11.11.2019
Tagungsbericht
"Spöttische Imitation. Die Anfänge bildparodistischer Verfahren in der Frühen Neuzeit"
11. - 13.09.2019 an der Sächsischen Akademie der Künste, Dresden
Die interdisziplinäre Tagung wurde vom kunstgeschichtlichen Teilprojekt F „Parodie und Pasquinade. Gestalt und Genese von Modernisierungsprozessen frühneuzeitlicher Kunst“ des Dresdner SFBs 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ in Kooperation mit der „Sächsischen Akademie der Künste“ veranstaltet. Das Teilprojekt untersucht Bildparodien und literarische Formen künstlerischer Schmähung als Ausdruck invektiver Kunstkommunikation in der frühen Neuzeit. Im Mittelpunkt stehen dabei Techniken der Devaluation, insbesondere Parodien, die Werke oder deren Urheber der Lächerlichkeit preisgeben, indem sie bekannte Motive und stilistische Merkmale in ebenso unpassende wie abwertende Kontexte überführen. Solche Bildparodien sind von der kunsthistorischen Forschung bislang weitgehend unbeachtet geblieben, sodass vor allem eine theoretische Verortung des Phänomens noch aussteht. Hierfür konnten die Beiträge aus Kunstgeschichte, Literatur- und Kulturwissenschaften wichtige Impulse setzten.
Eröffnet wurde die Tagung mit einer feierlichen Begrüßung durch den Vizepräsidenten der Sächsischen Akademie der Künste Dr. Jörg Bochow sowie durch den Sprecher des SFB 1285 Prof. Dr. Gerd Schwerhoff.
An diese schloss sich ein Abendvortrag von JÜRGEN MÜLLER (Dresden) an, der als Leiter des Teilprojekts einführend einen Abriss zur Begriffsgeschichte der Parodie – von Aristoteles und Quintilian über Scaliger bis ins 20. Jahrhundert – lieferte. Parodien zitieren demzufolge eine bekannte Vorlage und verkehren deren Bedeutung in ihr Gegenteil, womit meist eine Herabsetzung oder Kritik einhergeht. Damit bewegen sich Parodien zwischen Nachahmung und Emanzipation und können so einen bestehenden Kanon paradoxerweise sowohl kritisieren als auch stabilisieren. Müllers Beobachtungen zufolge lässt sich in dieser Hinsicht eine Entwicklung nachzeichnen: Die Parodie avanciert von einem ‚Nebengesang‘ im Sinne einer Ausgleichsästhetik, wie sie beispielsweise Aristoteles beschreibt, zu einem ‚Gegengesang‘, der etablierte Normen subversiv unterläuft und einen eigenständigen, entgegengesetzten Beitrag formuliert. Parodien sind dabei „Übertreibungen von bereits Übertriebenem“, dienen der Pathosvermeidung und machen auf den Konstruktionscharakter bestimmter Motive oder Traditionen aufmerksam. Als eine derart kritische ‚Gegenrede‘ und als erste Bildparodie der Frühen Neuzeit deutet Müller Albrecht Dürers Bremer „Frauenbad“ (1496). Damit Parodien überhaupt möglich sein können, bedarf es erstens eines festen Kanons an zitierbaren Vorbildern, die zweitens durch Reproduktionsverfahren Verbreitung finden und bekannt gemacht werden konnten und drittens einer etablierte Kunstnorm, in diesem Fall der imitatio-Lehre, deren allzu akribisches Befolgen als historisch überkommen zu erkennen geben wird. Auch wenn diese Normen kurz vor 1500 noch in der Entstehung begriffen waren, deutet Müller Dürers Federzeichnung auf Grund der von den nackten Frauenkörpern hervorgerufenen Venus-Allusionen, die durch die Anwesenheit der so ungeschönt dargestellten Alten geschickt gebrochen werden, als parodistische Kritik an antiken Kunstidealen, die im zunehmenden Maß auch nördlich der Alpen an Verbindlichkeit gewannen.
JÖRG ROBERT (Tübingen), der sich als Teilprojektleiter des Tübinger SFBs 1391 mit den Wechselwirkungen von Sprachpolitik und Literaturästhetik in der frühen Neuzeit auseinandersetzt, betrachtete Parodien unter dem Aspekt einer „anderen Ästhetik“ am Beispiel des deutschen Antipetrarkismus. Einen Zugewinn im Hinblick auf eine Theoriebildung bot Roberts literaturwissenschaftlich fundierte Unterscheidung zwischen Parodien, die sich gegen einen einzelnen Text, einen Künstler oder ein Motiv richten („Einzelreferenz“) und solchen, die gegen ein Textsystem („Systemreferenz“) polemisieren. Seiner These zufolge ist die spöttische Imitation kanonischer Texte und traditioneller Muster als Teil einer Sprach- und Literaturdebatte über Legitimation zu verstehen. Als Beispiel führte er Andreas Gryphius parodistisches Sonett „An Jolinden“ (1658) an, das sich im Stile Petrarcas verfasst gegen zeitgenössische Schmink- und Schönheitsideale ausspricht und diese als bloße Maskerade entlarvt, hinter der sich eine hässliche Wahrheit verberge. Das epigrammatisch zugespitzte Gedicht benutzt die eingängige Form des Petrarca-Sonetts, um im Zusammenspiel mit der Schmink-Metapher auf die gestelzten Nachahmungsversuche der Petrarkisten aufmerksam zu machen, die sich des bekannten Musters bedienten, um ihren Worten vermeintlich mehr Autorität zu verleihen. Erneut steht die (falschverstandene) imitatio veterum im Zentrum der parodistischen Kritik. Die Parodie dient hier als „ästhetische Reflexionsfigur“ und richtet sich, indem sie Form und Inhalt voneinander trennt und auf deren inneren Widerspruch aufmerksam macht, gegen als überholt empfundene Stil- und Kunstnormen. Dabei argumentiert sie in zwei Richtungen, und kritisiert in formaler Hinsicht bestimmte Form- und Gestaltungsregeln sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Funktionen.
Im folgenden Vortrag eröffnete HARALD WOLTER-VON DEM KNESEBECK (Bonn) eine neue, performative Lesart auf Darstellungen des spätmittelalterlichen Veilchenschwanks von Neidhart von Reuental als „Parodien höfischer Bewegungscodes“. Als Fallbeispiel diente ihm der Figurenfries des großen Wendelsteins der Albrechtsburg in Meißen, der die sogenannten Neidhartstänze in 13 Einzelbildern wiedergibt. Die Darstellung des von den Bauern aufgeführten Tanzes kann als parodistische Nachahmung auf den ebenfalls gezeigten höfischen Reigen und die damit verbundenen Gesellschaftsnormen und Ideale gelesen werden. Dabei beweisen die Reliefs eine hohe Sensibilität für die Bewegungsmuster des höfischen Zeremoniells und wissen diese dezidiert mit den plumpen Bewegungen der Bauernfiguren zu konterkarieren. Die Inszenierung der Neidharttänze fällt wie ähnliche Darstellungen der profanen Wandmalerei, so von dem Knesebeck, in den Kontext der karnevalesken Rollenverkehrung. Die Figur des Bauern, wie in der Diskussion betont wurde, markiert in diesem Zusammenhang eine ständische Differenz, dient aber gleichzeitig dazu, höfische Verhaltensnormen und Bewegungscodes lächerlich zu machen. Derartige Bilder einer „verkehrten Welt“ enthalten also eine moralische Botschaft und zeugen von einem bestimmten Ordnungswissen, das, auch wenn es in dem parodistischen Reigen der Bauern der Lächerlichkeit Preis gegeben wird, als Norm sichtbar bleibt.
HANS AURENHAMMERs (Frankfurt a. M.) Beitrag schenkte dem eigenwillig gestalteten „Götterfest“ von Giovanni Bellini Aufmerksamkeit, das dieser 1514 im Auftrag des Herzogs Alfonso I. d’Este für den Hof von Ferrara angefertigt hatte. Bellini präsentiert die zentrale Figurengruppe vor einem waldigen Hintergrund, der in der linken Hälfte von Tizian durch einen dicht bewachsenen Hügel übermalt wurde. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Bacchanals-Szene mit einer Episode aus der Geschichte von Lotis und Priapus kombiniert ist, widersetzen sich Bellinis „allzu menschliche Götter“ doch tradierten ikonografischen Mustern. Lediglich die Assistenzfiguren, Satyrn und Nymphen, entsprechen dem bekannten decorum. Dabei könnte, so ein Vorschlag aus der Diskussionsrunde, der Satyr am linken Bildrand als einleitende Figur den ironischen Unterton des Gemäldes vorwegnehmen. Bestätigung findet dieser durch weitere Irritationsmomente wie die Darstellung von Bacchus als kleinem Kind und die ironisch verzerrten Attribute der Götter. Insgesamt gleicht die Inszenierung der feiernden Götter eher einem Theaterspiel unter Hofleuten als einem göttlichen Gelage, was Aurenhammer dazu führt, hier von einer „Mythenparodie“ zu sprechen. In der Diskussion wurde weiterhin der metareflexive Ansatz des Gemäldes besprochen, wird doch durch die theatrale Inszenierung des Malers das ‚Darstellen‘ dargestellt und so in gewissem Sinne die Bildparodie in den Dienst eines Diskurses über die Möglichkeiten der Malerei gestellt.
Der folgende Beitrag von GIUSEPPE PETERLINI (Dresden), Doktorand des kunsthistorischen Teilprojekts, führte von Ferrara nach Rom. Unter dem Titel „Qui gigantibus ferit, gigantibus perit!“ beleuchtete er eine bisher unbeachtete Michelangeloparodie von Giulio Romano in der Villa Madama. Dort zeigt ein Wandfresko die überlebensgroße Darstellung des schlafenden Polyphems, die Peterlini als Bildparodie auf Michelangelos „Jona“ in der Sixtinischen Kapelle erkennt und im Sinne einer „mock heroic“ auf den Renaissancemeister deutet. Beide Darstellungen verbindet eine kompositionelle Ähnlichkeit, wobei Romano aus der Gestalt des weisen Propheten einen plumpen Zyklopen formt, der auf der Haut eines Seeungeheuers eingeschlafen von winzigen Satyrn gepiesackt wird, was das tragische Pathos des Vorbildes in sein Gegenteil verkehrt. Die „halböffentliche Arena“ der Villa Madama, die nur ausgewählten Personen zugänglich war, diente als politischer Repräsentationsraum für Auftraggeber und Künstler, der mit der Anspielung auf die Sixtinische Kapelle und dem damit betriebenem „intellektuellen Scherz“ seine Gelehrsamkeit unter Beweis stellte und die Kenntnisse seines Publikums herausforderte. Doch beeinflusst die Parodie auf Michelangelos „Jona“ nicht nur die Wahrnehmung des Vorbildes und setzt dieses herab; sie ist auch in einem größeren Rahmen als eine invektive Form der Machtdemonstration im Streit um die ökonomische sowie kulturelle Hegemonie in der römischen Kunstszene zwischen Raffael und Michelangelo zu verstehen – ein Konkurrenzkampf, den die Schülergeneration um Giulio Romano einerseits und Sebastiano del Piombo andererseits erbittert fortführte. In theoretischer Sicht hilft die von Peterlini angesprochene Unterscheidung zwischen „Modellparodie“, die ein bestimmtes Kunstwerk oder Motiv ins Auge fasst, und „Stilparodie“, die gegen die stilistischen Eigenheiten eines Künstlers gerichtet ist, die Beschreibung parodistischer Bildverfahren zu verfeinern.
Auch in Frankreich waren die Inversionsspiele der italienischen Künstler beliebt, wie CHRISTINE TAUBERs Vortrag (München) bestätigte, die sich mit „Witz, Ironie, Parodie, Travestie am Hof von Fontainebleau“ auseinandersetzte. Nach dem insbesondere von Giorgio Vasari deklarierten Ende der Kunstgeschichte durch die scheinbar unübertreffbaren Meister der Hochrenaissance bot die parodistische Gegenüberstellung im Sinne eines ironischen Überbietungsgestus der nachfolgenden Generation die Möglichkeit, den vermeintlich fixen Kanon zu unterlaufen und zu erweitern. Ein Anliegen, das für die Malerei des Manierismus von besonderer Bedeutung war, die sich durch einen hohen Grad an Selbstreferenzialität auszeichnet und sich „im Paragone überhaupt erst konstituiert“. Als Beispiel führte die Referentin Agnolo Bronzinos „Allegorie der Liebe“ (um 1545) an. Wie Tauber zeigen konnte, beinhaltet das Gemälde vielschichtige und klug dissimulierte Anspielungen auf die Bildwelt Raffaels – besonders auf eine Darstellung der „Heiligen Familie“, die sich ebenfalls in der Sammlung von König Franz I. von Frankreich befand – wobei Bronzino aus der keuschen Szene eine Allegorie der Lust machte. Die Sexualisierung des Bildpersonals ‚profanisiert‘ das religiöse Thema, pervertiert das Beziehungsgeflecht innerhalb der Heiligen Familie und entzaubert seinen Schöpfer und vor allem seine zahllosen Nachahmer. Bronzinos parodistische Anspielungen auf Raffael und den imitatio-Diskurs bieten so einen entscheidenden Impuls für einen Modernisierungsprozess der Malerei; eine Aufgabe, die Parodie im System der Künste immer wieder übernehmen.
Der Vortrag von SERAINA PLOTKE (Bamberg) „Text-Bild-parodistischer Schlagabtausch in pro- und antireformatorischen Flugschriften“, widmete sich der Rolle parodistischer Invektiven in Text-Bild-Konstellationen der Reformationsstreitigkeiten. Neue Technologien wie der Buchdruck mit bewegten Lettern ermöglichten es, die unterschiedlichen Positionen in Form von Flugblättern und -schriften erstmals vor einem breiten, heterogenen Publikum zu inszenieren. Das emblemartige Zusammenspiel von Holzschnitten, Versen und Bildüber- und -unterschriften greift dabei auf die etablierte Ästhetik der Narrenliteratur zurück, wie sie z. B. durch Sebastian Brants „Narrenschiff“ bekannt wurde. Insgesamt zeichnet sich das „mediale Duell“ der Reformationszeit durch einen schnellen Schlagabtausch und eine unmittelbare Bezugnahme auf die Motivik der Gegenseite aus. Das lässt sich besonders gut an der Flugschrift „Novella“ von 1523 nachvollziehen, die im Kontext der Leipziger Disputation entstanden ist. Dem Leser bietet sich ein intermediales Spiel mit bekannten Motiven und Inhalten, das im Titel mit dem Versprechen der (kommerziell ausgenutzten) Neuigkeit wirbt. Die Protagonisten inszenieren einen pro- und antireformatorischen Diskurs, der sich, unterstützt durch die Holzschnitte, unter anderem als Parodie auf das Titelblatt von Thomas Murners Schrift „Vom großen Lutherischen Narren“ erweist, dezidiert deren Motive wiederholt und in ihr semantisches Gegenteil verkehrt. Parodie, so ließe sich zusammenfassen, bedeutet den Gegner mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen.
Im folgenden Vortrag sprach FRANK SCHMIDT (Dresden) über „Parodistische Inversionen im Werk von Urs Graf“. Das Oeuvre des Schweizer Künstlers weist zahlreiche inverse Zitate auf, die einen parodistischen Hintergrund nahelegen, greifen sie doch bewusst antikisierende Motive auf und pervertieren deren Bedeutung. Vor diesem Hintergrund schlug Schmidt eine neue Lesart des Blattes „Satyr und Frau, Jupiter opfernd“ (1513) vor, die den versteckten Antikenzitaten und ihrer bewussten Dekontextualisierung und Neuzusammenstellung Aufmerksamkeit schenkte. Dabei erwies sich die im Bildhintergrund dargestellte Stele als entscheidender Hinweis. Deutet man diese nicht als Grenzstein, sondern erkennt in den Attributen des Huts und des gespaltenen Barts einen Hinweis auf den alttestamentarischen König Salomo, könnte die steinerne Stele als stummes Mahnmal dienen, das vor der fleischlichen Liebe und dem falschen Götzendienst warnt. Im Zusammenhang mit den promiskuosen Figuren im Vordergrund, die mit ihren Gesten und Körperhaltungen überraschenderweise an die Darstellung einer Venus pudica bzw. an den „Apoll von Belvedere“ erinnern, könnte es sich um eine weitere parodistische Kritik am nordalpinen Antiquarismus handeln. Das Motiv der Spiegelung, das zum einen in der spiegelverkehrten inscriptio und zum anderen in der Überblendung der Figur des Satyrs mit der Salomos vorhanden ist, kann, wie in der Diskussion betont wurde, als Verweis auf die parodistische Inversion des Blatts gelesen werden. Interessant ist hier, dass diese parodistische Dimension weniger spöttisch als vielmehr ernst und kritisch daherkommt, was dem Blatt eine kommentierende Rolle im kunstpolitischen Geschehen seiner Zeit zukommen lässt.
HOLE RÖẞLERs (Wolfenbüttel) Beitrag zu „Druckgrafischen Invektiven jenseits der Karikatur“ thematisierte die Unterscheidung zwischen Karikatur und Parodie. Erstere richtet sich gegen eine realweltliche Person, deren physiognomische Merkmale sie überzeichnend verspottet. Der von Rößler vorgeschlagene Begriff der „Porträt-Parodie“ bezieht sich hingegen auf die Bearbeitung einer bildlichen Vorlage, eines Porträts also, wobei entweder die spezifische Art und Weise, wie eine Person dargestellt ist („Einzelreferenz“) oder bestimmte übergreifende Gattungskriterien („Systemreferenz“) modifiziert werden können. Porträt-Parodien zielen darauf ab, die soziale Funktion des druckgrafischen Porträts umzukehren, womit sie den mittelalterlichen Ehrenstrafen in Gestalt von Schandbildern nahestehen. Das prestigeträchtige Bildnis, das von der Prominenz ihrer Protagonisten berichtet, wird in eine bildnerische Beleidigung verwandelt, die nicht zuletzt die Rezeption des Dargestellten gezielt beeinflussen konnte. Im Falle der „Einzelreferenz“ lässt sich differenzieren: Entweder konnte die Erinnerung der porträtierten Person im Sinne der damnatio memoriae durch ein anderes Bild getilgt werden, wie Rößler an einer Porträtgrafik von John Pym, Wortführer der Parlamentspartei des englischen Unterhauses zur Zeit Karls I. von England, zu zeigen wusste, dessen Züge mit denen von Philipp Melanchthon überschrieben wurden. In anderen Fällen, und hier greifen die bekannten Mechanismen der Parodie, wurde das Bild des Entehrten nicht vollständig vernichtet, sondern nur soweit entstellt, dass die gezeigte persona non grata noch erkennbar blieb, um ihre negativen Seiten auszustellen.
Abschließend sprach LEA HAGEDORN (Dresden), ebenfalls Mitarbeiterin im kunsthistorischen Teilprojekts, über William Hogarth in seiner Doppelrolle als „parodierender und parodierter Künstler“. Dabei konnte die Referentin Hogarth überzeugend als Dreh- und Angelpunkt in einer Debatte über Traditions- und Modernisierungsprozesse im England des 18. Jahrhunderts darstellen. Für Hogarth, der mit seinen „modern moral subjects“ einen genauso selbstsicheren wie provokanten Beitrag gegen die akademischen Normen formulierte, bot das parodistische Aufgreifen bekannter Stile oder Motive die Möglichkeit, Kritik an der imitatio-Lehre und gleichzeitig an populären Vorbildern (Rembrandtmode) zu üben und sich dennoch in prestigeträchtige Traditionen einzuschreiben (Raffael). So halten „Paul before Felix“ und stärker noch die burleske Version des Blattes von 1751 scharfzüngige Invektiven gegen die zeitgenössische Rembrandt-Mode bereit, überzeichnet Hogarth doch holländische Stilmerkmale und verunglimpft das Figurenpersonal der ursprünglich Raffaelesken Gerichtsszene. Für die Funktion von parodistischen Bildfindungen besonders erhellend ist, dass Paul Sandbys beinahe zeitgleich entstandene „Anti-Hogarth-Serien“ wiederum dessen Motive aufgriff und in parodistischer Manier verhöhnte. Sandbys Grafiken richten sich dabei gegen den Antiakademismus seines Kontrahenten und waren um eine Stabilisierung der etablierten Kunsttraditionen bemüht. Sandby stellt Hogarth als Parodisten wider Willen dar, der sich aus reinem Unvermögen und Unverständnis heraus der Parodie im Sinne unfreiwilliger Komik bedient habe. (Bild-)Parodien können also eine paradoxe Doppelfunktion besitzen und sowohl als subversives als auch als normstabilisierendes Element innerhalb einer Debatte fungieren. In der Diskussion wurde vorgeschlagen, zwischen Parodie und parodistischer Argumentation zu unterscheiden, setzten Hogarth wie auch Sandbys Werke doch nicht ein bestimmtes Bild, einen Künstler oder eine Gattung herab, sondern stellen einen synthetischen Querschnitt an Vorbildern und Referenzen zusammen, die in der bildinternen Argumentation in parodistischer Weise gegeneinander ausgespielt und für die ein oder andere Seite instrumentalisiert werden wurden.
Parodien, so lässt sich abschließend festhalten, sind historisch wandelbar und können medial vielfältig ausfallen, wie nicht zuletzt die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung widergespiegelt hat. Ihnen ist gemeinsam, dass sie eines mehr oder weniger etablierten Kanons bedürfen, dem sie sich mittels dekontextualisierter Zitate und Anspielungen humoristisch bis polemisch entgegenstellen können. Bildparodien sind Kunstwerke zweiter Ordnung, ihre klug dissimulierten Anspielungen verzeitlichen den Rezeptionsvorgang, fordern das Wissen ihrer Betrachter hinaus, enttäuschen ihre Erwartungen und sorgen, wird der bildinterne Witz entschlüsselt, oftmals für hämisches Gelächter. So tragen sie einen symbolischen Konflikt über bestehende Normen aus, die sie, durch die dissonante Kopräsenz von Tradition und Moderne, von Norm und Devianz als historisch überkommen charakterisieren. In diesem Sinne tragen Bildparodien bis heute einen wichtigen Teil zu Dynamisierung und Modernisierung des Kunstgeschehens bei.
Ein Tagungsband ist in Vorbereitung.
Text: Johanna Hornauer
Kurzübersicht
Mittwoch 11.09.2019
Begrüßung durch den Vizepräsidenten der Sächsischen Akademie der Künste Dr. JÖRG BOCHOW und durch den Sprecher des SFBs 1285 Prof. Dr. GERD SCHWERHOFF
JÜRGEN MÜLLER (Dresden): Gegenbilder. Die Anfänge der Bildparodie in der Renaissance
Donnerstag 12.09.2019
JÖRG ROBERT (Tübingen): Parodie und Pasquinade – literaturwissenschaftliche Perspektiven
HARALD WOLTER-VON DEM KNESEBECK (Bonn): Der Hof und seine Bewegungscodes als Ziel bildparodistischer Darstellungen. Zur Vorgeschichte von Bildparodie und Pasquinade im Spätmittelalter
HANS AURENHAMMER (Frankfurt a. M.): Allzu menschliche Götter - Bellinis Götterfest als Mythenparodie?
GIUSEPPE PETERLINI (Dresden): Qui gigantibus ferit, gigantibus perit! Eine bisher unbeachtete Michelangeloparodie von Giulio Romano in der Villa Madama
CHRISTINE TAUBERT (München): Witz, Ironie, Parodie, Travestie am Hof von Fontainebleau
SERAINA PLOTKE (Bamberg): Text-Bild-parodistischer Schlagabtausch in pro- und antireformatorischen Flugschriften
Freitag 13.09.2019
FRANK SCHMIDT (Dresden): RETIBUI HCI REFPO RID – Parodistische Inversionen im Werk von Urs Graf
HOLE RÖSSLER (Wolfenbüttel): Porträt-Parodie. Druckgrafische Invektiven jenseits der Karikatur
LEA HAGEDORN (Dresden): William Hogarth. Parodierender und parodierter Künstler