir uns in einer vergleichenden Betrachtung an. Wir gehen aber auch der Frage nach, inwieweit Neuformierungen von Geschlechterkonzepten über die Szene hinaus in den Alltag hineingetragen werden können.
Wie fanden Sie die Lange GenderLeseNacht?
So ein Format kannte ich bis jetzt noch nicht. Ich kenne die Lange Nacht der Museen oder die Lange Nacht der Wissenschaft. Ich finde es sehr anregend, gerade auch die Vielfalt der Epochen, die behandelt werden, die beteiligten Disziplinen – Theologie, Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft und die unterschiedlichen Texte. Man gewinnt neue Perspektiven und man sieht, dass dort interessante Fragen behandelt werden, die auch einen Bezug zur eigenen Forschung haben.