Memorandum zum Stand der Barrierefreiheit von Studienmaterialien und Prüfungsaufgaben an bundesdeutschen Hochschulen
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 4. Workshops „Erstellung barrierefreier Dokumente für Studium und Beruf“ am 20./21.04.2018 an der Universität Hamburg und des Symposiums „Easy Access: Building Bridges for better Access to Information“ am 13.06.2018, veranstaltet vom DAISY-Consortium, der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) und der Universität Leipzig, haben Ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die aktuelle Barrierefreiheit von Studienmaterialien und -dokumenten sowie Prüfungsaufgaben und -materialien für Studierende mit Behinderung an bundesdeutschen Hochschulen nicht den Ansprüchen einer Hochschulbildung entspricht, die sich den Leitkategorien der Inklusion und Diversität verschrieben hat. Diese Situation aufgreifend, legen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner folgendes Memorandum vor.
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Im Einklang mit Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention1und dem „General comment No. 4“ des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen2gilt es, alle Verantwortlichen eindringlich darauf hinzuweisen, dass für eine verlässliche Barrierefreiheit von Studienmaterialien und -dokumenten und von Prüfungsaufgaben und -materialien,
- ein konkreter Maßnahmenkatalog erarbeitet,
- Fristen der Umsetzung und Mechanismen der Evaluation festgelegt sowie
- die notwendigen Finanzmittel bereitgestellt werden müssen.
Dazu gehört auch, an dieser Stelle erneut darauf zu drängen, die Ausgestaltung des Gesetzes zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie über einen verbesserten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zugunsten von Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung3so vorzunehmen, dass Menschen mit Beeinträchtigung des Sehens oder anderen Leseeinschränkungen der voll umfängliche, unbürokratische und kostenneutrale Zugang zu Werken der Literatur, Kunst und Wissenschaft in hoch qualitativen barrierefreien Formaten ermöglicht wird. Nur so können in diesem Bereich das Recht von Menschen mit Behinderung auf angemessene Vorkehrungen umgesetzt und spürbare Fortschritte in der Teilhabe im Hochschulbereich erlebbar werden.
Um die „Barrierefreiheit von Studien- und Prüfungsdokumenten“ voll umfänglich sicherstellen zu können, müssen u. a. folgende Aspekte fokussiert werden:
- Umfängliche und belastbare Beschreibung der Gruppe der potentiellen Nutzerinnen und Nutzer4
- Auf- und Ausbau der Umsetzungsdienste / Servicestellen (befugte Stellen) für die Aufbereitung und Bereitstellung barrierefreier Dokumente (Studienliteratur, Skripte und Reader, Präsentationshandouts, Prüfungen etc.)
- Bundesweite Vernetzung der Umsetzungsdienste / Servicestellen (befugte Stellen) für die Aufbereitung und Bereitstellung barrierefreier Dokumente
- Transparentes und zügiges Anerkennungsverfahren der Umsetzungsdienste / Servicestellen als befugte Stellen
- Verzicht auf Vergütungen oder Aufnahme der Vergütung in die Regelungen der Pauschalvergütungen der Hochschulen
- Entwicklung und Implementation eines stabilen, auskömmlichen bundesweiten resp. länderübergreifenden Finanzierungssystems der Umsetzungsdienste / Servicestellen (befugte Stellen)
- Explizite Einbeziehung der Zugriffsmöglichkeiten von Studierenden mit Behinderung auf Umsetzungsdienste / Servicestellen (befugte Stellen), der Barrierefreiheit von Prüfungsformaten und E-Learning Plattformen in den Punkt „Studierbarkeit für Studierende mit Behinderung“ innerhalb der Akkreditierungsverfahren.
Alle Maßnahmen zur Barrierefreiheit von Studien- und Prüfungsdokumenten für Studierende mit Beeinträchtigungen verankern sich in dem Konzept des Universal Designs for Learning (UDL), sind eng verwoben mit der Strategie zur Digitalisierung der Hochschulbildung und tragen zur Entwicklung einer Diversität anerkennenden, inklusiven Hochschullandschaft bei.
Die Erarbeitung und Implementierung dieses Maßnahmenkatalogs ist unter Einbeziehung aller Akteure (insbesondere der Studierenden mit Behinderung, der Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und der Behindertenverbände sowie der fachlichen Expertise aus Forschung und Handlungsfeldern) vorzunehmen und in den jeweiligen Strategien der verantwortlichen Institutionen verbindlich zu verankern.
Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner
(in alphabetischer Reihenfolge)
Gerhard Althaus. Universitätsbibliothek Dortmund, Service für Blinde und Sehbehinderte (SfBS)
Dr. Franz-Josef Beck. Vorsitzender des Arbeitskreises Medienzentralen für Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung des Sehens
Prof. Dr. Sven Degenhardt. Universität Hamburg, stellv. Beauftragter für die Belange der behinderten Studierenden nach § 88 HmbHG
Elke Dittmer. Vorsitzende der Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V. (Medibus)
Dieter Feser. Vorsitzender des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e. V. (VBS)
Margita Gürtler. Vorsitzende des Vereins Anders lesen und lernen e.V.
Klaus Hahn. Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e. V. (DBSV)
Prof. Dr. Thomas Kahlisch. Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB)
Maria Kaminski. Vorsitzende des Bundesverbandes Autismus Deutschland e.V.
Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten. Technische Hochschule Mittelhessen, Zentrum für blinde und sehbehinderte Studierende (BliZ)
Dr. Birgit Rothenberg. Technische Universität Dortmund, zhb / dobus Bereich Behinderung und Studium
Christine Sczygiel. Vorsitzende des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e.V.
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer. Universitätsbibliothek Hagen, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Rainer Stiefelhagen. Karlsruher Institut für Technologie, Studienzentrum für Sehgeschädigte
Prof. Dr. Gerhard Weber. Technische Universität Dresden, AG Studium für Blinde und Sehbehinderte
Ursula Weber. Vorsitzende des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS)
Prof. Dr. Felix Welti. Universität Kassel, Beauftragter für Studium und Behinderung
Fußnoten
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Der Begriff wurde und wird insbesondere im Rahmen der Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie genutzt. Dazu u. a.
http://www.wipo.int/treaties/en/ip/marrakesh/#treaties,
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017L1564&from=DE,
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Marrakesch-Richtlinie.html
Die englische Umschreibung „print disability“ verweist deutlicher auf die Barriere, die in der Interaktion mit dem gedruckten Lesegut verortet ist; im deutschen Sprachgebrauch hat sich die Formulierung der Lesebehinderung durchgesetzt. -
Eine mögliche Beschreibung aus der gemeinsamen Stellungnahme des Verbundes: Universität Hamburg, Technische Hochschule Mittelhessen, Technische Universität Dortmund, Karlsruher Institut für Technologie, Technische Universität Dresden (S. 2): „Menschen mit Behinderung im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die eine körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung haben und nicht in der Lage sind, Sprachwerke genauso leicht zu lesen, wie dies Personen ohne eine solche Beeinträchtigung möglich ist. Das kann insbesondere der Fall sein bei Blindheit, Sehbehinderung, motorischen Einschränkungen, Wahrnehmungsstörungen, Autismus Spektrum Störung, Dyslexie oder Legasthenie“; diese und vergleichbare Vorschläge unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Marrakesch-Richtlinie.html