29.07.2015
Sprache ist weitaus mehr: Abtönungspartikel, Intonation, Satzmelodie oder Äußerungen, die als Fragen verstanden werden
Der Linguist Prof. John Kirk ist seit 01. März 2015 an der Professur für Anglistische Sprachwissenschaft im Rahmen des Senior-Fellowship-Programms tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Korpus- und Varietätenlinguistik. Diese untersucht er an den Beispielen des irischen Englisch und des Schottischen. Kirk hat insbesondere zu den Diskursmarkern well, just, kind of/sort of, I don’t know und please gearbeitet. In Zusammenarbeit mit Prof. Claudia Lange untersucht er nun die Parallelen zu deutschen Äquivalenten und stellt sich der Frage, inwieweit sich der Einfluss des Englischen auf das Deutsche auch im diskurspragmatischen Bereich niederschlägt.
Herr Prof. Kirk, Sie sprechen hervorragend Deutsch. Wie kommt das?
Vielen Dank. Ich lernte bereits am Gymnasium in Schottland Deutsch. Während meines letzten Schuljahres habe ich ein Trimester in Karlsruhe verbracht. Als ich dann in Edinburgh Sprachwissenschaft, Anglistik und Germanistik studierte, habe ich während der Sommerferien in Bonn gearbeitet. Durch meine erste Anstellung als Lektor am Englischen Seminar an der Universität Bonn konnte ich dann meine Interessen miteinander kombinieren. Während der gesamten 1970er Jahre war Deutschland sozusagen meine zweite Heimat. Das war natürlich damals eine ganz andere Welt. Es war die Zeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt, in den USA war Jimmy Carter Präsident, in England war die Labour-Regierung von Callaghan an der Macht, der Kalte Krieg bestimmte den Alltag. In den 1980er Jahren dagegen war ich fast nie in Deutschland. Damals promovierte ich in Sheffield, dann trat ich meine Stelle in Belfast an. 1990 schließlich fand in Bamberg ein großer Kongress statt, der meine Art der Wiedervereinigung mit Deutschland darstellte. Von da an kam ich jedes Jahr immer wieder hierher zurück und schließlich ergab sich die Verbindung mit Dresden.
2008 war ich das erste Mal in Dresden, gefolgt von Aufenthalten 2011 und 2014 zu Gastvorträgen. Dabei lernte ich unter anderem auch Professor Schäfer und Professor Lange kennen. Wir haben eine Menge Pläne, auch über mein Gastsemester hinaus. So planen wir bereits für das nächste Winter- und Sommersemester.
Gefällt es Ihnen in der Stadt?
Ja. Mein Zuhause ist natürlich in Belfast. Aber hier gefällt es mir sehr gut und ich wohne sehr gern in Dresden. Ich würde sehr gerne länger bleiben, aber ich kann natürlich nicht nur von Luft leben (lacht). Aber wir schauen sehr optimistisch in die Zukunft, dass sich andere Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Exzellenz-Initiative ergeben. Ich würde gern dazu beitragen, die Dresdner Anglistik stärker neben den großen Instituten in Freiburg, Hamburg oder Gießen zu etablieren. Dresden ist in der deutschen Geschichte eine so wichtige Stadt, dass es bedeutsam ist, an einer Volluniversität ein fundiertes anglistisches Seminar zu haben.
Was genau untersuchen Sie?
Das alles in einem Satz zu sagen, ist unmöglich. Prinzipiell geht es in meinen aktuellen Forschungen um die Untersuchung der gesprochenen Sprache in direkter Kommunikation.
Ich bin einer der Gründer eines großen Forschungsprojektes, des so genannten International Corpus of English (ICE), das eines der bedeutendsten varietätenlinguistischen Projekte der letzten zwanzig Jahren ist. An diesem Projekt sind etwa 27 Länder beteiligt. Am Anfang waren es diejenigen, die Englisch als ihre Muttersprache ansehen, später kamen die Länder dazu, die zwar eine andere Nationalsprache besitzen, Englisch jedoch als Verkehrssprache benutzen. Dabei ist uns aufgefallen, dass die Philippinen das amerikanische Englisch benutzen, während sich die afrikanischen Länder wie Uganda, Kenia oder Tansania auf das britische Englisch beziehen. Im Rahmen dieses Projektes habe ich den nord- und südirischen Subkorpus erstellt.
Wenn eine(r) meine Antworten aufnehmen, kann er/sie davon eine Transkription erstellen. Diese ist jedoch nur eine Widerspiegelung des von mir gebrauchten Wortschatzes, Sprache ist jedoch weitaus mehr: Abtönungspartikel, Intonation, Satzmelodien oder Äußerungen, die als Fragen verstanden werden. Das alles kann man schriftlich nicht festhalten. Deshalb habe ich mich entschlossen, die gesprochenen Deskriptionen weiter zu bearbeiten. Wir haben fast 140 000 Annotationen manuell in den Korpus eingefügt. Dabei wenden wir uns besonders den Partikeln well, I don’t know oder I mean zu. Wenn sich beispielsweise Leute verabreden, dann fragen sie, wann sie sich treffen sollen. Meist sagen sie dann nicht at three o’clock, weil das zu definitiv und zu bestimmt klingt, sondern schwächen ihre Aussage ab, indem sie sagen I don’t know … at three o’clock?. Das wäre dann eher als Vorschlag zu interpretieren und besitzt nicht diese Verbindlichkeit.
Ich stelle mir die Frage, ob neben den in der Forschung üblichen „Vernacular Universals“ auch die Existenz so genannter „Angloversals“ oder sogar „Pragmaversals“ gerechtfertigt scheint. Angloversals sind solche Wörter, die in der englischen nicht-standrdisierte Umgangssprache besonders oft benutzt werden, so wie das Wort „never“ mit Rücksicht auf eine einzige Gelegenheit.
Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet?
Mein Forschungsgebiet hat eine sehr menschliche Komponente. Ohne Menschen gibt es keine Sprache. Zum anderen fasziniert mich, warum man einen Tisch als einen Tisch bezeichnet. Also warum man eine Aneinanderreihung von Lauten zu einem ganz bestimmten Wort zusammenfügt. Die Bedeutung von Präfixen, die einen Wortstamm zu ganz verschiedenen Bedeutungen machen, ist auch etwas, das mich schon seit jeher interessiert und fasziniert hat. Allerdings finde ich die neuesten Entwicklungen im Deutschen mit den vielen unnötigen Anglizismen nicht gut. Für viele englische Ausdrücke wie Coffee Shop gibt es doch adäquate deutsche Begriffe. Warum werden sie nicht benutzt? Warum muss man in einer Zeitung von einem Comeback sprechen? Die Anglizismen sollen modern wirken. Aber nicht um jeden Preis. Ich sehe das ein Stück weit als Bedrohung für die Sprache an, die jedoch nicht von außen, sondern von innen heraus kommt und damit gewollt erscheint. Ich hoffe, dass sich diese Entwicklung noch aufhalten lässt.
Haben Sie bereits hier unterrichtet?
Ja, quasi auf der Basis von Gastvorträgen. So habe ich im Juni eine Sitzung in einem Hauptseminar von Prof. Lange übernommen. Darüber hinaus werde ich sie während ihres Forschungsfreisemester im kommenden Wintersemester partiell vertreten. Ich möchte auch für die Studierenden hier da sein, ihnen mitteilen, dass sie mich jederzeit fragen können, wenn sie Hilfe benötigen.
Viele der Studierenden sind Lehramtskandidaten. Ich möchte sie gern anleiten, ihren späteren Unterricht spannend und interessant zu gestalten. Daher mache ich sie auf viele sprachliche Feinheiten des Englischen aufmerksam, gerade was die Verwendung von Partikeln betrifft.
Wie haben Sie die Studierenden hier wahrgenommen?
Ich habe sie als sehr engagiert wahrgenommen. Allerdings muss man immer davon ausgehen, dass ein Publikum nicht nur freiwillig zuhört, sondern man muss sie zum Zuhören zwingen, indem man es thematisch fesselt. Durch die heutige Technik wie Power Point kann man diesen Anspruch an sich selbst ganz gut umsetzen. Trotzdem braucht es ein Gefühl zu erkennen, ob man mehr oder vielleicht auch weniger sagen muss zum dem, was man optisch präsentiert.
Unterrichten Sie hier überwiegend auf Englisch oder auf Deutsch?
In Dresden unterrichte ich hauptsächlich auf Englisch. Oft kommt es auch vor, dass ich auf Deutsch referieren muss. Da dies in den letzten Jahren immer weniger vorkam, war es mir wichtig, wieder nach Deutschland zu kommen, um meine Sprachkenntnisse weiter zu festigen.
Sie sagten, dass Sie gerne über das Semester hinaus in Dresden bleiben würden. Bereiten Sie konkrete Projekte dafür vor?
Ja, wir möchten die Verwendung von Modalpartikeln im Deutschen und im Englischen untersuchen. Noch vor 50 Jahren wurden sie lediglich als Füllwörter betrachtet und erschienen als gar nicht so wichtig. Heute dagegen sind sie unverzichtbarer Bestandteil bei der Untersuchung von Sprechakten, da sie auf die Intention des Sprechers verweisen. Wenn man jemanden fragt, wie das Wochenende war, impliziert die Frage schon die Antwort. Ich habe das alles für das irische Englisch untersucht. Dabei unterscheidet sich die Bedeutung und Verwendung dieser Modalpartikel kaum vom britischen Englisch. Sie erfüllen eine Kommunikationsfunktion. Professor Lange hat die Verwendung dieser Partikel im indischen Englisch untersucht. Wir möchten den durch unsere Untersuchungen entstandenen Korpus weiter ausbauen. Auch möchten wir einen sprachübergreifenden Zusammenhang von Negativen in den jeweiligen Sprachen herstellen. Dies wird eine ganze Weile dauern, denn die Analyse der sprachlichen Varietäten nimmt sehr viel Zeit in Anspruch.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Jana Höhnisch im Juni 2015.