20.05.2021
Wie wir von Bäumen lernen können, uns selbst zu hinterfragen
Literaturwissenschaftlerin Dr. Solvejg Nitzke über ihr neues Forschungsprojekt zur Kulturpoetik der Bäume
Bäume haben einen merklichen Einfluss auf unser Wohlbefinden und nicht nur Naturfreunde schätzen die erholsame Wirkung eines Waldausflugs auf Körper und Geist. Dieser Effekt von Bäumen auf ihre Umwelt ist auch an zahlreichen Autor:innen nicht spurlos vorbeigegangen und damit sind Bäume selbstverständlich auch ein Thema für die Literaturwissenschaft.
Im von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume (Making Kin with Trees)“ beleuchtet Dr. Solvejg Nitzke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur, die Beziehung zwischen Menschen und Bäumen in Literatur und Kultur in den kommenden zwei Jahren genauer. Die Bäume stehen ganz klar im Zentrum, denn „wir leben in der Welt der Bäume, nicht umgekehrt.“
Das kulturwissenschaftliche Projekt möchte dabei die theoretische Grundlage dafür schaffen, um die verschiedenen Baumerzählungen miteinander vergleichen und einordnen zu können. Zentral sind dafür unter anderem Fragen über die Rolle der rhetorischen und erzählerischen Mittel wie der Vermenschlichung oder warum Autor:innen sich dem Baum thematisch überhaupt zuwenden. „Dabei stellen sich auch grundsätzliche Fragen für die Wissenschaften, die sich am Ende alle sprachlich miteinander austauschen: Wie kann Wissen über Bäume vermittelt werden?“
In der Forschung spielen Pflanzen und Bäume eher als Bild oder Modell für Anderes vor. Für sich selbst stehen sie nur selten. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt möchte Solvejg Nitzke zeigen, dass Bäume eine deutlich größere Tragweite haben, weil sie kulturpoetisch wirksam werden: Statt nur der Artikulation menschlicher Bedürfnisse zu dienen, fordern Bäume die Erzählenden und Lesenden dazu auf, ihr Verhältnis zu sich selbst und ihrer Umwelt zu hinterfragen. Sie sind also nicht nur passive Akteure, sondern durchaus handlungsfähig: „Sie rücken uns mit einigem Druck aus dem Zentrum der Weltdeutung.“
Ihr Forschungsmaterial findet Solvejg Nitzke medien- und genreübergreifend. Sie liest sich nicht nur durch Bücher zu historischer Forstökologie, blättert durch Romane, Lyrik und Nature Writing, sondern arbeitet auch disziplinübergreifend, indem Sie Filme, Comics, Ausstellungen, Dokumentationen und Formate digitalen Storytellings als Quelle nutzt: „Wichtig ist, dass es um eine Erzählsituation geht, aber das fasse ich hier bewusst im allerweitesten Sinne“.
Weil Bäume auch in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Disziplinen im Fokus stehen, erweist sich ihr Forschungsprojekt auch über die Literatur- und Kulturwissenschaft hinaus als anschlussfähig: „Ich habe bisher noch nie so konsequent in ständigem Austausch gearbeitet – mit Kolleginnen und Kollegen aus den Literaturwissenschaften, die auch Pflanzen erforschen, aber auch mit dem Botanischen Garten der TUD und vielen Leuten, die zum Beispiel auf Twitter und von dort aus in Podcasts und allen möglichen Wissenschaftskommunikations-Formaten Interesse zeigen und die besten Fragen stellen. Ich bewege mich also gerade in sehr interessanten Grenzräumen der Forschung“.
Wer sich nicht bis Buchveröffentlichung gedulden möchte, kann das Projekt auch auf dem Blog ecologies.hypotheses.org begleiten
Informationen für Journalisten:
Öffentlichkeitsarbeit des Bereichs Geistes- und Sozialwissenschaften
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