07.07.2015
Aufmerksamkeit leihen vs. Aufmerksamkeit schenken
Im Sommersemester 2015 lehrt und forscht Prof. Luisa Giacoma als Senior Fellowship-Professorin an der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften am Lehrstuhl für Italienische Sprachwissenschaft. Ihr Forschungsgebiet umfasst die Phraseologie mit besonderer Betonung der Kontrastivität zwischen dem Deutschen und dem Italienischem. Da sie einschlägige Literatur sowie umfangreiche Wörterbücher herausgegeben hat, kann sie auf beeindruckende Kompetenzen auf diesem Gebiet zurückgreifen. Sie lehrt an den drei großen norditalienischen Universitäten Mailand, Turin und Verona. Wir sprachen mit ihr über ihre Forschungen und ihre Erlebnisse in Dresden.
Ist es das erste Mal, dass Sie in Dresden sind?
Nein, ich war schon mal hier, es ist für mich der zweite Besuch. Das erste Mal war ich hier, als ich Mitglied der Prüfungskommission für eine Promotion war. Dieser Aufenthalt dauerte jedoch nur drei Tage, sodass ich mir die Stadt gar nicht anschauen konnte.
Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch. Wo haben Sie das gelernt?
Ich habe in Turin an der Universität Deutsch gelernt. Danach habe ich in Augsburg und in Berlin jeweils Sprachkurse besucht.
Ist es üblich, dass in Turin Deutsch gelehrt wird?
Nein. Zu den gelehrten Sprachen zählen Spanisch und Französisch. Letzteres vorrangig, da Turin in Grenznähe zu Frankreich liegt. Das war für mich ein Vorteil, da wir eine sehr kleine Gruppe waren und ich wirklich lernen konnte. Darüber hinaus war die Muttersprache meines Vaters Deutsch. Er hat sie jedoch nicht an uns Kinder weitergegeben, sodass ich bis zum Studium warten musste, bis ich Deutsch verstehen konnte.
Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit der TU Dresden entstanden?
Frau Prof. Lieber hat mich eingeladen, hierher zu kommen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Da wir im Bereich der Phraseologie arbeiten, haben wir uns auf Tagungen getroffen. Der erste Kontakt entstand 2010 auf der Europhras in Granada.
Sie beschäftigen sich mit Phraseologie. Was ist unter diesem Begriff zu verstehen?
Phraseologie ist ein Teil der Lexikologie und beschäftigt sich mit den Einheiten, die aus mehr als aus einem Wort bestehen. Das können Redewendungen, Sprichwörter oder Kollokationen sein. Dabei vergleiche ich die Funktionsweise der Phraseologie in der deutschen und italienischen Sprachen. Phraseologismen sind beim Spracherwerb besonders schwierig. Deswegen erscheint es mir wichtig, sie kontrastiv zu erforschen. Recht kompliziert ist es auch im Bereich der Kollokationen, die meist paarweise auftreten. Im Italienischen wird Aufmerksamkeit zum Beispiel „geliehen“, im Deutschen wird sie „geschenkt“. Das muss man einfach lernen und kann es nicht einfach von einer in die andere Sprache übertragen. Es ist nicht vorhersehbar, dass die eine Sprache das eine Verb und die andere ein ganz anderes verwendet. Aus diesem Grund habe ich in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen Wörterbücher herausgegeben, in dem solche Kollokationen, sowie ihre Verwendung und Bedeutung zu finden sind. Kollokatoren geben an, in welchen Zusammenhang ein Wort gebraucht wird.
Was fasziniert Sie an diesem Forschungsgebiet?
Im Laufe der Jahre haben die Linguisten verstanden, dass die Sprache viel mehr idiomatisch ausgelegt ist, d.h. also dass die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken sich nicht aus der Bedeutung der einzelnen Wörter direkt ableiten lässt. Es wurde immer angenommen, dass ziemlich frei gesprochen wird, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Durch die Vielzahl an Kollokationen ist man gar nicht so frei in der Kombination von Wörtern. Etwa 70 Prozent der Sprache ist idiomatisch geprägt. Gerade im Vergleich zwischen beiden Sprachen finde ich das sehr faszinierend.
Welche gemeinsamen Forschungsprojekte sind zwischen Ihnen und der TU Dresden geplant?
Wir beabsichtigen, eine Datenbank anzulegen, in der italienische Redewendungen im Kontext zu finden sein werden. Gerade in diesem Bereich machen fortgeschrittene Sprachlerner Fehler, diese in der richtigen Situation zu benutzen. Wir planen, diese Datenbank auf Basis von Videoclips aufzubauen, bei denen am Anfang die entsprechende Redewendung vorgestellt und daraufhin in Kontext gesetzt werden soll. Wir planen, diese Datenbank für den Italienischunterricht zu benutzen und mit einer anderen, die in Düsseldorf entstand, zu verlinken. Im Herstellungsprozess möchten wir mit Studierenden der Medienwissenschaften zusammenarbeiten. Das Material, also die Redewendungen, wurden von Schülerinnen und Schülern italienischer Schulen in einem Projekt namens Emergenza Italiano vorbereitet, in dem diese aus Zeitungen und Zeitschriften idiomatische Wendungen herausgesucht haben.
Sind Sie während Ihres Aufenthaltes auch in der Lehr tätig?
Ja, ich habe jeden Montag eine Veranstaltung zu Lexikographie und die Herstellung von Wörterbüchern, darüber hinaus leite ich ein Seminar über Phraseologie. Weiterhin gibt es noch ein Forschungskolloquium und mit Unterstützung von Frau Lieber, Frau Brunetti und Frau Schreiber haben wir einen Workshop in Mai in Dresden zu verschiedenen Problemen des Übersetzens zwischen dem Deutschen und Italienischen durchgeführt. Dieser war sehr wichtig für uns, da an diesen beiden Tagen ein paar der wichtigsten Personen, die sich mit der Übersetzung zwischen dem Deutschen und dem Italienischem beschäftigen, gemeinsam hier versammelt waren.
Wie haben Sie die Studierenden in Ihren Seminaren erlebt? Bestehen Unterschiede zu Italien?
Ja, auf jeden Fall. Die Studierenden hier sind sehr motiviert und ich finde es bemerkenswert, dass sie Interesse für Linguistik zeigen. Die deutschen Studierenden wollen zunächst erfahren, wie die Sprache im theoretisch funktioniert. Ich konnte hier Vorlesungen halten, für die ich in Italien kein Publikum gehabt hätte.
Werden Sie nach Ihrer Zeit hier wieder nach Dresden zurückkehren?
Ja, sicherlich. Dresden ist für mich eine traumhafte Stadt. Ich bin hier auf sehr nette und kompetente Kollegen getroffen, die mich sofort integriert haben. Das ist nicht selbstverständlich. Auch die Bedingungen der Bibliothek sind optimal. Man kann jeden Tag bis Mitternacht dort arbeiten, auch am Wochenende, auch das ist alles andere als selbstverständlich. Darüber hinaus verfügt die SLUB über einen enormen Bestand, den ich sehr beeindruckend finde.
Welchen Rat geben Sie Sprachwissenschaftsstudierenden für das Studium mit auf den Weg?
Man sollte nie nur die Theorie sehen. Sie ist natürlich sehr wichtig, aber ebenso wichtig ist es, diese in Bezug zur Praxis zu sehen, denn nur die Praxis kann die Theorie bestätigen. Nur wenn wir Dinge tun, die auch in der Wirklichkeit funktionieren, machen wir etwas für die Allgemeinheit. Wir sollten nicht nur an uns und unsere Karriere denken, sondern stets auch ethisch. Mit dieser Ethik müssen wir das zurückgeben, was wir von der Gesellschaft bekommen haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Höhnisch im Juni 2015.