20.06.2016
Wein und Blut oder das Ende der Eucharistie
In der Rubrik "Nachgefragt – junge Wissenschaftler im Portrait" stellen wir heute Dr. Jan Heilmann vom Institut für Evangelische Theologie vor. Er studierte Evangelische Theologie, Geschichte und Germanistik an den Universitäten Bochum und Wien und ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie. In seiner Dissertation untersuchte er die Dualität von Wein und Blut im Johannesevangelium und dessen Konsequenzen. Wir sprachen mit ihm über seine Thesen zu diesem Text, seine Forschungsinteressen sowie über die Unterschiede zwischen dem Ruhrgebiet und Dresden.
Sie sind gebürtig aus dem Ruhrgebiet. Wie sind Sie nach Dresden gekommen?
Ich habe 2011 eine Konferenz besucht, die Prof. Klinghardt organisiert hat. Bei dieser Konferenz ging es um das Gemeinschaftsmahl im frühen Christentum. Dort habe ich meine jetzige Frau kennengelernt, was eigentlich der Hauptgrund für meinen Umzug nach Dresden war. Etwa anderthalb Jahre bin ich zwischen Bochum und Münster gependelt, bevor ich die Stelle am Institut für Evangelische Theologie in Dresden bekommen habe. Für meine Dissertation habe ich sehr eng mit Prof. Klinghardt zusammengearbeitet und auf seinen Thesen aufgebaut, was die Arbeit hier auch erleichtert hat.
Sie sprachen gerade von Ihrer Jugend- und Studienzeit im Ruhrgebiet. Wo sehen Sie die gravierendsten Unterschiede zwischen dort und Dresden?
Die größte Auffälligkeit ist die im Ruhrgebiet herrschende Heterogenität der Gesellschaft. Das Ruhrgebiet ist ein großer Schmelztiegel von Kulturen. Ein großer Umbruch ging mit dem Ende des Bergbaus einher, als die großen Zechen schlossen. Der Strukturwandel war vor allem mit einer steigenden Arbeitslosenzahl verbunden. Das Ruhrgebiet ist traditionell aber auch ein Ort von verschiedenen Menschen mit Migrationshintergrund – ein Ort, an dem man mit den verschiedensten Religionen und Sprachen in Kontakt kommen kann. Das zeigt sich auch an der Universität. Es ist zu bemerken, dass sich durch die ankommenden Flüchtlinge auch hier langsam das Bild wandelt. Es besteht demnach zwischen Ost und West die Differenz zwischen einer heterogenen und einer gefühlt homogenen Gesellschaft. Im universitären Alltag ist weniger ein Unterschied in der Lehre als vielmehr ein Unterschied in der Verwaltung zu erkennen. Im Ruhrgebiet habe ich festgestellt, dass dort die Verwaltung ein wenig kreativer arbeitet und mehr möglich macht. Hier wird oft in einem recht starren Korsett gearbeitet.
Im Osten wird häufig von einer Entkirchlichung gesprochen. Setzt ein solcher Prozess auch langsam im Westen ein? Häufen sich dort Austritte aus den Kirchen?
Darauf kann ich nur ausweichend antworten, da mir die genauen Zahlen nicht bekannt sind. Betrachtet man sich die Gründe für die Kirchenaustritte, dann sind es vielfach externe Faktoren wie Kirchensteuer oder der Skandal um den Bischof Tebartz van Elst in Limburg, welche die Entscheidung motivieren. Allerdings kann ich im Bereich Schule einen gravierenden Unterschied feststellen zwischen denjenigen, die Religionsunterricht belegen und denjenigen, die sich für ein adäquates Fach entscheiden. In Nordrhein-Westfalen waren und sind diejenigen, die den Religionsunterricht abgewählt haben, in der Minderheit. Im Normalfall melden Eltern ihre Kinder für den religiösen Unterricht an, auch wenn sie konfessionslos sind. Hier ist es genau umgekehrt – hier sind diejenigen, die den Ethik-Unterricht wählen, in der Mehrheit, auch wenn sie religiös gebunden sind. Das führt dazu, dass eine unterschiedliche Vorbildung bei den Studierenden erreicht wird. In Nordrhein-Westfalen wird es zudem in vielen Regionen bald soweit sein, dass es eine fast paritätische Aufteilung zwischen evangelischem, katholischem und muslimischem Religionsunterricht geben wird, wenn die organisatorischen Voraussetzungen für die Erteilung von letzterem geschaffen worden sind.
Sie haben Ihre Dissertation unter das Thema des Endes der Eucharistie im Johannes-Evangelium gestellt. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Der Titel ist provokativ. Der Haupttitel „Wein und Blut“ ist der eigentlich wichtige. Das Ende der Eucharistie deutet nur das Ergebnis an, das aus dieser Arbeit erwächst. Ich habe mich insbesondere mit der Metaphorik von Fleisch essen und Blut trinken im Johannes-Evangelium befasst, was bisher immer als Verweis auf ein im frühen Christentum real vollzogenes Ritual aufgefasst wurde. Ich habe gezeigt, dass man das als Metapher verstehen muss; dass Fleisch essen und Blut trinken nichts anderes bedeutet, als das Wort, das in Christus inkarniert ist, also das Fleisch gewordene Wort Gottes essen und kauen muss. Frei zusammengefasst sagt Jesus in einer Synagoge: „So wie ich leibhaftig vor euch stehe, so müsst ihr mich essen.“ Das ist so zu verstehen, dass das, was Jesus sagt, aufzunehmen und zu kauen ist. In der Antike war eine solche Metaphorik sehr weit verbreitet. In ritualgeschichtlicher Hinsicht entwickelt sich aus dem Text ein Ritual und nicht umgekehrt, wie man bisher immer angenommen hat.
Hier spielt ja sehr viel die Thematik des Mahls mit hinein. Wie kam es zu diesem Interessengebiet?
Ursprünglich wollte ich ein ganz anderes Thema bearbeiten. Allerdings erschien bereits, bevor ich überhaupt angefangen hatte, die entsprechende Arbeit. Ich hatte mich dann damit befasst, ob es so etwas wie Kult-Mähler oder dionysische Mähler im Johannes-Evangelium gibt. Ich fing an und merkte, dass dieser traditionelle Ansatz beim Johannesevangelium nicht funktioniert. Durch tiefergehende Rezeptionen des Evangelientextes und anderer antiker Quellen und durch die Forschungsergebnisse von Matthias Klinghardt in seiner Habilitation musste ich meine Anfangshypothese vollständig revidieren. Aus soziologischer Perspektive ist das Mahl in der Antike ein sehr interessanter Ort, wenn man ihn unter dem Gesichtspunkt des Mahls als Gemeinschaftsritual sieht. Es ist eine Fehldeutung, dass das Abendmahl, so wie wir es heute feiern, in einem Gründungsakt Jesu gestiftet worden ist. Es ist vielmehr aus einem dynamischen Prozess hervorgegangen, der ständig Neudeutungen unterworfen war. Das Abendmahl gehört zwar zum Kern christlicher Identität, ist aber in historischer Perspektive kein statisches, unveränderbares Ritual. Da spielt die Rezeption der neutestamentlichen Texte eine besondere Rolle. Die Textrezeption verändert auch die Wahrnehmung auf das Mahl. Am Anfang können wir von einem Gemeinschaftsmahl der Hausgemeinden sprechen. Man hat sich abends getroffen und Mahl bedeutete Gemeinschaft und gleichzeitig Gottesdienst.
Heute wird ja klassischerweise das Abendmahl am Sonntag im oder nach dem Gottesdienst gefeiert.
Genau, und das war in der Antike nicht so. Man weiß nicht ganz genau, wie oft man sich in Gemeinschaft getroffen hat, aber es ist gut möglich, dass es häufiger war. Die Gemeinde ist abends zum Essen zusammengekommen und das war dann der Ort für Gemeinschaftsbildung. Das ist aber nicht mein Ergebnis, sondern das der Habilitationsarbeit von Prof. Klinghardt.
Welche anderen Forschungsinteressen verfolgen Sie?
Ich beschäftige mich zum einen mit Lesepraxis im frühen Christentum und der damit verbundenen Frage, wie die neutestamentarischen Texte im frühen Christentum gelesen werden sollten und gelesen worden sind. Das betrifft dann z.B. auch die Frage, wie die vorhandenen 27 Schriften zum Kanon des Neuen Testaments geworden sind. Dafür analysiere ich griechische Leseterminologie, gehe also zu den Grundlagen zurück. Zum anderen beschäftige ich mich mit neutestamentarischer Textkritik. Dafür haben wir bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ein Forschungsprojekt eingeworben, das ein Anschubfinanzierungsprojekt mit drei Doktoranden und einer Leitungsstelle darstellt. In dem Zusammenhang testen wir ein Modell zur Klärung der Entstehung von Textvarianten . Das Neue Testament ist nicht einheitlich, sondern in tausenden von Handschriften überliefert; und keine dieser Handschriften gleicht der anderen. Es gibt Textvarianten in den Handschriften, die auf das 2. Jahrhundert zurückgeführt werden können – einmal fehlt ein ganzer Abschnitt oder Satz, ein anderes Mal fehlt nur ein Wort oder ein Wort wurde verändert Bisher existiert kein befriedigender Erklärungsansatz zur Genese dieser Varianten. Meist werden sie den Schreibern als Individuum zugeschrieben. Bestimmte Phänomene in den Handschriften sprechen aber gegen diese Sicht. So korrelieren bestimmte Handschriftengruppen mit spezifischen Auffälligkeiten, die eine einheitlichere Ursache der Entstehung von Varianten nahelegen. Herr Prof. Klinghardt hat dieses Phänomen bei seiner Erforschung des sog. marcionitischen Evangeliums entdeckt, bei den Paulus-Briefen gibt es aber noch viel Forschungsarbeit. Die Varianten gehen auf verschiedene Ausgaben von Sammlungen neutestamentlicher Texte aus dem 2. Jh. zurück, wobei die Integration von Texten in Sammlungen mit einem Redaktionsschritt einherging. Schreiber hatten dann später unterschiedlich redigierte Texte aus verschiedenen Sammlungen vor sich liegen und musste sich jeweils neu entscheiden, wenn er Unterschiede feststellte, wodurch die Varianten verschiedener früher Ausgaben aus dem 2. Jh. in den neutestamentlichen Hss. erhalten blieben. Das ist unsere Ausgangshypothese. Diese testen wir im Rahmen von drei Fallstudien. Wir treffen uns jede Woche im Team für zwei Stunden und diskutieren sehr intensiv an und über die Texte und machen dadurch immer wieder neuen Entdeckungen.
Wie groß ist die Forschungsgruppe?
Insgesamt sind wir vier Personen und Prof. Klinghardt. Wir haben zusätzlich eine Studentische Hilfskraft, die aber voll in die Forschung integriert ist. Wir haben sehr begabte Studierende, die wir versuchen, sehr früh an die Forschung heranzuführen. Das ist ein Grundprinzip meines Lehrkonzept. Ich bin der Auffassung, dass man Studierende möglichst früh mit die interessanten Forschungsfragen konfrontieren sollte. Die Dinge, die man im Fach lernen muss, lernt man meist auf dem Weg zur Beantwortung dieser Fragen mit. Dahinter steckt das Konzept des forschenden Lernens. Die Hochschuldidaktik ist übrigens mein dritter Schwerpunkt.
Sie sind auch in die Forschung zum Codex Boernerianus involviert?
Der Codex Boernerianus ist insofern ein spannender Text für uns, weil er genau einer dieser Texte ist, der solche Textvarianten dokumentiert, auf die ich eben verwiesen habe. Er weist z.B. verdächtige Lücken auf, die zeigen, dass diese in seiner Vorlage gefehlt haben. Der Schreiber wusste aber, dass dort Text hineingehört – daher hat er Platz gelassen, um diesen potentiell später ergänzen zu können. Im letzten Semester haben wir zum Codex ein Seminar abgehalten, das forschungsorientiert war. Wir haben mit einem Digitalisat gearbeitet und den Text des Epheserbriefes für ein großes Forschungsprojekt in Münster und Birmingham transkribiert. Dieses Forschungsprojekt, die sog. Editio Critica Maior hat zum Ziel, die gesamte griechische Handschriftentradition des ersten Jahrtausends zu erschließen. Die Arbeit ging aber auch über das reine Transkribieren hinaus. Ich habe Beobachtungen der Studierenden am Text genutzt, um andere Fragestellungen daran anzuschließen.
Gibt es in diesem oder anderen Zusammenhängen Kooperationen mit der katholischen Theologie?
Da wo es geht, versuchen wir zusammenzuarbeiten. Allerdings ist das in der direkten Forschungskooperation nicht immer möglich. Es gibt auf der katholischen Seite kein Äquivalent zur neutestamentlichen Forschung, sondern eine Spezialistin für das Alte Testament. In der Theologie sind das zwei ausdifferenzierte Spezialdisziplinen. Deshalb müssen wir bei fokussiert neutestamentlicher Forschung mit anderen Institutionen zusammenarbeiten und können uns nicht intern gegenseitig ergänzen. Zukünftig wären hier aber sicher bei Forschungsfragen, welche die Grenzen der beiden Testamente überspannen oder in die Kirchengeschichte hineinragen, interessante Forschungskooperationen möglich. Eine breiter Forschungsaustausch, an dem auch die katholische Theologie intensiv beteiligt ist, besteht allerdings unter den altertumswissenschaftlich orientierten Fächern an der TU insgesamt. Der Synergieeffekt zwischen beiden Instituten liegt vor darin, dass unsere Studierenden Veranstaltungen beider besuchen können, weil wir ein sehr kleines Institut sind. Deshalb sind diese Kooperationen für die Lehre sehr entscheidend.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Das Wichtigste zunächst ist, dass ich weiter forschen kann. Das geht damit einher, dass wir immer wieder Mittel einwerben müssen, weil ich persönlich keine dauerhafte Finanzierung habe. Daher kann man eigentlich keine großen Pläne machen, sondern nur hoffen, dass man an seinen Forschungen weiter arbeiten kann, wenn das Geld vorhanden ist.