Energetische Simulation dynamischer Produktionsnetze
Überblick
Motivation
Das Projekt ESProNet basiert auf dem Konzept industrieller Symbiosen, die nach der Definition von Chertow den physischen Austausch von Material und Energie traditionell getrennter (Produktions-)Einheiten zum beiderseitigen Wettbewerbsvorteil bedeuten (Chertow 2000). Die am weitesten entwickelte Form der Industrial Symbiosis ist in Eco Industrial Parks anzutreffen, wobei das am besten dokumentierte Beispiel in Kalundborg, Dänemark zu finden ist (Abbildung 1).
Obwohl das Konzept große ökonomische, ökologische, soziale sowie regionale Entwicklungspotentiale hat (Singh 2016), ist die Verbreitung verhältnismäßig gering (Liwarska-Bizukojc und Bizukojc 2018; Massard et al. 2014). Das liegt insbesondere an zusätzlichen Abhängigkeiten zwischen Produktionssystemen, welche die in den letzten Jahren ohnehin angestiegene Komplexität weiter ansteigen lassen (Bacudio et al. 2016; Deshpande 2015; Fichtner et al. 2005; Golev et al. 2015). In der Untersuchung dieser Abhängigkeiten liegt die Motivation von ESProNet, da insbesondere in der Analyse- und Anbahnungsphase einer Symbiose die größten Unsicherheiten für die Entscheidungsträger bestehen (Hodge 2007).
Zielstellung und Überblick
Im Fokus des Projektes steht die Analyse und Bewertung von Symbiosepotentialen bei unternehmensinternen sowie -übergreifenden Symbiosen. Da Symbiosen eine gewisse Heterogenität voraussetzen (Arentsen et al. 2016; Chertow 2000), liegt der Schwerpunkt in der Untersuchung großer Industrieunternehmen, energieintensiver Branchen und Industrieparks, was sich auch in der Auswahl der assoziierten Partner widerspiegelt.
Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die Analyse- und Anbahnungsphase von Symbiosen, in denen die schlechte Datenverfügbarkeit ein großes Problem darstellt. Das Problem verschärft sich bei externen Symbiosen um ein vielfaches, da interne Daten an potentielle Partner weitergegeben werden müssten (Golev et al. 2015), weshalb der Abstraktionsgrad des Modellierungsansatzes bewusst grob gewählt wurde. Das Projektkonsortium geht davon aus, dass der Effizienzsprung einen möglichen Modellfehler durch grobe Daten übersteigt. Die Analyse erfolgt zweistufig: Zunächst erfolgt die Erfassung und die Ermittlung des statischen Symbiosepotentials. Bei der Identifikation möglicher Einflussmaßnahmen, schließt sich eine dynamische Analyse mit einem eigens dafür entwickelter Simulationsbibliothek an.
Systemerfassung und Potentialanalyse
Zur Erfassung des Produktionssystems wurden verschiedene grafische als auch nicht-grafische Verfahren hinsichtlich der Anwendbarkeit in ESProNet vor dem Hintergrund von Industrial Symbiosis geprüft. Dazu wurde ein Anforderungskatalog aufgestellt, der folgende Kriterien umfasst u. a.:
- Grafische Darstellung mit Layout-Bezug,
- Hierarchische Darstellung, mindestens über die Zuordnung zu verschiedenen Hierarchieebenen,
- Übersichtlichkeit und Erweiterbarkeit,
- Darstellung unterschiedlicher Datenverfügbarkeiten,
- Darstellung der Herkunft und Verwendung bestimmter Ressourcen (Material und Energie),
- Darstellung von Reihenfolgebeziehungen und
- Ggf. Software-Unterstützung.
Als Basisverfahren dient das Ressourcenflussdiagramm, das die höchste Überdeckung mit dem Anforderungskatalog hat. Die Erweiterung umfasst insbesondere Elemente des Input-Output-Modells (Leontiefmodell), Energiewertstrommethode und der Material and Energy Flow Analysis. Ein Beispiel für eine solche Erfassung ist in Abbildung 2 zu sehen.
Die darauf aufbauende Potentialanalyse beinhaltet die Auswertung von Potentialkennzahlen, die auf dem Prinzip des Deckungsgrades beruhen. Der Deckungsgrad ist das Verhältnis einer Teil- zu einer Gesamtmenge (Plötz 2018). Es werden drei Deckungsgrade unterschieden, wobei die Berechnung in der dargestellten Reihenfolge jeweils mehr Daten erfordert (Tabelle 1). Daher kann nach jeder Berechnung ein Abbruch erfolgen, sollte ein Deckungsgrad nahe null liegen.
Ausgehend von dieser Bewertung des Gesamtdeckungsgrads kann das statische, physikalische Symbiosepotential in Form der im Projektzeitraum übertragbaren Ressourcenmenge für unterschiedliche Szenarien angegeben werden. Sofern sich Symbiosepotential ergibt, schließt sich daran die ökonomische Bewertung durch Amortisationszeit für investierende Einheiten und ökologische Bewertung durch CO2e-Einsparung an. Der Vergleich erfolgt immer anhand eines Basisszenarios, das den Ist-Stand des Systems repräsentiert.
Simulation
Für die Analyse dynamischer Produktionssysteme und wechselseitig abhängiger Prozesse, ist die vorausgegangene statische Analyse nicht ausreichend. Daher schließt sich eine dynamische Analyse in Form der Simulation an. Das verwendete Tool ist SimulationX, das die Modellierungssprache Modelica verwendet und insbesondere bei der Berechnung physikalischer Systeme Anwendung findet.
SimulationX greift auf Bibliotheken zur Modellierung zurück, wobei im Rahmen des Projekts ESProNet eine vollkommen neue Bibliothek entwickelt wurde. Diese berücksichtigt einerseits Spezifika industrieller Symbiosen andererseits den Abstraktionsgrad, der durch die Datenverfügbarkeit in der Anbahnungsphase vorgeben ist. Die Bibliothek umfasst Ressourcenmodelle, bei denen zwischen Hauptprodukten, Hilfs-, Neben- und Betriebsstoffen sowie Abfällen unterschieden wird. Der Zustand von Ressourcen wird über Enthalpie und Druck definiert, die in Beziehung zur Temperatur gesetzt werden. Abbildung 3 zeigt das beschriebene 3D-Kennfeld für Wasser. Darüber hinaus werden der Heizwert, temperaturabhängige Dichte und spezifische Wärmekapazität und bestimmte Fixpunkte (z. B. Schmelztemperatur und -enthalpie) angegeben.
Weiterhin umfasst die Bibliothek Basisbausteine in den Domänen Material, Wärme/Kälte, Elektrizität, die in Abbildung 4 zu sehen sind. Ein Modell zur Berechnung der Enthalpie bei Druckänderungen wird insbesondere für die Modellierung von Kreisprozessen (z. B. eines ORC-Prozesses) verwendet.
Die dargestellten Basisbausteine repräsentieren Hauptfunktionen, wie Quellen, Speicher / Lager, Senken, Temperaturänderungen etc., und bilden die Basis für die Explikation komplexerer Bausteine bzw. Modelle in einem hierarchischen Ansatz. Ein Beispiel dafür ist eine Rohrleitung, die ein warmes Medium führt (Abbildung 5). Es besteht aus einem Steuerungsteil (grün) und der Berechnung des Kreisprozesses (rot-blau).
Im Modell wird ein beliebiges flüssiges oder gasförmiges Medium erwärmt, das zwei Lager durchläuft, zur Wärmeabgabestelle fließt und über ein Lager abgekühlt zurück zur Wärmequelle fließt. Die Lager repräsentieren dabei die Rohrleitungen, wobei die Modellierung des Vorlaufs über zwei Lager nötig ist, um das Anfahrverhalten einer Wärmeleitung zu imitieren. Das Verhalten ist an den Graphen zu sehen, wobei die Wärmeabgabe sprunghaft und zeitversetzt zum Wärmeeintrag ansteigt.
Die Domäne der Elektrizität berücksichtigt drei Energiemixe mit lokalem Bezug auf Deutschland: Energiemix Stand 2018, prognostizierter Energiemix 2050 und vollständig regenerative Energieerzeugung. Der ökologische Einfluss wird durch CO2-Äquivalent ausgedrückt.
Die Verifikation der Modelle erfolgt durch eine Abweichungsanalyse mit etablierten physikalischen Modellen. Abbildung 6 zeigt die Analyse des ESProNet-Wärmetauschers im Vergleich mit dem Modell von Wenger Engineering GmbH (Wenger Engineering GmbH).
Die Bibliothek wird zur Berechnung interner sowie externer Symbiosen im dynamischen Umfeld verwendet. Ein Beispiel für eine interne Symbiose ist die Abwärmenutzung in einer Abwasseraufbereitungsanlage zur Erhöhung der Abbaurate in Biogasreaktoren. Das Modell in Abbildung 7 zeigt alle relevanten Komponenten.
Die Abwasseraufbereitung besteht aus einem Einlaufbecken, der Klärung in mehreren Stufen und der Entsorgung von Biogas in einem BHKW, das den erzeugten Strom ins Netz einspeist. Die Wärme wird lediglich zum geringen Teil zur Warmwasserbereitung für angrenzende Büros verwendet, der Großteil wird an die Umgebung abgegeben. Der Ansatz sieht vor, den Einlauf des Biogasreaktors im Bedarfsfall (z. B. im Winter) zu heizen und somit höhere Abbauraten und folglich höhere Biogasausbeute zu erreichen, da die Aktivität der Bakterien im Biogasreaktor hochgradig temperaturabhängig ist (Abbildung 8).
Im Ergebnis konnte eine höhere Netzeinspeisung im Heizbetrieb (+ 12,8 %) erreicht werden und die Kapazität der Biogasreaktoren durch Temperaturführung erhöht werden. Abbildung 9 zeigt die obere Hüllkurve des Basisszenarios (rot) und die untere Hüllkurve des Rekuperationsszenarios (grün). Die Graphen zeigen, dass der CH4-Output im Basisszenario in seltenen Fällen die schlechtesten Ergebnisse des Rekuperationsszenarios übersteigen.
Förderhinweis
Das Forschungsvorhaben wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - Anwendungsorientierte nichtnukleare FuE im 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung gefördert. Die Projektlaufzeit beträgt vier Jahre und endet im Mai 2020.
Forschungsstellen
Projektleitung
TU Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Professur für Technische Logistik
Prof. Schmidt
https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/itla/tl
Beteiligte Lehrstühle
TU Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Professur für Energieverfahrenstechnik
Prof. Beckmann
https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/ifvu/evt
TU Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Fakultät Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insb. Systementwicklung
Prof. Esswein
https://tu-dresden.de/gsw/wirtschaft/sysent
Projektteilnehmer
ASG Spremberg GmbH
http://www.wirtschaftsraum-spremberg-spreetal.de
BGH Edelstahl Freital GmbH
http://www.bgh.de/de/standort-freital.html
BMW Group – Werk Leipzig
https://www.bmwgroup-werke.com/leipzig/de.html
ESI GmbH
https://www.esi-group.com/de
Kontakt
Mr Martin Maiwald M.Sc.
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Mr Dr.-Ing. Christoph Pieper
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Besucheradresse:
Walther-Pauer-Bau, Raum 209 George-Bähr-Straße 3b
01069 Dresden
Publikationen
WSC 2017 “Energy Simulation in Dynamic Production Networks (ESPRONET): Simulation for Industrial Symbiosis.”
PACIS2018 “Designing Industrial Symbiosis Platforms – from Platform Ecosystems to Industrial Ecosystems.”
EnviroInfo 2018/Advances and New Trends in Environmental Informatics “Capturing the Complexity of Industrial Symbiosis.”
Literaturverzeichnis
Arentsen, Maarten J.; Klok, Pieter-Jan; Bruck, Robin (2016): A European Vision for Industrial Symbiosis. Recommendations for a successful European IS strategy. Hg. v. European Public Administration. Department of Behavioural, Management and Social Sciences, University of Twente. Enschede, Netherlands.
Bacudio, Lindley R.; Benjamin, Michael Francis; Eusebio, Ramon Christian; Holaysan, Sed Anderson; Promentilla, Michael Angelo; Yu, Krista Danielle; Aviso, Kathleen B. (2016): Analyzing barriers to implementing industrial symbiosis networks using DEMATEL. In: Sustainable Production and Consumption 7, S. 57–65. DOI: 10.1016/j.spc.2016.03.001.
Chertow, Marian R. (2000): Industrial symbiosis. Literature and taxonomy. In: Annual Review of Energy and the Environment 25, S. 313–337. DOI: 10.1146/annurev.energy.25.1.313.
Deshpande, Satish (2015): Development Patterns and Factors Influencing the Growth of Industrial Symbiosis. Case Study of Tata Steel IJmuiden and the Surrounding Industrial Region to Achieve Reduction in Water Consumption Using Industrial Symbiosis Approach. Master Thesis. Delft University of Technology, Delft. Faculty of Technology - Energy and Industry. Online verfügbar unter https://repository.tudelft.nl/islandora/object/uuid%3A0f457080-1ef1-4796-9b8a-4b6017f71ab9, zuletzt geprüft am 16.07.2019.
Fichtner, Wolf; Tietze-Stöckinger, Ingela; Frank, Michael; Rentz, Otto (2005): Barriers of interorganisational environmental management. Two case studies on industrial symbiosis. In: Progress in Industrial Ecology 2 (1), S. 73–88. DOI: 10.1504/PIE.2005.006778.
Golev, Artem; Corder, Glen D.; Giurco, Damien P. (2015): Barriers to Industrial Symbiosis. Insights from the Use of a Maturity Grid. In: Journal of Industrial Ecology 19 (1), S. 141–153. DOI: 10.1111/jiec.12159.
Hodge, Matthew M. (2007): Quantifying potential industrial symbiosis. A case study of brick manufacturing.
Liwarska-Bizukojc, Ewa; Bizukojc, Marcin (2018): Overview of european eco-industrial parks. Evaluation of industrial symbiosis potential. In: Environmental Engineering and Management Journal 17 (2), S. 477–490.
Massard, Guillaume; Jacquat, Olivier; Zürcher, Daniel (Hg.) (2014): International survey on eco-innovation parks. Learning from experiences on the spatial dimension of eco-innovation. Workshop on eco-innovation parks. Bern, 21.09.2012. 20. Aufl.
Plötz, Joscha (2018): Entwicklung eines Kennzahlensystems zur Identifikation und Bewertung industrieller Symbiosen durch Input-Output-Matching und Verifizierung am Beispiel des BMW-Werk Leipzig. Master Thesis. Technische Universität Dresden, Dresden. Professur für Technische Logistik.
Singh, Neelabh (2016): Kalundborg. The World’s First Fully Functional Industrial Symbiosis. Hg. v. Corporate Eco Forum.