27.04.2016
Dresdner Forscher realisieren im SFB 639 funktionsintegrativen Fahrzeugsystemträger in Textil-Thermoplast-Bauweise
Der im Jahr 2004 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtete Sonderforschungsbereich (SFB) 639 „Textilverstärkte Verbundkomponenten für funktionsintegrierende Mischbauweisen bei komplexen Leichtbauanwendungen“ fand Ende 2015 seinen erfolgreichen Abschluss. Die resultierenden Erkenntnisse und entwickelten Technologien aus zwölf Jahren Forschung flossen in den generischen Demonstrator "Funktionsintegrativer Fahrzeugsystemträger" (FiF) ein. Der in neuartiger Textil-Thermoplast-Bauweise aufgebaute Technologiedemonstrator ist ein Nutzfahrzeug in modernem Design für den urbanen, kommunalen oder innerbetrieblichen Transport. Auf der Hannover Messe 2016 präsentieren die Forscher den Fahrdemonstrator erstmals der Weltöffentlichkeit.
In den fünf Projektbereichen des SFB 639 erforschten die Wissenschaftler neuartige Textilverbunde mit thermoplastischen Matrixsystemen. Unter den textilverstärkten Verbundwerkstoffen bietet besonders die noch junge Werkstoffgruppe der Hybridgarn-Textil-Thermoplast-(HGTT-)Verbunde viele Vorteile gegenüber konventionellen Materialien. HGTT-Verbunde zeichnen sich unter anderem durch hohe Festigkeit und Steifigkeit bei gleichzeitig geringer Masse, die einstellbaren Dämpfungs- und Crasheigenschaften, die große Vielfalt textiler Verfahren und Strukturen, die zahlreichen Möglichkeiten der Funktionsintegration, die wirtschaftliche und reproduzierbare Fertigung, die Serientauglichkeit sowie durch ihre Recyclingfähigkeit aus. Das bisher noch ungenutzte Potential der HGTT-Verbunde ist deshalb für künftige Leichtbauanwendungen in den unterschiedlichsten Branchen höchst interessant.
Leichtbau durch Funktionsintegration
Durch die Verwendung der im SFB 639 entwickelten Textil-Thermoplast-Technologien konnte im Demonstratorfahrzeug FiF eine Leichtbauweise mit hoher Funktionsintegration realisiert werden. Eine hochintegrative Fahrzeugstruktur, bestehend aus lediglich zwei tragenden Systemen – der Fahrzeugkabine und der Tragstruktur, an der Fahrwerk und Antrieb angebunden sind – sorgt für einen hohen Leichtbaugrad bei gleichzeitig minimalem Fertigungsaufwand. Die Anzahl der Bauteile für die gesamte tragende Fahrzeugstruktur wurde auf sechs hochintegrierte Bauteile reduziert. Darüber hinaus demonstrieren die SFB-Wissenschaftler im FiF die Integration einer Vielzahl struktureller, elektrischer und adaptiver Funktionen. Das gesamte Fahrzeug ist durchsetzt mit einem werkstoffeingebetteten Sensornetzwerk, das die Datenkommunikation im Demonstrator übernimmt und Informationen – beispielsweise zum lokalen Werkstoffzustand – empfängt, verarbeitet und an Bedienerschnittstellen weiterleitet.
Ein Beispiel für eine aktive, selbstüberwachende und -regelnde Funktion ist die im SFB 639 entwickelte adaptive Biegefeder, die im FiF erstmals verbaut wurde. Ein in der Biegefeder integriertes Sensornetzwerk mit eingebetteter Dehnungsmessung erlaubt die Online-Zustandsüberwachung sowie die Regelung der Aktorik zur Anpassung der Federsteifigkeit. Die neuartige hybride Konstruktion – bestehend aus HGTT-Deckschichten und einem Aluminiumrahmen – ermöglicht eine Veränderung des Bauteilquerschnittes infolge einer Druckbeaufschlagung, wodurch eine Anpassung der Federsteifigkeit an den aktuellen Beladungs- bzw. Belastungszustand des Fahrzeuges realisiert werden kann. Die im SFB 639 entwickelten integralen Sensornetzwerke können, neben der Erfassung des aktuellen Betriebszustands und der Dokumentation von Lastkollektiven und Überlastereignissen auch für die frühzeitige Detektion äußerlich nicht erkennbarer Veränderungen in der Verbundstruktur (Structural Health Monitoring) eingesetzt werden.
Auf der Hannover Messe vom 25. bis 29. April 2016 präsentieren die SFB-Wissenschaftler den generischen Fahrdemonstrator FiF am Messestand der Sächsischen Energieagentur (SAENA) in Halle 2 Stand A45 erstmals der Weltöffentlichkeit.
Abschlussfachkolloquium als Auftakt
Zum Abschlussfachkolloquium des SFB 639 im Dezember 2015 präsentierten die beteiligten Wissenschaftler in Dresden ihre Forschungsergebnisse. Der Sprecher des SFB 639, Prof. Dr.-Ing. habil. Werner Hufenbach, sagte über die historische Bedeutung des SFB: „Als wir 1998 die ersten Ideen zum späteren Sonderforschungsbereich formulierten, galten wir in Fachkreisen als Exoten. Niemand konnte sich vorstellen, dass aus Textilien ein Fahrzeug hergestellt werden kann. Der funktionsintegrative Fahrzeugsystemträger FiF zeigt deutlich, wie wichtig es ist, Visionen nach vorne zu lenken. Im SFB 639 haben wir die Grundlagen geschaffen, die nun bereit sind für die Anwendung in der Industrie.“
Der Rektor der TU Dresden, Prof. Dr.-Ing. habil. Hans Müller-Steinhagen, betonte: „Der SFB 639 hat in außergewöhnlichem Maße dazu beigetragen, den Wissenschaftsstandort Dresden zu stärken und seine Sichtbarkeit zu erhöhen. Das Abschlussfachkolloquium ist kein Abschluss, sondern der Auftakt zu neunen innovativen Forschungsprojekten, die auf den Ergebnissen des SFB 639 aufbauen.“
Die Forschungsarbeit des SFB 639 zeichnete sich durch eine durchgängige Betrachtungsweise aus. Die Wissenschaftler untersuchten den gesamten Entwicklungs- und Fertigungsprozess – vom Filament bis hin zum fertigen Leichtbauteil. So konnten sie Lücken in der Technologiekette identifizieren und schließen, um die Durchgängigkeit in der Wertschöpfungskette zu gewährleisten. „Am Leichtbau-Standort Dresden sind wir in der besonderen Lage, die gesamte Entwicklungskette auf drei Ebenen abzubilden: Werkstoff-, Prozess- und Simulationsebene“, so Prof. Hufenbach.
Zwölf Jahre Spitzenforschung
Unter der Führung des Instituts für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden arbeiteten im SFB 639 insgesamt zehn Dresdner Forschungseinrichtungen: Wissenschaftler der Fakultäten Maschinenwesen sowie Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Dresden mit Forschern des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme, des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik sowie des Leibniz-Instituts für Polymerforschung. Ziel des SFB 639 war die Erarbeitung von wissenschaftlichen Grundlagen und Methoden zur Entwicklung und Nutzung neuartiger Textilverbunde für innovative Mischbauweisen mit hoher Funktionsintegration. Der SFB 639 wurde über zwölf Jahr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einer Gesamtsumme von rund 33 Millionen Euro gefördert.
Kontakt
Technische Universität Dresden
Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik
Prof. Dr.-Ing. Niels Modler
Geschäftsführer SFB 639
Tel.: 0351 / 463 38156
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