23.06.2014
Im Gespräch mit Frau Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino
Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino war vom 23. Mai bis 4. Juni 2014 zu Gast an der TU Dresden. Auf Einladung von Frau Prof. Loster-Schneider (Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften) besuchte sie Dresden und hielt ein Blockseminar für Germanistik-Studierende zum Thema „Bettine von Arnim im kulturpolitischen Feld des 19. Jahrhunderts“. Frau Becker-Cantarino ist eine renommierte Literatur- und Genderwissenschaftlerin. Sie studierte Germanistik, Altphilologie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Göttingen und an der University of North Carolina. Sie hat an der University of Texas, Indiana University und der Ohio State University, Columbus, Ohio/ USA gelehrt und lebt seit 2013 in Austin, Texas.
Wie geht es Ihnen?
Heute geht es mir besonders gut, weil das Wetter so schön ist.
Wie gefällt Ihnen Dresden? Sie sind ja nicht zum ersten Mal in der Landeshauptstadt.
Ich war schon öfters in Dresden. Das erste Mal war ich 1984 in Dresden und das war ein ganz anderes Dresden als heute. Ich hatte damals eine Gastprofessur an der Freien Universität Berlin. Und es gab die Chance eine Busreise von Westberlin aus in einige ostdeutsche Städte zu machen. Ich habe mich gleich angemeldet und konnte so Dresden besuchen. Das war ein unvergessliches Erlebnis. Besonders in Erinnerung ist mir der Blick als ich aus dem Bus ausgestiegen bin. Der Bus parkte etwa dort, wo heute der Bahnhof ist und ich konnte Reste vom Zwinger sehen. Dazwischen war fast nichts als ein paar graue Steinbauten und eine Steinwüste. Seitdem war ich ein paar Mal hier und jedes Mal gab es mehr zu sehen – neue Gebäude und damit verbunden mehr Optimismus und mehr Zukunft. Und jetzt ist es wunderschön und ich freue mich sehr, dass ich hier sein kann.
Wie sind Sie mit der TU Dresden verbunden?
Die TU Dresden kenne ich hauptsächlich durch Frau Prof. Loster-Schneider. Uns verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Wir haben z. B. eine Tagung zu Sophie von La Roche im Deutschen Literaturarchiv in Marbach durchgeführt und dazu einen gemeinsamen Band herausgegeben. Über die Zeit haben sich viele Gemeinsamkeiten ergeben. - Es sind vor allem die persönlichen Kontakte und das professionelle Netzwerk, das mich mit der TU verbindet.
Aufgrund Ihrer Zusammenarbeit mit Frau Prof. Loster-Schneider haben Sie ein Blockseminar zum Thema „Bettine von Arnim im kulturpolitischen Feld des 19. Jahrhunderts“ an der TU Dresden gehalten. Wie haben Sie das Seminar und die Studierenden erlebt?
Ich bin ganz begeistert. Es ist eine sehr lebendige, lernbegierige Gruppe. Es sind zwischen 15 und 20 Studierende. Das ist eine fantastische Anzahl. Alle sind sehr interessiert und aufgeschlossen. Und es freut mich auch das Sächsische zu hören.
Gibt es einen Unterschied zu Vorlesungen und Seminaren an amerikanischen Universitäten?
Das ist eine andere Welt. Die Perspektive in den USA ist die eigene Geschichte und diese ist noch sehr jung. Sie ist zudem auch sehr ausgerichtet auf England, Lateinamerika und Asien. Wenn ich eine Vorlesung zum Thema „Deutsche Romantik“ halte, dann muss das breiter aufgestellt sein. Ich kann mich nicht auf eine Person konzentrieren. Es muss ein Anschluss zur englischen und französischen Romantik und amerikanischen Literatur hergestellt werden. Der Inhalt muss also anders aufbereitet werden, da die Herangehensweise und die Vorbildung sich in den USA deutlich von Deutschland unterscheidet.
Studierende der Ohio State University und der University of Texas haben eine Festschrift für Sie herausgegeben und bezeichnen Sie als „Grande Dame der Germanistik“. Sehen Sie sich selbst als Vorbild für Frauen in den Literaturwissenschaften?
Ich gehöre zur ersten Generation von Frauen, die nicht nur als Aushilfe Sprachunterricht gegeben haben, sondern auch auf Professuren berufen wurden, in der akademischen Verwaltung tätig waren und trotz vieler Schwierigkeiten und Kritik sehr einflussreich waren. Man wurde genau beobachtet nach dem Motto: „Was macht die denn? Wie sieht sie denn aus, wo geht sie hin und wie packt sie dies und das an? Als Lehrende ist man, ob man es will oder nicht, exponiert und es kommt eben darauf an, was jeder einzelne daraus macht.
Was können wir von Frauen aus der Literatur, speziell der Romantik lernen?
Wir können sehr viel von ihnen lernen, z.B. Durchhaltevormögen und Durchsetzungskraft. Mich haben schon immer Frauen interessiert, die lebensweltliche Bezüge hergestellt haben. Sie haben ihre eigene Biografie und die Rolle als Frau in der Gesellschaft zum Thema gemacht, sie schrieben über ihre Familiensituation, Ehe und Kinder und diskutierten über ihre Beschränkungen in der Gesellschaft.
Ich bewundere ebenso Frauen, die andere Frauen vor allem durch ihre Freundschaften gefördert haben. Wir können auch viel von dem Mut, den viele Frauen besessen haben, lernen. Ich habe mich auch viel mit Exilanten, die im Nationalsozialismus Deutschland verlassen mussten, beschäftigt. Hier gibt es sehr interessante, relativ wenig beachtete Frauen und Männer, die unter kläglichsten Bedingungen lebten und sich ein neues Leben in einem ihnen völlig fremden Land wie den USA oder Lateinamerika, dessen Sprache und Kultur sie nicht kannten, aufbauen mussten. Von ihnen können wir lernen, wie sie angepackt haben und wie sie mit der jeweiligen Lebenssituation umgegangen sind. Das ist bewundernswert und diese Menschen können heute noch Vorbilder sein.
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Im Moment arbeite ich unter anderem an einem Buchprojekt „Sexualität und Geschlecht in der deutschen Romantik“. Ich beschäftige mich schon lange mit der Romantik, vor allem mit dem Thema Freundschaft und Liebe in romantischen Texten und Biografien. Das interessiert mich. Eine faszinierende Frau ist Bettine von Arnim. Sie gehört zu denen, die sehr offen über Liebe und Erotik geschrieben haben. Ihr Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ von 1835 war damals ein Skandal, weil sie ihre Liebe und Verehrung für Goethe auf sehr erotische Weise beschrieb. Wir befassen uns aber auch in meinem Blockseminar hier an der TU Dresden mit Bettine von Arnims politischen Aktivitäten im Vormärz und der 1848er Revolution sowie ihrem Interesse an der Armenfürsorge und dem Problem des Pauperismus im 19. Jahrhundert.
Ein anderes Thema an dem ich arbeite, ist die deutsche Einwanderung in den USA. Viele der frühen Einwanderer aus Deutschland im 18. Jahrhundert waren Pietisten. Eine besonders interessante Gruppe sind die Herrnhuter Missionare im Ohio-Gebiet, weil sie ein sehr außergewöhnliches Programm verfolgten: Sie haben Ehepaare auf Mission geschickt. Meistens kamen zwei bis drei Ehepaare und gründeten zusammen mit den dort lebenden Indianern, die sie zum Christentum bekehren konnten, einen Missionsort. Die Herrnhuter-Missionspaare lernten die Sprache der Indianer und übersetzten wichtige Bibelpassagen. Teilweise wurden diese Texte auch gedruckt. Außerdem mussten sie regelmäßig Bericht erstatten und diese Berichte wurden gesammelt. Darin beschreiben sie u. a. ihre Kenntnisse über die Indianerkultur und erzählen von ihren Begegnungen mit den Indianern.
Ein sehr interessanter Missionar aus der ersten Generation ist David Zeisberger (1721-1808). Er hat 60 Jahre lang als Indianer-Missionar in Pennsylvanien und dem Ohiogebiet gewirkt. In seinen Tagebüchern und Briefen berichtet er, was er selbst erlebt hat oder durch die Begegnung mit Indianern erfahren hat. Dort lesen wir z.B. sogar wie Geburten gestaltet wurden, wie Frauen behandelt wurden und welche Methoden er gebraucht hat, um die Indianer zur christlichen Religion zu bekehren. Das ist hochinteressant und daran möchte ich gern noch etwas weiter arbeiten. Das ist aber etwas ganz anderes als die deutsche Romantik.
Was würden Sie zukünftigen Germanistinnen und Literaturwissenschaftlerinnen mit auf den Weg geben?
Lesen, Lesen, Lesen – damit die Bücher erhalten bleiben und die Lesekultur fortgeschrieben wird. Jeder sollte sich gründlich überlegen, auf welchem Gebiet er oder sie wirksam sein kann. Niemand sollte Germanistik als Studienfach wählen, weil es als Muttersprache vermeintlich einfach ist. Wichtig ist, dass man seine Kenntnisse der Literatur und Kultur vertieft, seine Leidenschaft findet und ihr folgt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Höhnisch im Juni 2014.