30.06.2016
„Unterschiede denken / Construire les différences“
Unterschiede denken und Vielfalt leben – das ist beim Deutsch-Französischen Doktorandenkolleg möglich. Am Kolleg sind die École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris und die Humboldt-Universität Berlin beteiligt. Die TU Dresden ist seit Anfang des Jahres als Juniorpartner mit dabei. Gemeinsam wird die internationale Mobilität von Promovierenden aus den Partneruniversitäten gefördert und somit ein interdisziplinärer und internationaler Austausch der Doktoranden über ihre jeweiligen Themen untereinander bzw. mit den Betreuern der jeweiligen Hochschulen ermöglicht. Wir sprachen mit Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (Philosophische Fakultät, Sprecher des Kollegs für die TU Dresden) über das Kolleg, seine Ziele und die Beteiligung der TU Dresden.
Was ist das Ziel des Graduiertenkollegs?
Ganz praktisch geht es um die Förderung der internationalen Mobilität von Promovierenden aus den Partneruniversitäten. Auslandsaufenthalte kosten Geld, und die Stipendiaten erhalten für die Dauer ihres Aufenthaltes im Partnerland eine so genannte Mobilitätsbeihilfe von 600,- Euro/Monat. Bedacht werden Nachwuchswissenschaftler*innen mit Forschungsthemen, bei denen es eine deutsch-französische Perspektive gibt. Das können Projekte sein, die sich z. B. aus Deutschland mit französischen Themen beschäftigen oder deutsch-französische Vergleiche. Es können aber auch Projekt ohne spezifischen französischen (oder deutschen) Bezug sein, bei denen aber der methodische oder theoretische Blick aus der jeweilig anderen Wissenschaftskultur bereichernd sein könnte. Jenseits dieser materiellen Unterstützung gibt es auch Mentoring-Strukturen an den jeweiligen Standorten für auswärtige Promovierende. Und es gibt natürlich den interdisziplinären Austausch der Doktoranden über ihre jeweiligen Themen untereinander bzw. mit den Betreuern der jeweiligen Hochschulen.
Zentral als ein Begegnungs- und Diskussionsort ist das jährliche „Atelier“, das von einer der Partneruniversitäten ausgerichtet wird. Gerade Anfang Juni wurde unter Federführung der HU Berlin das diesjährige Kolloquium veranstaltet, bei dem – nach einem Auftaktvortrag des Kollegen Andreas Eckert zum Thema „Globalgeschichte“ – 13 Doktorandinnen und Doktoranden aus allen drei Einrichtungen ihre Projekte präsentiert haben.
Wie ist die Beteiligung der TUD am Graduiertenkolleg entstanden?
Die TU Dresden ist der Juniorpartner im Rahmen dieses Kollegs, das Anfang 2016 die dritte Förderphase begonnen hat. Unter der Trägerschaft der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris und der Humboldt-Universität Berlin existiert es bereits seit 2006. Für uns ist die Einladung aus Paris und Berlin zur Mitarbeit ehrenvoll, denn sie zeigt, dass sie uns zutrauen, der gemeinsamen Arbeit im Kolleg neue Impulse zu geben. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Geistes- und Sozialwissenschaften an der TU Dresden haben schon eine gute Tradition in der deutsch-französischen Doktorandenausbildung. Von 2000 bis 2009 existierte bei uns das Internationale Graduiertenkolleg 625 „Institutionelle Ordnungen, Schrift und Symbole/Ordres institutionnels, écrit et symboles“. Es war das erste seiner Art in den Sozial- und Geisteswissenschaften überhaupt, das eine gemeinsame strukturierte Doktorandenausbildung der TU Dresden und der Ecole Pratique des Hautes Etudes, Paris etablierte. Eine der Koordinatorinnen des gegenwärtigen Kollegs in Paris, Juliette Guilbaud, hat in Dresden einen Teil ihres Promotionsstudiums absolviert und besitzt ein Paris-Dresdner Doppeldoktorat.
Welche Themen werden im Graduiertenkolleg erforscht?
„Unterschiede denken: Struktur – Ordnung - Kommunikation“ – der inhaltliche Rahmen des Graduiertenkollegs steckt ein breites Themenfeld gesellschaftlicher Problemfelder ab, die von den Geschichtswissenschaften ebenso wie von gegenwartsorientierten Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen bearbeitet werden. In Berlin haben sich Doktorandinnen und Doktoranden mit ganz unterschiedlichen Themen vorgestellt, von einer Arbeit zu deutschen Erstdruckern in Frankreich vor 1500 Jahren über die Beschäftigung mit der deutsch-französischen Kolonialgeschichte in Kamerun bis hin zu einer Studie über zeitgenössische Wagner-Inszenierungen. Den rote Faden der Diskussion bildet sehr stark der titelgebende Vergleich, sei es der Vergleich auf der Objektebene zwischen verschiedenen nationalen und regionalen Phänomenen oder der Vergleich von Methoden und Theorien in unterschiedlichen Wissenschaftskulturen.
Wie viele Doktoranden aus Dresden arbeiten zur Zeit am Kolleg?
Zunächst arbeiten zwei Promovierende aus Dresden im Rahmen des Kollegs: Unter der Betreuung von Professor Bruno Haas beschäftigt sich Thomas Le Gouge mit der Darstellung des Kosmos in Texten und Bildern am Ende des Mittelalter. Und Lena Pfeiffer arbeitet in ihrem Projekt zu Suzanne Valadon, eine der bedeutendsten französischen Malerinnen der Moderne. Beide werden für ihre Studien längere Aufenthalte im jeweiligen Partnerland benötigen und somit die Mobilitätsstipendien in Anspruch nehmen können. Allerdings hat das Kolleg in der neuen Phase noch keineswegs seine „Endausbaustufe“ erreicht, es läuft insgesamt vier Jahre und vergibt Mobilitätsstipendien von wenigen Monaten bis hin zu anderthalb Jahren. Neue Interessenten (und Betreuer*innen) sind prinzipiell durchaus willkommen.
Was ist das Besondere an diesem Graduiertenkolleg?
Internationalisierung bedeutet häufig schlicht „Anglifizierung“. Das ist oft ebenso unvermeidlich wie praktisch, kann aber eben auch einen Verlust an Differenzierungsfähigkeit und Prägnanz bedeuten, der in den Geistes- und Sozialwissenschaften besonders schmerzhaft empfunden wird. Das deutsch-französische Graduiertenkolleg setzt hier einen Kontrapunkt: Hier kann jeder seine Muttersprache verwenden, wobei das Verständnis der jeweils anderen Sprache vorausgesetzt wird. Insofern ist das Kolleg auch ein echter Hort der Vielfalt, wo es Freude bereitet, Unterschiede zu denken - und auch zu leben!
Weitere Informationen zum Kolleg unter http://difference.hypotheses.org/ bzw. bei und .