09.11.2020
Völkische Versuchungen und ihre theologischen Aspekte
Am Donnerstag, den 29. Oktober, fand in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek ein theologischer Fachtag statt.
Bildung ist der Schlüssel für einen konstruktiven Dialog
Eröffnet wurde der Fachtag von Prof. Dr. Julia Enxing (Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden) mit dem bekannten Zitat von Hans Scholl, Mitglied der Widerstandsbewegung Weiße Rose: „Nicht: Es muss etwas geschehen, sondern: Ich muss etwas tun.“
Der erste Vortrag widmete sich der Frage nach der Theologie Hitlers. Prof. Dr. Rainer Bucher (Universität Graz) referierte über Hitlers ausgeklügelte Strategien, die Sehnsüchte und Versuchungen der Menschen zu nutzen, um sie für seine politischen Bestrebungen zu gewinnen. Hitler evozierte z.B. das Verlangen nach identitätsstiftender Idylle einer ausgewählten Volksgemeinschaft ohne Verunsicherungen und Kränkungen. Die Weltanschauungen des Nationalsozialismus als „Theologie“ zu bezeichnen scheint blasphemisch. Prof. Dr. Buchner erklärte indes, inwieweit die von Hitler genutzten theologischen Konzepte seine politischen Machtbestrebungen verstärkten: Hitler ging von einer rassistischen Weltordnung aus, welche die sogenannte „arische Rasse“ zum „auserwählten Volk“ bestimmt habe. Die Eliminierung angeblich minderwertiger „Rassen“ sollte Erlösung bringen. Hitlers gnadenloses Gottesbild steht konträr zum christlichen Verständnis von einem barmherzigen Gott, der jeden Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat.
Nach einer kurzen Lüftungspause präsentierte uns Dr. Harald Lamprecht (Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens) seine Überlegungen zum Umgang mit völkischem Nationalismus im gegenwärtigen Christentum. Dabei erläuterte er das Konzept des sog. „Ethnopluralismus“, welches von völkisch argumentierenden Autor*innen vertreten wird. Sie meinen, dass es für jedes Volk eine geographisch feste Verortung gebe, die mit einer entsprechenden Kultur und Religion verknüpft sei. Eine Vermischung der Völker sei von Gott nicht vorgesehen. Diese Unterteilung in Völker scheint allerdings hinfällig, da es schon immer Migration gab. So gehörte beispielsweise auch das Christentum nicht immer zu Europa. Auch schöpfungstheologisch lässt sich diese Theorie widerlegen: Die Schöpfungserzählungen sprechen nur von der Erschaffung des Menschen, nicht aber von der Erschaffung verschiedener Völker. Die Vorstellung von Völkern wird in der Bibel erst als Folge des Sündenfalls in der alttestamentlichen Erzählung vom Turmbau zu Babel und der sogenannten „Sprachverwirrung“ thematisiert und neutestamentlich mit dem „Sprachwunder“ der Pfingsterzählung aufgehoben.
Nach einer Mittagspause wurden die Themen des Vormittags in Workshops vertieft. Zum einen lud Prof. Dr. Rainer Bucher zu einer Gesprächsrunde ein. Parallel dazu wurde ein Workshop zum Thema „Neue Rechte und Rechtspopulismus nicht bei uns Christ*innen?!“ von Dr. Petra Schickert (Kulturbüro Sachsen e.V.) angeboten. Die dritte Auswahlmöglichkeit bildete ein Online-Workshop zur Frage, inwieweit Verschwörungserzählungen und Populismus ähnliche Muster aufweisen. Er wurde von Dr. Julia Gerlach (Evangelische Akademie Sachsen) geleitet.
Der Fachtag konnte auch online über ein Videokonferenz-Tool verfolgt werden. Organisiert wurde er vom Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Beteiligt an der Vorbereitung und Durchführung waren vor allem Frau Prof. Dr. Monika Scheidler und Frau Prof. Dr. Julia Enxing. Außerdem haben die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen, die Evangelische Akademie Sachsen, das Kulturbüro Sachsen e.V., die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek sowie dresden CONCEPT zum Gelingen dieses Fachtags Theologie und Politik beigetragen.
Wir bedanken und bei allen Mitwirkenden und Referent*innen für einen gelungenen Fachtag und die neuen Denkanstöße.
Franziska Manthey & Sibylle König