Rückblick
Bereits in den 1920er Jahren war durch den Naturwissenschaftshistoriker Rudolph Zaunick das Forschungsgebiet Geschichte der biologischen Wissenschaften in der Allgemeinen Abteilung der TH Dresden vertreten. Im September 1945 wurde Richard Woldt, ehemaliger Funktionär des Metallarbeiterverbandes und Sozialdemokrat zum Honorarprofessor und im November 1945 zum ordentlichen Professor für soziale Arbeitswissenschaft an der TH Dresden berufen. Seine Funktion als Vizepräsident der Sächsischen Landesverwaltung hatte er vorher niedergelegt. In Fortsetzung seiner publizistischen Tätigkeit in den 1920er Jahren, die vor allem die Arbeitswelt der Technik in den Mittelpunkt stellte, waren für Woldt Technikgeschichte und politische Geschichte sehr eng miteinander verknüpft. Woldts Lehrauftrag beinhaltete neben sozialer Arbeitswissenschaft auch die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Geschichte der Technik. Dafür bot er erstmals im Jahr 1948 für Diplom-Gewerbelehrer eine obligatorische Vorlesung an. Woldts Intention, Technik in einen sozialen Kontext zu setzen, zeigte sich im Begriffspaar Industriewirtschaft und Arbeiterfrage – dem Titel einer seiner Vorlesungen.
Die drei in der sowjetischen Besatzungszone bzw. in der DDR durchgeführten Hochschulreformen stellten nicht nur formale Zäsuren dar, sondern beeinflussten die Strukturen und Profile der Hochschulen nachhaltig. Stand die erste Reform 1946 ganz im Zeichen einer Politik der Gegenprivilegierung, zogen mit der zweiten im Jahr 1951 stark zentralistische und ideologische Momente in den Fächerkanon der TH Dresden ein. Die von Woldt gelehrten sozialen Arbeitswissenschaften wurden gegenüber den jetzt neu institutionalisierten Gesellschaftswissenschaften marginalisiert und die Geschichte der Technik zugunsten der Vermittlung von Grundlagen des Marxismus-Leninismus aus dem obligatorischen Teil der Lehrveranstaltungen herausgenommen. Als Folge dieser Entwicklung strebte Woldt innerhalb der Fakultät für Berufspädagogik und Kulturwissenschaften im Jahr 1952 die Gründung eines Instituts für Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften an. Auch wenn er durch seinen Tod im August 1952 dessen Leitung nicht mehr übernehmen konnte, bleibt die Intention dieses Instituts mit seinem Namen verbunden. Zunächst unter der Leitung des vom Berliner Medizinhistorischen Institut kommenden Physikers Alfons Kauffeldt stehend, arbeitete das Institut für Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften mit in den Jahren wachsender Mitarbeiterzahl und Ausstattung. Arbeiten zur Dokumentation, der Aufbau einer gesonderten Spezialbibliothek und die Begründung einer Bibliographie der Technikgeschichte (BGT), die bis 2015 von der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek als Fachkatalog Technikgeschichte fortgeführt wurde, ließen die Absicht erkennen, eine umfangreiche Materialbasis in Dresden zu erstellen. Die Schließung des Instituts am Ende des Jahres 1963 war keineswegs monokausal begründet, wenn auch mit der Wandlung in ein Philosophisches Institut und der beginnenden methodischen Fokussierung auf eine Geschichte der Produktivkräfte ideologische Argumente ausschlaggebend gewesen sind.
Im Jahr 1965, dem Zeitpunkt der Einrichtung einer Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Fakultät für Berufspädagogik und Kulturwissenschaften und Berufung des von der Universität Halle kommenden Rolf Sonnemann, begann eine Entwicklungslinie, die sich bis in das Jahr 1988 fortsetzen lässt. Die dritte Hochschulreform der DDR im Jahr 1968 führte zu einer Umstrukturierung der Fakultäten in Sektionen und der Institute in Wissenschaftsbereiche. In der 1961 zur Technischen Universität aufgewerteten Dresdner Hochschule entstand nunmehr neben der Sektion für Marxismus-Leninismus eine Sektion für Philosophie und Kulturwissenschaften. Die Umberufung von Sonnemann im Jahr 1969 als Professor für Wirtschaftsgeschichte und Geschichte der Produktivkräfte lässt sowohl die Nuancen seines Forschungsprofils als auch die DDR-weite Konsolidierung des Produktivkraftansatzes für die technikhistorische Forschung erkennen. Der Wissenschaftsbereich Geschichte der Produktivkräfte, der in den 1970er Jahren zur Produktivkraftgeschichte arbeitete und Wirtschaftsgeschichte lehrte, erweiterte sich 1978 um die bis zur politischen Wende im Jahr 1990 methodisch und material äußerst fruchtbare Problematik der Technikwissenschaftsgeschichte. Die Wissenschaftshistorikerin Gisela Buchheim darf als spiritus rector der Gründung des Zentrums für die Geschichte der Technikwissenschaften im Wissenschaftsbereich Geschichte der Produktivkräfte angesehen werden. Beide, Buchheim und Sonnemann, bauten die Technikwissenschaftsgeschichte in Dresden – teilweise gegen den Widerstand der Verfechter einer Geschichte der Produktivkräfte unter Jürgen und Thomas Kuczynski – zu einer über die Grenzen der DDR-Wissenschaftslandschaft hinaus bekannten Disziplin aus. Als methodische Grundlagen nutzte und modifizierte man einerseits das von Wissenschaftstheoretikern in der DDR vertretene Konzept der Disziplingenese und andererseits spezielle sowjetische Arbeiten zur Spezifik technischer Wissenschaften. Für die Forschungsplanung stellte die Einbindung des Zentrums für die Geschichte der Technikwissenschaften in den Arbeitskreis Wissenschaftsgeschichte einen doppelten Gewinn dar: Der bis dahin ausschließlich von Naturwissenschaftshistorikern und deren Konzepten bestimmte Kreis der DDR-Wissenschaftshistoriker erfuhr durch die Technikwissenschaftsgeschichte eine methodische Bereicherung. Der Arbeitskreis für Wissenschaftsgeschichte erwies sich im Vergleich zu dem für Produktivkraftgeschichte als liberaler und bot so ein konstruktives, unorthodoxes Klima. Obwohl nicht explizit einem technikwissenschaftshistorischen Ansatz verpflichtet, ist das im Jahr 1978 unter Burchard Brentjes, Siegfried Richter und Rolf Sonnemann entstandene Kompendium „Geschichte der Technik“ als eines der ersten im deutschsprachigen Raum zu werten, das auf einem modernen sozialwissenschaftlichen Ansatz von Technikgeschichte gründete.
Institutionell nutzte das Zentrum für die Geschichte der Technikwissenschaften einen Multiplikatoreffekt: Seit 1978 wurden in zwei aufeinander folgenden vierjährigen Aspirantenkursen Ingenieurwissenschaftler von mehreren technischen Hochschulen der DDR technikwissenschaftshistorisch ausgebildet. Diese erste Generation von Technikwissenschaftshistorikern sollte an ihre Heimathochschulen zurückkehren und dort in eigener Verantwortlichkeit technikwissenschaftshistorische Institute aufbauen. Lehre und Forschung am Zentrum waren personell und zeitlich verzahnt sowie erstere lediglich für Kursaspiranten gedacht. 1987 liefen diese Lehrgänge aus, da zunächst kein weiterer Bedarf an den Standorten Freiberg, Ilmenau, Jena, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Leipzig, Magdeburg, Merseburg, Rostock und Weimar geltend gemacht wurde. Trotz reger Publikationstätigkeit in den Jahren 1987 bis 1990 behielt das Zentrum einen internen Status. Der Lehrbetrieb beschränkte sich auf Vorträge vor Studenten der Ingenieurwissenschaften.
Mit dem Ausscheiden Sonnemanns im Jahr 1988 ging die Leitung des Zentrums zunächst kommissarisch an Thomas Hänseroth, einen Schüler Sonnemanns, über. Die politische Wende in der DDR 1989/90 hatte ein weiteres Mal die Umgestaltung von Hochschulstrukturen zur Folge. Nach der Schließung der Sektion Philosophie und Kulturwissenschaften im Jahr 1990 war es möglich geworden, ein Institut für Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte zu gründen. Diese Gründung stellte zunächst nur eine Umbenennung des Wissenschaftsbereiches Geschichte der Produktivkräfte dar, stand aber in keinem Widerspruch zu dessen bisherigem Spektrum. Die Professur dieses Institutes wurde nicht besetzt, als Dozenten wurden die mittlerweile schon schwer erkrankte Gisela Buchheim, Thomas Hänseroth und Otfried Wagenbreth, langjähriger Mitarbeiter am Zentrum für Geschichte der Technikwissenschaften berufen. Seit dem Wintersemester 1990 bot das neugegründete Institut technik- und wirtschaftshistorische Lehrveranstaltungen im Rahmen des studium generale für Ingenieurstudenten an. Damit kehrte die Technikgeschichte in Dresden nach langer Abwesenheit – wenn auch zunächst nur fakultativ – in das Ausbildungsprogramm von Ingenieurstudenten zurück.
Die im Jahr 1991 gegründete Fakultät Geistes- und Sozialwissenschaften der TU Dresden bot eine neue Plattform, die mit der Neugründung des Instituts für Geschichte der Technik und der Technikwissenschaften auch genutzt wurde. Ab 1992 vertiefte sich das Lehrangebot nochmals, da zu diesem Zeitpunkt mit der Ausbildung von Lehramts- und Magisterstudenten auf technikhistorischem Gebiet begonnen wurde. Die Berufung von Thomas Hänseroth auf den Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte im Jahr 1993 stellt den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dar, die trotz Zäsuren Technikgeschichte an der TU Dresden als signifikante Wissenschaftsdisziplin ausweist. Seit 2005 war der Lehrstuhl Bestandteil des Instituts für Geschichte in der Philosophischen Fakultät und bot Lehrveranstaltungen für alle historischen Studiengänge an der TU Dresden an.
Zum Weiterlesen
- Thomas Hänseroth: Eine Gründungsschrift der Technikwissenschaftsgeschichte in Deutschland. Kommentar zu Gisela Buchheim: Zur Wechselwirkung von Naturwissenschaften und Technikwissenschaften in ihrer historischen Entwicklung (1978), in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 18 (2010) 3, S. 409-420. Zugang über SpringerLink link.springer.com/article/10.1007/s00048-010-0033-2