19.02.2018
"Was Multilateralismus in der heutigen Welt bedeutet, muss neu buchstabiert werden", sagen Prof. Dr. Verena Metze-Mangold und Dr. Roland Bernecker
Die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Verena Metze-Mangold, und der Generalsekretär, Dr. Roland Bernecker, wenden sich an die Mitglieder der Deutschen UNESCO-Kommission zu aktuellen Herausforderungen für die Weltgemeinschaft und für die UNESCO. Mit dem Einverständnis der Autoren veröffentlichen wir den Brief in Auszügen.
"Die mächtigste westliche Demokratie macht Ernst mit ihrer Ankündigung, ihre nationalen Interessen vornehmlich außerhalb des Multilateralismus zu vertreten. Der Rückzug aus Handelsverträgen und aus dem Pariser Klimaabkommen zielt in dieselbe Richtung. Diese Entwicklung wird die globale Ordnung der letzten Jahrzehnte voraussichtlich substanziell verändern. Auch in der UNESCO ist das spürbar. Wie realistisch ist aber diese vornehmlich auf nationale Interessen fokussierte Vorgehensweise wirklich angesichts der zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeiten der Staaten in Zeiten von Klimawandel, Terror, weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen, Finanzkrisen, Kulturgutzerstörung, Cyberkriminalität, künstlicher Intelligenz, synthetischer Biologie? Zwischenstaatliche Verständigung und abgestimmte internationale Normsetzung sind heute notwendiger, als sie das jemals waren. Das müssen wir nicht zuletzt in der UNESCO deutlich machen.
Die UNESCO steht aufgrund ihrer Mandatsbereiche Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kommunikation mehr als jede andere UN-Organisation für die humanistische Dimension politischen Handelns. Das macht sie zur prioritären Zielscheibe all jener, die davon überzeugt sind, dass – in den Worten von Hans Morgenthau – „universelle moralische Prinzipien nicht auf das Handeln von Staaten angewendet werden können.“ Die Absage an den von Helmuth Plessner beschriebenen politischen Humanismus wird, sollte sie sich zum neuen expliziten Paradigma des Multistaatensystems entwickeln, weitreichende Folgen haben. Die mittel- und langfristigen politischen und ökonomischen Kosten eines letztlich imperial gestimmten, also eines auf die ungehemmte Ausnutzung asymmetrischer Machtverhältnisse und regionaler Abhängigkeiten setzenden Unilateralismus, sind bestenfalls ungewiss. Diese politische Strategie setzt sich damit unkalkulierbaren Risiken aus.
Eine zentrale Frage der kommenden Jahre wird deshalb sein, wieviel Terrain wir in den politischen Debatten um die Inhalte, die Struktur und die Dynamik der internationalen Zusammenarbeit behaupten wollen und können. Im Rahmen der UNESCO ist Deutschland als starker Mitgliedstaat besonders gefragt. Gerade jetzt, da Deutschland dem Exekutivrat nicht angehört, ist das wesentlich. Die Mandatsbereiche der UNESCO und ihr Programm insbesondere zur Bildung und zum Kultur- und Naturerbe sind weltweit bedeutend. Sie vermitteln Haltungen und Werte, die Frieden, Gewaltlosigkeit, Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verpflichtet sind und die die Verantwortung jedes Einzelnen für ein menschenwürdiges Zusammenleben betonen. Angesichts des zunehmenden Populismus in vielen Ländern der Welt, auch in Europa, werden diese Programme dringend gebraucht. Sie können ihre volle Wirkungskraft jedoch nur mit einer stabil aufgestellten UNESCO entfalten.
Seit dem Jahr 2000 hat die UNESCO bereits erhebliche Reformschritte unternommen. Doch eine wirklich substanzielle Reform wurde immer wieder durch die Mitgliedstaaten selbst verhindert. Zu oft überwogen in Abstimmungen etwa zur Priorisierung der Aktivitäten Einzelinteressen von Regierungsvertretern die zielorientierte Weiterentwicklung der Organisation. Mitgliedstaaten, die eine starke UNESCO wollen, müssen sich noch viel intensiver für eine effektive Konsensfindung zum Wohle der internationalen Gemeinschaft einsetzen. Das gilt auch für uns. Was Multilateralismus in der heutigen Welt bedeutet, muss neu buchstabiert werden.
Neben den Mitgliedstaaten wird auch der neuen Generaldirektorin Audrey Azoulay eine entscheidende Rolle bei der weiteren Stärkung der UNESCO zukommen. Vor ihr liegen große Aufgaben. Dringend notwendig ist eine Eindämmung der politischen Instrumentalisierung der UNESCO, eine Konzentration der Aktivitäten auf wesentliche Prioritäten, eine Entlastung des Sekretariats von den überbordenden Berichterstattungspflichten, eine moderne Personalpolitik, eine effektivere Einbindung in das Gesamtsystem der Vereinten Nationen und nicht zuletzt eine angemessene finanzielle Ausstattung. Azoulay übernimmt die Führung der UNESCO in einer entscheidenden Situation. Wir werden sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen, um die wirksamen und innovativen globalen Programme der UNESCO weiter zu stärken."