31.03.2020
Lehrer*innen-Fortbildung zu Dilemma-Diskussion
Kurz vor der Corona-Pause, am 10.3.2020, traf sich eine Gruppe von 15 Personen vor dem Dresdner Polizeipräsidium in der Schießgasse am historischen Ort: Hier hatte Horst Weigmann im Januar 1944, als schon fast alle Dresdner Juden deportiert worden waren, wohl noch einmal überlegt, ob er wirklich versuchen sollte, seine Mutter zu retten. Die Jüdin Toni Weigmann, Horsts Mutter, war kurz zuvor von der Gestapo abgeholt und in eine Zelle im 6. Stock des Polizeipräsidiums gebracht worden, um deportiert zu werden. Horst hatte sich schnell eine Marke aus Bleck angefertigt – ähnlich einer Marke der Gestapo. Er wollte sich als „Schmidt von der Gestapo“ ausgeben und versuchen mit seiner Mutter zu fliehen. Auf dem Weg zum Gebäude in der Schießgasse 7, in dem sich heute die Polizeidirektion Dresden befindet, hat Horst wahrscheinlich noch einmal darüber nachgedacht, ob er seinen Plan wirklich umsetzen soll oder nicht.
Der tatsächliche Ausgang der Geschichte von Horst Weigmann und seiner Mutter wurde den Fortbildungs-Teilnehmer*innen vor dem Polizeigebäude nicht erzählt. Nachdenklich schweigend ging die Gruppe unter Leitung von Prof. Dr. Monika Scheidler (Institut für Kath. Theologie, TU Dresden), Markus Wiegel (Lehrer für Geschichte und Kath. Religion, Gymnasium Wilthen) und Dr. Herbert Lappe (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden) ins benachbarte Stadtmuseum.
Dort wurde nach einer Kennenlern-Runde der Lehrer*innen für Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde sowie Ethik oder Religion an Oberschulen / Gymnasien geklärt, worin der Kern des Dilemmas bzw. der Zwangslage von Horst besteht: Horst muss sich zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten entscheiden, die beide moralischen Grundsätzen widersprechen und negative Konsequenzen haben. Ähnlich wie es derzeit angesichts der Corona-Pandemie immer wieder vorkommt, dass Menschen nur zwischen zwei Übeln wählen können, gibt es auch für Horst keine dritte Alternative. Entweder er versucht, die Mutter zu retten und riskiert dabei, auch selbst gefangen genommen und deportiert / ermordet zu werden oder seine Mutter ist endgültig der Deportation und sehr wahrscheinlich dem Tod ausgeliefert.
Die Diskussion dieses Dilemmas erfolgte in zwei Meinungslagern – so, wie sich das Dilemma auch mit Schüler*innen ab Klasse 9 diskutieren lässt. Die Rückmeldungen zur methodischen Aufarbeitung dieser realen Geschichte für eine Dilemma-Diskussion durch die Lehrer*innen fielen erfreulich positiv aus. Insbesondere zeigten die Teilnehmer*innen Interesse an den Materialien zur Arbeit mit der Geschichte von Horst Weigmann, die zu finden sind unter: https://www.hatikva.de/sohn/
Text: Prof. Dr. Monika Scheidler