08.10.2019
Prof. Dr. Andreas Rutz – neuer Professor am Institut für Geschichte
Name: Prof. Dr. Andreas Rutz
Position: Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte
Institut: Institut für Geschichte
Fakultät: Philosophische Fakultät
Prof. Dr. Andreas Rutz ist seit September 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden. Nach dem Studium in Bonn, Paris und New York wurde er 2005 mit einer Arbeit zum Thema „Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16. bis 18. Jahrhundert)“ bei Manfred Groten in Bonn promoviert. Im Anschluss an die Dissertationszeit war er für einige Monate Postdoc-Stipendiat am Institut für Europäische Geschichte Mainz, um dann als wissenschaftlicher Assistent und Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaft, Abt. für Rheinische Landesgeschichte in Bonn zu arbeiten. Seine Habilitation mit einer venia legendi für Neuere und Neueste Geschichte sowie Landesgeschichte erfolgte 2014, das Thema der Habilitationsschrift lautet „Die Beschreibung des Raums. Territoriale Grenzziehungen im Heiligen Römischen Reich“. In den folgenden Jahren hatte Prof. Rutz Lehrstuhlvertretungen in Münster (Westfälische und Vergleichende Landesgeschichte), Bonn (Rheinische Landesgeschichte) und Düsseldorf (Geschichte der Frühen Neuzeit) inne. Im Rahmen einer Kurzeitdozentur lehrte er an der Universität Tokio (Todai), war Forschungsstipendiat der Gerda Henkel Stiftung und assoziiertes Mitglied des Bonner SFB 1167 „Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“.
Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte und Forschungsinteressen?
Meine Forschungen sind landesgeschichtlich ausgerichtet, das heißt, ich konzentriere mich bei meiner Arbeit auf einen Raum mittlerer Größe – in Dresden ist das natürlich Sachsen, zuvor habe ich aber auch zum Rheinland, zu Westfalen, Franken und Bayern gearbeitet. Ein solcher Raum wird in seiner ganzen Vielfalt von Politik, Kirche, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in epochenübergreifender Perspektive erforscht. Ein Landeshistoriker beschränkt sich bei seiner Arbeit also auf einen überschaubaren Raum, ist aber thematisch in allen denkbaren Bereichen und epochal vom Mittelalter bis in die Zeitgeschichte unterwegs. Und wem das nicht reicht, der kann vergleichende Landesgeschichte betreiben und die sächsischen Befunde mit denen zu anderen Regionen in Beziehung setzen oder – was mir besonders wichtig ist – die europäischen und globalen Dimensionen der Landesgeschichte beleuchten. Es gibt natürlich, abgesehen von dieser ganz allgemeinen Ausrichtung meiner Arbeit, konkrete Forschungsschwerpunkte und -interessen, die ich in den vergangenen Jahren verfolgt habe, dazu gehören die Geschichte von Schulen und Bildung, von Orden und Klöstern, von Kartographie und geographischen Wissenssystemen, von (Landes-)Herrschaft, von Krieg und Kriegserfahrung und nicht zuletzt die Frauen- und Geschlechtergeschichte.
In meiner Arbeit an der TUD möchte ich in den nächsten Jahren zwei thematische Schwerpunkte setzen: Gender und Globalisierung. Die landesgeschichtliche Genderforschung wird in den nächsten Wochen mit einem neuen DFG-Projekt zum Thema „Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive“ am Lehrstuhl starten. In der Frühen Neuzeit war es durchaus üblich, dass eine fürstliche Witwe für ihren noch minderjährigen Sohn die Regentschaft übernahm und in dieser Funktion über Jahre die Geschicke eine Territoriums bestimmte. Wir werden untersuchen, wie autonom die betreffenden Frauen handeln konnten und ob sie geschlechtsspezifischen Einschränkungen unterlagen, die männliche Regenten nicht betrafen. Dafür werden wir erstmals frühneuzeitliche Regentschaften im Heiligen Römischen Reich, unter anderem in Sachsen, aber auch in Württemberg, Brandenburg-Ansbach und Lippe, geschlechtsspezifisch vergleichend in den Blick nehmen. Darüber hinaus sollen in einem Handbuch alle Regentschaften in den Territorien des Reiches vom 16. bis zum 18. Jahrhundert erfasst und im Kontext der jeweiligen Landesgeschichte erläutert werden. Weitere Projekte im Bereich der landesgeschichtlichen Genderforschung sind in Arbeit und werden hoffentlich bald realisiert werden können.
Die globalgeschichtliche Dimension der sächsischen Landesgeschichte wird den zweiten Schwerpunkt bilden. Hier plane ich ein größeres Projekt zum globalen Kultur- und Wissenstransfer vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Konkret geht es um die Frage, welches Wissen in dieser Zeit durch Texte, Objekte, Lebewesen oder Menschmedien nach Sachsen gelangt ist und wie damit vor Ort umgegangen wurde. Die diesbezüglichen Beispiele des Tabakanbaus und der im 18. Jahrhundert entstehenden Kaffeehauskultur, die auf globalen Wissenstransfers beruhten, sind allen geläufig. Es gibt aber auch in verschiedensten anderen Bereichen Beispiele, deren Erforschung nicht nur die globale Verflechtung Sachsens, sondern auch die konkreten Veränderungen durch Globalisierung vor Ort deutlich machen.
Was war Ihr interessantestes bzw. spannendstes Forschungsprojekt?
Das ist schwer zu sagen, weil ich eigentlich immer gerade das Projekt oder Thema am spannendsten finde, mit dem ich mich aktuell beschäftige! Besonders eindrücklich für einen Wissenschaftler, der normalerweise auf die Vergangenheit blickt, war allerdings das Projekt, das ich mit Bonner und Kölner Kolleginnen und Kollegen wenige Tage nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs im März 2009 initiiert habe: „Das digitale Historische Archiv Köln“ (www.historischesarchivkoeln.de). Im Angesicht der Katastrophe und der Befürchtung, dass eines der größten kommunalen Archive nördlich der Alpen für immer zerstört sei, war unser Ziel, es zumindest virtuell wieder auferstehen zu lassen. Wir haben mit Unterstützung der Stadt Köln und später auch der DFG ein Web 2.0-Portal eingerichtet, in das alle ehemaligen Nutzerinnen und Nutzer, aber auch das Archiv selbst und andere Institutionen digitalisierte Kopien, Mikrofilme, Fotos und Abschriften von Akten und Urkunden einstellen konnten, um sie für andere verfügbar zu machen. Besonders spannend war dabei zu erfahren, dass unsere Expertise im Bereich der Akten- und Archivkunde, Paläographie, Sphragistik, Diplomatik usw., also für Außenstehende relativ weltfremdes Wissen, auf einmal ganz praktische Anwendung gefunden hat. Noch handgreiflicher waren die Erfahrungen vieler unserer Studentinnen und Studenten, die viele Wochen und Monate im Schichtdienst bei den Bergungsarbeiten und der Erstversorgung der Archivbestände geholfen haben. Das Kölner Stadtarchiv hat das Online-Portal vor einigen Jahren übernommen und nutzt es nun, um die glücklicherweise in größerer Zahl aus dem Schutt geborgenen und restaurierten Bestände online zu stellen und so die Erforschung der Kölner Stadtgeschichte trotz aller Widrigkeiten wieder möglich zu machen.
An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?
Derzeit bin ich natürlich sehr stark mit den organisatorischen Details des Wechsels nach Dresden und der Vorbereitung des Wintersemesters befasst. Aber immer wenn ich etwas Luft habe, geht es um die oben genannten Themen und Projekte. Und dann ist da auch noch die Antrittsvorlesung zum Thema „Ein bisschen Heimat? Landesgeschichte in einer globalisierten Welt“ am 5. November 2019, 18.30 Uhr im Andreas-Schubert-Bau, Hörsaal 120.
Was darf auf Ihrem Schreibtisch auf keinen Fall fehlen?
Laptop und Schmierpapier
Haben Sie ein Lieblingszitat? Wenn ja, welches und von wem ist es?
„Ich will wenigstens fortfahren, um mich dem zu nähern, was ich wohl nie erreiche“, Johann Wolfgang von Goethe, Italienreise, 27. Oktober 1787. Das Zitat hängt über meinem Schreibtisch, auf dem Zettel mit den Deadlines! Aber man kann es auch weniger prosaisch auf einen wissenschaftlichen Ethos beziehen, dem ich mich verpflichtet fühle, nämlich die Überzeugung, dass die Suche nach Erkenntnis wohl nie an ein Ende kommt, dass man nie eine endgültige Wahrheit finden wird, aber dass die Suche und das Streben danach sinnvoll sind und uns antreiben sollten.
Welches Buch haben Sie als letztes gelesen?
„Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“, den jüngsten Roman der mir vorher völlig unbekannten, aber großartigen tschechischen Schriftstellerin Radka Denemarková. Er schildert die Geschichte von drei Frauen, die ein Archiv zur Dokumentation von Gewalt gegen Frauen unterhalten. Das ist ein Projekt, das sich ursprünglich auf die ungesühnte Gewalt im Zuge des Zweiten Weltkrieges fokussierte, sich dann aber zu einer Abrechnung mit der eigenen Gegenwart ausweitet. Literarisch höchst ambitioniert geht es um die in Kriegs-, aber auch in Friedenszeiten stets virulente physische und psychische Unterdrückung von Frauen und die entscheidende Frage nach Schuld, Sühne und Gerechtigkeit.
Weitere Infos über Sie gibt es auf
https://tu-dresden.de/gsw/phil/ige/slge/die-professur/lehrstuhlinhaber-prof-dr-andreas-rutz
https://tu-dresden.academia.edu/AndreasRutz
Besuchen Sie außerdem die Homepage des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, das künftig neben dem Lehrstuhl eine überaus wichtige Rolle für meine Arbeit in Dresden spielen wird!