17.07.2019
JUCK! – Schwedinnen tanzen sich ins Dresdner Kurzfilmherz
Samstagabend halb 8, das Kleine Haus in Dresden. Drei junge Damen schlendern entspannt um die Ecke und schlagen den Weg zum Pförtnereingang ein. Es sind drei Schwedinnen – Shirley Harthey Ubilla, Cajsa Godeé, und Kiana Rezvani –, die gleich in Schulmädchenuniform auf der Bühne ihr Becken entschlossen im Takt nach vorn stoßen werden. Kurz zuvor haben sie sich mit mir zu einem Gespräch getroffen.
JUCK – das ist eine schwedische Performance-Gruppe, die durch ihren Tanz Normen reflektieren, überschreiten und neu verhandeln wollen. Die insgesamt sechs Streetdance Performerinnen finden 2012 zusammen und veröffentlichen ein Jahr später ihren ersten selbst produzierten Film, der kurze Zeit später bereits ein viraler Hit wird. Durch die Zusammenarbeit mit der schwedischen Rapperin Silvana, über die zu dieser Zeit eine Doku gedreht wird, lernen sie die späteren Produzentinnen ihres prämierten Kurzfilms JUCK! (2018) kennen. Der Film räumt bei nationalen und internationalen Filmfestivals diverse Preise ab (u.a. New York's LGBTQ Film Festival, Palm Springs ShortFest, Berlinale). Beim 31. Kurzfilmfestival in Dresden geht er im internationalen Wettbewerb an den Start und gewinnt den Filmpreis für GeschlechterGerechtigkeit. Der Sonderforschungsbereich „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ lädt JUCK ein, um während Preisverleihung aufzutreten.
Ihr „signature move“, wie sie ihn selbst bezeichnen, ist die rhythmische Beckenbewegung, mit der ihre Reise begann. Shirley berichtet vom gemeinsamen Prozess des Austestens, was mit den Körpern der Frauen passiert, wenn sie ihr Becken nach vorn stoßen. Sie spricht von seltsamen Schamgefühlen, aber auch von kraftvoller Ermächtigung des eigenen Körpers und dessen Limitationen.
Der Kurzfilm zeigt einen ästhetisch äußerst ansprechenden Einblick in eine Welt, in der feministische Fragen, festgeschriebene Geschlechterrollen und die Grenzen des Zeigbaren ausgelotet und verhandelt werden sollen. Das Skript des Filmes ist in enger Zusammenarbeit mit den Produzentinnen entstanden: Ideen seitens JUCK sind maßgeblich eingeflossen. Beide Parteien sind sich jedoch bewusst, dass der Film nur eine der unzähligen Perspektiven auf die Kunst von JUCK sein kann. Er zeigt, wie die sechs uniformierten Frauen die eigenen Grenzen testen, mit ihrer Performance Normen bildlich aufrufen und sofort wieder einreißen, wie sie in öffentlichen Räumen agieren und auf sie reagiert wird. Im Gespräch erzählen sie mir von den Unterschieden der Publikumsreaktionen der gebuchten und ungeplanten Street-Performances. In öffentlichen Räumen seien die Hemmungen geringer, sie werden angerempelt, weggedrängt, beschimpft. Sie wissen vorher nie, was passieren wird. Es seien aber definitiv mehr Männer, oder Menschen, die sie zumindest als Männer lesen, schiebt Cajsa nach, die von ihrer Performance provoziert werden und entsprechend handeln. Oft werden sie rüde nach den Gründen ihrer Bewegungen gefragt. Frauen hingegen scheinen die Erfahrung, mit den Limitationen des Körpers umgehen zu müssen, besser nachvollziehen zu können. Shirley berichtet von Reaktionen, die durch Ermächtigung und Emanzipation gekennzeichnet sind, wenn sie ohne Scham ob ihres Aussehens ihre Performances bestreiten.
JUCK sind sich dennoch sehr bewusst, dass sie sich oftmals in geschützten Rahmen bewegen: Mittlerweile werden Sie häufiger direkt von Interessenten gebucht und treten vor informierten Publikum auf. Online-Kommentare zu ihren Videos zeigen häufig ein wesentlich differenzierteres Bild: positive wie negative Kommentare treiben die jungen Frauen an, geben ihrer Leidenschaft einen Sinn, lassen sie von mehr träumen. Nach Workshops in Chile und einer gelungenen Premiere der Produktion „Juck loves Lilith“ im März 2019 in Stockholm, wollen sich die Performerinnen nun gleichsam nach außen und innen wenden. Cajsa möchte internationaler werden, ohne ihren CO²-Fußabdruck zu sehr in die Höhe zu treiben. Shirley betont die Bedeutsamkeit des Reflexionsprozesses: Was bedeutete JUCK bis jetzt und was soll JUCK in Zukunft ausmachen?
Das Publikum der Preisverleihung des Dresdner Kurzfilmfestes scheint mitgerissen und doch peinlich berührt, wenn die Frauen während ihres Auftritts ins Publikum steuern und vor einzelnen Zuschauern einige lange Momente stehen bleiben und Blickkontakt halten. Der kulturelle Wert solcher Performances ist nicht zu unterschätzen und so warte ich gespannt auf Neuigkeiten aus Schweden – vielleicht sogar im Kino. Scherzend stellen sie nämlich am Ende fest, dass ihre Filme immer länger werden und sie vom eigenen Hollywood-Blockbuster träumen.