Der gute Bürger. Erwartungshorizonte und Zuschreibungspraxen
Table of contents
Projektmitarbeiter
Academic staff MIDEM
NameDr. Steven Schäller
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Chair of Political Theory and History of Political Thought
Chair of Political Theory and History of Political Thought
Visiting address:
von-Gerber-Bau, Room 234 Bergstraße 53
01069 Dresden
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
NameDr. Maik Herold
Forschungsprojekt MIDEM
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Chair of Political Theory and History of Political Thought
Chair of Political Theory and History of Political Thought
Visiting address:
von-Gerber-Bau, Raum 224 Bergstraße 53
01069 Dresden
Office hours:
Sprechstunde nach Vereinbarung per E-Mail
Forschungsgegenstand des Projektes
Der Begriff des Bürgers verkörpert traditionell den klassischen Topos eines aktiven und gemeinwohlorientierten Verhaltens des Einzelnen im Gemeinwesen. Dies gilt nicht nur für antike Partizipationsvorstellungen oder die republikanischen Tugenddiskurse der Renaissance, sondern auch für die politische Kulturforschung der Gegenwart. Wie das Ideal des „guten Bürgers“ in den gesellschaftspolitischen Debatten der demokratischen Verfassungsordnungen des 21. Jahrhunderts ausgedeutet wird, gerät bei den vorliegenden Forschungsarbeiten zum Thema aber meist in den Hintergrund.
Die Frage nach dem „guten Bürger“ und seinen notwendigen Qualitäten, Fähigkeiten und Kompetenzen wird stattdessen vor allem als Frage nach dem historisch oder universell begründeten Kanon bürgerlicher Tugendanforderungen und dessen zeitgenössischer Relevanz interpretiert. Der Bürgerbegriff wird dabei als Mittel der Beschreibung einer bestimmten sozialen Rolle, eines tatsächlichen sozialen Status oder einer faktisch wahrgenommenen Funktion verstanden. Unter dieser Maßgabe dominieren Arbeiten aus der normativ ausgerichteten politischen Theorie und Moralphilosophie einerseits sowie der empirisch-analytischen Politikwissenschaft andererseits das Forschungsfeld.
Im Zentrum der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Bürger, Bürgerlichkeit und Bürgergesellschaft steht also für gewöhnlich die Frage, ob, wann und unter welchen Umständen – gerade auch vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher und politischer Herausforderungen – noch immer, nicht mehr oder wieder von „Bürger“ zu sprechen sei.
Die Frage aber, wie und in welcher Weise in den gesellschaftspolitischen Debatten der Gegenwart der Bürgerbegriff verwendet und inhaltlich ausgestaltet wird, inwiefern also der Topos des „guten Bürgers“ als Projektionsfläche dient, mit welchen konkreten Tugendanforderungen, Solidaritätszumutungen und Gemeinsinnserwartungen er dabei verknüpft und von welchen Negativmustern er jeweils abgegrenzt wird, steht dabei selten oder gar nicht im Fokus der Analyse.
Diese Frage möchte das Projekt beantworten, indem es die Idee des „guten Bürgers“ für die Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland in empirischer Hinsicht aufschlüsselt. Mit Hilfe einer kulturwissenschaftlich informierten, politikwissenschaftlichen Methodik werden dazu insgesamt sechs thematische Untersuchungsbereiche im Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vergleichend analysiert.
Jeder Untersuchungsbereich beschreibt eine spezifische Diskurskonstellation, in der der Bürgerbegriff typischerweise als Maßstab behandelt und mit spezifischen Wertvorstellungen, Verhaltenserwartungen oder Handlungsanweisungen verknüpft wird. Die Struktur der Untersuchung wird damit nicht durch traditionelle, oft starre Kategorisierungen – wie die Dichotomie bourgeois/citoyen, soziologische Konfliktmodelle oder Rollentypologien – vorgegeben, sondern durch die Frage nach der zeitgenössischen Verwendung des Begriffes im Diskurs.
In jedem dieser Kontexte wird der Topos des „guten Bürgers“ folglich mit vielfältigen, z.T. konkurrierenden Erwartungshorizonten – wie Altruismus, Risikofreude, Emotionalität, Opferbereitschaft oder Integrationswilligkeit – konfrontiert und ganz unterschiedlichen gesellschaftliche Praxen zugeschrieben. Die in den ausgesuchten Feldern vorliegenden, komplexen Variationen des Behauptens und Bestreitens von Bürgertugend, Bürgersinn oder Gemeinsinn scheinen dabei besonders in jenen Momenten analytisch greifbar, in denen Teile der unhinterfragten Geltungsvoraussetzungen politischer Ordnung zum strittigen Gegenstand öffentlicher Diskussionen werden.
Die Arbeitsbereiche des Projekts tangieren folglich auch einige jener zentralen Selbstverständigungsdebatten, in denen der konflikthafte Aushandlungs- und Umdeutungsprozess des Bürgerideals in der modernen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland Gestalt annimmt. Eine vergleichende Untersuchung, so die Ausgangshypothese des Projekts, ermöglicht es daher, nicht nur das zeitgenössische Verständnis von Begriffen wie Bürger, Bürgerlichkeit oder Bürgergesellschaft, sondern auch den Blick auf jene komplexen und voraussetzungsreichen Kohäsionskräfte zu schärfen, die wesentlich zum Zusammenhalt der demokratischen Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert beitragen.
Die Stärke des verwendeten methodischen Ansatzes liegt schließlich in seinem explorativen und innovativen Potential, denn damit geraten die prozesshaften Wandlungen und inneren Widersprüche der zeitgenössischen Bürgersemantik in den Blick, die in den bisher vorliegenden Arbeiten zum Thema vernachlässigt worden sind. Die Ergebnisse versprechen, die in Politik, Medien und Öffentlichkeit oft gestellten Fragen nach neuen Definitionen, Varianten, Lebensformen oder Parteien des Bürgerseins in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.
Pressestimmen
Bericht über das Forschungsprojekt in den Dresdner Neuen Nachrichten vom 03.12.2014, S. 13.
Offizielle Pressemitteilung der TU Dresden zum Forschungsprojekt
Pressemitteilung als PDF