13.11.2019
»Er donnerte den Ball butterweich in die Maschen«
In der Fußballberichterstattung findet man zahlreiche sprachliche Muster
Dr. Simon Meier-Vieracker ist Sprachwissenschaftler an der Professur für Angewandte Linguistik an der TU Dresden und untersucht unter anderem, wie die Kommunikation in digitalen Medien abläuft. Dazu nutzt er computerbasierte Methoden, wie zum Beispiel das sogenannte Text Mining, ein Analyseverfahren, das mit Algorithmen arbeitet und mit dem man Bedeutungsstrukturen in Texten aufspüren kann. Dies wendet Simon Meier-Vieracker seit rund fünf Jahren auch auf die Sprache der Fußballberichterstattung an.
UJ: Dr. Meier-Vieracker, wieso haben Sie sich die Sprache der Fußballberichterstattung als Untersuchungsgegenstand gewählt?
Meier-Vieracker: Ich hatte schon einige Zeit davor begonnen, mich mit computergestützten Methoden der Text- und Sprachanalyse zu beschäftigen. Diese Schnittstelle aus Linguistik und Informatik finde ich sehr interessant und zukunftsträchtig. Ich suchte dann einen ergiebigen Forschungsgegenstand, um diese Methoden zu nutzen, und fand ihn in der Fußballberichterstattung. Das lag für mich nahe, da ich sowieso gerne die Spielberichte und Liveticker dieses Sports lese.
Konnten Sie dabei bereits auf ältere Forschungsergebnisse zurückgreifen?
Forschung zur Sprache der Fußballberichterstattung gibt es schon länger. Diese arbeitet aber mit traditionellen Methoden. Indem ich mich dem Gegenstand mit digitalen Werkzeugen widme, bin ich gewissermaßen in eine Marktlücke gestoßen.
Warum ist die Fußballberichterstattung auch bei näherem Hinschauen sprachlich interessant?
Sie bietet ein faszinierendes Wechselspiel aus Routine und Kreativität mit vielen sprachlichen Mustern. Denn einerseits findet die Berichterstattung unter großem Zeitdruck statt. So müssen oft schon während eines Spiels Berichte in verschiedenen Versionen geschrieben werden, weil man nicht weiß, wie das Spiel ausgehen wird. Der jeweils zutreffende Bericht geht dann sofort nach Spielende online. Hierbei wird mit Phrasen und Versatzstücken gearbeitet, die sich von Bericht zu Bericht wiederholen, um Zeit zu sparen. Andererseits bewegt Fußball viele Menschen und muss daher kreativ und expressiv beschrieben werden. Daher kommt man mit den digitalen Analysemethoden zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass in vielen Sätzen innerhalb der Spielberichte Sätze mit ähnlicher Syntax vorkommen, die wirken wie Schablonen. Diese Schablonen werden dann mit verschiedenen Verben und Adjektiven gefüllt, die die emotionale Ebene bedienen sollen. Um das zu demonstrieren, habe ich für Twitter den Liveticker-Generator @randomlivetext programmiert, der nach Zufallsprinzip Verben, Adjektive und andere Wörter in diese Schablonen einfügt. So entstehen dann auch skurrile Satzschöpfungen wie: »Er donnerte den Ball butterweich in die Maschen«.
Dabei hat Kollege Computer einen Satz zusammengebaut, der keinen Sinn ergibt. Doch diejenigen, die die Spielberichte verfassen, bemerken solche Fehler doch?
Mehr und mehr Fußball-Spielberichte werden von Algorithmen geschrieben. Denn die Fußballberichterstattung ist Vorreiter in puncto vollautomatischer Journalismus. Auf der vom DFB betriebenen Seite www.fussball.de wird bis hinab zu den Amateurligen über jedes Spiel computergeneriert berichtet. Die automatische Berichterstattung funktioniert immer dann, wenn sich Texte gewissermaßen schematisch aus Versatzstücken zusammenfügen lassen, so zum Beispiel auch bei Börsenberichten. Vergleicht man diese Berichte mit denen, die Menschen geschrieben haben, bemerkt man dennoch den Unterschied. Denn der Computer arbeitet meist mit einem Übermaß an Präzision, ohne kleine Unregelmäßigkeiten. Bei komplexeren Texten, die Hintergrundwissen und Einfühlung verlangen, wird meiner Meinung nach zudem auch in Zukunft der Mensch als Schreiber oder Schreiberin gefragt sein.
Wie reagiert die Öffentlichkeit auf Ihre Forschungsergebnisse, die Sie zum Beispiel in Ihrem Blog www.fußballlinguistik.de, aber auch in Ihren Lehrveranstaltungen und Publikationen weitergeben?
Wenn man zeigt, dass Texte technisch reproduzierbar sind, bestätigt das einen Eindruck, den viele Menschen haben: Journalismus besteht zum Teil aus Phrasendrescherei. Bei einem eher lockeren Thema wie Fußball finden die meisten das auch nicht schlimm, sondern erwarten es geradezu. Fußball ist ja bei alledem immer noch ein Spiel. Anders ist das bei der Politik, deren Berichterstattung ich ebenfalls untersuche. Hier erwarten die Leute mehr als Phrasen. Interessant wird es für mich, wenn sich die beiden Themen Fußball und Politik berühren. Ein bezeichnendes Ereignis gab es kürzlich bei Schalke 04: Als dessen Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies Äußerungen tätigte, die ein großer Teil der Öffentlichkeit als rassistisch einstufte, distanzierte sich die Mehrheit der Schalke-Fanschaft ausdrücklich davon. Dieses Auftreten wirkte mit großer Strahlkraft wiederum in die Öffentlichkeit hinein.
Die Fragen stellte Beate Diederichs.
Auf seinem Blog www.fussballlinguistik.de veröffentlicht Simon Meier-Vieracker regelmäßig kleinere Forschungsergebnisse zum Thema Sprache und Fußball. Für interessierte Nutzer stellt er hier auch Forschungsdaten für eigene Analysen zur Verfügung.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 18/2019 vom 12. November 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.