Teilprojekt B: Kompetenzdiagnostik und -entwicklung
Inklusion zu fördern und jedem Kind durch eine optimale, an seine Bedürfnisse angepasste Lernumgebung die Teilhabe an Bildung zu ermöglichen, erfordert Kenntnisse der hierfür notwendigen Kompetenzen von Lehrkräfte in inklusiven Lehr-Lern-Settings.
Die Forschung zu Kompetenzen von Lehrkräften umfasst bereits eine Vielzahl an Modellen (national & international), die sich allerdings zumeist auf allgemeinere Fach-, Methoden, Sozial- und Selbstkompetenzen beziehen (Frey & Jung, 2011). Konkrete Kompetenzen, die darüber hinaus für die Umsetzung inklusiver Bildung im Sinne der UN-BRK erforderlich sind, werden kaum formuliert. Die hierzu vorliegenden Arbeiten fokussieren entweder einzelne Aspekte inklusionsspezifischer Kompetenzen von Lehrkräften, orientieren sich an normativen Leitbildern, oder erfassen Kompetenzen bei sonderpädagogischen Fachkräften (European Agency for Development in Special Needs Education, 2012; Kiel, 2015; Langner, 2015; Niedermair & Hecht, 2015; Redlich, Schäfer, Wachtel, Zehbe & Moser, 2015).
Die Entwicklung eines spezifischen und umfassenden Kompetenzprofils für eine Lehrtätigkeit in inklusiven Lehr-Lern-Settings steht damit noch aus. Neben erziehungswissenschaftlichen und pädagogisch-psychologischen Aspekten sollte hierbei auch an die Berücksichtigung arbeitspsychologischer Grundlagen gedacht werden. Insbesondere Verfahren zur Anforderungsanalyse sind gut erforscht und gehören in zahlreichen anderen Berufsfeldern zum Standard (Heider-Friedel, Strobel & Westhoff, 2006). Deshalb verbindet das Teilprojekt B des BMBF-Projektes „SING“ in seinem Ansatz zur Kompetenzmodellierung in neuer Weise Methoden der klassischen, arbeitspsychologischen Anforderungsanalyse mit Erkenntnissen der inklusiven Pädagogik sowie der pädagogischen Psychologie.
Konkret bedeutet dies, dass wir zur Entwicklung des Kompetenzprofils eine Anforderungsanalyse nach der „Methode der kritischen Ereignisse“ (Critical Incident Technique (CIT), Flanagan, 1954; Koch & Westhoff, 2012) zugrunde legen. Hierfür nutzen wir die Expertise und berufspraktische Erfahrung von Schulleiter*innen und Lehrkräften aller Schularten, um mit ihrer Hilfe die tatsächlichen Anforderungen einer Lehrtätigkeit in inklusiven Lehr-Lern-Settings erfassen zu können.
Für ein möglichst umfassendes Kompetenzprofil sollte neben der Perspektive von unterrichtenden Lehrkräften auch die von Personen in Leitungspositionen berücksichtigt werden. Letztere verfügen über einen umfassenderen Überblick zu strategischen Entwicklungen in ihrem Tätigkeitsbereich und damit möglicherweise verbundenen, zukünftigen Aufgaben. In der geplanten Studie sollen deshalb Bottom-up- und Top-down-Ansätzen miteinander kombiniert werden.
Folgendes methodische Vorgehen ist geplant: In einem Fragebogen werden zunächst alle Lehrkräfte mit einem offenen Antwortformat zu ihren Zielen sowie zu ihren Einschätzungen hinsichtlich Qualifikationen, Wissen und Kenntnissen für den Umgang mit inklusiven Lehr-Lern-Settings befragt. Im Anschluss daran werden in sechs schulartspezifischen Workshops mit 5-10 Lehrkräften mittels Anforderungsanalyse nach der „Critical Incident Technique“ verhaltenskritische Situationen in inklusiven Lehr-Lern-Settings erfasst und daran anknüpfend Verhaltensweisen für eine effektive/ineffektive Bewältigung extrahiert (Bottom-up).
Auf Grundlage dieser Verhaltensweisen und der Daten der Lehrkräftebefragung leiten Experten in einem Clusterverfahren ein vorläufiges Kompetenzprofil ab, dass sich an der Verhaltensgleichung V=fI (U, O, K, E, M, S) (Westhoff & Kluck, 2014) orientiert. Die dort formulierten Kompetenzdimensionen und Kompetenzen sollen durch die Lehrkräfte, die am Workshops teilgenommen haben, hinsichtlich der Bedeutsamkeit, Kompensierbarkeit und Trainierbarkeit eingeschätzt werden.
Zusätzlich werden zwölf Schulleiter*innen in Interviews ebenfalls gebeten, das vorläufige Kompetenzprofil einzuschätzen. Außerdem umfasst das Interview Fragen zu ihren Zielen bzgl. der Umsetzung inklusiver Lehr-Lern-Settings sowie zu Qualifikationen, Wissen und Kenntnissen, die aus ihrer Sicht hierfür notwendig sind (Top-down).
Schlussendlich fließen neben der Rückmeldungen der Lehrkräfte und Schulleiter*innen auch Ergebnisse einer qualitativen Textanalyse zu Leitbildern/Werten für eine inklusive Bildung, basierend auf Gesetzestexten/Verordnungen, in die abschließende Überarbeitung des Kompetenzprofils ein.
Neben einem schulartübergreifenden Kompetenzprofil für Lehrkräfte in inklusiven Lehr-Lern-Settings, werden auch schulartspezifische Kompetenzprofile erstellt.