Aug 24, 2020
Mathematische Modellierung und Computersimulation helfen zu verstehen, wie Turmorzellen wachsen
Ein fundamentales Bauprinzip multizellulären Lebens ist, dass es zwischen festen, flüssigen und gasförmigen Phasen hin- und herschalten kann: Zellen bewegen sich in der Gasphase unabhängig und bilden in der Flüssigphase lockere Verbünde oder im Festzustand dichte Gruppen. Einsichten in die Mechanismen solcher Phasenübergänge sind entscheidend zum Verständnis der Entwicklung von Organen und Organismen, aber auch für die Regulation von Wundheilung und chronischen Krankheiten, wie der Invasion von Tumoren. So kommt es beim Einwachsen von entarteten Zellen zu einer ungewollten Verflüssigung eines vorher intakten festen Gewebes.
In einer interdisziplinären Studie identifizierten biologische, biophysikalische und mathematische Forschungsgruppen aus den Niederlanden, Italien und Deutschland nun einen neuen Schaltmechanismus. Ein am ZIH der TU Dresden entwickeltes Zelluläres-Automaten-Modell für kollektive Zellbewegung und entsprechende Computersimulationen ermöglichten den Test verschiedener Hypothesen. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dem Bindegewebe eine entscheidende Rolle zukommt: schon allein die Veränderung der räumlichen Begrenzung in der Umgebung kann die Verflüssigung bzw. Verfestigung des Gewebes regulieren. In ihrer Studie kombinierten die Wissenschaftler Gewebekulturen von Brustkrebszellen und Lebendmikroskopie mit innovativer mathematischer Modellierung und regulierten die Stärke der Zell-Zell-Kontakte mit molekularen Methoden. Sie zeigen, dass Tumorzellen, selbst ohne starke Zell-Zell-Kontakte, als Gruppe in einem flüssigkeitsartigen Zustand wandern, wenn das Gewebe die Zellvereinzelung verhindert. Dieser Befund ermöglicht tieferes Verständnis für den Übergang von einer lokalen zu einer metastasierender Tumorerkrankung.
Die internationale Zusammenarbeit wurde von Prof. Dr. Peter Friedl (Radboud Universität Nijmegen, Niederlande) koordiniert. Prof. Dr. Andreas Deutsch, Jörn Starruß und Simon Syga vom ZIH der TU Dresden waren für die mathematische Modellierung verantwortlich. Die Ergebnisse sind ab dem 24. August 2020,16:00 GMT in der Fachzeitschrift Nature Cell Biology frei verfügbar: URL: https://www.nature.com/articles/s41556-020-0552-6