Feb 18, 2021
"Künstliche Intelligenz im Kontext": Bericht zum Internen Workshop mit Prof. Dirk Baecker, Uni Witten/Herdecke, am 11. Februar
Am 11. Februar war Prof. Dr. Dirk Baecker (Universität Witten/Herdecke) zu Gast im Schaufler Kolleg@TU Dresden. Gegenstand des Workshops war sein Buch „Intelligenz, künstlich und komplex“ (Leipzig: Merve 2019).
In einem Eingangsstatement legte Baecker zunächst dar, dass die begrenzte Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens und Handelns auf der Basis von Daten zu vergangenen Aktivitäten zurückführe auf die Feststellung von Menschen als zutiefst sozialen Wesen. Diese Einsicht verbiete dennoch nicht die Aufrechterhaltung der Vorstellung eines freien Willens, da Menschen sich handelnd in komplexen Umgebungen bewegen, innerhalb derer stets eine Reihe von Umweltfaktoren auf konkrete Situationen einwirken. „Wir zählen nicht nur bis eins“: Menschliches Erleben, Verhalten und Handeln seien nie allein als kausale Folge intentionalen Bewusstseins zu verstehen, sondern müssten als Produkte eines Zusammenhangs gesehen werden, in dem ebenso organische Voraussetzungen, neuronale Vorgänge im Gehirn, (Computer-)Technik und Gesellschaft eine Rolle spielen. Auf die „angebliche Fähigkeit“ von adaptiven Algorithmen, soziale Prozesse maßgeblich vorherzusagen, entwirft dieses Modell eine kritische Perspektive, da die beteiligten Systemreferenzen nicht aufeinander reduzierbar und somit nicht miteinander verrechenbar seien. Intelligentes Verhalten sei in dieser Perspektive als Auswahl „angemessener Lösungen“ (W. Ross Ashby) oder „Einschränkung von Suchräumen“ (Herbert A. Simon) in komplexen Verhältnissen zu verstehen. Ereignisse innerhalb dieses „logischen Raums“ (Ludwig Wittgenstein) lassen sich laut Baecker als Zusammenhang mithilfe des Formkalküls George Spencer-Browns modellieren:
Die anschließende Diskussion berührte unter anderem den Begriff der Intelligenz und dabei auch die Frage, wer oder was beurteilt, was als intelligent gelte. Außerdem ging es um die Bedeutung von statistischen Räumen in den Künsten. Nicht alleine Überraschungen, sondern vor allem deren Bewertung sei ein wichtiger Faktor in der Einbindung von künstlicher Intelligenz in kreative Prozesse, kommentierte Baecker eine Anmerkung von Michael Klipphahn zu Unbestimmtheit und künstlerischer Produktivität. Lukas Nehlsen fragte kritisch nach der Rolle wissenschaftlicher Beobachter:innen, die Theorien von KI und Gesellschaft schreiben: Zählen diese in ihrer Festlegung auf eine Perspektive nicht zunächst nur bis eins, bevor sie bis fünf oder mehr zählen können? Schließlich erkundigte sich Ann-Kathrin Koster nach Machtfragen im logischen Raum und Lutz Hagen regte abschließend weitere Überlegungen in der Verortung von Medienepochen an.
Die Diskussionen im Workshop zeigten auf, dass sozial- und geisteswissenschaftliche Auseinandersetzungen mit KI vor allem den komplexen Charakter von deren Einbettung in gesellschaftliche Realitäten beschreiben können. KI agiert nie autonom, sondern innerhalb vielschichtiger sozialer Kontexte, deren Reflexion die Promotionsprojekte im Schaufler Kolleg@TU Dresden gewidmet sind.
Bericht: Richard Groß
Richard Groß verfasst seine Promotion im Fach Soziologie zum Thema Deep Learning als soziale Situation. Intelligente Infrastrukturen, informationelle Emergenz und Kommunikation. Seine Betreuenden sind Prof. Dr. Dominik Schrage und Juniorprofessorin Dr. Susann Wagenknecht |